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10.

Pen Assid

13. November 2046 NGZ

Der Gefangene wanderte hinter Gittern aus Stahlrohren und Metallplastiksplittern durch die enge Zelle. Er war so groß wie Terraner, seine Wirbelsäule bog sich nach außen zu einem Rundrücken, was den Eindruck erweckte, er ginge gebeugt. Eine kupferfarbene Krause lag um den vorgestreckten Hals, auf dem ein Kopf saß, der wie zwei zusammengedrückte Kugeln aussah.

»Der Gefangene sieht aus wie die Wesen, die im Zimmer des Taath auf die Wandteppiche gestickt waren«, sagte Pen Assid. »Womöglich ist er einer der Dovoin, eines dieser Wesen mit denen die Ladhonen einen Exklusivvertrag für den Handel abgeschlossen haben.«

»Weshalb sollten sie ihn dann gefangen halten?«, fragte Gry O'Shannon.

Sie hockten hinter einem umgekippten Verteilerkasten, aus dem Kabel und Röhrenfeldprojektoren ragten. Die Streben der ehemaligen Trennwand, in welcher der Kasten verbaut gewesen war, bildeten zum Teil die Gitter der Zelle.

Icho Tolot, Jalland Betazou und Bru Shaupaard hielten ihnen den Rücken frei. Wächter waren nirgendwo zu sehen, weshalb der Haluter vermutete, dass man den Gefangenen an diesem Ort verhungern ließ. Die Skelette in dem Gefängnis schienen die These zu bestätigen.

»Er könnte aus einer anderen Stadt als Batanos stammen, mit der die Ladhonen exklusiv Handel treiben«, sagte Pen. »Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass die Dovoin die Eingeborenen Zpuds sind, wenn sie in unterschiedlichen Städten wohnen und solch eine Präsenz in der Kultur der hiesigen Ladhonen haben.«

O'Shannon zuckte die Achseln. »Möglich. Sie könnten aber genauso gut einem havarierten Volk entstammen, das sein Wrack hinter sich gelassen und Städte gegründet hat.«

»Finden wir es heraus!« Sie standen aus der Deckung auf. Der Gestank nach Fäkalien, konzentriertem Urin und Verwesung wurde stärker, je näher sie der Zelle kamen.

Der Gefangene bemerkte sie und rief ihnen Worte in einer explosiv klingenden Sprache entgegen, als hustete er.

Die Translatoren fanden schnell eine Basis zur Übersetzung der Sprache des Wesens, das tatsächlich ein Dovoin war. Viele Begriffe der Dovois genannten Lingua franca Zpuds waren dem Ladhonischen, Cairanischen oder anderen bekannten Sprachen entlehnt. Offenbar herrschte reger Kontakt zwischen den gestrandeten Völkern der einstigen Vecuia und den Dovoin.

»Solche wie euch habe ich in ganz Baan nicht gesehen!« Der Gefangene zeigte mit einem von sechs Fingern, die an einer mageren Hand saßen, auf Pen und O'Shannon. Sein Arm war ebenfalls dürr und knotig wie ein Ast, ebenso die Beine mit den Plattfüßen, die sich zu den Zehen hin verbreiterten.

»Stammt ihr von jenseits des Meeres? Von Duun? Oder aus einem neuen Himmelssplitter? Von einem Einschlag habe ich in den letzten zehn Jahren allerdings nichts mitbekommen!«

Seine explosive Stimme erklang aus dem linken zweier Münder. Mit dem anderen kaute er auf etwas und spie dunklen Speichel aus.

»Baan und Duun scheinen die Bezeichnungen für die beiden Kontinente des Planeten zu sein«, sagte Pen zu O'Shannon. Den Translator hatte sie ausgeschaltet, um nicht zu verraten, dass sie nicht einmal von Zpud stammten.

»Und bei den Himmelssplittern kann es sich nur um die Raumschiffswracks handeln«, antwortete O'Shannon. »Du könntest recht damit haben, dass die Dovoin die Eingeborenen Zpuds sind.«

Der Gefangene kniff die Augen zusammen, zwischen denen sich eine tiefe Furche vom Kinn bis zum Nacken zog. Darin pulsierte rosafarbenes Fleisch, das sich deutlich von der dunkelbraunen, ledrigen Haut absetzte.

»Seid ihr stumm?«

»Nein.« Pen übernahm die Gesprächsführung. Wasser tropfte von der Decke und rann die Gitterstäbe zwischen ihnen und dem Dovoin hinab. »Und du hast recht, wir kommen von Duun. Wir erforschen Baan und sind dabei auf diesen Himmelssplitter gestoßen. Wie heißt du?«

»Ich bin Santral. Passt bloß auf, dass die Ladhonen euch nicht erwischen. Sonst ergeht es euch wie mir. Dort hinten sind Steine oder irgendetwas anderes Schweres. Gebt sie mir, damit ich das Schloss zerstören kann!«

»Warum haben die Ladhonen dich überhaupt eingesperrt?«

Santral zögerte, als überlegte er, wie weit er ihnen vertrauen konnte. »Ich bin ein Splitterjäger. Wurde dabei erwischt, wie ich ein paar Dinge habe mitgehen lassen. Draußen habe ich meinen Dampfwagen unter Büschen und Sträuchern versteckt. Ich kann euch mit Relikten bezahlen oder euch am Verkauf des Boots beteiligen, das ich gefunden habe.«

»Splitterjäger? Du plünderst demnach die Wracks aus?«

»Wracks? Ich merke schon, ihr Leute von Duun seid nicht so abergläubisches Volk wie wir Dovoin.« Santral lachte. Es klang, als litte ein Terraner unter Keuchhusten. »Die meisten benennen die Wracks ganz poetisch als Splitter aus den Himmeln, Himmelssplitter oder Sternentrümmer. Es gibt viele Namen, aber das sind die meistverbreiteten.«

»Und du bist anders?«, fragte Pen.

»Ja, beim Gruzz! Ich bin aus anderem Kupfer geschmiedet als die meisten Dovoin! Plündern ist jedoch ein hartes Wort. Ich besorge mir dies und das, was eh nicht genutzt wird, sondern vor sich hin gammelt. Einige Splitter meidet man allerdings lieber und macht einen großen Bogen darum, besonders die, in denen sonderbare Gesellen aus belebtem Metall hausen.«

Roboter, erkannte Pen.

Laut sagte sie: »Oder Ladhonen, die das Hab und Gut ihrer Ahnen lieber für sich behalten. Auch wenn es vergammelt. Erzähl uns mehr.«

»Wieso sollte ich?«

»Dann würden wir dich befreien.«

Santral kniff die rostbraunen Augen zusammen. Wieder spie er dunklen Speichel aus, der sauer und würzig roch. »Was ist euer Preis?«

»Wir erkunden Baan und könnten dabei deine Ortskenntnis gebrauchen.«

Ein Ausdruck schlich sich auf das Gesicht des Splitterjägers, den Pen als Erleichterung interpretierte. Er schien mit einem höheren Preis für seine Freiheit und sein Leben gerechnet zu haben. Santral konnte nicht wissen, dass sie ihn auch ohne Handel nicht dem Tod überlassen hätten.

»In Ordnung.« Der Dovoin sah an den beiden Frauen vorbei und fuhr hastig fort. »Die Splitter existieren schon Ewigkeiten. Seit ich denken kann, seit mein Vater denken kann. Selbst dessen Vorväter berichteten seit Generationen davon.«

Mit der Aussicht, befreit zu werden, redete Santral wie ein Wasserfall. Pen half mit ihrer para-suggestiven Gabe ein wenig nach, damit er nicht auf den Gedanken kam, Lügen zu erzählen.

»Hin und wieder fallen neue Splitter herab. Aber das ist seit etwa zehn Jahren nicht mehr passiert, zumindest nicht in dieser Gegend. Davon wüsste ich.«

»Das interessiert uns auch nicht sonderlich«, versetzte Pen. »Wir sind vielmehr an dem Aberglauben der Dovoin interessiert, um sie besser zu verstehen.«

»Ach!« Santral lachte keuchend auf. »Was ihr nicht sagt. Da findet ihr in Baan genug Anschauungsmaterial!«

»Wenn du uns eine Spur weisen kannst ...« Pen wagte einen Schuss ins Blaue. »Wir hörten von einem legendären Ort, an dem graue Schleier existieren, die Dovoin anziehen und gleichzeitig abstoßen, sie müde und niedergeschlagen machen.«

»Nun ja, der Ort, von dem ich euch erzählen kann, ist vielleicht nicht legendär, aber er passt zu eurer Beschreibung.«

Wieder sah Santral ungeduldig an ihnen vorbei und sprach so schnell weiter, dass Pen ihn nicht verstanden hätte, wäre die Ausgabe des Translators nicht langsamer abgelaufen.

»Vor ewigen Zeiten sind Hunderte Dovoin aus der Küstenstadt Ugnoton fortgezogen. Dort hat sich eine seltsame Krankheit verbreitet – eine körperlose, den Geist drückende Last. Diese Last hatte ihren Ursprung auf der Feuerinselgruppe Tomonuta. Ugnoton wurde geräumt. Die Bewohner bauten in einiger Entfernung, weiter im Norden der Küste, eine neue Stadt auf. Bossonu. Das ist auch mein Ziel. Mein Auftraggeber wartet in Bossonu auf mich.«

»Dann soll er nicht mehr zu lange warten müssen«, sagte Pen. Sie prüfte das Vorhängeschloss der Zelle. Das weiche Buntmetall sollte mit einem Vibromesser zu öffnen sein. »Wenn du uns bitte vorher den Weg nach Ugnoton weist?«

*

Der Wind peitschte Pen Assid ins Gesicht. Sie saß auf Icho Tolots Schulter, der mit einer Geschwindigkeit von über 120 Stundenkilometern Richtung Küste rannte. Pens Haare wirbelten durcheinander, dennoch schloss sie nicht den Helm, sondern genoss die frische Luft nach dem Gestank des Verlieses.

Sie hatten den Dovoin mühelos daraus befreit, ihm die Augen verbunden – was nicht ohne Protest vonstattengegangen war – und im Schutz der chromatovariablen Anzugtarnung in ihrer Mitte aus dem Wrack geschleust.

Santrals Empörung über das Vorgehen der Fremden war schon bald der Erleichterung gewichen, den Ladhonen entkommen zu sein. Sein Angebot, ihnen das exotische Lastentier abzukaufen, für das er Tolot hielt, hatten sie dankend abgelehnt. Er hatte es bedauert und sie zu seinem Dampfwagen gebracht, auf dessen Anhänger ein Boot befestigt war. Zumindest hatte er es als solches bezeichnet. Pen hatte darin einen ausgeschlachteten Gleiter erkannt, der aber aufgrund seiner Leichtbauweise auch ein gutes Wasserfahrzeug abgeben würde.

Santrals Wegbeschreibung nach Ugnoton schien korrekt. Je näher sie der verlassenen Küstenstadt kamen, desto öfter griff sich Jalland Betazou an die Horchhaut im Nacken und an den Schläfen. »Der diffuse Druck, den ich seit der Landung auf Zpud verspüre, verstärkt sich, wird spezifischer«, behauptete der Onryone.

Er saß auf der rechten Schulter Icho Tolots neben Pen Assid. Auf der linken klammerten sich Bru Shaupaard und Gry O'Shannon an das Anzugmaterial, das sich dank der chromatovariablen Oberfläche stetig der Umgebung anpasste.

O'Shannon bestätigte Betazous Eindrücke. »Ich fühle mich auf eine ungute Art und Weise angezogen, ganz so, als würde ich Vektormaterie erspähen. Aber bislang spüre ich keine direkten körperlichen Anzeichen, also muss unser eigentliches Ziel weiterhin ein ganzes Stück entfernt sein.«

Sie erreichten Ugnoton, als die Sonne sich allmählich dem Horizont näherte. Noch reflektierte das Meer mit einem kräftigen Blau die Strahlen Suznys. Vereinzelt zogen kleine Haufenwolken über den Himmel.

Pen sah angestrengt hinauf.

»Was suchst du?«, fragte O'Shannon.

»Phersunen. Oder Anzeichen von ihnen. Sonden zum Beispiel oder Gleiter. Vielleicht fahnden sie aber auch aus dem Orbit nach uns.«

»Sie werden glauben, dass wir tot sind«, behauptete Betazou. »Man wird höchstens das Wrack der ZALTERTEPE-Jet untersuchen und nach den Emissionen höherdimensionaler Geräte fahnden. Wir sind schließlich nicht die Ersten, die auf Zpud abgestürzt sind. Womöglich haben noch andere Träger von Sextadim-Spänen, wie Bru Shaupaard einer ist, den Weg hierher gefunden, sind jedoch gescheitert.«

Der Cairaner schwieg.

Ugnoton war tatsächlich verlassen. Die Fensterläden der Steinhäuser quietschen in den Scharnieren oder verrotteten auf dem Boden. Die Scheiben waren blind und gesprungen. Kein Dovoin war zu sehen.

Nicht einmal höhere Tierarten belebten die Straßen und Gassen, die vom Sand der Strände zurückerobert worden waren. Pen sah nirgendwo die sonst allgegenwärtigen Federspinnen verschiedener Größenordnungen. Nur winzige Insekten krabbelten über die unebenen Pflastersteine. Wahrscheinlich spürten sie die Vektormaterie nicht, da ihr vegetatives Nervensystem nicht weit genug entwickelt war.

Pen rieb sich den Nacken, um die Gänsehaut zu vertreiben. An einem Ausleger im Hafen setzten sie sich auf die vermoderten Bohlen und ließen die Beine baumeln. Tolot blieb am befestigten Ufer stehen. Die morsche Konstruktion wäre unter seinem Gewicht zusammengebrochen.

Es roch nach Salz und Wasser. Der Wind trug feine Tropfen mit sich, die ihre SERUNS benetzten. Pen schmeckte das Meer auf den Lippen, auf irritierende Weise fremd und doch vertraut.

Schäfchenwolken zogen über den Himmel, und die Nachmittagssonne wärmte ihre Gesichter. Sie kauten auf Konzentratriegeln. Betazou hatte sich zurückgezogen, da die Nahrungsaufnahme für Onryonen ein intimer Vorgang war.

Der Anblick wäre inmitten der Trostlosigkeit der Stadt idyllisch gewesen, hätte nicht dieser Druck auf Pen gelastet. Sie musterte Shaupaard. Der Cairaner starrte auf die See. Mit den Innenhänden nestelte er am Stoff seiner Handschuhe, die Finger der Außenhände ineinander verschränkt, im Versuch, die nervöse Bewegung zu verbergen.

Betazou kehrte zurück. Immer wieder rieb er sich über die Horchhaut. O'Shannon fasste sich behutsam an den Kopf. Sogar Tolot zeigte Anzeichen von Bedrückung. Sein breiter Mund stand leicht offen, und er schnaufte leise. Als er Pens Blick bemerkte, schloss er ihn rasch.

»Selbst das Meer scheint verlassen«, sagte der Onryone. Er hatte den Folienhelm halb geschlossen und betrachtete die vergrößerten Kameraaufnahmen. »Ich sehe keine Fische im Hafenbecken. Alles, was hoch genug entwickelt ist, um die schädliche Ausstrahlung der Vektormaterie zu spüren, ist offensichtlich geflüchtet.«

»Wundert mich nicht«, murmelte Pen.

Tolot hatte sich aufgerafft und eine Miniatursonde aus einer Tasche seines Kampfanzugs genommen. Von Sonnenenergie betrieben stieg sie surrend in die Höhe. Ihre Kameras übertrugen die Aufnahmen per Richtstrahl direkt an den Haluter.

»In etwa 200 Kilometern vor der Küste liegt eine Inselkette«, teilte er den Gefährten mit. »Den Kratern zufolge ist sie vulkanischen Ursprungs. Das muss Tomonuta sein.«

»Sind die Inseln bewohnt?«, fragte Shaupaard.

»Wer sollte auf Inseln leben wollen, die voller Vektormaterie sind?« Pen sah den Cairaner fassungslos an.

»Deshalb frage ich. Sollten sie bewohnt sein, könnte es sich bei ihnen nicht um unser Ziel handeln. Außer es wären Phersunen.«

»Ich sehe keine Anzeichen von Zivilisation«, sagte Tolot. »Keine Ansiedlungen, keine Schiffe. Dafür scheint ein steter Wind über die Inseln zu wehen. Die Vegetation ist spärlich und duckt sich gegen die Felsen. Ich glaube, selbst ohne Vektormaterie sind die Inseln kein beliebtes Ausflugsziel.«

»Zumindest für Menschen«, versetzte Pen. »Für Haluter sind das bloß laue Lüftchen, oder?«

Tolot lachte, doch es klang halbherzig. »Die mittlere und größte Insel weist eine gewaltige kesselförmige Struktur auf. Ein Einsturzkrater, aber nicht von einem Asteroiden oder einem abstürzenden Raumschiff verursacht, sondern vom Typus her die Caldera eines Vulkans. Sie durchmisst annähernd acht Kilometer und ist 550 Meter tief, wenn ich das anhand der mir zur Verfügung stehenden Daten richtig berechne.«

Scherzkeks!, dachte Pen. Natürlich verrechnete sich ein Haluter bei derart trivialen Aufgaben niemals, nicht einmal im Schlaf.

»Kannst du darin etwas erkennen?«, fragte Bru Shaupaard. »Vektormaterie?«

»Ich sehe einen grauen Kubus.«

»Fühlst du dich davon beeinflusst?«

Tolot grollte leise. »Ich kann nicht auseinanderhalten, ob es der Anblick ist oder der Einfluss, der ohnehin auf mich einwirkt, seit wir in Ugnoton sind.«

Nacheinander betrachteten sie die Bilder. Keinem von ihnen gelang es, Sicherheit zu erlangen.

*

»Es wird nicht einfach, zu der Insel vorzudringen«, sinnierte Pen Assid.

Sie hatten sich in ein verlassenes Hafengebäude zurückgezogen, um zu beraten, welche nächsten Schritte sie gehen sollten. Draußen versank die Sonne Suzny im Ozean. Dunkle Wolken schoben sich vor die blutrote Halbscheibe.

Bru Shaupaard schwieg. Immer wieder griff er sich in den Nacken, als wollte er signalisieren, dass er die Nähe zur VECU spürte. Aber der Sextadim-Span blieb farblos, leuchtete nicht rot auf, wie es bisher der Fall gewesen war, wenn der Cairaner sich Orten oder Gegenständen genähert hatte, die einen direkten Bezug zur Superintelligenz aufwiesen.

»Wir werden mit strengen Sicherheitsvorkehrungen rechnen müssen«, sagte Gry O'Shannon. »Die Raumschiffswracks sind Hinweis genug, dass immer wieder Reste der Vecuia versucht haben, zum Verlies der VECU vorzudringen.«

Ein kalter Abendwind wehte ins Innere des Gebäudes und ließ Pen frösteln.

»Zum vermeintlichen Verlies der VECU«, schränkte Icho Tolot ein. Er hatte sich zwar an Bord der RAS TSCHUBAI für Shaupaards Anliegen eingesetzt, aber der Haluter bewies, dass er eine kritische Distanz bewahrt hatte.

»Weshalb sollte das Verlies scharf bewacht sein?« Jalland Betazou lehnte gegen eine der Wände, von denen grüne Farbe abblätterte. »Es besteht aus Vektormaterie, die unüberwindlich ist. Die Phersunen fühlen sich unangreifbar. Sonst hätten sie die Hinterbliebenen in den Raumschiffswracks ausgemerzt. Und sie hätten unerbittlich nach uns gefahndet.«

»Das überzeugt mich nicht«, sagte Pen. »Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als nachzusehen. Die Möglichkeiten der Sonde sind erschöpft. Die Ortungssysteme der SERUNS einzusetzen, ist ausgeschlossen. Die Phersunen würden sofort auf uns aufmerksam werden.«

*

Als die Nacht hereinbrach, machten sie sich auf den Weg. Die Funktionen der SERUNS hielten sie auf ein Minimum beschränkt; jede höherdimensionale Gerätschaft blieb desaktiviert.

Pen schloss den Folienhelm. Sie stieg ins schwarze Wasser, griff nach der Schlaufe an Tolots Kampfanzug und verankerte ein dünnes Seil daran. Am anderen Ende war es an einer Art Geschirr befestigt, das der SERUN mit gezielten Versteifungen des Anzugmaterials geschaffen hatte.

Pen war die Letzte. Sobald sie ihr Okay gab, setzte sich der Haluter in Bewegung. Er tauchte ab, benutzte seine Handlungs- und Laufarme wie Paddel, um sie durch die ruhige See zu manövrieren.

Mehr als eine Stunde lang geschah nichts. Sie bewegten sich in 20 Metern Tiefe, um das Wasser an der Oberfläche nicht aufzuwühlen. Blasen wirbelten um Pen und die anderen drei Begleiter, die auf Tolots Rücken saßen. Alles wiederholte sich in einschläferndem Rhythmus. Ab und zu wich eine Wolke vor dem kupferfarbenen Mond zurück und sein Glimmen drang unter die Wasseroberfläche.

Mit einem Mal veränderte sich etwas.

Pen schreckte aus dem Halbschlaf auf, in den sie versunken gewesen war. Jalland Betazou ruderte mit den Armen. Nur die Tatsache, dass sein SERUN mit dem dünnen Seil am Kampfanzug des Haluters verankert war, bewahrte ihn davor, in der Schwärze des Ozeans zu versinken. Gry O'Shannon zeigte nach links, dann nach rechts. Sie warf den Kopf hin und her.

Pens Herzschlag raste. In diesem Moment sah sie es: Schemenhafte Gestalten jagten durch das Wasser. Zuerst hielt sie die hellen Flecken für Vektormaterie. Doch das Gefühl unter der Schädeldecke fehlte, das sie bei bisherigen Begegnungen mit den grauen Schleiern in einen Abgrund hatte reißen wollen. Einen Abgrund schwarz wie der Ozean.

Nein, was sie in diesem Moment bedrohte, waren Jäger! Energetische Wolken? Schwärme von Kleinstlebewesen oder rasend schnelle Quallen? Vielleicht Mollusken, deren Haut biolumineszierte?

Pen glaubte, ein Zischen zu hören und ein leichtes Stechen am rechten Oberschenkel zu spüren. Die Wahrnehmung ging im Chaos unter, das ihre Sinne verwirrte.

»Ruhig, meine Kleinen!«, erklang Tolots Stimme aus den Helmlautsprechern. »Ihr unterliegt einer Täuschung!«

Pen gelang es nicht, sich zu beruhigen. Noch immer huschten die Schemen umher, stießen vor und zurück. Jeden Augenblick mochten sie ihre Zähne in den Stoff ihres SERUNS jagen oder sie mit Stromschlägen malträtieren! Sie schrie, schlug um sich, trat aus. Ein Ruck zuckte durch ihren Körper, als sich das Seil spannte, das sie mit Tolot verband.

Pen wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ihre Kräfte sie verließen. Sie hörte auf, um sich zu schlagen und zu strampeln. Sie begriff mit abklingender Panik, dass das Zischen und Stechen Anzeichen dafür gewesen waren, dass der Cybermed ihr ein Mittel injizierte. Ihr Herzschlag beruhigte sich; eine lähmende Müdigkeit ergriff von ihr Besitz.

»Wir sind auf dem Rückweg nach Ugnoton«, erklang Tolots Stimme erneut aus den Helmlautsprechern.

Der Haluter belehrte sie, dass nicht das Beruhigungsmittel ihre Sinnestäuschung unterbunden hatte. Er hatte sie in Sicherheit bringen müssen.

»Die Angreifer waren Meereskreaturen, die mit Infraschall jagen. Zumindest habe ich solchen erkannt. Ich vermute, dass er Fehlwahrnehmungen in den Augäpfeln verursachte und euer vegetatives Nervensystem angriff.«

»Ich dachte«, krächzte Pen mit erschöpften Stimmbändern, »kein hinreichend entwickeltes Lebewesen könnte in der Nähe der Vektormaterie leben.«

»Vielleicht handelt es sich um Mutationen«, sagte Tolot. »Die Vektormaterie ist nicht erst seit gestern an diesem Ort.«

*

Der erste Versuch, zur Vulkaninsel vorzudringen, war gescheitert. Etwa fünfzig Kilometer trennten sie noch von der Küste Tomonutas, Fünfzig Kilometer von Meeresjägern verseuchter Gewässer. Nicht einmal Bru Shaupaard protestierte gegen den Abbruch des Vorstoßes.

Icho Tolot hätte Pen und den Rest der Gefährten paralysieren können, damit sie nicht erneut den Attacken zum Opfer fielen. Doch aufgrund der mangelnden Datenlage war es offen, ob Paralyse Schutz vor den Angriffen bot.

Sie wussten außerdem nicht, wie nahe vor den Inseln die Tiere aktiv waren, geschweige denn, welche Gefahren an der Küste lauerten. Darum war unklar, wie stark die Lähmung ausfallen musste, damit sie rechtzeitig abklang. Es wäre zu riskant gewesen, im Zustand abklingender Paralyse an Land zu gehen.

»Wir sollten uns auch nicht trennen«, beschloss Tolot. »Ich schlage vor, dass wir nach Bossonu aufbrechen und dort nach Santral suchen. Wir könnten sein Boot chartern.«

Pen erwartete spätestens in diesem Moment einen Einwand von Bru Shaupaard, doch der Cairaner schwieg weiterhin.

Am Stadttor Bossonus bestachen sie einen Wächter mit einem Vibromesser, das sie als Fundstück aus einem Himmelssplitter ausgaben. Ungeachtet der Nachtsperre ließ er sie ein.

In den dicht bevölkerten Straßen trennte sich Shaupaard von ihnen. »Ich will mich allein umsehen«, sagte er. »Das ist unauffälliger. Und vielleicht finde ich Santral und sein Boot.«

Pen hatte nichts dagegen einzuwenden. Alles, was sie wollte, war die Augen zu schließen und zu schlafen. Gry O'Shannon und Jalland Betazou schien es ähnlich zu gehen.

Also verabschiedeten sie sich und gingen getrennter Wege.

»Nicht, dass wir ihn verlieren«, mahnte O'Shannon.

»Nein, mein Kleines«, versicherte Icho Tolot. »Er braucht uns. Außerdem habe ich ihn mit Peilsendern gekennzeichnet. Schlaft nun. Ich werde ebenfalls nach Santral suchen.«

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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