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Gewebte Albträume
Sie bewegten sich im Gänsemarsch durch den Dschungel von Nightmare, der eigentlich gar nicht so schrecklich wirkte, wenn man es schaffte, sich von dem Albdruck zu befreien, der wie das verwirrende Licht der pulsierenden Sonne ein ständiger Begleiter wurde. Anfangs war die Vegetation eher länglich und grau gewesen, nun präsentierte sie eine neue Dimension. Die Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt war beeindruckend und viel größer, als Perry Rhodan ursprünglich geglaubt hatte: Er passierte ein affenbrotbaumähnliches Gewächs, dessen dicker Stamm in irisierendem Hellblau leuchtete. Auf den fleischigen, dunkelgrünen Blättern tummelten sich ganze Kolonien von Insekten, die Rhodan an Tausendfüßler erinnerten. Sie bildeten Straßen wie Ameisen und umklammerten mit ihren zahllosen Tentakeln, die zum Teil auf ihren Rücken saßen, kleine Fruchtfleischfetzen, die sie mit winzigen Mandibeln aus den blasigen, gelben Früchten des Baums schnitten. Auch sie bestanden wie alles Leben auf diesem Planeten aus nadelartigen Strukturen, als habe jemand die ganze Welt mit winzigen, länglichen Bauelementen gefertigt.
Rhodan wäre am liebsten stehen geblieben, um das ungewohnte Naturschauspiel näher zu beobachten, doch dafür war keine Zeit. Er beeilte sich, um zu Laura Bull-Legacy aufzuschließen. Sie flankierte zusammen mit Sophie Bull-Legacy den MINSTREL, der anmutig durch das üppige Grün der Umgebung schwebte. Vor ihnen ging Jessica Tekener, und die Spitze der Gruppe bildete Ronald Tekener, der nach wie vor in bester Stimmung schien – er war so gut gelaunt, dass er nicht nur den Zwillingen mittlerweile auf die Nerven ging.
Fehlt nur noch, dass er fröhlich pfeifend durch diesen Albtraum marschiert, dachte Rhodan und bemühte sich, ein ärgerliches Schnauben zu unterdrücken. Soweit er mitbekommen hatte, war Ronald eines der wenigen Besatzungsmitglieder der FANTASY – wahrscheinlich sogar das einzige –, das bislang von den Albträumen verschont wurde. Der Mann hatte also allen Grund für gute Laune.
Rhodan hingegen fühlte sich wie durch die Mangel gedreht und nicht gerade fit für eine Expedition durch unbekanntes Gelände. Daran änderte auch der Neurostreamdimmer nichts, der die Auswirkungen der Albtraumimpulse des Abwehrmechanismus abschwächte. Der Marsch gestaltete sich extrem anstrengend. Die Luft war geschwängert von Leben. Winzig kleine Partikel, Insekten, Mikroorganismen und Sporen gaben Rhodan das Gefühl, durch Suppe zu waten. Ständig musste er sich etwas Kriechendes, Krabbelndes oder Zappelndes von der Helmscheibe oder vom Anzug wischen. Trotzdem verzichtete er auf den Flugmodus, um nicht wieder von größeren, aggressiveren Tieren attackiert zu werden. Zunächst mussten sie den See finden, und Rhodan hatte das Gefühl, dass sie schon ganz nah waren.
Weil sie die Wunder ihrer Umgebung etwas zu intensiv studiert hatten, waren Rhodan und Merkosh leicht zurückgefallen, dennoch warteten die anderen nicht. Rhodan machte sich Sorgen, wie weit der Albdruck seine Gefährten beeinflusste. Nahmen sie die Umgebung überhaupt noch klar wahr?
»Sie wirken verstimmt«, meldete sich Merkosh an Rhodans Seite zu Wort. »Sind Sie wegen irgendetwas wütend?«
Der Oproner war nach wie vor neugierig darauf, menschliche Verhaltensweisen zu verstehen, und oft wirkten seine Fragen kindlich-naiv.
Rhodan unterdrückte ein Seufzen und wischte sich stattdessen etwas Schneckenartiges vom Helm. »Einmal abgesehen davon, dass ich seit Tagen nicht richtig geschlafen habe, wir in diesem System vorerst festsitzen und keine Ahnung haben, ob wir Ihren seltsamen Schreienden Stein abschalten können, geht es mir blendend.«
Sein Sarkasmus prallte an Merkosh ab – eigentlich ein Witz, wo der Oproner doch sonst alles eifrig in sich aufnahm. »Womöglich tragen die von Ihnen aufgezählten Punkte doch zu Ihrer Missstimmung bei?«, mutmaßte Merkosh.
Rhodan rollte mit den Augen. »Ja, das könnte sein.« Ihm fiel auf, dass sich Merkosh weitaus leichter durch den Dschungel bewegte als der Rest der Gruppe. Er nahm einfach alles, was seinen Körper traf, in seinen Organismus auf: Die kleinen Samen und Parasiten, die das Unglück hatten, auf den Oproner zu prallen, wurden sofort über die Haut resorbiert.
»Ich bin sehr optimistisch, dass wir den Abwehrmechanismus abschalten können«, meinte Merkosh. »Immerhin haben wir mit Miss Laura und Miss Sophie sehr fähige Expertinnen dabei, wobei vermutlich eine einfache Sabotage ausreichen wird. Wenn wir den Stein vernichten, sollte die Barriere fallen. Und wenn dieses Problem gelöst ist, können Sie auch wieder schlafen.«
Rhodan nickte müde. Er musste sich konzentrieren, um vorwärtszukommen, und verzichtete auf weitere Konversation. Schließlich hatte er es nicht so leicht wie Merkosh. Etwas später hörte er den Oproner allerdings etwas murmeln, das wie »Ich will wirklich nichts mehr zu mir nehmen« klang. Also wurde es wohl auch Merkosh langsam zu viel. Er scheint endlich mal satt zu sein ...
Obwohl eine Welt, die so vor Leben sprühte, eigentlich ein positives Gefühl vermitteln sollte, war es auf Nightmare anders. Es herrschte eine beklemmende Atmosphäre, die eher zu einem nebelverhangenen Gespensterhaus gepasst hätte. Rhodan konnte sich das zunächst nicht recht erklären. Nach einer Weile wurde ihm aber bewusst, dass es an den beständigen Mentalimpulsen dieses ominösen Schreienden Steins liegen musste. Er konnte sie zwar nicht hören, doch das lautlose Geistergewimmer saß ihm wie ein Tinnitus in den Ohren. Seine Hände waren seit der Landung ständig schweißnass. Das hatte er zunächst gar nicht wahrgenommen.
Besorgt musterte er die Hinterköpfe seiner Patentöchter. Die beiden hatten jahrelang abgeschieden auf dem Mond gelebt, von NATHAN wie in einen schützenden Kokon gehüllt – und auf einmal mussten sie sich mit Szenarien wie diesen beschäftigen. Laura hatte Rhodan vor einiger Zeit – nachdem die beiden Frauen auf Rumal zum ersten Mal einen Außeneinsatz bewältigt hatten – die Frage gestellt, wie er »so etwas« aushalte: die Anspannung, die Angst, die Todesgefahr. Er hatte damals geantwortet, dass Abenteuer meistens nur im Nachhinein lustig seien, wenn man sich mit Freunden am Kamin darüber unterhielt. Er hoffte, dass er und die Zwillinge eines Tages mit seinem Freund Bull ebenfalls an irgendeinem Kamin sitzen würden, um an ihr »Nightmare«-Abenteuer zurückzudenken. Dafür mussten sie allerdings überleben. Er musste von seinem persönlichen Fluch befreit werden. Und als Allererstes müssen wir diese gottverdammte Albtraumbarriere abschalten!
Einen Teil zu der Gänsehaut, die sich als Dauergast auf Rhodans Armen etabliert hatte, trugen die unheimlichen Nebelfetzen bei, die da und dort zwischen den Bäumen schwebten. Wahrscheinlich ist das kein Nebel, sondern das sind irgendwelche Sporen oder Pilze oder Pflanzenfasern. Abha Prajapati hätte hier sicher seinen Spaß gehabt. Der Anthropologe und Exobiologe war vor Jahrzehnten gemeinsam mit seinen Teamkollegen Eric Leyden und Luan Perparim – und dem unvermeidlichen Kater Hermes – verschollen. Rhodan wusste, dass Belle McGraw, die vierte des Kleeblatts, immer noch um ihre Freunde trauerte. Auch er fragte sich oft, was aus den drei überragenden Wissenschaftlern geworden war, gerade in Situationen wie diesen.
Seine Gedanken drifteten ab, und Rhodan musste sich zusammenreißen, um nicht auch an andere geliebte und verlorene Menschen zu denken. Dabei registrierte er abwesend, dass sich ein paar der nebelartigen Fäden verklumpten. Es war ein seltsamer und zugleich vertrauter Anblick: wie Zuckerwatte, die sich um den Stab wickelte und das beliebte Naschwerk bildete. Auch nun entstand eine Form – aber sie entwickelte sich zu einer Gestalt. Einer humanoiden Gestalt.
Rhodan blieb abrupt stehen. Ungläubig beobachtete er, wie die haarfeinen Fäden den Körper einer jungen Frau nachbildeten, dann auch ein Gesicht: feine, aristokratische Züge, lange, weiße Haare und seine eigenen graublauen Augen – mit einem rötlichen Schimmer. »Nathalie?«
Seine Tochter kam einige Schritte auf ihn zu.
»Dad!« Sie lächelte ihn an. »Da bist du ja endlich!«
Rhodan schluckte. Sein Herz brannte. Nathalie sah genauso aus wie damals, als sie zu ihrer Reise nach Olymp aufgebrochen und nie wiedergekommen war. Sie trug sogar noch dasselbe hellblaue, ärmellose Sommerkleid. Das war sein kleines Mädchen.
Merkosh, der Einzige, der hinter Rhodan ging, stellte sich an seine Seite. »Kennen Sie die Dame?«
Rhodan reagierte nicht auf den Oproner. Das war Nathalie, seine Nathalie. Das war wichtiger. Irgendwo in seinem Hinterkopf spürte er, dass etwas an der Szenerie falsch war. Er dachte kurz, er müsse die anderen rufen, ja, vielleicht sogar zum Strahler greifen, aber der Wunsch verschwand, während gleichzeitig die Geisterstimmen leiser und nachdrücklicher wurden. Nathalie war real. Die anderen interessierten ihn nicht mehr.
»Nathalie, was tust du hier?«
Das Lächeln auf Nathalies Gesicht verblasste. Sie schob die Unterlippe vor und spielte mit einer Strähne ihres an den Schläfen etwas dunkleren Haars. Rhodan kannte diese Geste gut: So hatte Nathalie schon als kleines Mädchen reagiert, wenn man mit ihr geschimpft hatte oder wenn sie traurig gewesen war.
»Ich habe auf dich gewartet, Dad. Ich habe so lange gewartet, dass du mich findest. Aber du bist nicht gekommen. Warum bist du nie gekommen, um mich zu holen?«
»Ich habe nicht geahnt, dass du hier bist! Wir haben dich auf Olymp gesucht – ach, was rede ich, wir haben dich in allen Kolonien gesucht, auf der Erde, im Arkonsystem, einfach überall!« Rhodan machte einen Schritt auf Nathalie zu, wollte sie in die Arme schließen.
Doch Nathalie wich zurück. Sie warf den Kopf in den Nacken und kniff wütend die Augen zusammen. Der Ausdruck ließ sie ihrer Mutter ähnlich werden – während Nathalies Pubertät hatte Rhodan ihn unzählige Male gesehen. »Dann hast du mich wohl nicht gründlich genug gesucht, sonst hättest du mich gefunden. Was bist du nur für ein Vater?«
Rhodan stockte, blieb stehen. Etwas stimmt hier nicht.
Nathalie stemmte herausfordernd die Arme in die Seiten. »Wo warst du, Dad? Warum hast du mich im Stich gelassen? Ich war allein, ich hatte Angst – ich habe dich gebraucht, doch du bist nicht gekommen.«
Die Gänsehaut auf Rhodans Armen fühlte sich an, als sei sie zentimeterdick. Er wollte sich verteidigen, wollte Nathalie erklären, was er und Thora alles getan hatten, um sie zu finden. Er wollte ihr sagen, wie sehr er sie vermisste und dass seit ihrem Verschwinden jeder einzelne Tag von einem Schatten behaftet war. Wie sollten Eltern jemals ihren Seelenfrieden finden, wenn ihre Tochter einfach so verschwand? Doch er konnte nichts davon sagen. In seiner Kehle saß ein Pfropfen, der ihn am Reden hinderte.
Nathalies Mund verzog sich, als würde sie gleich zu weinen anfangen. Ihre Augen wurden seltsam dunkel, fast schwarz. »Gib es zu: Ich war dir nicht wichtig genug. Du hast immer die Interessen der Erde vor die deiner Familie gestellt. Eigentlich warst du doch froh, dass ich weg war – eine Sorge weniger, die dich vor deiner ach so bedeutenden Aufgabe als Protektor abhalten könnte.«
Rhodans Hände ballten sich zu Fäusten. Seine Fingernägel drückten sich schmerzhaft in sein Fleisch. Nein, hier stimmt etwas ganz und gar nicht. So hätte Nathalie nie geredet, nicht in hundert Jahren!
Merkosh trat dichter an Rhodan heran. »Sie sollten Ihren Augen und Ohren nicht trauen. Die Mentalimpulse haben offenbar die Flora und Fauna dieses Planeten beeinflusst. Sie zeigen sich uns und den anderen in seltsamen Formen.« Er deutete nach vorn.
Dort hörte Rhodan nun Stimmen. Offensichtlich waren auch die anderen stehen geblieben und redeten mit jemandem. Aber dieser Jemand antwortete gar nicht.
Es ist ein Trick. Wir sehen irreale Gestalten und hören eingebildete Dialoge. Nathalie war nie hier.
»Die Fäden«, flüsterte Rhodan. Er kam sich vor, als tauche er aus einem tiefen Traum auf, obwohl er die ganze Zeit wach gewesen war. Natürlich war es nicht Nathalie, die dort vor ihm stand und ihn anklagend anstarrte. Wie hätte seine Tochter an diesen Ort kommen sollen? Es war absurd. Trotzdem war er bis vor wenigen Sekunden absolut überzeugt gewesen, dass alles real sei. Die Gefühle, die beim Anblick seiner vermeintlichen Tochter in Rhodan aufgewallt waren, verwandelten sich in Wut. Das sind intime Erinnerungen – wie kann ... irgendwer es wagen, diese ganz persönlichen Gedanken gegen mich zu verwenden? Am liebsten hätte er auf das Fadenwesen eingeschlagen.
»Du solltest diesen Ort verlassen und nach Hause zurückkehren, um mich endlich zu suchen«, sagte das Wesen, das Nathalies Gestalt angenommen hatte.
Rhodan erkannte aufrichtige Verzweiflung in Nathalies Gesicht. Seine Wut verpuffte. Was auch immer das für eine Lebensform war, sie hatte die Intention der Albtraumbarriere aufgenommen und zu ihrer eigenen gemacht: Die Menschen sollten fort, und zwar so schnell wie möglich. Rhodan brachte es nicht über sich, nach »Nathalie« zu schlagen. Stattdessen wollte er sie in den Arm nehmen, obwohl er nun wusste, dass es nicht seine Tochter war, die da vor ihm stand.
Doch die Frauengestalt wich zurück. »Lass mich!«, schrie sie. »Du hast mich im Stich gelassen. Du bist ein mieser Verräter.« Tränen strömten aus ihren Augen.
Rhodan machte einen weiteren Schritt. Dieses Mal gelang es ihm, das Wesen zu berühren. Seine Hand fuhr durch den blassen Mädchenarm hindurch wie durch Rußwolken. Weiße Nebelfäden hafteten kurz an seinen Fingern, kehrten dann zu der Gestalt zurück. »Nathalie« schien es nicht zu bemerken.
»Geh mich suchen, Daddy, bitte!«, weinte sie.
»Sie müssen sich davon lösen«, sagte Merkosh hinter ihm. »Lassen Sie nicht zu, dass der Albtraum Sie gefangen hält. Wir müssen nach den anderen schauen.«
Rhodan nickte mechanisch. Er musterte Nathalie noch einmal intensiv. Er hatte sie so lange nicht gesehen, dass er befürchtete, sich eines Tages nicht mehr an sie zu erinnern; dass sich sein Bild von ihr nur noch auf Holos und Fotos bezog. Er nutzte die Gelegenheit, Nathalies Anblick noch einmal in sich aufzunehmen, auch wenn sie nicht echt war. Dann wandte er sich ruckartig um und ging den anderen hinterher, die sein und Merkoshs Fehlen gar nicht bemerkt hatten. Hinter sich hörte er Nathalies Weinen. Sie rief seinen Namen. Doch er drehte sich nicht um. Der Abstand zu den anderen war weit größer, als er zunächst gedacht hatte. Er wurde schneller.
Merkosh schloss zu Rhodan auf. »Mich würde interessieren, was das zu bedeuten hatte – wer war die junge Frau?«, fragte der Oproner arglos.
Rhodan seufzte. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Merkosh, aber dieses Mal werde ich auf Ihre Frage nicht antworten. Das ist eine sehr persönliche Sache, über die ich nicht sprechen will.«
Merkosh schien das zu akzeptieren. Während sie sich beeilten und die Tekeners und die Zwillinge mit dem MINSTREL bald wieder eingeholt hatten, blieb der Oproner schweigsam.
Laura und Sophie standen bei Jessica, die stark entkräftet wirkte. »Uns sind seltsame Gestalten begegnet«, berichtete Sophie. »Aber nun sind sie wieder fort. Sie bilden sich wie Nebel.«
»Wir hatten auch eine ungewöhnliche Begegnung. Beeilen wir uns lieber. Ich fürchte, diese Wesen können wiederkommen.«
Nach einem kurzen Austausch machten sich alle gemeinsam auf den Weg, wobei sie darauf achteten, ihre Richtung beizubehalten – immer dorthin, wo der Druck im Kopf und das Gefühl von Ablehnung am größten war.
Während sie weitergingen, blieb Merkosh ungewöhnlich still. Rhodan wusste nicht, ob er ihn verärgert hatte. Bald glaubte er jedoch, dass es einen anderen Grund geben musste: Merkosh hatte zwar bislang den Mentalimpulsen am besten widerstanden, doch irgendwas machte offenbar nun auch ihm zu schaffen. Vielleicht ist er schon zu lange von seinem Nest getrennt, überlegte Rhodan.
Er wollte Merkosh gerade darauf ansprechen, als eine riesige Kreatur aus den Büschen brach und sich mit einem lauten Heulen auf den Oproner stürzte.
Rhodan galt zwar als »Sofortumschalter«, doch dieser Angriff hatte auch ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Fassungslos beobachtete er, wie sich das Wesen um den Oproner herumwand.
Es schien nur aus Schwärze zu bestehen, setzte sich aus wabernden Wolken und tentakelartigen Auswüchsen zusammen. Inmitten des Dunkels blitzten an unterschiedlichen Stellen silberne Zähne auf. Dazu kam ein bestialisches Heulen, das Rhodan durch Mark und Bein ging.
Merkosh stieß einen Laut puren Entsetzens aus – etwas Vergleichbares hatte Rhodan noch nie von ihm gehört. Er zog den Rüsselmund zurück und schlug hektisch um sich. Dort, wo er das Wesen traf, verwandelte es sich kurzzeitig in schwarze Rauchwolken, die heller wurden und sich dann wieder zu dichteren Wolken und Tentakeln zusammenballten.
Das ist auch eins dieser Fadenwesen, begriff Rhodan. Nun haben die Albträume Merkosh doch noch erwischt – und das auf sehr reale Weise. Er sprintete zu dem Oproner und rief: »Mister Tekener! Ich könnte hier Ihre Unterstützung gebrauchen!« Er achtete nicht darauf, ob der Rest der Gruppe reagierte, sondern konzentrierte sich auf Merkoshs Angreifer. Er konnte den Strahler nicht einsetzen, die beiden rangen zu eng miteinander. Hin und wieder ließ das Wesen von Merkosh ab, spuckte ihn aus wie eine Katze die Maus, mit der sie spielt – um sich gleich darauf wieder auf das Opfer zu stürzen.
Rhodan nutzte einen solchen Moment für einen Schuss. Er hatte es bereits befürchtet: Das Wesen zeigte sich davon unbeeindruckt. Nur ein paar feine Rauchfäden, die rasch verwehten, zeugten davon, dass Rhodan überhaupt getroffen hatte.
Zumindest ließ die Kreatur für einige Sekunden von Merkosh ab. Dieser fiel zu Boden und kroch panisch auf dem Rücken von der Kreatur weg. Der Oproner schien genau zu wissen, um was für ein Wesen es sich bei dem Angreifer handelte.
Obwohl die Kreatur immateriell wirkte, war Merkosh bereits nach den wenigen Augenblicken des Kampfs von kleinen, nadelfeinen Wunden übersät. Er sieht aus, als sei er in eine Igelfamilie gefallen. Obwohl das Wesen selbst gegen körperliche Gewalt immun zu sein scheint, kann es anderen offenbar durchaus Schaden zufügen.
Wie schwer Merkoshs Verwundungen waren, konnte Rhodan in der Kürze der Zeit nicht beurteilen; denn das Wesen wandte seine Aufmerksamkeit plötzlich von Merkosh ab und Rhodan zu. Es heulte auf und glitt in einer seltsam fließenden Bewegung herüber. Rhodan wich zurück, als Ronald Tekener an ihm vorbeirannte. Der Narbengesichtige schwang einen abgebrochenen Ast wie einen Knüppel und ließ ihn auf das Wesen niedersausen. Die Schatten flossen auseinander, waberten kurz und ballten sich wieder zusammen.
Ronald fluchte. »Das habe ich befürchtet, als Ihr Schuss keine Wirkung zeigte.«
Immerhin eins hatte er erreicht: Das Wesen hielt inne und schien unschlüssig, wen es als Nächstes attackieren sollte.
»Fliehen Sie!« Merkoshs Stimme war seltsam hoch, aber durchdringend. Er hatte die Augen vor Panik weit aufgerissen. Sein Rüsselmund war so weit zurückgezogen, dass er fast im Kopf verschwand. »Sie haben keine Chance. Es wird uns alle töten.«
Rhodans Blick zuckte zwischen Merkosh und dem Wesen hin und her. Und er begriff. Er selbst hatte sich von seinem Albtraum abwenden müssen, um sich daraus zu lösen. Im Fall des Oproners sah die Sache anders aus.
»Merkosh, Sie müssen sich Ihrem Albtraum stellen!«, rief Rhodan dem aus zahlreichen Wunden Blutenden zu. »Denken Sie daran: Es ist nicht real. Aber nur so können Sie es besiegen. Treten Sie Ihrer Angst entgegen.«
Merkosh starrte Rhodan an, als hätte der Terraner ihm vorgeschlagen, einen Haluter im Armdrücken zu besiegen. Dann nickte der Oproner zögerlich. Das Albtraumwesen hatte sich gerade entschlossen, seinen Angriff auf Rhodan fortzusetzen, als Merkosh sich erhob und auf es zuging – erst langsam, dann schneller. Das Wesen hielt inne und drehte sich zu dem Oproner um.
Merkosh blieb kurz vor den wallenden Schatten stehen. Seine Stimme war leise, aber fest. »Ich habe keine Angst vor dir. Verschwinde und lass uns in Ruhe.«
Das Wesen schien einzufrieren. Die wabernden Bewegungen hörten auf. Dann zerplatzte die Albtraumgestalt in Tausende haarfeine Fäden, die in alle Richtungen davonwehten.
»Was war denn das?«, fragte Laura, die sich während des Kampfs ebenso wie Sophie dicht an den MINSTREL gedrängt hatte.
»Das weiß ich auch nicht genau«, sagte Rhodan. »Aber wir sollten uns von diesen seltsamen Fäden fernhalten.«
Sie nahmen ihren Marsch wieder auf. Rhodan und Merkosh bildeten erneut den Abschluss.
»Was war das für eine Albtraumkreatur?«, fragte Perry Rhodan leise.
Merkosh sah ihn ausdruckslos an. »Um es mit Ihren Worten auszudrücken: Ich werde auf Ihre Frage nicht antworten. Das ist eine sehr persönliche Sache, über die ich nicht sprechen will.«