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3.

Kinder des Olymp

Thora Rhodan da Zoltral verfolgte den Anflug auf das Castorsystem von ihrer Kabine aus. Die restliche Reise war nur ein Katzensprung verglichen mit der Wegstrecke, die gerade hinter ihr lag, aber auf ihre Art nicht minder schwer.

Meine tot geglaubte Tochter bittet mich zur Audienz, dachte sie zynisch.

Nathalie Rhodan da Zoltral hatte sich ihnen auf dem Fragment der Elysischen Welt offenbart – doch nur als Projektion. Zudem war die Begegnung von der drängenden Notwendigkeit überschattet gewesen, Arkon vor der Gefahr durch das Dunkelleben zu retten. Deshalb änderte das alles nichts, rein gar nichts an Thoras Verlangen, ihrer Tochter endlich wieder persönlich zu begegnen.

Ebenso wie Perry Rhodan war ihr völlig klar gewesen, dass sie als Allererstes nach Olymp mussten, ehe sie wieder zum Tagesgeschäft übergingen oder die nächsten Schritte planten. Selbst Stella Michelsen hatte eingesehen, dass sie diese Zeit brauchten, und ihnen eine Korvette der Flugbereitschaft zur Verfügung gestellt. Sie wollten unter sich sein auf dieser Reise, und die CREST II mit ihren zweitausend Frauen und Männern Besatzung für einen privaten Flug zu benutzen, wäre selbst für Thoras Verhältnisse, nun, unverhältnismäßig gewesen, wie ihr Logiksektor süffisant anmerkte.

An diese Stimme in ihrem Kopf, die seit Aktivierung ihres Extrasinns wie eine altkluge Zwillingsschwester jede ihrer Handlungen und Überlegungen ungefragt bewertete und kommentierte, musste sie sich erst noch gewöhnen. Ganz gleich, was arkonidische Traditionalisten behaupteten: Thora hatte sich auch ohne dieses Zweitbewusstsein nie unvollständig gefühlt. Und dessen ständige mentale Kritik trug nicht im Mindesten dazu bei, dass sich ihre Stimmung in diesen Stunden gebessert hätte.

Nur du bist schuld an deiner Stimmung, wies der Logiksektor ihren Vorwurf kühl zurück. Wenn es familiäre Harmonie ist, die dir fehlt, hättest du nicht mit deinen Söhnen streiten sollen.

»Ach, halt doch die Klappe!«, murmelte Thora leise und fragte sich, ab welcher Lautstärke sich die Kabinenpositronik wohl angesprochen fühlen mochte. Thomas und Farouq hatten mehr verdient als einen kleinen Streit. Sie hatten Thora hintergangen und die Familie entehrt. Auf Arkon hätte man sie vor gar nicht langer Zeit noch enterbt, verbannt und nach allen Regeln des Dagor verdroschen, in beliebiger Reihenfolge.

Grund ihres gegenwärtigen Konflikts war natürlich, dass ihre Söhne jahrelang von Nathalies geheimem Spiel gewusst hatten. Ihren Eltern gegenüber hatten sie getan, als trauerten sie – in Wahrheit hatten sie ihre Schwester wahrscheinlich bei jedem ihrer Geheimdiensteinsätze auf Olymp auf ein Bier eingeladen und Nathalie über die jüngsten Erkenntnisse von GHOST auf dem Laufenden gehalten.

Die Annahme, dass deine Söhne zu Geheimnisverrätern wurden, ist ebenso unbegründet wie die, dass deine Tochter nach all den Jahren plötzlich Gefallen an terranischem Bier ...

»Halt die Klappe, habe ich gesagt!«, schrie Thora.

»Bitte präzisieren Sie die Eingabe«, bat die Positronik höflich, und Thora stieß einen spitzen Schrei aus.

Eskaliert war der Streit, als Thomas seinen Eltern das großzügige Angebot unterbreitet hatte, dass sie für den Flug nach Olymp doch ihr privates Einsatzschiff – die NATHALIE – nehmen könnten ...

Thora schlug mit der Faust gegen die gläserne Wand, auf der die Projektion des majestätischen Castorsystems mit seinen drei Sonnenpaaren immer größer wurde. Ihr bebendes Spiegelbild lag wie die Silhouette einer Sternengottheit über der Schwärze.

Es war nicht so, dass Thora nicht stolz auf ihre Kinder wäre. Ihre Söhne waren die Vorläufer jener Emotionauten gewesen, die mittlerweile auf Cybora und anderswo trainierten. Sie waren fähige Agenten, und Thora war zuversichtlich, dass ihr Chef, Nike Quinto, es nicht wagen würde, je ihre Leistungen zu beschönigen, bloß weil sie prominente Eltern besaßen. Und das Raumschiff, das sie flogen und auf das sie zum Gedenken groß den Namen ihrer Lüge gemalt hatten, war ein Wunderwerk der Technik.

Und Thoras Tochter ...

Die beiden Roten Zwerge Castor Ca und Castor Cb – Letzterer mit dem Eigennamen Boscyks Stern – kamen näher. Dort draußen kreiste Olymp ... Nathalies Welt. Das wichtigste Handelszentrum der Solaren Union, neben der Erde selbst. Drei uralte Sonnentransmitter der Memeter und ein mit thetisischer Hilfe errichteter Situationstransmitter machten Olymp und seine Hauptstadt Trade City zum Knotenpunkt des kleinen Sternenreichs der Menschen, das so anders war als das Große Imperium der Arkoniden. Die Menschen eroberten nicht, sie erforschten, siedelten, handelten ... und schreckten nie davor zurück, irgendwelche nur halb verstandenen Hinterlassenschaften ihrer Vorfahren oder anderer Zivilisationen zu benutzen. Es war erstaunlich, wie selten ihnen diese Relikte um die Ohren flogen. Das Universum schien die Menschen zu mögen. Und sie entwickelten sich – entwickelten neue Fähigkeiten und Formen der Existenz: Mutanten, Emotionauten, Nathalie ...

Thora dachte an die Zeit zurück, als Nathalie noch ein kleines Mädchen gewesen war, das bloß einige Auffälligkeiten gezeigt hatte. Sie war sehr klug und geschickt gewesen und hatte ihr Essen stets wie ein halb verhungerter Lorr verschlungen – aber welche Eltern hielten ihr Kind nicht für begabt oder verfressen? Sorgen hatten sie sich erst gemacht, nachdem die Anfälle häufiger wurden und Nathalie zunehmend die Kontrolle über ihre Fähigkeiten zu verlieren schien. Sie sprach schneller, als irgendein Mensch sie verstehen konnte – und dass niemand sie verstand, frustrierte sie.

Als Nathalie acht Jahre alt war, hatten Thora und Rhodan ihre Tochter ins Lakeside Institute gebracht, wo Ras Tschubai und der Kommunikationstrainer János Molnár mit ihr arbeiteten. Doch alles, was man am Institut herausfand, war, dass Nathalie sehr musikalisch, unglaublich klug und wirklich hungrig war. Eine Mutantin, versicherte man ihnen immer wieder, sei Nathalie nicht. Aber dass sie nebenher klassische Kompositionen nach Gehör notierte? Ein Posbisignal wie ein billiges Rätselspiel knackte? Oder quasselte wie eine Aufnahme im Schnellvorlauf? Geschenkt, so waren Kinder nun einmal ...

Nathalie hatte auch Briefe geschrieben zu dieser Zeit. An eine imaginäre Freundin namens Ansa.

Thoras Blick ging ins Leere. Einen Moment lang kamen die Roten Zwerge in Deckung mit dem Spiegelbild ihrer Augen.

Ansa.

Anson.

Anson Argyris ...

Nathalie hatte die ganze Zeit ein Spiel mit ihnen allen gespielt. Seit sie acht Jahre alt gewesen war.

Thora starrte in die Reflektion ihrer roten, brennenden Augen und wischte sich die Tränen von den Wangen, spürte ihr Herz im Gefängnis seiner Knochenplatte rasen.

»Wie kann es sein?«, fragte sie ihren Mann, als Perry Rhodans Silhouette neben sie trat. »Wie ist es möglich, seine Tochter so wenig zu kennen?«

Er legte den Arm um ihre Hüfte. Sie drehte sich nicht um, betrachtete nur ihrer beider Spiegelbilder auf der Scheibe.

»Ich glaube, es ist nicht das erste Mal, dass Eltern sich diese Frage stellen.«

Keine große Erkenntnis, kommentierte Thoras Logiksektor. Aber recht hat er, dein Barbar.

Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Ich glaube, es ist durchaus das erste Mal, dass Eltern die Feststellung machen, dass ihr vermisstes Kind sich ohne triftigen Grund eine zweite Existenz aufgebaut hat, ganz nebenbei als Obmann einer ganzen Kolonie ...!«

»Nicht alle Eltern haben unsere Nathalie.« Rhodan lächelte. »Und was die Gründe betrifft, wäre sie wahrscheinlich anderer Ansicht.«

»Diese Sache mit den beiden Bewusstseinskernen? Du weißt schon ... dass sie eine Dyade sei?«

»Ja?«, fragte Rhodan.

»Ist es meine Schuld?« Thora drehte sich um und schaute ihn an. »Ich meine ... ist sie irgendwie geistig gespalten, schizophren oder etwas in der Art ... weil du ein Mensch ... und ich eine Arkonidin ...?«

Da fiel ihr Blick auf Thomas und Farouq Rhodan da Zoltral, die hinter ihrem Vater die Kabine betreten hatten. Farouq, untypisch für seine Kämpfernatur, senkte den Kopf. Es gab nichts, was er sagen konnte, das seine Mutter ihm nicht umgehend um die Ohren schlagen würde, und das wusste der Marsianer.

Thomas reagierte ebenfalls untypisch und handelte weitaus weniger überlegt als sein Adoptivbruder. Vielleicht glaubte er, dass es als leiblicher Sohn seine Pflicht sei, etwas anzumerken. »Mom.« Er schluckte. »Rede dir das nicht ein. Es liegt nicht an dir. Ich bin doch auch nicht so ...«

»Nein, du bist nämlich noch schlimmer!«, platzte es aus ihr heraus. »Spielst mir jahrelang den trauernden Bruder vor! Sogar deine verdammte Schiffspositronik hast du angeblich ihr zu Ehren mit Nathalies Charakterzügen programmiert. Wer redet hier wem etwas ein?« Eine Begebenheit vom Vorjahr fiel ihr ein – als Tom auf einer Demonstration seine große Rede gehalten hatte, damit man seinem kranken Vater den Flug ins Compariat gestattete. Thora hatte ihn und seinen Bruder hinter der Bühne überrascht und noch den letzten Fetzen ihrer Unterhaltung aufgeschnappt:

»Würdest du dasselbe auch Nathalie sagen? Dass Dad leider sterben muss – weil wir's nicht schaffen, eine verdammte Startgenehmigung zu kriegen?«

»Vielleicht wird das nicht nötig sein ...«

Das damals war keine hypothetische Frage gewesen: Ihre Söhne hatten die ganze Zeit mit Nathalie in Kontakt gestanden.

»Du musst mir glauben, Mom ...«, flehte Thomas. »Es ist uns nie leichtgefallen, das alles geheim zu halten ...«

»Mich zu belügen, meinst du wohl!«

Tränen stiegen Tom in die Augen, als auch er wütend wurde.

Gut so – wenn er sich öfter daran erinnerte, dass er ein Arkonide war, wenigstens zur Hälfte, würde er vielleicht erkennen, wann er sich und seiner Familie Schande brachte.

Perry drückte sie beruhigend an sich, während Tom fortfuhr. »Nathalie hat gesagt, dass es keinen anderen Weg gibt, dass zu viel davon abhängt – und wir haben ihr vertraut! Redet mit ihr ...«

»Worauf du dich verlassen kannst«, beschied sie ihm.

Dein Sohn hat recht, meldete sich ihr Logiksektor zu Wort. Es ist nicht deine Schuld, dass Nathalie geworden ist, was sie ist – und seine auch nicht. Deine Wut an ihm auszulassen, bringt niemanden weiter.

Es fühlt sich aber gut an!, erwiderte sie trotzig.

»Bitte verzeih uns unser Schweigen«, sagte Farouq. »Wir wissen, dass wir euch wehgetan haben ...«

»Und wieso habt ihr es dann getan?«

Wenn du Antworten willst, musst du Nathalie fragen, mahnte ihr Logiksektor.

Ihr Mann blickte sie abwartend an. Sie wusste, dass Rhodan diese Unterhaltung mit ihren Söhnen längst geführt hatte. Er hatte den beiden verziehen – nun waren sie gekommen, auch ihre Mutter erneut um Verzeihung zu bitten.

»Kommt her«, sagte sie und drückte ihre Familie an sich. Spürte ihre Wärme und ihre Kraft und wie sehr sie alle unter der Lüge gelitten hatten, die sie zehn Jahre lang begleitet hatte.

»Ich bin so froh«, sagte Tom. »Ich bin so froh, dass es vorbei ist.«

»Ja. Ich bin auch froh.« Thora ließ ihren Mann und ihre Söhne los, holte tief Luft und lockerte die Schultern, als mache sie sich für einen Kampf bereit. »Und eure Schwester wird ebenfalls froh sein, wenn dieser Tag vorüber ist.«

Die Korvette setzte zur Landung an. Sie fanden sich in der ihnen vom Kommandanten genannten Schleuse ein und verabschiedeten sich von der Besatzung. Ein privater Gleiter des Kaisers holte sie ab.

Ein privater Gleiter von Nathalie, korrigierte Thora in Gedanken.

Der Pilot war so wortkarg, ausdruckslos und präzise in seinen Bewegungen, dass Thora beinahe Zweifel hatte, ob er ein Mensch war und keine Maschine. Schweigend nahmen die vier Passagiere hinter ihm unter dem getönten Glasdach Platz und blickten während des Flugs aus dem Fenster auf Trade City hinaus.

Thora sah das Labyrinth der Depotstadt, in der ungezählte, für den Transmittertransport bestimmte Container auf ihre Entstofflichung warteten. Sah die Stahl- und Glaskreationen neureicher Architekten wie gleißende Blumen in dieser Wüste durcheinandergewürfelter Industriebauten aufragen. Sie sah Einflüsse von Arkon, dem untergegangenen Archetz, von Aralon und der Erde. Alles sah genau so aus, wie man sich eine Großstadt vorstellte, die binnen weniger Jahrzehnte mit dem Geld ganzer Sternenreiche erbaut worden war – und im Stil eines jeden einzelnen dieser Reiche. Hätte es in Terrania keine Baubehörde und keine Vorschriften gegeben, würde es dort vielleicht ähnlich aussehen.

Nathalie war schon immer schlecht darin, bei sich aufzuräumen.

Thora musste sich daran erinnern, dass ihre kleine Tochter mittlerweile eine Frau von vierzig Jahren war – und sie musste sich eingestehen, dass sie keine Ahnung hatte, wer diese Frau eigentlich war.

Wenn Thora die Augen schloss, sah sie noch immer Nathalie das Kind vor sich, das einen Wutanfall nach dem nächsten durchlitt, weil die Welt einfach nicht begriff, was Nathalie von ihr wollte. Die Schülerin, die mit wehenden Fahnen Klasse für Klasse übersprang und allerorten Ratlosigkeit, manchmal Angst hinterließ. Die junge Frau, die vor zehn Jahren von ihrer Reise nach Olymp einfach nicht wiederkam und spurlos verschwand. Wahrscheinlich fiel es leicht, unterzutauchen, wenn man ein Genie mit fast unbegrenzten Ressourcen und nur wenigen Freunden war. Eins war in jedem Fall gewiss: Nathalie hatte sich dieses Schicksal selbst ausgesucht, und sie musste es von langer Hand geplant und vorbereitet haben.

»Sie hat auch mich getäuscht, weißt du«, murmelte Perry Rhodan, gleichermaßen in den Anblick der wild wuchernden Märchenstadt vor dem Fenster versunken.

»Ich weiß.« Er war nicht das erste Mal auf Olymp. Er hatte sogar schon Audienzen bei Anson Argyris absolviert. Und mochte ihr Mann noch so besonnen wirken im Vergleich mit ihr selbst, mochte er seine Tochter gleichfalls über alles lieben – Thora kannte seinen Stolz, und sein Stolz war verletzt. Vielleicht wahrte er nur deshalb besser die Fassung, weil er länger als sie Gelegenheit zum Gespräch mit Nathalie gehabt hatte.

»Es hat Nat keine Freude bereitet«, beteuerte Farouq, der mit seinem Bruder auf der mittleren Sitzbank saß.

»Red keinen Schwachsinn!«, erwiderte Thora scharf. »Natürlich hat es ihr Spaß gemacht. Genau wie euch. Sich verkleiden, die Leute täuschen und hinters Licht führen? Ihr seid doch alle gleich.«

»Mom!«, protestierte Tom.

»Heute seid ihr erwachsen und könnt tun und lassen, was ihr wollt«, sagte Thora bestimmt. »Aber erzählt mir nichts über meine Kinder. Die kenne ich besser als ihr!«

Dann kam vor ihnen der Kaiserpalast in Sicht – der »Taj Argyris«, wie manche ihn mit leichtem Spott nannten. Eine alabasterfarbene Hybride aus terranischer Mogularchitektur und arkonidischem Khasurn, zeitlos, zwischen den Welten gefangen wie seine Erbauerin. Ein Traumschloss. Ein Elfenbeinturm.

Thora konnte nicht anders: Sie war stolz auf ihre Tochter. Ihre kleine Nat, die einen ganzen verdammten Planeten regierte – und bloß eine Handvoll Leute wusste davon. Sie hätte es im Spiel der Kelche weit gebracht.

Deine Tochter braucht Arkon ebenso wenig, wie sie die Erde braucht, konstatierte der Logiksektor. Sie passte in keine der beiden Welten – also hat sie sich ihre eigene geschaffen.

Der Gleiter ging innerhalb der Palastmauern auf einem kleinen, von Gärten umgebenen Landefeld nieder. Das Glasdach hob sich, Blütenduft und der Klang von Wasserspielen schmeichelten Thoras Sinne. Mit stoischer Miene wartete der Pilot, bis sie ausgestiegen waren, dann schloss er das getönte Dach ohne ein Wort.

»Und jetzt?«, fragte Thora herausfordernd, denn sie wurde das Gefühl nicht los, dass Nathalie sogar in diesem Moment noch mit ihnen spielte. Dass sie das Treffen herauszögerte, ihren Reichtum zur Schau stellte. Vögel sangen in den Bäumen, und irgendwo wurde eine echte oder virtuelle Leier geschlagen.

»Herzlich willkommen!«, erklang eine Stimme vom Kopf einer Treppe. Dort stand ein hagerer Mann in höfischer Tracht, wie er vor drei- oder vierhundert Jahren in den Schlössern und Burgen Europas gelebt haben mochte. Konterkariert wurde der historische Eindruck lediglich von der huschenden Schar kleiner Robotwesen, die wie Ungeziefer seine Knöchel umspielten und seinen Rocksaum erklommen. »Mein Name ist Jerome Fascal. Bitte folgen Sie mir – der Kaiser empfängt Sie jetzt.«

Der Kaiser?, dachte Thora irritiert. Kennt er tatsächlich die Identität seines Herrn nicht – oder ist es ihm nur verboten, die Maskerade zu brechen?

Ihr Mann und ihre Söhne nickten ihr stumm zu. Allem Anschein nach kannten sie den bizarren Lakaien bereits.

Thora hob stolz das Kinn und ließ sich von Fascal führen, über marmorne Treppen und durch farbenprächtige Säulengänge, vorbei an mechanischen Skulpturen sowie Dienerschaft und Wachen in samtenen Uniformen. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie Nathalie damals im Lakeside Institute Passagen aus Tschaikowskis »Nussknacker« nach Gehör nachgespielt hatte. Diese Gänge schienen ihr wie eine Kulisse aus diesem Ballett zu sein. Ein Nussknackerpalast.

Dann schwang eine schwere, zweiflügelige, mit Messing beschlagene Holztür vor ihnen auf, und aus einer weiten, goldglänzenden Halle kam ihnen ein großer Mann mit langem, dunklem Haar entgegen. Sein imposanter Bart war zu zwei Zöpfen geflochten, die an den Epauletten seines roten Rocks befestigt waren. Seine Beine steckten in Seidenhosen und Lederstiefeln, an seinen Fingern gleißten juwelenbesetzte Ringe. Er sah aus wie ein Feldherr, ein Superverbrecher, ein Freibeuter. Er sah aus wie alles, was Nathalie als Kind gern gespielt hatte.

Aus Gewohnheit schien er kurz darauf zu warten, dass man den Kopf vor ihm neigte. Dann stolzierte er weiter wie ein alter Haudegen, der alle in seine großen Arme schließen wollte, und blieb doch abermals stehen, als müsste er selbst überlegen, was die Etikette für einen Fall wie diesen vorsah.

Die Tür schloss sich, nun waren allein sie mit dem Herrn der goldenen Halle.

Eine Familie – zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder vereint ...

Ein seltsam weicher Ausdruck trat in seine großen Augen.

»Hallo, Mom«, sagte Anson Argyris.

Perry Rhodan Neo Paket 24

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