Читать книгу Perry Rhodan Neo Paket 22 - Perry Rhodan - Страница 46
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Weber
Laura Bull-Legacy schauderte, wenn sie nur an die Albtraumkreatur dachte, die Merkosh angefallen hatte. Was, wenn weitere dieser Dinger ihr Team angriffen? Würden sie sich erfolgreich verteidigen können?
Als erahnte Sophie Bull-Legacy ihre Ängste, zwinkerte sie Laura zu und deutete auf den MINSTREL. Stumm nickte Laura. Sie hatten Hilfe, konnten sich im Notfall noch inniger mit dem NATHAN-Ableger verbinden und dadurch den Schrecken widerstehen.
Sie schob die Furcht beiseite, konzentrierte sich stattdessen auf ihre Begleiter, die nun vor ihr marschierten. Merkosh taumelte, doch er hielt sich auf den Beinen. Dicht neben ihm ging Perry Rhodan, bereit, den Oproner zu stützen, falls es nötig sein sollte.
»Sie schulden uns noch eine Antwort«, mahnte Ronald Tekener, als hätten sie keine anderen Sorgen. Seine Stimme klang hart. »Sie haben uns noch immer nicht gesagt, warum genau das Compariat eine derart aggressive Barriere errichtet hat.«
»Ach bitte!« Sophie stemmte die Hände in die Hüften. »Merkosh ist erst vor wenigen Minuten schwerstens attackiert worden, lassen Sie ihn in Ruhe!«
»Das werde ich nicht! Bloß weil Ihr Vater Reginald Bull ist, und Ihre Mutter Autum Legacy, müssen Sie sich nicht so aufspielen! Und Merkosh ist nicht verletzt. Seine Selbstheilungskräfte sind phänomenal. Wahrscheinlich kann er sich sogar bald komplett gegen diesen Wahnsinn abschirmen, wenn er ihn erst analysiert hat. Sie wollen doch selbst wissen, was los ist, oder? Warum das Compariat solche Abwehrsysteme errichtet, die ganze Raumschiffsbesatzungen in den Wahnsinn treiben.« Er zeigte anklagend auf Merkosh. »Er weiß es! Er soll endlich reden!«
»Lassen Sie meine Eltern da raus!«, herrschte ihn Sophie an.
Laura war schwindlig, fühlte sich desorientiert. Sie sah sich um. Inzwischen hatten sie einen neuen Geländeabschnitt erreicht, in dem sich die Fauna und die Flora erneut wandelten. Beides schien auf dieser Welt untrennbar zusammenzugehören. Die spitzen Nadeln wurden mehr und mehr zu länglichen Klümpchen, von denen die meisten an breiige Reiskörner erinnerten. Pflanzen wie Tiere veränderten ihre äußere Form, waren knubbeliger, in sich verdrehter, obwohl auch bei dieser Variante immer wieder Aufsätze wie lange Dornen herausragten. Ein Stück vor Laura kreuzte ein zwanzig Zentimeter langer Wurm den Weg, vielleicht war es auch eine Schlange. Beulen und kornartige Auswüchse bedeckten den wächsernen, schmutzig weißen Rücken.
»Beruhigt euch!«, forderte Rhodan. Er blieb stehen, sicherte. Sein suchender Blick zeigte Laura, dass er hellwach war. Es gab ihr Zuversicht, ihn bei sich zu haben. Obwohl er just erst beinahe in einem Albtraum versunken wäre, der ihm einiges abverlangt hatte, hatte er nur wenige Augenblicke benötigt, um wieder ganz Herr der Lage zu sein. »Merkosh, Mister Tekener hat recht. Wenn Sie nicht zu schwer verletzt sind, ist genau dies ein guter Zeitpunkt, uns aufzuklären.«
Merkosh ließ die Arme hängen. »Es ist ein Schutz. Um zu verhindern, dass Fremde Schaden erleiden, weil sie in dieses Gebiet eindringen wollen.«
»Und was ist hier so gefährlich?«, fragte Sophie, die plötzlich gar kein Interesse mehr daran hatte, sich mit Ronald Tekener zu streiten. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf Merkosh.
Der dürre Oproner streckte sich, sank dann in sich zusammen. »Das Compariat ist in weiten Teilen vom Dunkelleben verseucht.«
Eine Weile schwiegen sie. Laura fragte sich, ob Rhodan das bereits gewusst oder geahnt hatte. Sie selbst traf es unvorbereitet. Sie hatte im Gegenteil gehofft, dass es im Compariat nicht nur Hilfe für Rhodans Problem mit dem Zellaktivator gab, sondern man vielleicht auch ein Mittel gegen das Dunkelleben kannte. Wenn jedoch die ganze Sternregion von dieser Seuche betroffen war, bestand hierfür wenig Aussicht. War Merkosh vielleicht sogar vor dem Dunkelleben geflohen?
»Ist es wirklich so schlimm?«, flüsterte Sophie in das Summen, Knacken und Zischen der Umgebung.
Laura bemerkte, dass sich knollenförmige Gebilde an ihren Stiefeln festsaugten, und machte rasch ein paar Schritte zur Seite. Die Gebilde fielen ab.
»Ja«, sagte Merkosh. »Leider.«
Die Gebilde zu Lauras Füßen wuchsen. Sie schreckte zurück. Es waren gar keine Knollen mehr, das waren wieder diese Würmer! Haarfeine Fäden in hellem Grau schlossen sich zusammen, wuchsen und bildeten Gestalten. Eine davon schoss genau vor Laura Bull-Legacy in die Höhe, griff nach ihrer Kehle und ...
»Laura!«, schreit Sophie Bull-Legacy. »Hilf mir, Laura!«
Die Schwester hängt an einer Klippe, unter ihr der Abgrund. In der Tiefe tosen Wellen, durchstoßen von spitzen Felsen. Es riecht nach Salz und nach Rauch. Irgendwo brennt es.
»Laura! Du musst Hilfe holen!«
Entschlossen kniet sich Laura nieder, greift nach der Hand der Schwester. Sie will Sophie hochziehen, doch Sophie ist zu schwer. Sie scheint Tonnen zu wiegen. Lauras Hand gleitet ab, schrammt über den Stein, blutet. Sie fühlt sich unendlich schwach und müde. Viel zu müde, um der Schwester helfen zu können.
»Hol Hilfe!«, schreit Sophie.
Laura Bull-Legacy richtet sich auf, aktiviert mit einem Blicksignal ihr Komarmband.
»Ja?«, fragt eine freundliche Männerstimme. »Was kann ich für Sie tun?«
Der Notruf! Erleichtert will Laura um Hilfe bitten. Sie will sagen, dass ihre Schwester in Gefahr ist, wo sie sind, was passiert ist ... Aber sie bringt keinen Ton heraus. Etwas Unsichtbares liegt um ihren Hals, schnürt ihn unerbittlich zu, zieht sich enger und enger zusammen.
Tränen treten in ihre Augen. Sie muss Sophie retten!
Sophies Hand droht abzugleiten. »Laura!«
Laura will antworten, doch sie kann es nicht.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt die freundliche Stimme. »Ist das ein Notfall? Brauchen Sie ein Einsatzteam mit einem Gleiter? Wir können in zehn Sekunden da sein. Sie müssen nur etwas sagen.«
Zehn Sekunden. Laura starrt auf Sophie. Auch in Sophies Augen treten Tränen. Sie glitzern feucht, wie das von Felsen gespickte Meer, in das Sophie stürzen wird. Wasser zu Wasser. »Laura, warum sagst du denn nichts?«
»Weil ich es nicht kann!«, will Laura schreien, aber sie kann nicht schreien, nicht einmal wimmern. Es gibt keine Möglichkeit, den mörderischen Schmerz in ihrem Innern auszudrücken; die Gewissheit, dass ihre Schwester sterben wird und sie nichts, rein gar nichts tun kann.
Mom und Dad werden das nicht überleben, denkt sie. Wie soll ich ihnen das erklären?
»Bitte!«, fleht Sophie. »Sag doch etwas!«
Laura sinkt in die Knie. Sie will die Hand nach der Schwester ausstrecken – und zieht sie erschrocken zurück. Ihre Finger bestehen aus schmutzig weißen, wächsernen Knubbeln. Sie ist ganz und gar aus etwas anderem zusammengesetzt. Die Schlinge um ihren Hals ist Teil davon, zieht sich wie ein Stahlband zu. Sie ist bloß ein Schatten, ein Gebilde aus hellem Ruß. Der nächste Windstoß wird ihren Körper zerreißen und in alle Himmelsrichtungen verwehen.
Sie will schreien – und bleibt doch stumm.
In den Boden kommt Bewegung. Mit einem Mal erkennt Laura, dass sie gar nicht auf einem Felsen steht, sondern auf einer Anhäufung schwarzer Zeichen, die sich kilometerhoch übereinandertürmen. Einige von ihnen kann Laura zuordnen, ihre Bedeutung erahnen: Dunkelheit, Tod. Die Zeichen lösen sich auf. Tintige Farbe kriecht auf Laura zu. Die Schwärze arbeitet sich zu Sophie vor, dringt in die weißen Fingerspitzen ein, die sich verzweifelt am Gestein festklammern.
Sophie lässt los.
Nein! Laura schreit es innerlich. Sie streckt die Hand aus, die nicht mehr ihre ist. Aber es ist zu spät. Sophie ist fort. Es bleibt nur der Tod.
Geschockt schließt sie die Augen, wartet und hofft, dass der Schmerz nachlässt – als sich etwas verändert. Da ist ein Ton. Ein Musikstück, in dem sich mehrere Stimmen zeitlich versetzt wiederholen: eine Fuge. Sie kennt das Thema. Es hält sie.
»Laura!«, ruft eine Stimme durch das Meerestosen. »Verbinde dich mit dem MINSTREL! Lass dir helfen!«
Das ist Perry Rhodan. Sein Gesicht erscheint über den Wellen. Was will er ihr sagen?
Der MINSTREL. Laura hat das Wort schon einmal gehört. Aber wie soll sie entkommen aus diesem Grauen, aus der Panik, die der Verlust von Stimme und Körper mit sich bringen? Sie hat entsetzliche Angst.
Die Fuge offenbart erneut ihr Thema, das auf verschiedenen Tonhöhen einsetzt: Hilfe und Schutz.
Ein letzter Rest Überlebenswille bäumt sich auf. Eigentlich ist es unmöglich, doch es gelingt Laura Bull-Legacy, den Schrecken niederzuringen.
Hilf mir!, ruft sie in Gedanken – und der MINSTREL gehorcht.
*
»Laura?« Perry Rhodan beugte sich besorgt über seine Patentochter. »Kannst du mich hören?«
Sie blinzelte, schlug die grauen Augen mit ihrem faszinierenden Grünstich auf. Ihre Haare quetschten sich im Helminnern. Einige Strähnen lagen ihr über der Wange. Sie hob die Hand, strich außen darüber, und die Anzugpositronik reagierte, schob die Haare mit einem flexiblen Bügel zur Seite.
»Sophie ...«
»Es war nur ein Albtraum«, beruhigte Rhodan sie. »Irgendwie bist du in eine Art Nest dieser Würmer geraten, aber wir konnten sie verscheuchen. Du bist in Sicherheit – jedenfalls im Moment. Konntest du dich mit dem MINSTREL verbinden?«
Laura Bull-Legacy blickte zur Seite, lauschte. »Ja. Wir sind verbunden. Es geht mir besser, danke.« Sie setzte sich verwundert auf. »Wo sind die Schatten hin?«
»Mister Tekener und ich haben sie neutralisiert. Aber es gibt noch mehr, einen ganzen Haufen davon. Wie es scheint, stehen sie zwischen uns und dem See, den wir erreichen wollen. Dass sie sich dort konzentrieren, könnte ein Zeichen sein. Laut Sophie und dem MINSTREL sind wir dicht am Ziel. Wir haben uns erst mal hierher zurückgezogen, um uns zu sammeln und die Lage zu sondieren.«
Merkosh stieß ein Brummen aus. »Ich habe Ergebnisse, die sich bestätigt haben. Die Basis der Fauna und damit der gesamten Vegetation sind Weber. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um omnipotente Stammzellen, die offenbar ohne Beschränkung variierbar sind und die gesamte Vegetation mit allen Formen und Taxa bilden.«
»Sie sind alles eine einzige Art?«, fragte Ronald Tekener nach.
»Ja«, bestätigte Merkosh. »Ein einmaliges Konzept. Die gesamte Evolution findet nicht in der genetischen Anpassung statt, die neue Arten hervorbringt, sondern innerhalb des omnipotenten Genoms – ist also letztlich phänotypisch. Die Stammzellen werden in einem Marsupium gebildet und dann explosiv ausgestoßen. Miss Laura ist in die Nähe eines solchen Marsupiums geraten, einer Bruttasche. Vermutlich gab es auch schon vorher welche auf dem Weg, als diese junge Dame auftauchte und mich die Albtraumkreatur anfiel. Ich habe Ihnen die entsprechenden Bilder in die Positroniken überspielt.«
Rhodan hob den Arm, aktivierte eine Holodarstellung über dem Handgelenk, die entfernt einem Bovisten ähnelte, jedoch weicher und gleichzeitig stacheliger wirkte. Die umhüllende Haut schimmerte in einem unangenehmen, fleckigen Rosa. Das hatte Ähnlichkeit mit einem menschlichen Organ – bis auf die Stacheln.
Sophie Bull-Legacy verschränkte die Arme vor der Brust. »Mich würde mehr interessieren, wie wir die Dinger bekämpfen können und was genau diese Schatten sind.«
»Sie sind Weber«, spottete Ronald herablassend. »Hat Glashaut doch gerade erklärt. Weber, gebildet aus omnipotenten Stammzellen, die aus diesen Bruttaschendingern da kommen.«
Rhodan schaltete das Holobild ab. Er fragte sich, wann die Stimmung endgültig kippte und Sophie und Ronald aufeinander losgingen wie zwei betrunkene Halbwüchsige. Auch wenn Ronald nicht vom Albtraumdruck befallen war, war er deutlich angespannter als sonst. Keiner von ihnen verhielt sich mehr normal, auch Rhodan nicht. Sie agierten wie Frösche in einem Kochtopf, der sich samt seinem Inhalt langsam, Grad um Grad erhitzte und in dem das Wasser irgendwann kochen würde.
Ein Zirpen am Kom lenkte Rhodan ab. Er hob den Arm, prüfte die Nachricht, atmete tief durch.
»Was ist los?«, fragte Laura besorgt.
»Es geht um die FANTASY. Immer mehr Besatzungsmitglieder sind betroffen. Die Lage wird dramatisch, und laut Sato führt der Albdruck, dem die Opfer ausgesetzt sind, zu einer Art Persönlichkeitsveränderung.« Es war eine grobe Zusammenfassung und Vereinfachung, doch sie musste im Moment ausreichen. Er musterte die Streithähne. »Wir müssen uns zusammenreißen, versteht ihr das? Unser Feind sind nicht nur die Weber. Er lauert vor allem in uns. Also hört bitte auf, gegeneinander zu arbeiten. Es geht nicht nur um uns und unsere Leben – die Leben aller Menschen an Bord der FANTASY stehen auf dem Spiel. Wir müssen schnellstens Erfolg haben und diesem Wahnsinn ein Ende machen.«
Sophie nickte zögernd. Auch Ronald machte eine zustimmende Geste.
Er drehte sich zu Sophie. »Tut mir leid, Miss Bull-Legacy. Ich kann ein ziemliches Arschloch sein, wenn ich unter Druck stehe. Diese Welt setzt mir mehr zu als gedacht.«
»Nicht nur Ihnen ...«, murmelte Sophie. Sie grinste auf eine Weise, die der von Ronald Tekener nicht unähnlich war. »Und vielleicht bin ich wirklich manchmal ein bisschen wie ein Sukkubus.«
Perry Rhodan atmete erleichtert auf. Die Lage entspannte sich. Gemeinsam würden sie es bis zur Insel schaffen. Es konnte nicht mehr weit sein. Sie mussten noch eine Stunde durchhalten, vielleicht zwei, dann konnten sie den Stein zerstören, der für alle an Bord der FANTASY zur Lebensbedrohung wurde.
In diesem Moment hob Jessica Tekener den Strahler – und schoss auf Merkosh.