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12.

Unter Riesen

Ronald Tekener hatte keine Angst vor einem schlechten Eindruck. Nie gehabt. Wer sich von so was täuschen ließ, konnte ihm gestohlen bleiben.

Deshalb hatte er auch kein Problem damit, sich eine Stunde nach ihrer Notlandung freiwillig zum Außeneinsatz zu melden.

Er hatte bereits bei den Aufräumarbeiten geholfen. Tekener war kein Altruist – ihm war langweilig. Er hatte sich für diesen Flug gemeldet, weil er auf der Erde nichts mehr zu tun gehabt hatte. Außer herauszufinden, wie viele Flaschen genau er leeren oder sich über den Kopf schlagen lassen konnte, ehe es ihm schwarz vor Augen wurde.

Tekener hatte keine Angst vor dieser Art Schwärze. An manchen Tagen sehnte er sich nach dem Dunkel. Aber er hatte noch seinen Stolz.

Was er sich wünschte, waren klare Ansagen. Eine Richtung, seinetwegen ein Befehl. Klarheit schätzte er an Leuten, und das war vielleicht, was ihn anfangs so empfänglich für Iratio Hondro gemacht hatte. Dann hatte Jessica eine Weile diese Rolle übernommen. Es war nicht so, dass Ronald Tekener willens- oder entscheidungsschwach wäre, auch wenn Jessica das vielleicht anders sah. Er brauchte einfach jemanden, in dem er sich spiegeln konnte. Der ihm sagte, was Sache war, was richtig und was falsch.

Ihm war ziemlich schnell klar, dass Oberleutnant Sam Tatham nicht diese Art von Mensch war.

»Was soll das heißen, Sie wollen mit?«, herrschte ihn der bullige Mann an. Tatham war einer der Leute, die es geschafft hatten, ihr nicht von der Hand zu weisendes Körperfett unter derart viel Muskeln zu verbergen, dass sie doppelt gefährlich aussahen. Nur mit seinem Kopf war ihm das nicht gelungen, weswegen dieser zu klein und ein wenig grotesk wirkte.

Es half auch nicht, wenn dieser Kopf redete.

»Das soll heißen, dass ich die Erste Offizierin gefragt habe und sie gesagt hat, ich soll mit«, log Tekener. Er war sich ziemlich sicher, dass Gabrielle Montoya Ja gesagt hätte, wenn er sie gefragt hätte, aber dazu war er zu bequem gewesen. »Er auch«, fügte er hinzu, als John Marshall den Hangar betrat.

»Von ihm weiß ich«, murrte Tatham. »Aber von Ihnen ...?«

Tekener hob auffordernd die Brauen, damit Marshall seinen Blick trotz Tekeners Sonnenbrille bemerkte. Zwecklos, einem Telepathen etwas vorzumachen.

Ich will mit, dachte Tekener. Ich werde auch brav sein. Ehrlich.

John Marshall nickte dem Oberleutnant zu. »Er kommt mit.«

Der Offizier fuhr sich mit der Hand durchs stopplige Haar. »Also schön. Können Sie mit so was schießen?« Er drückte Tekener ein Thermogewehr in die Hand.

Tekener prüfte, entsicherte und sicherte die Waffe und legte damit probeweise auf die beiden Space-Disks an. Dann entnahm er den Hochenergie-Akkupack und baute ihn wieder ein. »Ich kann das Ding auch reparieren, wenn's sein muss.« Er hatte keine Lust, Tatham zu erzählen, dass er vor langer Zeit mal bei der Terranischen Flotte gewesen war, weil das garantiert zu dummen Nachfragen über sein Ausscheiden geführt hätte.

Glücklicherweise war der Oberleutnant auch so zufrieden. »In Ordnung. Sie und Marshall kommen mit mir. Außerdem Jeffries und die beiden Schlauberger. Die anderen fliegen mit Lafayette und der zweiten Disk.« Er musterte Tekeners Lederjacke. »Ziehen Sie sich was Richtiges an, und dann los!«

Er deutete auf einen Satz Einsatzkleidung bei den Kisten und Rucksäcken mit Waffen und Ausrüstung, dann winkte er seinen Leuten, die teils angespannte, teils erschöpfte Blicke tauschten, und setzte sich in Bewegung.

Die beiden »Schlauberger«, das hatte Tekener schnell gelernt, waren ein Leutnant mit hörbar portugiesischem Akzent und eine dunkelhäutige Fähnrichin, die die meiste Zeit aneinanderklebten, schon weil Tatham sie mit seinen ständigen Bemerkungen piesackte. Am liebsten zog er sie damit auf, dass die zwei die Ursache für den fatalen Fehlsprung zwar noch entdeckt hatten – aber ungefähr zehn Sekunden zu spät. Außerdem störte er sich daran, dass sie nicht ihn, sondern direkt die Zentrale kontaktiert hatten, ungeachtet der Tatsache, dass es dann erst recht zum Unglück gekommen wäre. Angeblich hatte die Kommandantin just in dem Moment »Abbrechen!« gerufen, als Pilot Azikiwe auf den Knopf – oder was auch immer – für die Transition gedrückt hatte.

Tekener hatte zu diesem Zeitpunkt geschlafen. Transitionen, wenn sie nach Plan verliefen, rissen ihn schon lange nicht mehr aus dem Schlummer. Dieser Sprung war leider absolut nicht nach Plan verlaufen. Irgendwo auf halben Weg zwischen Nichtsein und Sein hatte SENECA bemerkt, dass ihm eine Handvoll durchaus wichtiger Strukturfeldkonverter fehlte. Das Feld, das die CREST II vor den Einflüssen des Hyperraums schützte, war kollabiert. Wie meistens, wenn solche Dinge versagten, hatte es zahlreiche Explosionen gegeben. Immerhin hatte die Positronik es geschafft, ihnen noch schnell ein Fenster zurück in den Einsteinraum zu zaubern, sonst wäre gar nichts mehr geblieben, was hätte explodieren können. Naturgemäß hatte SENECA dabei nicht wählerisch sein können, und so waren sie zwar herausgekommen – aber nicht da, wo sie sollten.

Das alles war in ungefähr derselben Zeitspanne passiert, die Tekener benötigt hatte, um seine Hosen anzuziehen, mit ähnlich überzeugenden Ergebnissen.

Sobald er und das Raumschiff wieder halbwegs in Form gewesen waren, hatte Tekener nachgefragt, was eigentlich passiert war. Die Antwort hatte irgendwas mit »Merkosh« gelautet, und da hatte er nicht weitergefragt.

Sie hatten sich das nächstbeste System gesucht und waren auf einem kargen Planeten gelandet. Sie mussten die CREST II reparieren – und sichergehen, dass Merkosh nicht noch mehr Teile entwendet hatte, die SENECA erst vermisste, sobald es zu spät war. Interessanterweise gab es auf dem Planeten Ruinen – ziemlich beeindruckende sogar, mit hohen Gebäuden und weiten Straßennetzen. Bevor auch von dieser Seite eine Überraschung drohte, hatte Thora Rhodan da Zoltral entschieden, eine Expedition hinzuschicken. Vielleicht fand man in den Ruinen ja sogar etwas Brauchbares – ein paar seltene Rohstoffe oder Industriegüter waren nie verkehrt.

Nacheinander sprangen sie ins abgesenkte Hangardeck der Space-Disk. Da man Marshall und Tekener nicht zum Fliegen des Beiboots brauchte, nahmen sie von vornherein in dem Sixpack Platz, dem Mehrzweckfahrzeug, mit dem sie später die Stadt erkunden sollten.

»Danke«, sagte Tekener, während sie sich anschnallten.

»Keine Ursache«, sagte der Telepath. »Ihnen macht das alles Spaß, nicht wahr?«

Ein Ruck fuhr durch den Boden des Sixpacks.

»Das macht es«, bestätigte Tekener.

Dann schleusten sie aus.

Der Flug dauerte nur wenige Minuten, und alles, was sie davon sahen, waren die Bilder, die von der Bordpositronik der Space-Disk an ein Außenbeobachtungsholo des Sixpacks weitergeleitet wurden. Viel zu sehen gab es nicht: Die Landschaft war kahl, eine Wüste völlig ohne Vegetation oder gar Tierleben. Dabei waren Atmosphäre und Temperatur des Planeten relativ erdähnlich, bloß das Sonnenlicht hatte einen merkwürdigen Orangestich.

Tekener überflog das Datenblatt, das die Wissenschaftliche Abteilung in der ersten Stunde nach der Ankunft im System zusammengestellt hatte. Darin hieß es nur, dass das Spektralprofil des Sterns ungewöhnlich sei. Tekener konnte mit den Angaben wenig anfangen. Normalerweise aber müssten unter solchen Bedingungen wenigstens einfache Pflanzen gedeihen, und wenn die Zivilisation dieser Welt wirklich schon vor Jahrhunderten untergegangen war, wie die Wissenschaftler behaupteten, hätte die Natur mehr als genug Zeit haben sollen, sich diese Landstriche zurückzuerobern. Sogar wenn ein Atomschlag oder Ähnliches sie verheert hatte. Tekener befürchtete daher, dass sie etwas ganz Entscheidendes übersahen; einen Virus vielleicht, etwas, was das Leben auf dieser Welt daran hinderte, sich auszubreiten. Doch soweit er das sah, waren alle Analysen und Bodenproben ergebnislos geblieben. Keine Pathogene, keine gefährliche Strahlung.

»Eine tote Welt«, murmelte Marshall, dem wohl dieselben Gedanken durch den Kopf gingen. Der Telepath schien in sich hineinzulauschen; in Wahrheit lauschte er wohl nach da draußen.

Sie flogen etwa hundertfünfzig Kilometer nach Westen bis zum Zentrum einer ausgedehnten Metropole, die an den Ufern einer großen, grauen Bucht errichtet worden war. Geborstene Türme und gespaltene Wolkenkratzer ragten wie ein zertrümmertes Gebiss in den reglosen Himmel, und das Meer in der Bucht lag kalt und unbewegt.

»Die Gebäude sehen seltsam aus«, bemerkte Tekener.

Marshall beugte sich vor und studierte das Bild der Stadt. »Manche wirken eher wie ... Skulpturen.«

Tekener brummte zustimmend. »Ein paar davon waren mal Gesichter, würde ich sagen. Nur dass die meisten lange zerbrochen sind.«

»Tatsächlich. Und hier ... sind diese Bauten beschriftet?«

»Entweder das – oder es ist die aufwendigste und zugleich langweiligste Art von Dekor, die ich je gesehen habe.«

Die Space-Disks landeten auf einem weiten Platz. Es könnte einmal der Times Square dieser Stadt gewesen sein, überlegte Tekener, oder die Kreuzung vor dem Shibuya-Bahnhof. Längst war das Areal genauso karg wie die Landschaft ringsum. Das Pflaster war gesprungen oder fehlte ganz, eine leichte Brise wehte Staub und pulverfeine Erde vor sich her. Erneut kein einziger Strauch, kein einziger Grashalm.

Tatham und der Rest der Besatzung kamen aus der Zentrale des Diskusboots herabgeklettert, bestiegen den Sixpack und nahmen grußlos in den vorderen Sitzen Platz. Die Gesichter waren ernst; auch sie merkten, dass auf dieser Welt etwas nicht stimmte. Dann senkte sich das Hangardeck auf Straßenniveau ab, und der Mehrzweckpanzer rollte auf den Platz hinaus. Die zweite Space-Disk war am anderen Ende des Platzes gelandet und schleuste ebenfalls ihren Sixpack aus.

»Die Gebäude hier sind ja ziemlich kaputt«, lamentierte Tatham. »Wir suchen uns ein Fleckchen, das noch etwas netter aussieht. Da hinten!«, wies er Jeffries an, einen hageren schwarzhäutigen Leutnant, der das Erkundungsfahrzeug steuerte. »Da sieht es doch nach einem gemütlichen Fleckchen für ein kleines Picknick aus!«

Tekener entging nicht, dass die anderen beiden Mitglieder des Teams – Joaquim Madeira und Luisa Landry – die Augen verdrehten.

Sie fuhren in eine der sternförmig abzweigenden Straßen hinein und hielten ein paar Hundert Meter weiter. Sie standen auf, zogen ihre Helme über und schulterten ihre Waffen und Rucksäcke. Tatham packte sich noch mehrere Granaten ein; es war Tekener nicht klar, was er damit wollte, aber seine Finger behandelten die grauen Stahleier beinahe liebevoll.

Dann öffnete Leutnant Jeffries die Schleuse, und sie stiegen der Reihe nach aus.

Er trat in den Staub der Straße. Es war so leise, dass der Klang seiner Stiefel von den Häusern zurückschallte. Tekener drehte sich um die eigene Achse und atmete tief ein. Die Luft war frisch, aber nichtssagend, leer – es war die Luft aus einer alten Halle oder Schlucht, nicht die einer Stadt. Die umliegenden Gebäude hingegen waren tatsächlich besser erhalten als die an ihrer Landestelle, und sie zeigten deutlich die eigenartigen Charakteristika, über die sich er und Marshall schon ausgetauscht hatten.

Die Häuser der Stadt wirkten, als hätten irdische Kubisten und Futuristen des frühen 20. Jahrhunderts versucht, Wolkenkratzer nach dem Vorbild der Osterinsel-Skulpturen zu bauen. In die Länge verzerrte, annähernd humanoide Köpfe, bei denen man nur raten konnte, ob die Architekten sich große künstlerische Freiheit genommen hatten oder ob ihr Aussehen tatsächlich das ihrer Erbauer widerspiegelte. Riesenhafte Nasen und Stirnen über Dutzende von Stockwerken hinweg, asymmetrisch verschobene Augen, als Einbuchtungen und Wölbungen unter breiten Balkonreihen ausgestaltet, scharfe Wangenknochen und breite, kantige Lippen. Tekener konnte nicht behaupten, dass er diese Bauwerke schön fand. Im Gegenteil, sie waren ihm unangenehm. Sie waren einfach zu groß und schienen auf die Besucher herabzublicken; als hätten die Menschen einen Kreis von Riesen bei ihrer Zwiesprache gestört. Die schon tief stehende Sonne ließ die Gesichter nur noch grimmiger wirken.

Andere Fassaden – eigentlich fast alle geraden Flächen – waren über und über mit vertikalen Bändern von Schriftzeichen überzogen. Die schiere Dichte dieser Zeichen war erschlagend. Sie erinnerte Tekener an irdische Pharaonengräber und Tempelwände, an denen die vom Jenseits besessenen Ägypter mit aller Sorgfalt jedes noch so kleine Detail aus dem Leben eines Herrschers und seines Landes festgehalten hatten. Die Zeichen waren jedoch nicht bildhaft wie ägyptische Hieroglyphen, sondern abstrakter, eher chinesischen Logogrammen ähnlich.

Beides, die riesenhaften Skulpturbauten wie die hinter der Last ihrer Inschriften verschwindenden Steilwände, erweckten den Eindruck einer Kultur, die zwanghaft darum bemüht gewesen war, sich und ihre Ideen für die Nachwelt festzuhalten. Trotzdem war ihr genau das widerfahren, wovor sie sich mit diesen Bauten womöglich hatte schützen wollen: Sie war untergegangen und vergessen worden.

»Kann man sich das vorstellen?«, versuchte Tatham zu scherzen. »In so was zu leben? ›Wo wohnst du denn? Im Rübenkopf oder im langen Lulatsch?‹«

»Ich bin mir da nicht so sicher«, entgegnete Tekener, während der Oberleutnant noch heiser gackerte.

»Womit nicht sicher?«, fragte Tatham irritiert.

»Ob das hier Wohnhäuser sind ... oder Denkmäler. Und ob dies überhaupt eine Stadt war.« Er sah sich um. »Oder ein Grab.«

Tatham schnaubte. »Schauergeschichten!«

Madeira und Landry tauschten vielsagende Blicke.

»Mister Tekener könnte recht haben«, konstatierte John Marshall. »Diese Stadt ist mit sehr viel mehr Bedacht und Kunstfertigkeit gestaltet worden als die meisten unserer Metropolen.« Der Telepath deutete auf einen fernen Wolkenkratzer, dessen Spitze an einen Obelisken erinnerte. »Sehen Sie, der Turm da? Wie die Sonne seine Spitze berührt? Ähnliche Türme stehen dort, dort und dort. Und die Straßenschluchten orientieren sich daran.«

»Eine Sonnenuhr?«, überlegte Tekener. »Wollen Sie das damit andeuten?«

»Etwas in der Art vielleicht«, sagte Marshall. »Wir müssten uns den Grundriss der Stadt genauer anschauen. Aber sehen Sie nur, wie weit die Gebäude voneinander entfernt stehen. Sehen Sie die vielen Balkone und Höfe. Es muss einmal eine sehr schöne und helle Stadt gewesen sein. Die Sonne war ihren Bewohnern wichtig ... und die Stadt atmet immer noch ihre Seele ...« Marshall brach ab und ließ verwirrt den Blick wandern.

»Sie wirken nicht wirklich glücklich, wenn Sie von der Seele der Bewohner sprechen«, stellte Tekener fest. »Spüren Sie irgendwas?«

Marshall kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe. »Keine Gedanken, wenn Sie das meinen. Aber ... etwas.«

»Das hilft uns alles nichts weiter«, urteilte Tatham. »Die Frage ist, wo finden wir in diesem kaputten Museum etwas Interessantes?«

»Sie liefern da ein gutes Stichwort«, murmelte Tekener. »Kommen Sie, John. Schauen wir uns mal das Gebäude dort drüben an.«

»Moment!«, rief Tatham verblüfft – entweder darüber, dass er etwas Sinnhaftes gesagt haben sollte, oder darüber, dass Tekener einfach das Kommando übernahm. »Was?«

»Ein Museum«, sagte Tekener. »Eine Kultur, die derart das Gedenken an sich selbst bewahrt hat, wird die Antworten, die wir suchen, nicht vor uns versteckt halten. Im Gegenteil.«

»Was für Antworten denn?«, fragte Tatham scharf.

Jeffries, Madeira und Landry standen unschlüssig zwischen ihm und den beiden Zivilisten.

»Die darauf, was hier eigentlich passiert ist!«, rief Tekener. »Das ist das Einzige, was uns interessieren sollte. Offen gesagt, dürfte es auch das einzig Wertvolle sein, was es noch zu finden gibt.«

Er kümmerte sich nicht mehr darum, was der Oberleutnant von seiner Logik hielt, und eilte auf das lang gestreckte Gebäude zu, das ihm aufgefallen war. Es war niedriger als die meisten anderen Bauten der Umgebung und zog gerade dadurch die Blicke auf sich. Vielleicht war es eine Art Forum, ein Versammlungsort ... oder tatsächlich ein Museum.

Tatham spuckte einige Flüche aus und besprach sich über Funk mit Lafayette, dem Anführer der zweiten Gruppe. Dann stapften er und seine Untergebenen in eine andere Richtung davon.

Aus dem Augenwinkel sah Tekener, dass wenigstens Marshall sich ihm angeschlossen hatte.

»Sie haben recht«, sagte der Telepath. »Wir müssen klären, ob hier noch eine Gefahr für uns lauert. Und es dürfte nicht schwer sein, einen Hinweis darauf zu finden – ich hoffe nur, dass wir ihn auch verstehen.«

Tekener grunzte. Der Telepath war ein komischer Kauz. Tekener mochte seine lockere, zwanglose Art; seine Hilfsbereitschaft allerdings war ihm manchmal schon fast zu viel; und dass Marshall ein unsterblicher Gedankenleser war, darüber dachte er besser gar nicht erst nach.

Sie betraten das Gebäude. Schon im Eingangsbereich fiel Tekener auf, wie dick die Mauern waren. Es war zudem besser erhalten als die meisten Bauten der Umgebung. Geschaffen dafür, die Jahrhunderte zu überdauern. Erwartungsgemäß häuften sich im Innern die manischen Beschriftungen, diesmal von kleinen Bildtafeln durchsetzt.

Sie erreichten eine weite, runde Halle mit hoch gelegenen Fenstern, an deren Wänden und Säulen die vertikalen Schriftbänder verliefen wie steinerne Banner auf einer feierlichen Zusammenkunft. In Nischen zwischen den Säulen ruhten auf pompösen Podesten große, klare Kristalle. Manche Nischen waren beschädigt oder durch kleinere Einstürze verschüttet, andere wirkten, als hätte man sie gerade erst hergerichtet. Nur der Staub erzählte eine andere Geschichte.

»Guter Instinkt«, lobte Marshall die Entdeckung. »Machen wir uns an die Arbeit!«

Sie packten ihre Instrumente und mobilen Translatoren aus. Die positronischen Apparaturen waren in der Lage, die meisten Sprachen und Schriften zu entschlüsseln. Nötigenfalls stellten sie eine Verbindung zu einem leistungsfähigeren Großrechner her, in diesem Fall zu SENECA. Wie Archäologen gingen Tekener und Marshall die Halle ab, die Übersetzungsgeräte hoch erhoben, und versuchten, eine möglichst große Menge an unbeschädigten Schriftbändern zu erfassen. Dann näherten sie sich den Nischen.

»Was halten Sie von diesen Kristallen?«, fragte Tekener.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht nur zur Zierde hier ausgestellt sind«, antwortete Marshall. »Was glauben Sie?«

»Bestenfalls handelt es sich um eine Art Datenspeicher ... Ich sehe nur keine offensichtlichen Schnittstellen.«

»Vielleicht geben die Beschriftungen Auskunft darüber, wie die Kristalle zu lesen sind?«

»Die ersten Ergebnisse kommen gerade rein.« Tekener las und stieß die Luft aus. Dann schob er sich die Sonnenbrille hoch, las noch einmal und massierte sich den Nasenrücken.

»Was?«, fragte Marshall.

»In Ordnung, passen Sie auf: Der Name dieser Welt lautet offenbar Xot, der ihrer Sonne Lyx. Die Bewohner bezeichneten sich selbst als Phygen. Diese Begriffe kommen sehr, sehr häufig vor. Einige weitere Elemente wiederholen sich ebenfalls oft: Etwas über ihre Sonne und über die Nacht ... und etwas, das die Positronik als ›dunkles Leben‹ oder ›Leben im Dunkel‹ übersetzt.«

»Das Dunkelleben.« Marshall stöhnte. »Wenn das der Grund für den Niedergang dieser Zivilisation war, sollten wir extrem vorsichtig sein. Besser, wir beenden unsere Reparaturen so schnell wie möglich und verschwinden von hier.«

»Geben Sie der CREST II Bescheid«, sagte Tekener. »Ich versuche, noch möglichst viele Scans von diesen Kristallen aufzunehmen. Vielleicht können die Wissenschaftler an Bord irgendwas damit anfangen.«

»In Ordnung.« Marshall trat ein wenig abseits.

Tekener machte sich an die Arbeit. Das Tageslicht, das durch die hohen Fenster einfiel, war inzwischen so trübe, dass er seine Helmlampe benötigte. Die Kristalle glitzerten im Scheinwerferlicht in allen Farben des Regenbogens auf.

Tekener war beileibe kein Spezialist für Speichertechnologien, aber Kristallspeicher wurden in zahlreichen Kulturen als sehr verlässliche Trägermedien verwendet. Sie konnten viele Petabyte an Daten aufnehmen und Millionen Jahre lang überdauern. Zudem sahen sie optisch prachtvoll aus. Tekener hatte den starken Eindruck, dass all diese Faktoren eine Rolle für die alten Phygen gespielt hatten. Also tastete er die Kristalle mit einem Multifrequenzscanner ab, Schicht für Schicht, und übertrug die gigantischen Datenmengen per Funk direkt die CREST II. Sollte sich SENECA damit herumschlagen.

»Tatham an Tekener!«, meldete sich Tekeners Komgerät unvermittelt. Der Oberleutnant schien ausnehmend schlechter Stimmung zu sein. »Was zur Hölle treiben Sie gerade? Hier gibt es nichts, und es wird allmählich dunkel. Wir machen Schluss für heute!«

Kurz überlegte Tekener, ob es sich lohnte, mit dem Mann zu streiten, oder ob er Tatham einfach wegfliegen und sich sowie Marshall später von jemand anderem abholen lassen sollte. Andererseits konnte Tekener eine gewisse Nervosität nicht verleugnen: Je mehr Übersetzungsbrocken seine Positronik ihm lieferte, desto unheilvoller wurde das Bild. Die Schriften sprachen von Niedergang und Verfall, von stolzem Aufbegehren und Verzweiflung. Von den goldenen Zeiten des Omnitischen Compariats, zu dem Xot einst gehört hatte, und wie dieses sich im entscheidenden Moment von der Welt und ihren Bewohnern abgewandt hatte. Man hatte die Phygen aufgegeben, verraten und ihrem Schicksal überlassen.

Dieser Ort war tatsächlich ein Mahnmal – ein Denkmal, das die Phygen sich selbst gesetzt hatten. Es verkündete: Seht, was wir errichtet haben. Und seht, wie es uns erging. Tekener dachte an das alte Gedicht von Shelley: Look on my works, ye Mighty, and despair!

Er hatte keine Angst – aber er wollte nicht länger bleiben. Er mochte weder die Phygen noch das, was mit ihnen passiert war.

»In Ordnung«, meldete er sich knapp bei Tatham. »Wir packen hier ein. Sind in fünf Minuten draußen.«

Dann beendete er die Verbindung und drehte sich zu Marshall um. »Wir sollten ...« Er stutzte, als er das Gesicht des Telepathen bemerkte. »Was ist los?«

»Etwas ... irgendwas ist hier!«, raunte Marshall. »Ich weiß nicht, was es ist – es denkt, aber es denkt auch nicht – und es sind viele. Sehr viele ...!«

Tekener hatte genug gehört. »Raus hier!«

Er warf seinen Scanner in den Rucksack, schulterte ihn und wollte Marshall gerade am Ärmel packen, als etwas ihm zuvorkam. Dieses Etwas hatte sich hinter Marshall aus einer Spalte im gesprungenen Boden erhoben; und im Schein seiner Helmlampe erkannte Tekener nicht viel mehr als einen grauen, diffusen Schleier, der den Telepathen an der Taille packte und umriss.

»Kopf weg!«, schrie Tekener, riss seine Waffe hoch und schoss so dicht er konnte an Marshall vorbei auf das Etwas, das sich zischend, stinkend zusammenkräuselte und wieder in der Bodenspalte verschwand.

Gut, dachte Ronald Tekener. Kein Geist – man kann es erschießen.

»Alles klar?«, fragte er John Marshall und zog ihn auf die Beine.

»Danke«, keuchte der Telepath. »Das war knapp! Es sind einfach so viele, ich konnte nicht ...«

»Schon gut.« Er aktivierte den Helmfunk. »Tekener an Tatham! Wir kriegen Besuch. Marshall und ich sind auf dem Weg zum Sixpack ...«

Da ging draußen die Schießerei los.

Perry Rhodan Neo Paket 24

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