Читать книгу Banditen und Revolver-Docs: Super Western Sammelband 9 Romane - Pete Hackett - Страница 14
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ОглавлениеGegen Abend zog McClellan mit seiner Mannschaft ab. Und die Crew der Straight I war noch immer nicht gekommen.
Deville saß unzufrieden und müde vor dem Haus. Corners schlief in der Bunk des Schlafhauses. Stratz lauerte wie ein hungriger Wolf im Haus herum. Er schien nur darauf zu warten, dass der Gefangene, der Mordschütze Clark, einen Fluchtversuch machen würde. Stratz lauerte überhaupt auf irgendetwas, das ihn zum Schießen veranlassen könnte.
Deville dachte ähnlich, wenn es ihm auch nicht so aufs Schießen ankam wie Stratz. Ihm vielmehr ging es um Gewinn, um Beute. Die ganze Geschichte missfiel ihm deshalb, weil Harry Scott seines Erachtens nichts unternahm, was hier irgendetwas einbrachte. Deville war gewohnt, Geld zu sehen, einen Erfolg, und war er noch so klein, direkt in Augenschein zu nehmen.
„Es läuft nichts“, grollte Deville mürrisch. Was ihn am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass sich Harry Scott mit den Ionus zu verbrüdern schien. Nein, mochte Scott vorhaben, was er wollte, so etwas passte Deville nicht. Er war für klaren Tisch. Die Ionus sollten zum Teufel gehen. Eigentlich konnte er diesen Kerl schon verstehen, der auf Ionu geschossen hatte, nur die heimtückische Art missfiel Deville.
Corners schlief und dachte gar nichts. Ihm wäre es sowieso völlig gleichgültig gewesen, was Harry Scott unternahm. Er war bereit, alles mitzumachen.
Harry Scott saß mit Mrs. Ionu bei dem verwundeten Rancher. Seit einer Stunde schon verhandelten sie. Dann gingen Mrs. Ionu und Harry Scott in Ionus Büro und verhandelten weiter. Was gesprochen wurde, wusste außer ihnen niemand. Und Harry Scott war dabei, sein Ziel zu erreichen.
Glenn wusste nicht, was sein Vater wirklich wollte. Er ahnte nicht einmal, dass Harry Scott ein Mann war, der nie ein Rancher und auch nie ein Ranchboss werden würde und wollte. Der Mann, den Glenn in ihm sah, war er nicht. Doch Glenn entdeckte solche Tiefen nicht an ihm. Er sah nur die Oberfläche. Ihm, dem komplizierte Gedankengänge fremd waren, der da ganz nach seiner Mutter geraten war, hätte auch nichts davon geglaubt, selbst wenn man es ihm auf den Kopf zu gesagt haben würde.
Jetzt saß er draußen am Corral auf den Stangen und schob seine Wache. In zwei Stunden etwa würde ihn Corners ablösen, und er konnte endlich schlafen. Todmüde blinzelte er in die Prärie hinaus, die jetzt am Abend von einem leichten Dunst bedeckt war, der vom Boden aufstieg. Es war empfindlich kühl geworden. Noch erinnerten die Nächte an das raue Frühjahr.
Glenn fragte sich, ob nun alles besser würde. Ob sein Vater wirklich diese Ranch führen konnte. Und er spann Träume, wie es wäre, wenn seine Mutter das noch erlebt haben würde. Aber dann entsann er sich auch dessen, was ihm seine Mutter und Mrs. Howard von seinem Vater erzählt hatten. Nichts daran war schmeichelhaft für Harry Scott. Nichts. Und so begriff Glenn den Widerspruch auch nicht, dass Mrs. Howard denselben Mann, den sie vorher verteufelt hatte, nachher wie einen lieben Freund bewirtet hatte.
Glenn dachte an die Töchter Ionus. Sie sollten beide in der Stadt sein. Er fragte sich auch, wieso er nie etwas von einem Verhältnis zwischen Roy und Babs gemerkt hatte. Dann Roys Anstiftung zum Mord an Ionu. Gewiss, Roy war nicht gerade ein Vorbild an Mensch, doch einen Mord? Glenn verstand das alles nicht, konnte nicht begreifen, dass er zwischen Menschen gelebt hatte, die Mord und Totschlag planten. In der Mannschaft und seitens des Vormannes.
Der einzige loyale Mann in Ionus Mannschaft schien der einbeinige Koch zu sein.
Die Mannschaft kam auch nicht. Vielleicht hatte Roy auch hier seine Finger im Spiel. Und dann diese beiden Burschen, die es mit seinem Vater hielten, Mike und Dave.
Eigenartig berührte Glenn die Tatsache, dass sein Vater den Eindruck machte, als erwarte er die Mannschaft Ionus gar nicht. Hätte er sich sonst mit einem Posten begnügt? Ja, es hatte sogar so ausgesehen, als wäre es ihm völlig egal, ob jemand Wache hält oder nicht. Nur der vorsichtige Deville wollte einen Posten haben.
Glenn überlegte noch, ob es überhaupt Sinn hatte, hier zu dösen. Eine Mütze voll Schlaf wäre ihm lieber gewesen. Und dann diese Langeweile.
Da sah er Stratz herankommen. Stratz, jünger als Glenn, ging wieder wie ein schleichendes Raubtier. Und ständig schwebten seine Hände in Nähe der Revolvergriffe.
„Hallo, es scheint nichts zu kommen, wie?“, sagte er mürrisch. „Stinklangweilig, das alles.“
„Hmm“, brummte Glenn und sah den Revolvermann an, der jetzt im Dämmerlicht klein und schmal wirkte.
„Wir hätten sie wegputzen sollen. Alle.“
„Warum, sie sind doch auch so fertig“, erwiderte Glenn, dem die Sache mit dem Erschossenen im Flur noch nachging wie ein Schatten.
„Es ist einfacher“, meinte Stratz und schlug sich wie zur Bestätigung an die Revolver. „Ich lasse nicht gerne Reste.“
„Reste?“, fragte Glenn verständnislos. „Aber es sind doch ...“
Stratz lachte heiser. „Menschen, wolltest du sagen. Sicher, aber was für welche. Sie verraten ihren Boss, sie sind feige und killen von hinten. Dreck, Geschmeiß, das man ausrotten muss. Ein Mann kämpft von vorn und offen. Die aber waren wie Schlangen, wie Wolverine, die ihre Beute heimtückisch anfallen. Das sind keine Menschen.“
„Du bist sehr unruhig, Jim“, sagte Glenn verwundert. „Warum tust du es so gerne, ich meine, zu schießen?“
„Es ist mein Leben“, erwiderte er fanatisch. „Die Eisen, das Gefühl, sie in den Händen zu halten, und dann ... dann ...“
„Dann?“, fragte Glenn.
„Das verstehst du nicht“, entgegnete Stratz und wandte sich enttäuscht ab. „Es kann nur einer verstehen, der wie ich ein Künstler ist. Es ist eine Kunst, es ist eine Gnade, mit den Revolvern so umgehen zu können wie ich. Wie ein Arzt mit dem Skalpell.“
„Der Arzt versucht zu retten, du versuchst auszulöschen.“
„Ich sage doch, dass du es nicht verstehst. Aber dein Vater, Glenn, dein Vater wird es verstehen. Er hat es bestimmt auch so gefühlt, wie ich es fühle. Ah, es rieselt einem durch die Glieder. Es ...“
„Du bist verrückt!“, sagte Glenn belustigt, weil er diesen starren Blick des Fanatikers nicht im Dämmerlicht sah. Weil er nicht wusste, dass Stratz wirklich so empfand und besessen war von der Sucht zu schießen, zu siegen, zu messen, ob er immer stärker wär, schneller als sein Gegner. Glenn hatte solche Männer nie erlebt. In seinem Kreis gab es sie bislang nie. Er kannte Cowboys, solche und solche, in ihnen kannte er sich aus. Aber ein Mann, der schießen und den Umgang mit Revolvern Kunst nannte, der im Duell und damit auch im Töten womöglich Befriedigung fand ... nein, Glenn begriff das nicht. Gewiss hatte er schon von solchen Leuten gehört. Aber dass es sie auch gab; das wurde ihm erst jetzt zur Gewissheit. Er fragte sich, ob das nun alles so entscheidend war. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, ein Mann müsste den Mut zu einem unvermeidbaren Kampf haben, und er musste sogar in der Lage sein, sich seiner Haut bis zum Äußersten zu wehren. Aber war das eine Kunst?
„Ich habe schon zweimal gesagt“, erklärte Stratz, „dass du es nicht verstehst. Du bist wirklich nicht wie dein Vater. Eigentlich passt du auch nicht zu uns. Du machst so einen Spießereindruck. Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, dass du uns noch Kummer machen wirst. Ich denke das jetzt noch. Aber vielleicht weißt du auch noch gar nicht, was wir wollen.“
„Ich soll euch Kummer machen, aber warum denn?“, wunderte sich Glenn.
Stratz trat dicht neben die Stange, auf der Glenn saß.
„Du bist anders erzogen als wir. Du bist zwar ein Sohn von Harry Scott, aber mehr nicht. Du bist nicht wie er. Mir macht da keiner etwas vor. Mich hältst du für einen Verrückten. Deville für einen krummen Hund und Comers für einen Idioten. Gewiss, er ist ein Idiot. Und Deville ist krumm wie ein Hufeisen. Denk nur, ich wäre verrückt. Aber ich will dir auch von ihm, von deinem Vater etwas sagen: Wir alle sind ganz kleine Erdflöhe gegen ihn. Du denkst jetzt, er wäre bolzengrade und edel, dass es nur so trieft. Du hast ihn vorhin so angesehen, richtig stolz, so einen Vater zu haben. — Du dumme Spießerseele. Er ist ganz anders. Sicher kannst du stolz sein auf ihn. Aber nicht auf das, was du für fein hältst. Ich wollte, ich wäre sein Sohn. Aber du? Nein, du solltest dein Pferd satteln und wegreiten. Einfach ganz weit weg. Du bist hier auf dem völlig falschen Tanzboden. Hier nämlich, mein Junge, wird bald die Luft bleihaltig werden. Mann, ich wollte, es wäre endlich soweit. Aber dein Vater nimmt sich diesmal sagenhaft viel Zeit. Es gefällt mir nicht.“
„Ich verstehe kein Wort.“
Stratz lachte.
„Mann, du wirst bald Augen machen wie Pfannkuchen so groß. Dann hast du verstanden. Aber du solltest darauf nicht warten. Reite jetzt! Reite, und kehr nie mehr um! Du träumst sicher von Frieden, von einem Ranchboss, der Harry Scott heißt. Du Narr! Nimm dein Pferd und reite! Morgen ist es bestimmt zu spät. Morgen gehörst du wirklich zu uns, auf Gedeih und Verderb.“
„Verdammt, Jim, nun sag endlich, was wirklich gespielt wird! Ich begreife nichts!“
Stratz lachte leise.
„Frag ihn, frag ihn doch, deinen Vater! Vielleicht sagt er es dir.“ Glenn rollte sich eine Zigarette und bot auch Stratz Tabak an. Aber der lehnte ab. „Deinen getrockneten Pferdemist rauch besser selber. Hier, nimm mal diesen!“ Er hielt Glenn seinen Tabaksbeutel hin. Glenn griff zu und steckte seine Zigarette übers linke Ohr.
„Warum soll ich wegreiten, Jim?“, fragte Glenn. „Ich habe vorher wie ein Hund gelebt, und jetzt ...“
„Hör mal, Glenn, du darfst nicht alles so sehen, wie es im ersten Moment den Anschein hat.“ Er gab Glenn Feuer und zündete seine eigene Zigarette an. Eine Weile schwiegen beide, dann meinte Stratz: „Dein Vater ist kein kleiner Fisch. Keiner, der sich mit Kleinvieh abgibt. Wenn Harry etwas macht, dann bereitet er es monatelang vor. Das hier hat er vorbereitet. Ein Strich war falsch. Er konnte nicht voraussehen, dass in dieser Mannschaft ein paar Rebellen sind, die einen kleinen dreckigen Coup vorhatten. Nun, Old Mark Overback hat dieser Irrtum das Leben gekostet. Schade, jammerschade. Doch jetzt ist alles glatt. — Nimm dein Pferd und reite!“
„Ich habe die Aufgabe, hier zu wachen.“
„Zu wachen? Wartest du auf deine Freundin?“
„Die Mannschaft der Straight I und Hattkinson ...“
Stratz lachte.
„Hattkinson vielleicht, aber nicht die Mannschaft. Ich sagte dir doch, dass Harry alles monatelang vorbereitet. Es kommt keine Mannschaft mehr. Reite hinaus zu den Herden, dort ist sie. Wie immer. Keiner von den Boys hebt eine Hand gegen Harry. Im Gegenteil, Glenn, ganz im Gegenteil.“
„Das begreife ich nicht.“
Diesmal lachte Stratz nicht. Ruhig sagte er: „Kannst du auch nicht. Aber dein Vater hat vorgesorgt. Wir sind schon eine Weile in dieser Gegend. Und einige aus der Mannschaft arbeiten mit uns. Die Jungs der Straight I sind alle mehr oder weniger unzufrieden. Ionu hat zu schlecht gezahlt. Nur weil er die Mannschaft auch im Winter behält, sind sie ruhig.“
„Ich habe nie gemerkt, dass jemand unzufrieden war.“
„Vielleicht haben sie es selbst erst gemerkt, als ihnen Harry sagte, dass sie von ihm von jetzt an den Lohn bekommen. Viel mehr als vorher. Sie sollten nur weiter ihre Herdenarbeit bei Ionu tun, sonst nichts. Das tun sie auch.“
„Mit mir hat nie einer von euch gesprochen oder einer aus der Mannschaft.“
„Nein, das sollte auch keiner, und sie haben sich daran gehalten, wie ich sehe. Im Gegenteil, sie haben sogar gehetzt. Dein Vater wollte dich dort weghaben. Du solltest zu uns kommen. Aber es war keine gute Idee. Gar keine gute.“
„Warum seid ihr ausgerechnet zu Ionu gekommen?“
„Weil Harry vor einiger Zeit Hirunda kennengelernt hat. Es sieht aus, als wollte er sie heiraten. Hoffentlich überlegt er es sich noch mal. Dass du auch gerade bei Ionu bist, hat Harry den letzten Anstoß gegeben. So ist das also.“
„Und was wird weiter?“
„Wir werden hier ein großes Fass aufmachen, mein Junge. Ein riesiges Fass, und Gold wird herauslaufen, massenhaft viel Gold. Dieses County ist reich. Und die Stadt auch. Man muss die Kuh melken, wenn Milch da ist. Hier ist welche.“
Glenn gab es einen Stich.
„Ist das alles wahr, was du sagtest?“
Stratz trat seine Kippe aus und lachte leise.
„Ich sagte doch, du solltest reiten!“
Glenn kletterte von der Stange und sagte: „Bleib du einen Augenblick hier, ich werde mit meinem Vater reden. Ich will es von ihm hören.“
„Vielleicht lässt er dich gar nicht mehr weg, Glenn. Du musst nicht denken, dass ich ihn schlecht machen will, aber es könnte sein, dass er dich wirklich nicht mehr gehen lässt.“
Glenn zögerte. „Ich glaube nicht, dass er und ihr Banditen seid.“
Stratz hob abwehrend die Hand.
„Banditen! So ein Wort. Wir sind Leute, die gerecht denken, die nicht wollen, dass die einen alles und die anderen nichts haben. Du wirst sehen, es gibt bald in diesem County weder Arme noch Reiche. Wir nehmen den Reichen und geben den Armen. Wir sind die letzten Ritter in diesem verdammten Kontinent.“
In Glenn war Misstrauen erwacht. Er glaubte solche Phrasen nicht. Er hatte überhaupt ein recht merkwürdiges Gefühl.
Ohne noch etwas zu sagen, ließ er Stratz stehen, der leise vor sich hin lachte, und ging auf das Haupthaus zu. Deville lehnte an der Wand und schnarchte. Als Glenn an ihm vorbeiging, zuckte Deville zusammen und knurrte irgendetwas, schlief dann aber weiter.
Glenn blieb in der Tür stehen und sah sich um. Gerade war der Mond aufgegangen, und sein silberner Schein fiel auf die frisch aufgeworfenen Erdhügel hinter dem Bunkhouse. Overback ruhte hier einträchtig neben den anderen Toten.
Doch dann erschrak Glenn. Er sah fünf Erdhügel. Und alle sahen sie aus, als hätte man sie erst heute aufgeworfen. Vorhin, als Overback und die beiden anderen begraben worden waren, gab es diese beiden anderen Hügel nicht.
Glenn sah, dass Deville wieder aufgewacht war. Er streckte sich, gähnte und sah sich dann nach Glenn um.
„Na“, maulte er, „ich denke, du schiebst Wache?“
Glenn mochte den schnurrbärtigen Mann nicht. Seine verkniffene Art war wirklich so, dass man ihn als krumm wie ein Hufeisen bezeichnen konnte.
„Jim ist vorn“, erwiderte Glenn knapp.
Deville stand auf, reckte sich wieder, und kam die Stufen hinauf.
„Dein Alter wird auch nicht fertig mit denen da drin ...“
„Wieso sind es jetzt fünf Gräber?“, fragte Glenn.
Deville gähnte. „Na und?“
„Vorhin waren es nur drei.“
„Du passt eben nicht gut auf, mein Kleiner. Der eine Verwundete ist gestorben. Und der Gefangene wollte auch nicht mehr leben.“ Er lachte abfällig.
Glenn fuhr es kalt den Rücken herunter.
„Ihr habt ihn umgebracht!“
Deville lachte.
„Du Narr! Das hat er selbst getan. Wenn ich gefangen bin und weiß, dass draußen einer mit einem Gewehr steht und ich renne trotzdem aus dem Zimmer, bin ich dann nicht ein Selbstmörder?“
„Ich habe keinen Schuss gehört.“
„Dann wasch dir die Ohren!“
Glenn hatte keine Lust, sich solche Redereien anzuhören. Es war kein Schuss gefallen, er hätte es hören müssen. Aber Deville galt als Messerwerfer. Vielleicht ... Er konnte es sich nicht denken. Sein Vater brauchte doch diesen Gefangenen, weil er versucht hatte, Ionu zu erschießen. Nein, Deville würde das nicht gewagt haben.
„Du denkst ganz falsch, Glenn“, sagte Deville und lachte bissig. „Du gehörst zu denen, die immer falsch denken. Aber mit der Zeit kriegen wir dich schon auf Kurs. Geh ’rein zu deinem Alten und lass es dir erzählen! Es war Burt, und er hat auch geschossen. Das nächste Mal werden wir dich vorher um Erlaubnis bitten, du Kindskopf!“
Glenn hätte Deville am liebsten ins Gesicht geschlagen, aber er wandte sich nur um und ging ins Haus. Sein Vater saß hinter der Kerosinlampe in Ionus Büro. Allein. Er studierte Aufzeichnungen. die Ionu in seinem Verkaufsbuch gemacht hatte.
Als Glenn eintrat, sah Harry Scott kurz auf.
„Ach du bist’s? Komm ruhig ’rein und mach hinter dir die Tür zu! Setz sich dahin! Ich sehe mir gerade an, was Ionu so im Laufe der Zeit an Geld gemacht hat.“
„Draußen sind zwei frische Gräber hinzugekommen“, sagte Glenn und sah seinen Vater unverwandt an. Doch der las schon wieder, blickte dann aber auf und lächelte.
„Wirklich? Setz dich doch, Junge! Wir werden in Ruhe über alles reden.“
„Das hast du schon bei Mrs. Howard gesagt.“
Harry Scott lächelte nicht mehr. Eine leichte Zornesfalte stieg in seiner Stirn auf.
„So? Nun, dann tun wir es jetzt. Du bist sehr ungeduldig, mein Junge.“
„Ich will wissen, warum Corners den Gefangenen erschossen hat.“
„Erschossen?“
„Deville sagt es.“
„Es ist kein Schuss gefallen.“
Glenn nickte. „Ich habe auch keinen gehört.“
Harry Scott sah Glenn lange an, dann sagte er ernst: „Er wollte fliehen. Deville konnte ihn gerade noch abfangen.“
„Mit dem Messer!“
Harry Scott schwieg, aber es war für Glenn eine Bestätigung.
„Warum lügt Deville dann?“, fragte er.
„Du solltest solche Fragen nicht stellen, Glenn. Es ist nicht schade um diesen Burschen, der seinen Rancher ermorden sollte.“
„Aber Deville hat ihn ermordet.“
„Glenn! Dieser Bursche wollte fliehen. Deville hat nur getan, was du vorhin auch tun musstest. Sicher kann man hinterher leicht kritisieren. Aber vielleicht wäre Deville jetzt tot, wenn er ...“
Glenn unterbrach ihn.
„Er hätte es zugeben können. Aber er stritt ab, es getan zu haben und schob es Corners in die Schuhe.“
„Es ist nicht so wichtig.“ Harry Scott begann wieder, sich in die Aufzeichnungen zu vertiefen. Glenn wartete noch auf ein weiteres Wort, aber es kam nicht. Erst als er sich umdrehte und seine Reitstiefel auf dem Boden scharrten, sagte Harry Scott: „Glenn, ich wollte doch noch ein paar Worte mit dir reden. Setz dich!“ Seine Stimme klang sanft, aber Glenn spürte deutlich die leise Schärfe, die darin mitschwang. Es war eine Stimme, die keinen Widerspruch mehr dulden wollte. Etwas Bestimmendes, Unnachgiebiges.
Glenn gehorchte. Er setzte sich und wartete.
Harry Scott sah auf.
„Du lebst jetzt wie in einer anderen Welt. Ich will diese Ranch haben. Ich will sie haben. Nun weißt du es. Und für wen, glaubst du, will ich sie haben?“ Darauf gab Glenn keine Antwort. Er zuckte nur die Schultern. „Für dich! Für deine Zukunft.“
„Ihr seid also doch Banditen!“
Harry Scott lachte nicht, wie Stratz es getan hatte.
„Wir sind Banditen, sagst du? Hmm, manche nennen uns so. Andere sehen uns besser. Die armen Teufel zum Beispiel, denen wir helfen.“
„Stratz hat mir erzählt, Geld verteilen und so“, meinte Glenn spöttisch.
„Es ist etwas an dir, Glenn, das mir nicht gefällt. Ein Zug, der mir schon an deiner Mutter nie gefallen hat. Du hältst dich für einen Ausbund der Tugend, nicht wahr? Irrtum, Glenn. Du bist nur falsch erzogen. Zum Sklaventum haben sie dich aufgepäppelt. Du bist ewig ein Nichts gewesen, ein Mensch, der immer tat, was andere wollten, dem sie sagen konnten, was ihnen Spaß machte. Und jetzt, ausgerechnet mir gegenüber, machst du dich zum Richter über Recht und Unrecht.“
In Glenn war etwas zerbrochen. Der Bann, der auf ihn noch vorhin gewirkt hatte, kam nicht mehr an. Er sah seinen Vater nun anders, auch wenn es Ionu war, den sie schädigen wollten. Aber das mit dem Kind, das hatte Harry Scott doch nur zum Schein vor.
„Du willst also die Ranch nicht dem Jungen geben, diesem Sohn von Ionu?“, erkundigte sich Glenn.
„Auf dem Papier, mein Lieber, nur auf dem Papier. Du wirst sie eines Tages erhalten, du!“ Er machte eine Pause und zog die Augenbrauen hoch. „Wenn du allerdings nicht spurst, dann ...“ Glenn wartete darauf, was „dann“ sein würde, aber Harry Scott sprach es nicht aus. Er versuchte es noch einmal, auf Glenn einzureden, erzählte ihm sogar, wie er diese Ranch und überhaupt das ganze County allmählich in den Griff bekommen wollte. Es war ein genialer Plan, aber eben der Plan eines Banditen, und Glenn sah im Geiste wieder frisch aufgeworfene Hügel. Vielleicht würde mancher anständige Mensch „auf dem Weg zum Ziel“, wie Harry Scott es nannte, sterben. Denn Harry Scott ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen Weg gehen werde und alles, was sich ihm entgegenstemmen wollte, niedertrampeln wollte.
Glenn schwieg dazu. Er ließ seinen Vater reden, der schließlich damit endete: „... wir werden vielen armen Menschen helfen, wenn sie dafür bereit sind, uns zu unterstützen. Aber wir werden auch an uns denken. Und alle, die hier im Lande mächtig geworden sind, haben zuerst den Weg freikämpfen müssen. Denk nur an die Eisenbahnen! Weißt du, wieviel Blut geflossen ist, bevor die Schienen lagen? Weißt du, wieviel Blut noch fließen wird, bevor der letzte Zug fährt? Junge, die Welt ist ein Kampf, und wer nicht kämpfen will und kann, geht unter. Du hast heute gezeigt, dass du ein Kämpfer bist. Nun werde nicht nervös. Ich verstehe ja, dass es dich mitnimmt, aber jetzt reiß dich zusammen und sei ein Kerl.“
„Ich möchte lieber hier weg, ich will nicht bei euch bleiben.“ Glenn sagte es fast mechanisch, ohne dass er es hatte sagen wollen.
Bis jetzt war Harry Scott geduldig geblieben. Doch nun fuhr er hinter dem Tisch hoch und zischte böse: „Du bleibst hier! Du gehörst jetzt dazu, und so halten wir es!“
„Du wirst mich nicht lange halten können“, erwiderte Glenn trotzig.
„Meinst du wirklich, Junge?“, fragte sein Vater drohend.
„Ich werde nun reiten.“ Er drehte sich um und ging zur Tür. Als er über die Schulter zurückblickte, stand sein Vater immer noch hinter dem Tisch. Doch als Glenn die Tür öffnete, rief Harry Scott: „Henry!“
„Soll er wieder das Messer nehmen?“
„Verdammt!“, grollte sein Vater.
Da stürzte Deville in den Flur. „Harry?“
„Er will weg! Halt ihn fest!“, rief Harry Scott.
Glenn sah Deville kommen. Der zögerte, weil es ihm wohl doch nicht gleich war, wen er da aufhalten sollte. Harry Scott schien ebenfalls nicht so skrupellos zu sein, um den Revolver gegen den eigenen Sohn zu ziehen.
Glenn sah seinen Vater an.
„Ich will weg, und irgendwann komme ich sicher weg. Ich bin nicht dein Feind. Ich werde weit weg irgendwohin reiten, wo keiner unseren Namen kennt. Weiter nichts.“
„Gut, reite!“, erklärte Harry Scott und gab Deville einen Wink. Der trat zur Seite und ließ Glenn vorbei. Kaum klappte hinter Glenn die Haustür zu, sagte Harry Scott: „Henry, er ist anders als wir. Reite ihm nach und bleib so lange hinter ihm, bis du sicher bist, dass er wirklich einen weiten Ritt macht!“ Deville nickte nur. Harry Scott schien doch Bedenken zu haben und sagte noch: „Du sollst ihn nur beobachten, sonst nichts. Dann kommst du wieder.“
„Und wenn er Mätzchen macht?“, fragte Deville raukehlig.
„Dann bringst du ihn mir wieder.“
Deville brummte etwas Unverständliches, dann ging auch er.