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Das Meer und die Seele
Noch während Perry Rhodan das Komgespräch entgegennahm, verließen die drei Koordinatoren den Besprechungsraum; ihre Anwesenheit wurde nicht länger benötigt. Insgeheim war er dankbar für die Unterbrechung, denn er wollte sich nicht anmerken lassen, wie betroffen ihn die Neuigkeiten aus den Kolonien gemacht hatten. Dass die Siedler sich von ihrer Heimatwelt unterdrückt fühlten, war schmerzhaft. Ob es auch auf Olymp so aussah? Nathalie hatte zwar Unstimmigkeiten erwähnt, aber nicht, dass es so ernst war. Und dass ausgerechnet Dabrifa, der Rhodan bei mehr Gelegenheiten, als ihm lieb war, seine Bewunderung ausgedrückt hatte, Partei für die Separatisten ergriff ... Perry Rhodan dachte daran, wie der junge Botschafter ihn gleich nach seiner Rückkehr ins Solsystem zu kontaktieren versucht hatte. Vielleicht hätte er das nicht ignorieren sollen ...
Vorerst aber musste er sich einem drängenderen Problem widmen. »Wie geht es Merkosh?«, fragte er.
»Es wäre einfacher, wenn du ihn sehen könntest«, antwortete Sud, die im Moment nur via Audio mit ihm sprach. »Ich hoffe, ich störe nicht?«
»Nein«, sagte Rhodan. »Vielleicht ist es gerade sogar günstig ...« Viele Besprechungszimmer in der Union Hall waren mit leistungsfähigen Holoprojektoren ausgestattet, für genau solche Fälle. Es entband hochrangige Politiker von der Notwendigkeit, alles stehen und liegen lassen zu müssen, in ein Raumschiff zu springen und zu einem persönlichen Gespräch ans andere Ende des Solsystems – oder der Lokalen Blase – zu fliegen. Dasselbe galt für die Einrichtungen des MIMERC und die Ärzte, die dort gebraucht wurden.
Er wandte sich an Stella Michelsen, die ebenso wie Maui John Ngata geblieben war. »Können wir eine Holoverbindung schalten? Vielleicht wäre es gut, wenn Sie beide sich selbst ein Bild vom Zustand des Patienten machen könnten.« Schließlich, fügte er in Gedanken hinzu, würde er die Unterstützung der beiden benötigen, wollte er eine Expedition ins galaktische Zentrum anführen.
»Selbstverständlich.« Die Administratorin aktivierte mit einer Geste die entsprechende Funktion der Raumpositronik, Rhodan koppelte sein Komgerät mit der drahtlosen Schnittstelle, und im nächsten Moment verschwanden erst die Ansicht der begrünten Terrassen, dann die Konturen des Büros hinter einer virtuellen Umgebung heller, weißer Tische und Instrumente.
Vor ihnen war nun zudem ein lebensgroßes Abbild von Sud zu sehen. Die Illusion war nicht perfekt und nicht vollsensorisch. Aber sie erweckte ausreichend den Eindruck, dass Rhodan, Thora, Bull, Ngata und Michelsen in einem Labor des Mimas Medical Research Centers standen. Für Sud und alle Ärzte in Reichweite der Projektoren auf dem Saturnmond sah es ebenfalls so aus.
»Wir haben Merkosh seit seiner Einlieferung gründlich untersucht«, berichtete Sud, die von der holografischen Anwesenheit der mächtigsten Persönlichkeiten der Erde kein bisschen eingeschüchtert wirkte und die beiden ohne Scheu ansprach. »Zunächst ohne Befund. Wie Sie sich vielleicht denken können, stellt die Fremdartigkeit der opronischen Physiologie uns vor gewaltige Rätsel.«
»Aber genau darauf sind Sie doch spezialisiert, oder?«, fragte Ngata mit einer Spur von Herausforderung und studierte die hohen Wände mit ihren blinkenden Lichtern, Anzeigen und Instrumenten. »Das Fremde. Das Unbekannte.«
»Wir sind die Besten«, blieb Sud selbstbewusst. »Dennoch zeichnet sich das Unbekannte exakt dadurch aus, dass man nur wenig darüber weiß. Ein weiteres Problem war zudem Merkoshs kreative Ader, besonders, was individuellen Besitz angeht ...«
»Wie meinen?«, fragte Michelsen und hob eine Braue.
»Seine Kleptomanie«, erläuterte Sud. »Die wurde immer schlimmer. Es war klar, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Dazu kam eine mentale Verwirrung, gelegentliche Aussetzer, wie sie schon auf der MAGELLAN beobachtet wurden.«
»Und die aktuelle Lage?«, fragte Rhodan ernst. Es war klar, dass Sud ihn nicht kontaktiert hätte, wenn es nichts Neues zu berichten gäbe.
»Vor einigen Stunden wurde Bioalarm ausgelöst«, antwortete Sud und bat die Gruppe: »Folgen Sie mir.«
Dank der fast lückenlosen Abdeckung der holografischen Systeme in der Saturnmondanlage begleiteten sie Sud durch mehrere Korridore und Zimmer bis zu einer Spezialstation. Für Rhodan und seine Gefährten war es wie eine Fahrt durch einen Simulator – so überzeugend, dass er sich konzentriert daran hindern musste, die Beine zu bewegen, denn natürlich stand er noch immer in einem abgedunkelten Besprechungszimmer auf der Erde. Für das Personal des MIMERC sah es wahrscheinlich so aus, als führe Sud eine holografische Besuchergruppe herum; ob diese dank der Positronik die Beine bewegte oder wie eine starre Geisterschar hinter Sud herglitt, wusste Rhodan nicht. In jedem Fall war es sehr vorteilhaft, dass sie die zahlreichen Sicherheitstüren und Quarantäneschleusen nicht in persona durchqueren mussten.
Schließlich standen sie neben Merkoshs Krankenbett. Der Oproner schlief. Doch der Anblick war alles andere als friedlich – es war Rhodan sofort klar, weshalb Sud darum gebeten hatte, dass sie sich selbst ein Bild von Merkoshs Zustand machten.
Der Gläserne wirkte nun tatsächlich, als bestünde er komplett aus Glas. Hatte seine Gestalt bislang eine gallertartige Trübe aufgewiesen, die nur schemenhaft die inneren Organe erkennen ließ, war er mittlerweile derart durchscheinend, dass man problemlos ein groß bedrucktes Buch durch seinen Körper hätte lesen können. Die Veränderung hatte auch die Organe selbst betroffen. Es wirkte, als hätte ein meisterhafter Glasbläser gläserne Skulpturen innerhalb eines gläsernen Körpers gefangen – ein einziges großes, transparentes Kunstwerk.
Mit einer Ausnahme: dem Blutkreislauf, der diese Skulptur wie ein dunkles Drahtgeflecht zusammenhielt. Denn durch das Aderngeflecht bewegten sich winzige, pechschwarze Partikel, die an Ascheflocken gemahnten. Sie wurden aber nicht einfach mit Merkoshs glasklarem Blut durch Arterien und Venen gepumpt, sondern trotzten dem normalen Fluss und konzentrierten sich vor allem im Bereich von Brust und Hals: feindliche Truppen, die sich auf eine Belagerung einstellten, mit der Blut-Hirn-Schranke als letztem Bollwerk, das ihnen Einhalt gebot.
Rhodan musste nicht fragen, worum es sich dabei handelte.
»Dunkelleben«, offenbarte Sud für die Politiker, die diese Bedrohung wohl das erste Mal so plastisch vor sich sahen. »Wir sind uns nicht sicher, wo sich Merkosh die Quasiviren eingefangen hat. In jedem Fall reagiert sein Organismus ganz anders darauf als bei den bisherigen Fällen, die wir studiert haben. Denn abgesehen von den beschriebenen und sichtbaren Symptomen scheint er keine gesundheitlichen Probleme zu haben.«
Als hätte er die Worte seiner Ärztin gehört und wollte sie bestätigen, schlug der Oproner die Augen auf. »Perry«, sagte er. »Sie sind hier.«
Einen Moment lang dachte Rhodan an den vorigen Sommer, als er auf dem Höhepunkt seiner eigenen Dunkelleben-Infektion kollabiert war. Damals waren die Rollen vertauscht gewesen, und Merkosh hatte Rhodans Erwachen beigewohnt.
»Wie geht es Ihnen, Merkosh?«, fragte Rhodan
Der Oproner stülpte den Mund aus und ein, als kostete er die Umgebungsluft. »Gut«, antwortete er. »Was ist passiert?«
»Sie hatten einen Anfall.« Sud lächelte freundlich. »Ihre Vitalwerte spielten verrückt, selbst für Ihre Verhältnisse, und eine Weile waren Sie nicht mehr ansprechbar. Es freut mich, dass Sie sich wieder besser fühlen.«
»Wieso schauen Sie dann so?«, fragte Merkosh verunsichert und blickte der Reihe nach die Versammelten an. Es war nicht klar, ob er erkannte, dass alle außer Sud lediglich Hologramme waren.
Sud zögerte kurz, dann drehte sie sich um und reichte Merkosh einen Spiegel.
Ein paar Sekunden lang studierte der Oproner sein gläsernes Spiegelbild mit dem Dunkelleben, das in seinen Adern zirkulierte. Seine einzige Reaktion waren schnelle Lippenbewegungen wie das Hecheln eines Hunds. Dann wandte er den Blick ab.
»Ich verstehe. Und ich verstehe nicht. Was passiert mit mir?«
»Ruhig, Merkosh.« Rhodan wünschte, er könne nach der langfingrigen Hand greifen, die schlaff auf dem Bett lag. »Wir tun alles, was wir können, damit Sie wieder gesund werden.«
»Das Dunkelleben sollte nicht mein Gehirn erreichen«, sagte Merkosh, als wäre dies ein wichtiger und leicht zu übersehender Hinweis.
»Das wird es nicht«, versprach Sud. »Dafür sorgen wir.«
»Ich will nach Hause, Perry«, bat Merkosh. »Können Sie das für mich tun?«
»Sie meinen Opronos?«, vergewisserte sich Rhodan. Merkoshs Heimatwelt im Ahaikusystem war den Menschen nach wie vor ein Rätsel.
Der Gläserne wirkte kurz verwirrt, als müsse er selbst erst entscheiden, was genau er mit Zuhause meinte. Dann nickte er. »Bitte tun Sie das. Bringen Sie mich dahin. Werden Sie das, Perry?«
»Ich werde alles tun, was ich kann«, versicherte Rhodan und tauschte Blicke mit Thora. Dann drehte er sich zu Stella Michelsen und Maui John Ngata um.
»Ich denke, wir haben genug gesehen«, sagte Michelsen und wandte sich an Sud. »Vielen Dank.«
»Immer gern«, äußerte das Mentamalgam vorsichtig.
»Wir melden uns«, kündigte Perry Rhodan an. »Danke für den Ruf.« Reginald Bull versuchte, Sud auf die Schulter zu klopfen, aber natürlich ging sein Arm direkt durch sie hindurch.
Sud winkte noch einmal, dann griff sie nach einem Pad und unterbrach die Verbindung.
Ihr Hologramm verschwand, und mit ihm Merkosh, das Krankenbett, die gesamte holografische Umgebung des MIMERC.
Rhodan, Thora, Bull, Ngata und Michelsen standen wieder in dem abgedunkelten Besprechungszimmer. Diamond, der sie auf ihrer holografischen Reise nicht begleitet hatte, kläffte nachdrücklich um Aufmerksamkeit.
»Was hielten Sie von einer Tasse Kaffee?«, fragte Stella Michelsen und hob den kleinen Roboterhund vom Boden auf. Sie trat an die Wand, die zuvor die Ansicht der begrünten Terrassen gezeigt hatte, und betätigte einen Sensor, woraufhin die Wand sich teilte, beiseiteglitt und den Blick auf das Dahinter freigab. Der Effekt war schwindelerregend, wie im Holokino, wenn die Kamera nach vorne fuhr und gleichzeitig herauszoomte. Es erwies sich, dass das Konferenzzimmer tatsächlich das offene Innere der Union Hall überblickte, die vorige Ansicht aber dennoch eine Projektion und kein Fenster gewesen war. Denn der Raum lag gut zehn Meter tief im Außenrund des Gebäudes.
Sie betraten den kurzen, breiten Flur, der sich vor ihnen aufgetan hatte, und gingen ein paar Schritte bis zu einem schlichten Balkon mit einem Tisch und ein paar Stühlen, der exakt die Aussicht bot, die ihnen zuvor vorgegaukelt worden war. Das hoch aufragende, zum Himmel offene Innenareal der Union Hall mutete an wie eine gigantische, konkave Stufenpyramide.
Sie ließen sich auf den Stühlen nieder, und Perry Rhodan atmete tief durch. Die frische Luft tat gut; Insekten summten zwischen den blütenbedeckten Balkonen, und Vögel flogen von einer Seite des weiten Halbrunds zur anderen oder kreisten in den Winden über dem gigantischen Wirbel. Nur gelegentlich verrieten schwache Lichteffekte, dass verschiedene Energiefelder die Personengruppe nach wie vor schützten: davor, beobachtet oder belauscht zu werden, und natürlich vor Angriffen oder einem Sturz in die Tiefe.
»Sie wollen Merkosh seinen Wunsch erfüllen«, stellte Michelsen fest und setzte Diamond wieder auf den Boden. Der Roboter eilte umgehend zum Rand des Balkons, um die Vögel zu beobachten; im Gegensatz zu einem echten Hund registrierte er jedoch die Prallfelder und hielt Abstand zu ihnen.
»Unter anderen Umständen vielleicht nicht«, sagte Rhodan. »Aber zu viele Zeichen weisen gerade auf das Milchstraßenzentrum. Die Eindrücke, die ich in meinem Missionsbericht erwähnte ...«
»Diese Lichtwelt.« Maui John Ngata blätterte durch das holografische Menü des Tischs, um sich einen Kaffee zu bestellen. »Drem-Doreus.«
»Im Umfeld des galaktozentrischen Schwarzen Lochs erwacht etwas, das eine immense Gefahr für uns darstellt«, bestätigte Rhodan. Er fasste noch einmal zusammen, was er der Administratorin und dem Präsidenten bereits in knappen Worten skizziert hatte: dass das Dunkelleben aus dem Prä-Universum stammte und nur die Vorstufe zu einem Bewusstsein namens Tihit darstellte, das danach strebte, einen Aspekt – eine Fraktur – seiner selbst zu manifestieren, einen dunklen Intellekt. Auch von der Rolle, die seine Tochter in all dem spielte, hatte Rhodan ihnen nach reiflicher Überlegung berichtet; die Gefasstheit, mit der beide die Neuigkeit aufgenommen hatten, ehrte sie.
»Auf Drem-Doreus mag die Antwort auf viele unserer Fragen liegen«, schloss Rhodan. »Denken Sie auch an die Messprotokolle von PUMA ...«
»Die Gravitationswellen«, sagte Michelsen.
»Und die Impulsfrequenzänderung der Pulsare«, ergänzte Rhodan. »Alles etwa zum selben Zeitpunkt wie Merkoshs erster Zusammenbruch – zu viele Zufälle, um sie zu ignorieren.«
Sie bestellten ihre Getränke. Kurz darauf kam ein robotischer Servierwagen aus der Wand gerollt, auf der mehrere dampfende Tassen und Gläser standen: ein einfacher Espresso für Rhodan, ein doppelter für Bull, K'amana für Thora, Latte macchiato für Michelsen und für Ngata etwas Mehrschichtiges mit einem Schirmchen, für das Rhodan keinen Namen kannte.
»In Ordnung«, beschloss Michelsen. »Fliegen Sie!«
Die Leichtigkeit der Entscheidung überraschte selbst Rhodan. »Danke, Administratorin.«
»Nehmen Sie die CREST II«, fuhr Michelsen fort. »Ich gehe davon aus, dass das ohnehin Ihre Absicht war?«
»Sie ist unser bestes Schiff«, bejahte Thora. »Die Entscheidung ist nur logisch.«
»Und sie hat die beste Kommandantin«, fügte Reginald Bull hinzu, woraufhin ihm Thora unter dem Tisch grinsend einen Tritt versetzte.
»Vorher gäbe es aber noch etwas anderes zu klären.« Michelsen tauschte Blicke mit Ngata, der nickte und sich den mehrfarbigen Milchschaum von der Lippe wischte.
Jetzt kommt es, dachte Rhodan.
»Wir – das heißt John, ich und mehr Leute, als Sie vielleicht glauben – würden es gern sehen, wenn Sie diese Reise als Protektor anträten.« Michelsen machte eine Pause, und als Rhodan nichts erwiderte, fügte sie hinzu: »Oder wenigstens als solcher wiederkämen. Nichts für ungut, Reginald – Sie haben in den vergangenen Monaten harte Arbeit geleistet.«
Eine Weile sagte niemand etwas. Nicht zu dem überraschenden Angebot, nicht zu der schlecht verhohlenen Kritik an Bull. Man hörte nur den Wind, die Vögel, das Surren ferner Fahrstühle und die vergeblichen Versuche Diamonds, eine Biene zu fangen, die vielleicht nicht echter war als er.
»Darf ich fragen, was Sie zu diesem ... Vorschlag bewegt hat?«, äußerte Rhodan schließlich.
»Vielleicht die späte Einsicht, dass Ihr fürchterlicher Anwalt, dieser Goslin, nicht ganz unrecht hatte, als er argumentierte, dass man einem so weit gefassten Amt wie dem des Protektors nur schwer Fesseln anlegen kann?« Sie lächelte säuerlich.
»Kommen Sie, Stella«, erwiderte Rhodan. »Es ist nett, dass Sie das sagen. Aber Sie würden nie richtig und falsch über nützlich und schädlich stellen. Ich kritisiere Sie nicht dafür. Sie mussten sich meiner entledigen, weil ich schädlich für den politischen Frieden zu werden drohte. Ich frage mich bloß: Was macht mich auf einmal wieder nützlich für Sie?«
»Die Kolonien«, gab Ngata zu, der Rhodan länger kannte als Michelsen und eher spürte, wann ein Geheimnis keins mehr war und es Zeit wurde, Klartext zu reden. »Ihre Entschuldigung nach der Entwendung der FANTASY war glaubhaft, und Sie haben ein paar tolle Reden gehalten bei Ihren letzten Auftritten. Bedaure, Systemadmiral, aber da können Sie nicht mithalten.«
»Wahrscheinlich hab ich den Mund oft zu voll, dann nuschle ich nämlich.« Bull tippte sich vielsagend an den Mundwinkel, um Ngata dazu zu bringen, sich den Milchschaum abzutupfen.
»Die Kolonien lieben Sie, Perry«, fuhr der Präsident der Solaren Union fort. »Und in der Konsequenz tun das auch Leute wie Dabrifa. Sie sind ein Held, ein Rebell, ein Freiheitskämpfer, eine Galionsfigur, suchen Sie es sich aus.«
»Ich habe mir nichts davon ausgesucht, John«, stellte Rhodan klar und meinte es auch so. »Das wissen Sie.«
Maui John Ngata tat den Einwand ab wie eine Fliege. »Ob Sie wollen oder nicht, so was kriegt man ab und wird es nie wieder los. Und sobald publik wird, dass der Obmann von Olymp Ihre Tochter ist – was meinen Sie, wird das für die politische Stabilität der Kolonien bedeuten?«
»Nathalie hat alle Möglichkeiten, damit umzugehen«, sagte Rhodan. »Sie regiert nicht, weil sie meine Tochter ist – sondern gerade weil sie sich von mir losgesagt hat.«
»Kommt ganz darauf an, wie wir es verkaufen«, widersprach Michelsen. »Der Vater hier, die Tochter dort – was für ein schöneres Symbol für das Verhältnis zwischen Erde und Kolonien kann man sich wünschen?«
»Sie beugen sich also dem öffentlichen Druck«, stichelte Bull und lehnte sich zufrieden zurück. »Ich will ja nicht sagen, dass ich's Ihnen prophezeit habe, aber: Ich habe es Ihnen prophezeit. Nur ist es ein bisschen spät, finden Sie nicht?«
»Es ist nie zu spät, einen Fehler zu korrigieren.« Michelsen sah Rhodan erwartungsvoll an.
Rhodan griff nach Thoras Hand und drückte sie kurz, damit sie sich nicht überfahren fühlte. Dann schüttelte er den Kopf.
»Reginald hat recht«, sagte er. »Der Zeitpunkt, meine neuerliche Berufung als eine Korrektur aus Einsicht zu verkaufen, ist vorbei. Die Menschen werden es Ihnen nicht abnehmen – nicht mehr. Sie werden nur sehen, dass die Terranische Union versucht, ihr Gesicht zu wahren und zur Tagesordnung zurückzukehren.«
Michelsens Gesicht verschloss sich wie eine Jalousie. »Was wollen Sie damit sagen?«
Rhodan wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich würde vorschlagen, dass wir das gegenwärtige Arrangement beibehalten. Marcus Everson führt als Stellvertretender Systemadmiral das Tagesgeschäft bei der Terranischen Flotte – Reginald bleibt Protektor und Ihre Galionsfigur.«
»Ich übe auch brav meine Tanzschritte«, gelobte Reginald Bull.
»Nur damit ich Sie recht verstehe«, wiederholte Michelsen. »Ich biete Ihnen Ihren alten Titel wieder an – und Sie lehnen ab?«
»Ich glaube, dass es so das Beste ist«, sagte Rhodan beschwichtigend. Er wollte Michelsen nicht vor den Kopf stoßen. »Für die Erde. Die Menschen. Den politischen Prozess.«
Michelsen stellte ihren Latte macchiato ab. »Also schön. Aber bitte glauben Sie nicht, dass Sie nächste Woche zu mir kommen und Ihre Meinung ändern können!«
»Ich weiß, dass ich das nicht tun werde«, bekräftigte Rhodan. »Nicht nächste Woche, nicht übernächste und die darauf auch nicht. Und das ist genau der Punkt.«
Thora Rhodan da Zoltrals Miene verriet ihm, dass sie ihn verstand. Sie hatte damit gerechnet, dass dieser Moment irgendwann kommen und seine Entscheidung so ausfallen würde. Dafür brauchte sie keinen Logiksektor – sie empfand denselben Zwiespalt wie er. Selbst Bull blickte verständnisvoll, vielleicht sogar erleichtert.
Sie alle waren Unsterbliche. Kosmische Mächte hatten sie berührt und ihren Lebensweg verändert. Man konnte sie immer noch töten, man konnte sie täuschen; doch genauso gut mochten sie auch immer älter werden, immer wissender – und immer fremder. Eines Tages würden sie werden wie Atlan da Gonozal oder Mirona Thetin, mit all ihren Stärken und all ihren Fehlern. Sie würden sich unter gewöhnlichen Menschen wie Erwachsene unter Kindern fühlen, und genau wie Eltern, die ihre Kinder nicht ernst nahmen, würden sie auch Entscheidungen für sie treffen. Rhodan wusste nicht, ob man so jemanden – so etwas – noch in demokratische Prozesse integrieren konnte oder sollte.
Man hatte den Horizont von ihnen fortgerückt, in eine Weite, die sich sterbliche Menschen nicht vorstellen konnten, auch nicht alte Freunde wie Everson oder erfahrene Verbündete wie Ngata.
Wie ein Seefahrer auf den Weltmeeren von einst mussten Rhodan, Thora und alle, die ihr Schicksal teilten, erst ihren eigenen Weg finden, ehe sie die Geschicke anderer Menschen leiten konnten.
Der altrömische Dichter Horaz hatte einmal gesagt, dass sich für die, welche das Meer überquerten, nur der Himmel, nicht die Seele ändere. Die Menschen blieben dieselben, hatte er damit sagen wollen, wohin sie auch gingen.
Mittlerweile rätselte Perry Rhodan, ob sich Horaz vielleicht geirrt hatte.
»Treffen Sie Ihre Vorbereitungen«, sagte Stella Michelsen. Womöglich verstand sie nicht seine Gründe. Aber sie sah, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. »Und guten Flug, Mister Rhodan.«