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Wir bezogen gegen 19 Uhr Stellung vor der Wohnung Lesley Claytons. Um 20 Uhr 30 verließ die aufgestylte Blondine das Haus. Sie stieg in ein Taxi, das eine Minute vorher vorgefahren war. Das Yellow Cab fuhr zur Park Avenue und dann nach Norden, vorbei am Central Park und hielt beim Central Park North vor einer Kneipe, über deren Tür in Leuchtbuchstaben ‘Royal Flush‘ zu lesen war.

Ich suchte eine Parklücke in der endlos anmutenden Reihe der abgestellten Autos und quetschte den Buick zwischen einen Laternenmast und einen Pick-up.

Lesley Clayton bezahlte den Cabby und stieg aus. Sie schaute sich um, dann stöckelte sie in die Bar.

„Aha“, sagte Milo. „Da schafft die Möchtegern-Sexbombe also an. Scheint ja nicht gerade ein Nobelschuppen zu sein.“

„Vielleicht hat sich hier auch Tom Hooker verkrochen“, murmelte ich.

„Geh‘n wir einfach mal rein“, meinte Milo, öffnete die Tür und schwang sich vom Beifahrersitz nach draußen.

Das Taxi hatte sich bereits wieder in den fließenden Verkehr eingereiht. Lesley Clayton war in der Spelunke verschwunden.

Auch ich stieg aus und verschloss den Dienstwagen. Es war noch hell. Aus der Bar drang gedämpfter Lärm. Die Leuchtbuchstaben über der Tür waren noch eingeschalten. Sie sahen schmutzig aus von den Abgasen.

Zu beiden Seiten der Tür waren große Fenster, die fast bis auf den Boden reichten. Allerdings waren sie von innen verschlagen und mit glitzernden Stoffen drapiert. Große Fotos von Stripperinnen, die in dem Laden mal gearbeitet hatten, waren an den Holzwänden angeheftet, die den Blick in die Bar verwehrten.

„Ich geh hinten rein“, sagte ich zu Milo.

„Gut. Ich warte zwei Minuten.“

Einige Kerle schoben sich an uns vorbei und verschwanden in der Bar.

Ich lief in den Hinterhof und betrat durch den Hintereingang das Haus. Das dumpfe Gebrodel aus der Bar wies mir den Weg. Ich passierte die Toilettentüren, sah eine Treppe, die sich ins Obergeschoss hinaufschwang, und trat schließlich ein.

In der Bar waren die Lichtverhältnisse wohl immer dieselben. Egal ob es draußen Tag war oder Nacht. Die Gestalten an den Tischen muteten schemenhaft an, rötlicher Schein von den indirekten Lichtanlagen ringsum lag auf den Gesichtern und ließ die Augen seltsam schillern.

Über die Hälfte aller Tische waren noch leer. An der Bar gab es große Lücken zwischen den Gästen. Ein Riese stand am Ende des Tresens und hatte seine Pranken auf der polierten Platte liegen. Bei ihm stand Lesley Clayton und redete auf ihn ein. Er schien nur mit halbem Ohr hinzuhören.

Ich ließ meinen Blick zur Vordertür schweifen und sah Milo das Lokal betreten. Weder er noch ich erregten Aufmerksamkeit. Einige kurzberockte Wesen mit freizügigen Ausschnitten lümmelten an der Theke herum und unterhielten sich. Eines dieser hübschen Girls lief mit einem Tablett voll leerer Gläser an mir vorbei und schenkte mir ihr strahlendstes Lächeln.

Plötzlich wies der Muskelprotz mit der mächtigen Billardkugel auf dem Hals, an die sein kahler Schädel erinnerte, zur Hintertür und sagte etwas.

Lesley Clayton ließ den Glatzkopf stehen und kam direkt auf mich zu.

Wenn sie mich jetzt sah, dann war alles umsonst. Also wandte ich mich schnell ab und trat wieder in den Flur hinaus, verschwand blitzschnell in der Herrentoilette. Die Tür ließ ich einen Spalt breit offen, so dass ich Lesley beobachten konnte.

Sie kam in die Düsternis des Treppenhauses. Ohne zu zögern stieg sie die Treppe hinauf. Oben hörte ich verschwommen die Türklingel. Gleich darauf erklang eine männliche Stimme, dann das Organ der wasserstoffblonden Lady.

Die Stimmen entfernten sich, und ich nahm an, dass die beiden in die Wohnung gegangen waren.

Eine Tür klappte. Dann war es oben still.

Ohne lange zu überlegen schlich ich die Treppe hinauf. Sie knarrte unter meinem Gewicht, und ich bewegte mich mehr an der Seite, wo die Stufen lagerten und die Spannung am geringsten war. Tatsächlich kam ich fast lautlos oben an.

Die Wohnungstür war zu. Und da es hier nur diese eine Tür gab, ging ich davon aus, dass die Wohnung das gesamte Stockwerk über der Bar einnahm.

Ich stieg hinauf zur zweiten Etage. Hier gab es zwei Wohnungen. Ich wartete auf dem Treppenabsatz. Auf den ersten Blick konnte man mich von der Tür aus, hinter der sich jetzt Lesley Clayton mit einem Mann befand, nicht sehen. Und mit etwas Glück würde ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite haben ...

Meine Geduld wurde auf eine ziemlich lange Probe gestellt. Ich schickte das eine um das andere Stoßgebet zum Himmel, dass mich nicht irgendein anderer Bewohner des Hauses hier auf der Treppe aufstöberte und anfing, Fragen zu stellen.

Ich war mir sicher, dass sich in der Wohnung in der 1. Etage Tom Hooker, der Killer befand. Und dieser Mann war brandgefährlich – tödlich gefährlich. Ein unbedarfter Wichtigtuer war beim Zusammentreffen mit ihm absolut fehlplatziert.

In der Wohnung näherten sich Stimmen der Korridortür. Deutlich konnte ich das keifende Organ der Lady vom rauen, aber wütenden eines Mannes unterscheiden. Die Tür wurde aufgerissen. Lesley Clayton war zu sehen.

Ich hörte sie keifen: „... bin ich deinetwegen wahrscheinlich meines Lebens nicht mehr sicher. Deine Antwort besteht lediglich in einem nichtssagendes Achselzucken. Du bist ein niederträchtiger Hurensohn, Tom. Einen wie dich müsste man schon nach der Geburt in die Mülltonne werfen.“

Ein sattes Klatschen war zu hören, ein schriller, gequälter Aufschrei erklang. Lesley taumelte ins Treppenhaus. Sie hielt sich die Wange. Tom Hooker setzte ihr nach. Er packte sie brutal an beiden Oberarmen. „Von mir aus rösten dich die Tompkin-Brothers auf einem Gasfeuerzeug, du dreckige Hure. Und wenn sie es nicht tun, dann mach ich‘s wahrscheinlich eines Tages. Eine wie dich ...“

Jetzt sah ich die Zeit für gekommen, in Aktion zu treten.

Ich zog die SIG und wirbelte um den Bogen des Treppengeländers, mit vier Sprüngen war ich unten. „FBI ...“

Mehr brachte ich nicht hervor. Meine Hoffnung mit dem Überraschungsmoment zerplatzte wie eine Seifenblase. Die drei Buchstaben hingen noch an meinen Lippen, da lag auch schon Lesley Clayton in meinen Armen. Eine Wolke süßlichen Parfümgeruchs stieg mir in die Nase.

Tom Hooker hatte ansatzlos reagiert. Er sah mich die Treppe herunterstürmen und schleuderte mir die Frau entgegen. Ihre Finger verkrallten sich in meiner Jacke und rissen sie mir ein Stück über die Schultern hinunter.

Ich versuchte mich von Lesley zu lösen, aber sie hing an mir wie eine Ertrinkende, und ich wusste nicht, ob es der Schock über mein plötzliches Auftauchen oder Berechnung war, um ihrem Lover die Flucht zu ermöglichen.

Aber der Schuft dachte gar nicht daran, die Fliege zu machen. Er stand plötzlich hinter Lesley. Aus dem Hosenbund auf seinem Rücken hatte er eine Kanone geangelt, und mit der schlug er jetzt nach meinem Kopf.

Ich stand dem Killer zum ersten Mal Auge in Auge gegenüber, aber ich hatte nicht die Zeit, mir auch nur einen einzigen Zug seines Gesichts einzuprägen. Ich hatte zu tun, seinem Schlag auszuweichen. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass die Pistole schmerzhaft durch meine Haare radierte, als ich instinktiv den Kopf einzog.

Ich versetzte Lesley einen Stoß. Um sie mit Samthandschuhen anzufassen war die Situation für mich zu brenzlig. In den Augen des Killers las ich den unumstößlichen Willen zum Töten. Lesley taumelte auf ihn zu, er fegte sie mit einer kraftvollen Armbewegung zur Seite. Ich schaute in die Mündung einer Automatic. Ehe Hooker aber abdrücken konnte, schnellte mein Bein hoch. Der Schuss löste sich, die Kugel fuhr schräg nach oben und hämmerte den Putz von der Decke. Kalkstaub rieselte nach unten. Im Treppenhaus klang die Detonation wie eine Explosion.

Meine Faust mit der SIG sauste nach unten. Ich spürte Widerstand. Hooker brüllte seinen Schmerz hinaus. Seine Pistole polterte auf den Boden. Er schlug blindlings mit der linken Faust nach mir und traf mich am Kinnwinkel. Mein Kopf wurde auf die Schulter gedrückt, ich sah Sterne. Und dann flog schon wieder Lesley gegen mich. Der Anprall brachte mich ins Straucheln, ich setzte mich auf die Treppe, die ich vor einer halben Minute etwa hinuntergesprungen war. Die blondgefärbte Lady fiel auf mich drauf – Tom Hooker verschwand in der Wohnung. Krachend flog die Tür zu.

Aus der Hintertür der Kneipe drängten Neugierige ins Treppenhaus. Milo hatte Mühe, sich zwischen den eng stehenden Körpern einen Weg zu bahnen. Simon Pollack, der Besitzer des Etablissements, folgte ihm auf dem Fuße.

Ich hatte mich der Lady entledigt und war aufgestanden. Milo und der schwergewichtige Glatzkopf hetzten die Treppe herauf. Lesley hockte auf der Treppe. Sie war bleich und zitterte. Ihre Frisur sah aus, als wäre der Habicht über sie gekommen.

„Tom Hooker?“, rief Milo fragend. In seiner Faust lag die SIG.

„Yeah.“ Ich bückte mich nach Hookers Waffe und hob sie auf. Dann schaute ich den Glatzkopf mit dem Sichelbart an. „Ist das Ihre Wohnung, Mister?“

Er nickte wie unter Zwang.

„FBI“, sagte ich. „Öffnen Sie. Aber treten Sie seitlich an die Tür ran. Womöglich verfügt Hooker über eine weitere Waffe.“

„Wer – wer hat geschossen?“, entrang es sich ihm.

„Ihr Freund Hooker!“, knirschte ich, und dann forderte ich ihn noch einmal mit Nachdruck auf, die Tür zu öffnen.

Er schloss auf, ich versetzte der Tür einen Stoß, der sie auffliegen ließ, zugleich zerrte ich den Glatzkopf zurück.

Milo und ich standen zu beiden Seiten der Tür, hatten jeweils die SIG in der Rechten, mit der Linken umklammerten wir das Handgelenk, um ihm beim Schießen Stabilität zu verleihen. Vor unseren angespannten Gesichtern deuteten die Waffen hinauf zur Decke.

Milo nickte mir zu.

Ich nickte zurück, wirbelte um den Türstock und kniete sofort. Milo erschien und rannte an mir vorbei, presste sich in eine Türnische und sicherte mit der SIG in den Flur.

Da vernahmen wir das Röhren eines schweren Motorrades. Und ich begriff, dass Tom Hooker nicht mehr in der Wohnung war. Ich schnellte in die Höhe, orientierte mich und hetzte zu der Tür am Ende des Korridors, warf sie auf und gelangte in einen Raum, dessen zwei Fenster zur Straße hinausführten. Eines dieser Fenster war hochgeschoben. Ich war mit drei langen Schritten dort und beugte mich hinaus. Etwa vier Meter unter mir waren der Gehsteig und die Straße.

Der Killer war einfach aus dem Fenster gesprungen.

Aus der Hofeinfahrt jagte ein Motorrad. Ich sah den schwarzen Helm mit dem herabgelassenen Visier. Es war der Mann, der Milo und mir vor der Pizzeria schon heißes Blei servieren wollte. Jetzt kannten wir auch seinen Namen, und zwar mit letzter Sicherheit.

Tom Hooker streifte mit seinem Knie fast den Asphalt, so sehr legte er sich in die Kurve, als er von der Einfahrt in die Straße einbog. Die Maschine bäumte sich regelrecht auf, als er Gas gab. Vier – fünf Meter raste die Suzuki nur auf dem Hinterrad dahin, dann fiel das Vorderrad auf die Fahrbahn zurück. Der Motor heulte auf wie ein hungriges Tier, als Hooker hochschaltete und die Kupplung sausen ließ.

Ich trat vom Fenster weg. Im Raum standen Milo und Simon Pollack. Der Glatzkopf hechelte: „Was um alles in der Welt geht hier vor? Hooker ist ein alter Bekannter, und er fragte mich, ob er einige Tage hier wohnen könne, da er aus seiner Wohnung hinausgeflogen sei. Wieso steht bei mir plötzlich das FBI auf der Matte?“

„Weil Ihr alter Bekannter Tom Hooker ein bezahlter Killer und es nun mal unsere Aufgabe ist, solche Typen aus dem Verkehr zu ziehen“, fuhr ihn Milo an.

Simon Pollack kratzte sich hinter dem Ohr und verriet jähe Unruhe.

Aber wir hatten gegen ihn nichts in der Hand. Dass er wissentlich einem Mörder Unterschlupf gewährte, um ihn dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen, konnten wir allerhöchstens vermuten.

„Passen Sie das nächste Mal besser auf, wen Sie in Ihrer Wohnung beherbergen, Mister“, riet ich ihm. „Sie könnten andernfalls mal mit ‘nem ernsthaften Problem konfrontiert werden.“

Als wir ins Treppenhaus zurückkehrten, war uns der bunte Schmetterling namens Lesley Clayton davongeflattert. Als sie ihren Schock überwunden hatte, baute sie ihren Abflug.

Und die Lady wusste auch, weshalb. Sie hatte den Killer gedeckt. Und das war, ist und bleibt strafbar.

Aber Lesley Clayton würde uns nicht davonlaufen.

Wir verließen das Gebäude und berichteten Mr. McKee aus dem Buick von unserem Schuss in den heißen Ofen. Ich hatte die Freisprechanlage auf laut gestellt, und so konnten wir beide hören, was der Chef zu sagen hatte: „Das sind Rückschläge, die immer wieder mal vorkommen, Jesse, Milo. Hin und wieder gewinnen die Gangster eben mal eine Schlacht. Aber den Krieg – den haben bisher am Ende immer wir gewonnen. Also stecken Sie‘s weg und bleiben Sie dran. Vergesst mir aber über allem nicht die Angelegenheit bei den US-Open.“

„Vorher werden wir sicher noch mal im Federal Building vorbeischauen“, meinte Milo. „Vielleicht haben wir bis dahin mehr und vor allem Erfolgreicheres auf der Pfanne, das wir Ihnen berichten können, Sir.“

Zu dieser Zeit hatten wir allerdings nicht den Hauch einer Ahnung, dass wir in dieser Nacht einen weiteren, bitteren Rückschlag erleiden sollten!

Mörder Nummer eins: 5 Krimis

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