Читать книгу Banditen und Revolver-Docs: Super Western Sammelband 9 Romane - Pete Hackett - Страница 11
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ОглавлениеGlenn handelte wie in Trance. Er sattelte im Dämmerlicht sein struppiges Pferd, sah, wie die anderen Männer wortlos oder mit leisen Flüchen ihre Tiere fertigmachten. Harry Scott war als Erster auf der Straße. Wie mechanisch lud er seine Winchester durch, saß auf und blickte ungeduldig auf die Stalltür.
Hinter Deville und dessen Rappen führte Glenn seinen Cayusen ins Freie und saß auf. Deville hantierte noch am Sattelgurt, und indessen waren auch Stratz, Overback und Corners draußen.
Overback hustete und spie aus, dann knurrte er mexikanische Flüche, ehe er sich in den Sattel schwang.
Harry Scott hob die Hand, dann ritten sie los. Vorbei an den im Dunkel liegenden Häusern, vorbei an erleuchteten Fenstern und tuschelnden Männern und Frauen, die vor den Türen standen und scheu auf die Reiter blickten, als sähen sie Gespenster.
Kaum lag die Stadt hinter ihnen, trieb Harry Scott sein Pferd an. Im Galopp jagte die kleine Schar über die hier noch ebene Prärie.
Glenn wunderte sich, dass sie nicht geradewegs auf die Straight I zu ritten. Aber er schwieg. Irgendwie waren in ihm wieder Bedenken stark geworden, vor allem ein flaues Gefühl deshalb, weil er fürchtete, Ionu zu treffen. Aber er schwieg auch darüber, überhaupt wurde nicht geredet. Sie alle schienen zu wissen, was Harry Scott vorhatte, und so stellte keiner Fragen. Seltener wurden Overbacks grimmige Flüche, schließlich hörten sie nur noch das Schnauben der Pferde und das Trappeln der Hufe, wenn es über knochenharten Boden ging.
Unweit von ihnen musste eine Herde stehen. Der Wind trieb ihnen den Geruch der Rinder zu, außerdem hörten sie mitunter das überschnappende Brüllen eines Bullen.
Wenn Harry Scott diese Richtung beibehielt, so sagte sich Glenn, würde er statt zur Straight I auf die kahl gefressene Jennifer Buckweide kommen. Dort hatte Glenn noch vor vierzehn Tagen mitgeholfen, die Herde Jungbullen abzutreiben.
Er ritt neben seinen Vater, als sie die Pferde im Schritt gehen ließen, und sagte es.
Harry Scott nickte. „Ja, ich weiß, Junge. Aber wir treffen noch zwei gute Freunde, die du auch wiedererkennen wirst.“
Im Mondschein ritten sie ins Hügelland hinein. Weit links lag wie ein schwarzer Teppich der unendliche Wald, der bis zu den Laramie Ranges reichte. Die Ranges waren von hier aus in der Nacht nicht zu sehen, aber die Vorberge begannen bereits. Kleine Waldgruppen, die den Blizzards und Wirbelstürmen widerstanden hatten, ragten Inseln gleich aus der Prärie.
Harry Scott ritt geradewegs auf eine dieser Baumgruppen zu. Als sie näher kamen, erkannten sie deutlich die zerborstenen, vom Sturm zerfledderten Tannen. Und kurz darauf ertönte ein klagender Eulenruf. Harry Scott zügelte sein Pferd, dann raunte er Overback zu: „Los, gib ihnen das Zeichen!“
Overback steckte zwei Finger in den Mund und stieß ein eigenartiges Zischen aus, das in einen Pfiff mündete. Glenn wusste nicht gleich, was es war. Während er noch überlegte, welches Tier solche Töne von sich gibt, meinte Deville leise: „Er kann den Präriehund gut, wie?“
Da fiel es ihm ein. Natürlich, die Erdhörnchen pfiffen so bei Gefahr.
Sie ritten weiter, und kurz vor dem Wald hielt Harry Scott abermals an, mit ihm die anderen.
Ein Reiter tauchte auf, der zwischen den Baumstämmen aus dem kleinen Wald ritt und sich langsam näherte.
„Mike?“, fragte Harry Scott.
„All right, Harry“, antwortete der andere.
Nun kam noch ein zweiter Reiter auf die freie Fläche. Glenn sah, wie ein Gewehrlauf vor ihm im Mondlicht glänzte. Der Reiter steckte gerade die Waffe in den Scabbard zurück.
Mike?, dachte Glenn, und die Stimme war ihm bekannt vorgekommen. Natürlich, das war Mike Hartland von der Straight I.
Mike rief seinem Begleiter zu: „Sie sind pünktlich, was, Dave?“
„Ziemlich“, erwiderte Dave.
Nun erkannte Glenn auch diesen Mann. Auch ein Straight I-Cowboy. Einer von denen, die immerzu als Linienreiter unterwegs waren, um Mavericks und verlaufenes Vieh zusammenzutreiben und die Zäune am North Platte River zu flicken. Glenn kannte ihn kaum. Besser schon entsann er sich Mikes. Mike gehörte zu den wenigen Männern auf der Ranch, die immer anständig und fair zu ihm gewesen waren. Eigentlich sehr anständig, wie Glenn noch gut wusste.
Es freute Glenn, dass Mike offenbar mit seinem Vater paktierte. Diese Tatsache, dass der immerzu nette und hilfsbereite Mike gegen Ionu stand, glich einer Entscheidung, die Glenn ganz für sich fällte. Ja, er war jetzt fest entschlossen, auf der Seite seines Vaters mitzumachen. Das musste die gute, die richtige Seite sein.
Für Glenn wurde es nicht leicht, die richtige, die gute Seite zu erkennen. Was wusste er überhaupt von Gut und Böse? Mrs. Howard war auch nicht immer nett gewesen, manchmal konnte sie ein Ekel sein. Trotzdem verkörperte sie für Glenn etwas Gutes. Hattkinson, der zwar das Gesetz vertrat, sonst aber die Fahne nach dem Wind der Meinungen drehte, konnte kein guter Mensch sein. Also war er nicht auf der guten Seite. Ihm nachzueifern wäre nach Glenns Vorstellung ungefähr das Letzte gewesen.
Und Ionu? Sicher erkannte Glenn an, wie dieser Mann seine Ranch aus dem Boden gestampft hatte, wie er immer wieder die höchsten Preise für sein Vieh herausholte, dass er eine ganze Mannschaft über den Winter beschäftigte, was hierzulande kein Rancher tat. Aber er wusste auch anderes über Ionu. Die zwiespältige Art, wie er versuchte, andere übers Ohr zu hauen. Der Ton, in dem er mit seinen Töchtern sprach. Mitunter hatte Glenn gemeint, Ionu hasse seine Mädchen, denn er behandelte die achtzehnjährige Ellen und die siebzehnjährige Babs wie dumme Gören. War allerdings seine Frau in der Nähe, verkniff sich Ionu die Anranzer.
Ionu war nicht der Mann, der Glenn ein Leitbild geben konnte, das wurde Glenn selbst schnell klar. Aber wer?
Er klammerte sich an seinen Vater. Jetzt hielt er ihn für den Mann, der sie alle in die Tasche stecken und auch Ionu in die Tasche stecken würde. So sah es Glenn. Und gerade jetzt, als Mike und Dave Harry Scott begrüßten.
„Nach Mitternacht, also vor fünf Stunden etwa, ist Roy losgeritten.“ Mike lachte leise. „Dave, erzähl du ihm, was du gehört hast!“
Dave, dessen schlanke Gestalt im Mondlicht noch schmaler wirkte, beugte sich leicht vor und sagte: „Ich habe gehört, was sie gesprochen haben. Ionu und Roy. Roy soll dich abknallen, mit der Springfield. Er wollte nicht, aber Ionu hat ihn unter Druck gesetzt. Da war von einem Revolvermann die Rede und von Ron und Roy, die ihn wohl abgeschossen haben ... Es muss die Sache sein, wo damals der Revolvermann gesucht wurde. Miss Ryder hatte ihn geschickt.“
„So also ist das gewesen“, erwiderte Harry Scott. „Sieh einer an! Unser großer Wohltäter Ionu ist also ein Mordanstifter. Na, das passt direkt ins Bild. Und Roy ist weg? Wohin?“
„Nach Wendover.“
„Der arme Kerl, er wird sich mit Hattkinson trösten können, bis ich wieder da bin. Und sonst auf der Ranch?“
„Es sind nur drei Mann außer Ionu da. Er rechnet erst morgen mit dir. In zehn Stunden wird die ganze Mannschaft auf der Ranch sein.“
„Wir werden in einer Stunde bei ihm sein, ob er die Mannschaft da hat oder nicht. Sind die Frauen im Haus?“
Mike nickte. „Ja, Mrs. Ionu und die Mädchen. — Wollt ihr nicht warten, bis wieder Abend ist? Es ist gleich hell.“
„Na und? Wir kommen nicht, um Ionu abzuknallen, wie das Roy mit mir vorhat.“ Harry Scott lachte spöttisch, und Overback knurrte einen Fluch, diesmal wieder einen mexikanischen.
„Gut, also wir reiten dann wie besprochen weiter.“ Mike sah auf Glenn und erkannte ihn wohl jetzt erst. „Da habt ihr ja den Jungen. Hallo, Glenn!“
„Hallo Mike“, erwiderte Glenn.
Mike lachte leise. „Dann kannst du deine Rechnung ja auch mit vorlegen. — Harry, wann kommen Miss Ryder und der Kleine?“
„Langsam, Mike“, mahnte Harry Scott, „erst wollen wir mal abtasten, wie es Ionu haben will.“
Dave räusperte sich und sagte trocken: „Du wartest da besser nicht ab, Harry. Ionu kennt nur eine Lösung.“
„Es kommt nicht allein auf Ionu an. — Also, Jungs, dann wollen wir weiter, und ihr beiden reitet den North Platte hinauf.“
Glenn hätte zu gerne gefragt, was Mike und Dave weiter oben am North Platte River machen sollten, aber er war ein Leben lang gewohnt, auf neugierige Fragen beleidigende Antworten zu erhalten. Vielleicht hätte ihm sein Vater ganz sachlich darauf geantwortet, doch Glenn hatte sich abgewöhnt, unnötige Fragen zu stellen.
Sie ritten nach der kurzen Pause weiter. Nun ging es geradewegs auf die Straight I zu. Im Osten wurde es schnell heller, und bald konnten sie die Gebäude der Ranch sehen. Erst das alte fortartige Anwesen, kurz darauf die neueren Gebäude.
Aus dem Küchenschornstein qualmte es heftig, ein Zeichen, dass gleich das erste Frühstück ausgegeben wurde. Aber Mike hatte gesagt, es wären nur drei Mann außer den Ionus auf der Ranch. Vielleicht würden sie die Ranch gerade erreichen, wenn alle mit Schinken und Ei beschäftigt waren.
Glenn hatte Hunger, und müde fühlte er sich auch. Die anderen saßen im Sattel, als machten ihnen Nachtritte nichts aus. Nur der alte Overback gähnte mitunter, oder er fluchte, was seine überwiegende Konversation darstellte.
Der junge Stratz hockte krumm und lauernd wie ein Raubtier im Sattel. Neben ihm schaukelte Deville auf seinem Pferd, als befände er sich auf einem im Passgang gehenden Kamel.
Der strohblonde Burt Corners blickte grimmig auf die Ranch zu, und in seinem Gesicht spielten die Wangenmuskeln.
Harry Scott an der Spitze zeigte mit keiner Miene, was er dachte oder empfand. Er spähte nur aufmerksam zur Ranch hin, tastete mit seinem Blick die umliegenden Corrals und Koppeln ab, aber er schwieg.
Wortlos ritten sie näher. Glenn wurde von einem merkwürdigen Gefühl gepackt. Gestern Morgen hatte ihn Ionu herausgefordert und dann weggejagt wie einen räudigen Hund. Jetzt sah Glenn die Ranch wieder, obgleich er sich geschworen hatte, nie mehr hier aufzutauchen.
Doch die Vorzeichen hatten sich gewandelt. Glenn ritt hinter Harry Scott, und der wollte eine doppelte Rechnung vorlegen. Nach Glenns Vorstellung musste es Kampf mit Ionu geben. Ionu war kein Feigling; er würde nicht kneifen. Aber trotz allem konnte Glenn den Rancher nicht so hassen, dass er ihm den Tod wünschte. Ionu hatte Frau und Kinder. Ellen war immer nett zu Glenn gewesen. Babs in ihrer angeborenen und anerzogenen Arroganz allerdings eher das Gegenteil. Schlimmer, sie hatte Glenn gar nicht bemerkt. Für sie gab es ihn und seinesgleichen gar nicht. Wenn sie überhaupt einen Cowboy ihres Vaters zur Kenntnis nahm, dann Roy.
Nein, auch wenn Babs ein Ausbund an Überheblichkeit war, und wenn Ionu die krummsten Gedanken hegte, sterben sollte er deshalb nicht. Glenn hatte zu lange von Mrs. Howard gehört, hatte zu lange von seiner Mutter eingeimpft bekommen, dass ein Mensch kein Stück Dreck ist, das man einfach wegwirft, dass ein Mensch eine Mutter bat, die ihn liebevoll jahrelang großziehen musste, ihm das Beste und Letzte gab, um das zu ermöglichen. Doch nicht, damit er einfach abgeknallt wurde wie ein Kaninchen.
Glenns Erlebnisse um den Tod waren gering. Er hatte natürlich schon Männer oder Frauen sterben sehen. Und dennoch war er nicht abgestumpft. Er erschrak immer wieder darüber, und insgeheim hielt er sich deshalb für einen Weichling. Er hielt sich auch für einen Mann, den die Mädchen nicht mochten. Seine entsprechenden Erlebnisse waren kurz und lagen schon über drei Jahre zurück. Damals war es eine viel ältere Frau gewesen, die sich mehr an ihn als er an sie herangemacht hatte. Wie ein verblendeter Tor hatte er diese Frau angebetet, obgleich sie in ihm nur einen Sklaven sah, der ihr Freude machte.
Vor zwei Jahren etwa war er in Wendover mit einem Mädchen, der Tochter des Storekeepers, bekannt geworden. Aber er hatte sich ihr gegenüber so linkisch und verklemmt benommen, dass sie schließlich mit einem anderen ging, und Glenns Hemmungen wurden davon nicht geringer.
Ellen Ionu, die immer nett zu ihm war, wagte er nicht anzusprechen. Sie wurde von der ganzen Straight l-Crew angehimmelt. Darunter waren — wie Glenn meinte — viel attraktivere Männer als er.
Die jüngere Babs erschien ihm auf Grund ihrer Arroganz unerreichbar. Damals, als er vor einem Jahr einen „Mannkiller-Bronco“ zugeritten hatte, den vor ihm keiner schaffen konnte, war sie zu ihm gekommen und hatte gelächelt und ihm gratuliert. Wie man einem Torero gratuliert, der den Superstier geschafft hat. Mehr nicht. Danach wurde sie wieder so wie sonst, und er war Luft.
Ellen beschäftigte ihn, als er zusammen mit den anderen auf die Ranch ritt. Er dachte noch an sie, als Harry Scott schon sein Pferd zügelte und die anderen auch anhielten.
Glenn sah zum Haupthaus, suchte das Fenster vom Zimmer der beiden Mädchen, aber niemand sah heraus. Auf dem Hof war es still wie in einer Gruft. Nur von den Corrals her schmetterte das Wiehern eines Hengstes.
„Es sieht aus, als hätten sie über ihre Burg den Kriegszustand verhängt, was?“, meinte Harry Scott.
Deville kaute sich nervös auf den Lippen herum, und Overback sagte trocken: „Vielleicht sollen wir diese räudigen Hundesöhne ans Licht befördern.“
Da öffnete sich die Tür, und einer aus Ionus Mannschaft kam heraus. Waffenlos. Es war ein älterer Mann, der auf der Ranch die Stellmacher und Schmiedearbeiten ausführte.
„Wer ist das?“, fragte Harry Scott zu Glenn gewandt.
Glenn erklärte es ihm.
„Er heißt Bob. Sie sagen Old-Bob zu ihm“, fügte er noch hinzu.
„Was wollt ihr?“, rief der Alte mit brüchiger Stimme.
„Ich will mit deinem Boss ein paar Worte sprechen. Ruf ihn!“, erwiderte Harry Scott.
Doch da trat Ionu schon selbst hinter dem Alten hervor, schob Old-Bob zur Seite und baute sich schwer und massig vor der Tür auf.
Glenn beobachtete gleichzeitig, wie sich das Küchenfenster am Anbau etwas öffnete und dort ein Gewehrlauf auftauchte. Er wollte seinen Vater gerade warnen, als Stratz schon rief: „Hallo, Rancher, sieh zu, dass der mit dem Gewehr da drüben verschwindet!“
Ionu verzog sein bulliges Gesicht, schielte nach links und machte eine Handbewegung. Der Gewehrlauf verschwand.
„Sie sind also im Bilde, Mr. Ionu?“, begann Harry Scott. Ionu nickte nur. „Ich denke, wir könnten uns in Ruhe unterhalten. Ich hege im Augenblick nur friedliche Gedanken, Rancher.“
Ionu schwieg noch. Aufmerksam beobachtete er alle Männer. Als er Glenn erkannte, hob er die Brauen, sagte aber nichts. Erst nach einer Weile gab er auf Harry Scotts Vorschlag eine Antwort.
„All right, fangen Sie an!“
Harry Scott saß ab.
„Versorgt die Pferde, Jungs!“, rief er seinen Männern zu. „Wir bleiben bis Mittag hier.“
„Sie haben keine Einladung dazu, Scott!“, grollte Ionu.
„Nein? Na, in einer Viertelstunde denken Sie da ganz anders, Rancher. Glenn, mein Junge, du kommst mit mir!“
„Ich habe nicht die Absicht, mit ihm auch zu reden“, erklärte Ionu böse.
„Sie vielleicht nicht, aber er. — Komm, Glenn!“
Glenn saß ab, gab Stratz die Zügel seines Cayusen und ging hinter seinem Vater her. Als sie Ionu gegenüberstanden, erschien der Glenn als gar nicht mehr so mächtig und unerschütterlich wie noch . gestern. Zum ersten Male sah Glenn den Rancher als einen Mann, der schwache Seiten hatte. Vor allem als einen, der Harry Scott nicht gewachsen war. Die Unsicherheit, die Ionu Harry Scott gegenüber zu verbergen suchte und hinter einem grimmigen Gesicht versteckte, fühlte Glenn deutlich.
„Wir wollen uns nicht stehend unterhalten, Rancher“, sagte Harry Scott lächelnd. „Gehen wir also ins Haus. Meine Jungs draußen passen auf, dass uns niemand stört.“
Glenn schaute über die Schulter zurück. Das Bild draußen hatte sich gewandelt. Stratz stand mit lässiger Haltung neben der Pferdetränke. Seine Hände schwebten wie eine ständige Drohung über den Revolverkolben seiner glänzenden Waffen.
Overback hielt die Pferde. Aber er stand dabei so, dass er jederzeit seine Springfield aus dem Scabbard ziehen konnte. Der Alte war darin viel schneller, als mancher ahnte.
Deville hatte sich auf den Brunnenrand gesetzt und „rein zufällig“ lag ein Buntline-Revolver mit dem langen Lauf neben ihm. Es sah aus, als würde er ihn nach einer Überprüfung dort hingelegt haben.
Burt Corners stand weiter links, so ungefähr dem Küchenfenster gegenüber, aus dem vorhin der Gewehrlauf ragte. Vor Corners lagen zwei Ballen gepresste Rinderhäute. Sie würden im Notfälle eine erstklassige Deckung abgeben.
Überhaupt standen oder saßen sie alle so, dass sie sofort Deckung hatten. Und das war es wohl auch, was Harry Scott mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte.
Ionu hatte es begriffen. Er ging voraus und führte die Scotts in das Zimmer, das er als Büro benutzte. Auf dem Boden lagen neue Ketten, zwei neue Sättel, einige Kartons mit Drahtkrampen, zwei Brenneisen mit dem Straight I-Brand, eine Enthornungszange und allerlei anderes Gerät herum. Auf dem klobigen Tisch häuften sich Preislisten. Auktionsberichte und anderes mehr. Ionu ließ sich dahinter nieder, schob einige Briefe zur Seite und deutete auf die schweren Eisenholzstühle.
„Fangen wir also an“, sagte er.
Harry Scott ließ sich nieder, gab Glenn aber einen Wink, schräg hinter ihm stehenzubleiben.
„Wir sind gekommen, wie Sie wissen, Mr. Ionu, die Geschichte endlich einmal richtigzustellen, was Ihren Sohn Phil angeht.“
„Ich kenne keinen Sohn Phil“, erwiderte Ionu schroff.
Unbeirrt fuhr Harry Scott fort: „Mir liegt natürlich an einer gütlichen Regelung. Ich bin von Miss Ryder beauftragt, die Sache für sie zu bereinigen. Erschwert wird die Geschichte durch einen Mord, zu dem Sie Ihren Vormann Roy und einen Cowboy namens Ron beauftragt hatten ...“ Ionu verfärbte sich. Sein bulliges Gesicht wurde mit einem Male schlaff. Er brauchte Sekunden, um sich zu fangen, aber bevor er sich richtig gefasst hatte, sagte Harry Scott ernst: „Es war ein Fehler, Ihren Vormann auch noch loszuschicken, dass er mir eine Kugel gibt. Mr. Ionu, das ist eines Mannes wie Ihnen nicht würdig. Und wie ich sagte, das erschwert unsere Absicht, mit Ihnen fair und glatt über die Runden zu kommen.“
„Das ist eine Lüge! Wer hat Ihnen diesen Unsinn ...“
Eine jähe Handbewegung Harry Scotts stoppte den Rancher.
„Wir wollen uns nicht wie Zirkuspferde benehmen. Sie wissen, dass es stimmt, und ich weiß es noch besser. Hören Sie also auf, sich wie ein Kind zu betragen, das einen Dime gestohlen hat! Es geht jetzt um Miss Ryder und den Jungen. Er ist mittlerweile zehn Jahre alt. Zeit für ihn, dass er seinen Vater kennenlernt. Zeit auch für den Vater, dass er den zukünftigen Rancher sieht.“ Ionu schnappte vor Erregung nach Luft. Sein Gesicht lief blau an. Doch Harry Scott ließ ihn nicht zum Reden kommen. Lächelnd fuhr er fort: „Aber das mit der Ranch wollen wir beizeiten regeln. Damit dieser Junge auch seiner Zukunft sicher ist, werden Sie schon in diesen Tagen, am besten schon morgen, klare Verhältnisse schaffen. — Mr. Ionu, ich bin mit klaren Vorstellungen zu Ihnen gekommen. Erstens werden Sie dem Jungen die Ranch überschreiben. Von seinem zwanzigsten Lebensjahr an wird er sie bewirtschaften ...“
„Das ist doch ...“
„Ruhe! Das ist alles richtig. Ihre Frau, Sie und Ihre Töchter werden angemessen entschädigt. Vor allem Ihre Frau, und die Mädchen. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, werde ich hier auf dieser Ranch als Ranchboss bleiben, bis der Junge volljährig ist, um die Ranch selbst zu führen. So will es Miss Ryder. Ich habe ihren schriftlichen Auftrag in der Tasche, beglaubigt von Richter Keith. Das ist der Mann, der gegen Sie in Kansas einen Haftbefehl erlassen hat.“
„Nie!“, schrie Ionu. „Nie mache ich das mit! Nie!“ Seine Adern im Gesicht waren gefährlich angeschwollen, sein Atem ging stoßweise. Und Glenn meinte, den schwergewichtigen Mann müsse in jedem Augenblick der Schlag treffen. Plötzlich aber gewann er die Fassung wieder und sagte leise: „Das, Scott, das tut Ihnen noch mal leid, sich in fremde Sachen eingemischt zu haben. Sehr leid tut Ihnen das noch.“
„Sie dürfen ruhig Mister Scott sagen, Rancher. Ich schätze Vertraulichkeiten gar nicht. Und nun zu meinem Sohn. Wie ich also hörte, hat er bei Ihnen für zwanzig Dollar im Monat gearbeitet. — Ich nenne so etwas plumpe Ausbeuterei. Da er noch nicht mündig war, als er bei Ihnen seinerzeit anfing, muss ich als sein Vater um eine kleine Nachzahlung bitten. Sagen wir — ich will nicht unbescheiden sein — sagen wir also tausend Dollar. Das zahlen Sie ihm jetzt nach.“
Ionu lachte bösartig.
„Hoho, ich werde mich kratzen, Mister Scott!“
Bevor Harry Scott antworten konnte, ging die Tür auf. Glenn hatte den Revolver schon halb heraus, als er sah, dass es Mrs. Ionu war, die da hereinkam. Eine zierliche Frau mit einer noch immer unvergangenen Schönheit im Gesicht. Ihr dunkles Haar war an den Seiten leicht ergraut, doch sonst wirkte Mrs. Ionu jünger als sie war. Nur blass war sie, und Glenn, der sie selten so nahe gesehen hatte, spürte, dass sie krank sein musste.
„Was schreist du so?“, fragte sie und sah ihren Mann vorwurfsvoll an. Dann wandte sie sich Harry Scott und Glenn zu. Harry Scott verbeugte sich leicht und grüßte mit der Höflichkeit eines Gentleman. Glenn grüßte auch, aber bei ihm fiel es viel eckiger und ungelenker aus.
„Mein Name ist Scott, Madam, Harry Scott. Und dies ist mein Sohn Glenn, den Sie sicher kennen werden.“
„Ja“, sagte sie und musterte Glenn leicht verwundert. „Ich entsinne mich. Er gehört doch zur Mannschaft meines Mannes.“
„Er gehörte, Madam. Ihr Gatte war so freundlich, ihn gestern hinauszuwerfen, weil er nicht zugeben wollte, dass sein Vater ein Mörder sei, wie Ihr lieber Gatte behauptet hatte.“
Ionu schwieg. Er sah nur seine Frau an und lauerte auf die Gelegenheit, wo er das Konzept endlich in die Hand bekommen konnte. Man sah ihm nicht an, dass er seine Frau in diesem Augenblick an alle Ecken des Kontinents wünschte, nur nicht in diesen Raum.
„Aber, aber lieber Mr. Scott, das hieße ja, dass Sie ein Mörder ...“
„Sagt nur Ihr lieber Gatte, Madam. Nur er hat das behauptet. Ich aber bin hier, um mit ihm darüber zu verhandeln ...“
„Stop! Das ist nicht die Sache meiner Frau!“, protestierte Ionu.
Harry Scott lächelte sanft und sah Ionu an.
„Ich denke aber doch, Mr. Ionu. Also dann weiter, Madam! Ich bin also hier, um mit Ihrem Mann zu klären, was aus der Frau und ihrem Sohn werden soll, die er unglücklich gemacht hat. Miss Ryder, das ist die Dame, möchte nicht mit ihrem Kinde hungern, während der Vater des Jungen hier so tut, als sei nichts geschehen.“
Mrs. Ionu wurde blass. Sie sah sich um und entdeckte den zweiten Stuhl. Etwas schlaff ließ sie sich nieder und starrte dann wieder entsetzt auf Harry Scott.
„Und ... und was soll werden?“
„Miss Ryder, die den Jungen zehn Jahre aufgezogen hat, möchte wenigstens in Zukunft für Phil etwas Sicherheit haben. Er ist ein Junge, und er ist ein tüchtiger kleiner Bursche. Ihr Mann wird ihm die Ranch hier überschreiben. Er wird ferner ...“
„Nichts werde ich!“, schrie Ionu. „Scheren Sie sich zum Teufel, Mister Scott!“
„Ali! Diese Ausdrücke!“, mahnte Mrs. Ionu erschrocken.
„Er will mich erpressen. Er ist ein Revolvermann, nicht mehr!“
„Ich bin kein Revolvermann, Madam. Aber ich bin ein Mensch, der nicht zusieht, wie ein satter Bursche wie Sie, Mr. Ionu, die einfachsten und niedrigsten Menschenpflichten missachtet. Hätten Sie auch diese Kraft, einen Mann zum Narren zu halten, wie Sie es zehn Jahre lang mit Miss Ryder getan haben, die Sie ins Unglück gestürzt haben, Mr. Ionu? Hätten Sie den Mut, so etwas mit mir zu machen?“
Mrs. Ionu sah ihren Mann entsetzt an. Vielleicht wünschte sie sich im Moment sehnlichst eine gnädige Ohnmacht. Doch nichts dergleichen geschah. Sicher kannte Mrs. Ionu die ganze Geschichte, aber nur so, wie ihr Mann sie ihr dargestellt hatte. Und seiner Ansicht nach wollte man ihm das Kind nur unterschieben. Er hätte nie etwas mit einer Miss Hirunda Ryder gehabt, so lautete seine Ansicht.
„Der Junge ist nicht meines Mannes Sohn!“, rief sie empört.
„Wollen Sie den Jungen sehen, Madam?“, fragte Harry Scott lächelnd. „Er sieht nicht nur aus wie Ihr Mann, er ist auch sein Sohn. Ich will Ihnen weitere Beweise ersparen. Aber es steht fest, dass Ihr Mann tage- und nächtelang intimer Gast in Miss Ryders Haus war. Dafür gibt es mehr Zeugen, als Ihrem Mann lieb sein kann. So viele, dass ein Gericht in Kansas gegen ihn Haftbefehl erlassen hat. Leider ist das in Wyoming nicht vollstreckbar. So, verehrte Mrs. Ionu, sieht die Wirklichkeit aus.“
„Ali, Ali, was hast du nur getan?“, rief sie erschüttert. Und dann kam die befreiende Ohnmacht doch noch. Sie sank auf ihrem Stuhl zusammen. Harry Scott sprang zu ihr, und Ionu kam mit einem urigen Schrei hinter seinem Tisch hervor.
In diesem Augenblick krachte draußen auf dem Hof ein Schuss. Glenn hörte Schritte vor der Tür und drehte sich um, zog den Revolver, und während er sich noch von Ionu und seinem Vater abwandte, fiel wieder ein Schuss, diesmal dicht vor dem Fenster.
Glenn zuckte herum und sah gerade noch, wie sich Ionu mit verzerrtem Gesicht an die Brust fasste, wie er neben dem Schreibtisch ächzend zusammenbrach und Harry Scott verblüfft auf Ionu starrte. Erst dann sah Glenn zum Fenster, entdeckte, dass es plötzlich offen stand, bemerkte aber niemanden draußen. Er lief hin, sah auf den Hof und gewahrte unweit des Fensters Stratz, der eben einem Cowboy aus Ionus Mannschaft den Revolver in den Rücken drückte. Der Cowboy ließ seinen Revolver fallen und Stratz sagte: „Dreh dich um, du Schuft!“
Da sah Glenn das Gesicht des Cowboys. Ein unbekanntes Gesicht. Er hatte diesen blonden Mann mit dem kleinen Schnurrbart noch nie in der Crew gesehen.
Glenn drehte sich um, weil er es seinem Vater sagen wollte, doch Harry Scott bemühte sich um Ionu, der hinter dem Tisch am Boden lag. Mrs. Ionu war auch noch ohnmächtig.
„Junge, hilf mir, er lebt noch! Trommle alle zusammen, wir brauchen Verbandszeug. Es sieht aus, als hätte er das Ding dicht neben dem Herzen.“
Eben kam Mrs. Ionu zu sich. Sie blickte zur Seite, gewahrte den verletzten Rancher und schrie gellend auf. Glenn rannte zur Tür, riss sie auf und prallte mit dem Alten zusammen, der sie vorhin empfangen hatte.
„Los, schnell, Verbandszeug!“, schrie er den Alten an, der ihn bestürzt ansah.
Nun kam der Koch, der früher einmal Ionus Vormann gewesen war, jetzt aber infolge eines Unfalles ein Holzbein hatte. „Verbandszeug, rasch!“, schrie Glenn, hastete voraus zur Küche, wo immer Handtücher hingen. Doch der Koch blieb in der Tür stehen, und als sich Glenn umdrehte, um zurückzulaufen, sah er die Parker in den Fäusten des Kochs. Der ledergesichtige Mann sah ihn drohend an.
„Nein, Kleiner, jetzt ist das Spiel schlimm ausgegangen. Nun geht nichts mehr. Heb sie hoch!“
„Wir müssen Mr. Ionu verbinden!“
„Ihr hättet ihn besser nicht erst angeschossen“, sagte der Koch bissig. Er drehte sich halb um. ohne das Gewehr mitzuschwenken. „Old-Bob, kümmere dich um den Rancher. Ich habe diesen Jungen unter Kontrolle. Jeff und Rep sind schon an der Tür.“
„Wir haben Mr. Ionu nicht erschossen“, sagte Glenn und hob noch immer nicht die Hände.
„Nein?“, höhnte der Koch. „Und wenn schon, aber wir werden beweisen, dass es auf euch geht. Denk dir nur, Kleiner, wir sind ja auch nicht blöd. Wenn du Narr nicht auf die Idee gekommen wärst, mit deinem verdammten Alten mitzureiten, wäre ja alles ganz anders ausgegangen für dich. Nun heb sie endlich hoch, sonst muss ich noch abdrücken. Hast du schon mal gesehen, wie es ist, wenn einer eine Ladung Schrot in den Bauch bekommt?“
Glenn hob die Hände. Der Koch, der schon immer ein einsilbiger und brutaler Bursche war, seit ihm vor sechs Jahren ein Wagen über das Bein gerollt ist. dieser Mann würde wirklich schießen. Das sah ihm Glenn an. Aber er begriff nicht, was hier gespielt wurde. Er verstand es auch noch nicht, als draußen auf dem Hof eine wilde Schießerei losbrach.
In diesem Augenblick drehte sich der Koch um, senkte die Parker und wollte einen Schritt neben den Türpfosten machen. Glenn entdeckte schräg vor sich ein schweres Küchenbrett. Er ergriff es, holte aus und schleuderte es nach dem Koch. Das dicke Brett traf den Mann in die Hüfte und riss ihn um. Mit einem Sprung war Glenn bei ihm, hatte die Parker und ließ den fluchenden Mann einfach liegen. Er stürmte den Gang vom Küchenanbau ins Haus, doch da tauchte vor ihm eine Gestalt auf. Ein Mündungsblitz blendete Glenn, aber er spürte keinen Einschlag. Irgendwo neben ihm pochte das Blei ins Holz.
Glenn riss die Parker hoch und drückte ab. Er hörte einen schrecklichen Schrei vor sich, sah die Gestalt zusammenbrechen und vernahm, wie eine Männerstimme rief: „Old-Bob, verdammt, wo steckst du?“
Einen Augenblick lang stand Glenn wie gelähmt. Er sah den Mann unweit vor sich am Boden. Der Verletzte schrie auf, dann wimmerte er unter furchtbaren Schmerzen. Noch nie hatte Glenn auf einen Menschen geschossen. Aber er war von diesem Manne beschossen worden und hatte ganz automatisch reagiert. Doch jetzt, als er sah, wie ein von einer Parker getroffener Mensch aussieht, überkam ihn ein Schauder des Entsetzens.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Im ersten Impuls wollte er dem Verletzten helfen. Doch gleichzeitig warnte ihn sein Instinkt vor der Gefahr, die überall im Haus auf ihn lauerte.
Doch da sah er seinen Vater aus dem sogenannten Büro Ionus kommen. Harry Scott ging leicht gebeugt und presste sein Halstuch an den linken Oberarm.
Während Glenn noch wie erstarrt dastand, blieb Harry Scott vor dem jetzt reglosen Manne am Boden stehen, sah ihn an und wandte sich dann Glenn zu.
„Danke, Junge, er war drauf und dran, mir mein Lebenslicht auszuhusten. Ich glaube, er braucht keine Hilfe mehr. Wo steckt der Koch?“
Glenn deutete über die Schulter zurück, blieb aber stehen. Er sah, wie Blut zwischen dem Halstuch am Arme seines Vaters herauslief. Und er schaute dann wieder wie gebannt auf das schrecklich verzerrte Gesicht des Mannes, den er erschossen hatte. Er wusste, dass er dieses Gesicht und den Schrei vorhin nie mehr vergessen konnte. Die Angst, etwas Furchtbares getan, und gleichzeitig der Trotz, sich wie selbstverständlich gewehrt zu haben, beschäftigte ihn.
Sein Vater trat neben ihn.
„Es ist vorbei, Junge, wir müssen nur noch den Koch suchen. Da sind wir vielleicht in ein Wespennest geraten!“ Er ging weiter, und Glenn blickte noch einmal auf den Toten, dann wandte er sich um und folgte seinem Vater.
In der Küche fanden sie den stöhnenden Koch. Das Brett musste ihn ziemlich hart erwischt haben, denn er konnte noch immer nicht aufstehen. Harry Scott suchte ihn mit einer Hand nach Waffen ab, dann sagte er zu Glenn: „Hilf ihm irgendwo in ein Bett! Dieser und die anderen Hundesöhne hatten es sich ja fein ausgerechnet.“
Glenn verstand trotzdem noch nicht, was sich der Koch ausgerechnet haben sollte. Es war ihm jetzt auch völlig egal. Er schleppte den ächzenden Koch in eines der Zimmer, legte ihn auf eine Pritsche und ging dann wieder seinem Vater nach, der auf den Hof trat.
Draußen waren nur noch Stratz, Deville und Corners. Der alte Overback lag neben den Pferden. Reglos. Sein Gesicht war vor Blut kaum zu erkennen.
„Was ist mit Mark?“, fragte Harry Scott, aber die Antwort stand eigentlich schon in den Gesichtern der anderen.
„Ende. Er war sofort tot, Kopfschuss.“ Deville, der früher immer mit Overback gestritten hatte, zeigte den größten Kummer um den toten Gefährten.
Harry Scott ging langsam zu Overback hinüber, kauerte sich neben ihn und sah ihn lange an.
Glenn fragte sich, wo denn die Gegner alle sein mochten. Doch als er sich umdrehte, sah er sie. Es waren drei. Einer lag gefesselt dicht an der Hauswand in der gleißenden Sonne. Der andere, Old-Bob, war am rechten Bein verletzt und lehnte mit dem Oberkörper gegen die Wand. Der dritte lag reglos. Tot.
Es war vorbei. Aber was geschah mit Mrs. Ionu, mit Ionu selbst, und wo steckten die Mädchen?
Harry Scott erhob sich und kam zurück. Als habe er Glenns Gedanken erraten, sagte er: „Komm, du kannst mich verbinden! Ich muss mich um Mrs. Ionu kümmern. Sie hat ein schwaches Herz. Komm, Junge!“
„Und die Mädchen? Wo sind die Mädchen?“
Harry Scott lächelte müde, als er die Aufregung seines Sohnes bemerkte.
„Die sind nicht da. Sie sind schon vor unserer Ankunft mit einem Buggy nach Wendover gefahren. Aber das kläre ich noch. Komm jetzt!“
Sie gingen wieder in das Zimmer, wo Ionu sein Büro unterhielt. Wieder sah Glenn im Vorbeigehen den Mann, den er erschossen hatte. Er kannte ihn nicht, obgleich der Mann auf seinen Chaparals den Straight I-Brand trug. Auch von denen draußen hatte Glenn nur Old-Bob erkannt. Die beiden anderen waren ihm fremd.
Im Büro lag Ionu mehr als das er saß im Sessel. Seine Frau stand wachsbleich neben ihm, Tränen rannen ihr übers Gesicht, und gleichzeitig versuchte sie mit fahrigen, zittrigen Bewegungen die Brust des Verletzten zu verbinden.
Glenn entdeckte ein Tuch und nahm es, um seinem Vater den Arm zu verbinden. Er sah die schwärzlich rote Wunde, aus der es nur so herausrann.
„Straffer!“, sagte Harry Scott, als Glenn den Verband um den Arm wand. Glenn blickte kurz ins Gesicht seines Vaters und erschrak über die Härte, die sich ihm da offenbarte. Harry Scott verbiss sich die Schmerzen, und sein hageres Antlitz wurde dabei zur Grimasse. Als Glenn das Tuch verknotete, löste sich die Spannung in Harry Scotts Gesicht, und er sagte: „Nun zu Mr. Ionu. Bring jetzt die Tücher aus der Küche, Glenn!“
Glenn holte sie und kam damit zurück. Mrs. Ionu hatte sich wieder gesetzt. Sie wirkte wie eine Leiche in ihrer schauerlichen Blässe. Aber sie sprach kein Wort. Mit vor Schreck weit geöffneten Augen starrte sie zu ihrem Mann hinüber, um den sich Harry Scott bemühte.
Ionu war bei Sinnen. Er stöhnte nicht, er wimmerte nicht. Aber er kniff in seinem Schmerz die Lippen zusammen, dass sie wie ein weißer Strich wirkten.
„Das Ding sitzt nicht so tief, wie ich dachte“, sagte Harry Scott. „Sie wissen sicher jetzt, Mr. Ionu, dass Sie da eine Bande Schweinehunde an Ihrem Busen genährt haben. Die hatten es nicht gerade freundlich mit Ihnen vor. Dass ich mit meinen Jungs unterwegs war, hat sie ermutigt loszulegen. Mir hätten sie’s dann in die Schuhe geschoben. Haben Sie Whisky im Haus?“
„Ja“, sagte Mrs. Ionu leise. „Dort im Schrank!“ Sie wies auf das selbstgebaute Schrankmonstrum hinter Ionu.
Glenn ging hin, öffnete die Tür und sah mehrere Flaschen. Er nahm eine volle heraus, entkorkte sie und hielt sie seinem Vater hin. Der goss etwas davon über Ionus Wunde. Ionu schrie vor Schmerz wie ein Tier auf. Dann hielt Harry Scott ihm schon die Flasche an den Mund.
„Trinken!“ Und Ionu trank. Er schluckte, als sei es pures Wasser. „Mach die Kerosinlampe an, Glenn!“, sagte Harry Scott. „Und besorg mir einen dünnen Draht! Einen, der nicht verrostet ist!“
Glenn ging hinaus in die Küche und fand dort ein paar Armlängen Draht, an denen der Koch seine Tücher über dem Ofen trocknete. Als er ihn Harry Scott brachte, kniff der ein Stück davon ab, hielt es in die Flamme der Lampe und bog dann an der Spitze einen engen Haken. Danach ließ er Ionu wieder trinken. Schon war fast die halbe Flasche leer. Er bot auch Mrs. Ionu davon an, doch die zuckte angewidert zusammen.
„Führ sie hinaus!“, sagte Harry Scott zu Glenn.
„Nein! Nein! Ich bleibe bei ihm!“, rief sie spontan.
Harry Scott holte ein Stück rundes Holz und steckte es quer in Ionus Mund.
„Zubeißen! Es wird wehtun, aber es ist Ihre einzige Chance.“
Dann führte er die Sonde in den Einschusskanal. Ionu, der gewiss kein Schwächling war, keuchte und schnaufte vor Schmerzen. Dann aber ließ er das Holz aus den Zähnen fallen.
„Zupacken, Glenn!“
Glenn drücke Ionu an den Schultern fest in den Stuhl. Ionu schrie plötzlich gellend auf, und dann brach sein Schrei ab. Harry Scott hatte die Sonde zurückgezogen und mit ihr das Projektil. Er hielt es auf der Hand und zeigte es Ionu. Doch der sah gar nicht hin, sondern röchelte wie ein Sterbender.
„Heiz das Ding auf, bis es glüht!“, sagte Harry Scott und gab Glenn den blutigen Draht. Glenn hielt ihn über die Flamme und sah zu Ionu hinüber. Aus dessen Brustwunde quoll heftig dunkles Blut.
Der Draht glühte, und Glenn gab ihn Harry Scott. Der hatte gerade die Holzrolle wieder in Ionus Mund geschoben.
„Halt ihn fest!“, sagte Harry Scott und wartete, bis Glenn hinter Ionu stand und ihn hielt.
Als der glühende Draht die Wunde ausbrannte, schrie Ionu noch einmal furchtbar auf, dann wurde er bewusstlos.
Dass dieses Ausglühen die einzige antiseptische Therapie war, die ihnen zur Verfügung stand, wusste Glenn, und bei ihm selbst war das schon oft gemacht worden, wenn er draußen auf der Weide, fern jeder menschlichen Behausung, verletzt worden war. Selbst eine leichte Verletzung am Stacheldraht barg die Gefahr in sich, eine Blutvergiftung zu bekommen und daran jämmerlich und unter Qualen einzugehen.
„So“, sagte Harry Scott zu Mrs. Ionu, die beide Hände vors Gesicht geschlagen hatte und weinte, „er schafft es. Hol zwei von den Jungs herein, Glenn! Wir tragen ihn auf seinem Stuhl zum Bett.“