Читать книгу Meine 13 hinterhältigsten Morde: Krimi Paket - Pete Hackett - Страница 19
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ОглавлениеSchwerfällig schob sich der lange Bus die Serpentinen hinauf. Noch eine kurze Strecke, dann ging es wieder etwas bergab in den Wald hinein.
Bill McCloud kaute an einem Sandwich, das ihm die dicke Frau gereicht hatte, die auf Henrys Sitz Platz genommen hatte. Henry war zur Zeit ganz hinten in der kleinen Bar des Busses und spielte den Mixer.
Im Bus war die Stimmung ganz groß. Nur Bill machte ein saures Gesicht. Die meisten seiner Fahrgäste hatten einen Schwips, und Mr. Webster feuerte alle an, noch mehr zu trinken. „Desto besser kommt der Karren den Berg hinauf, wenn ihr die Flaschen leer trinkt. Das ist unnötiger Ballast, hahaha!“, polterte er.
Die dicke Buchhalterin der Firma Webster & Lesser neben Bill nagte Erdnüsse. Sie schmatzte dabei, dass es selbst das dumpfe Motorbrummen übertönte. Bill hasste Menschen, die beim Essen schmatzten. Und das Sandwich, das ihm die Dicke gab, war mit zu stark gepökeltem Schinken belegt. Bill hatte Durst. Die Cola im Handschuhfach war lauwarm und schmeckte wie Baldrian. Im Bus war eine Affenhitze. Die Klimaanlage schaffte es bei der langsamen Bergfahrt nicht, den Alkoholdunst und die Wärme zu vertreiben.
Bill hoffte auf kühlere Luft, wenn er erst den Wald erreicht hatte.
Der Weg wurde schmaler. Schlaglöcher unterbrachen den Asphalt. Es wurden immer mehr. Und dann kam der Wald. Die Asphaltschicht ging in Schotter über. Bill legte fluchend den zweiten Gang ein. Langsam schaukelte das schwere Gefährt bergab.
Abwärts ging es. Auch als der Weg nur noch aus festem Lehm und Kies bestand. Doch die hohen Tannen und Laubbäume spendeten Schatten. Noch freute sich Bill darüber und lehnte sich nach Luft schnappend zum Seitenfenster hinaus. Dann sah er auf der Talsohle die Pfützen. Reste vom letzten Regen, von keiner Sonne erreicht und ausgetrocknet. Der Weg wurde weicher. Die hinteren Zwillingsreifen des Busses zogen Spuren. Tiefer wurden die Spuren, je weiter es in die Talsenke hineinging.
Bill legte wieder den dritten Gang ein und trat aufs Gaspedal. Das kannte er vom Kriege her. Dschungelstraßen in Fernost. Schlamm, Knüppeldämme, mit Vollgas über die Schrammstrecken. Bill musste sehr intensiv daran denken. Er überlegte, ob er anhalten sollte. Doch drüben schien es wieder bergan zu gehen. Dennoch entschloss er sich zum Halten.
Henry kam nach vorn. Die Dicke neben Bill fragte: „Ist ein Reifen kaputt?“ Hinten grölte jemand: „Na endlich, ich habe auch Hunger bis unter die Haarspitzen. Sind wir da?“
„Ich fahre nicht weiter“, erklärte Bill. „Durch den Schlamm komme ich womöglich nicht durch. Im Vertrag steht nichts davon, dass wir eine Geländefahrt machen sollen. Es steht nichts drin, dass dieser Bus ein Jeep ist. Also?“ Er sah Henry forschend an.
Henry zuckte die Schultern und wandte sich an Mr. Webster. „Sie sind doch schon hier entlanggefahren, Sir. Wie sieht die Strecke aus?“
Mr. Webster machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nach ein paar Yard weit ist Matsch, dann wird der Wald lichter, und außerdem geht es bergan. Kein Problem. Hier kommen wir prima durch.“
„Versuch es, Bill“, meinte Henry.
„Auf deine Verantwortung“, knurrte Bill und fuhr wieder an.
Die dicke Frau neben ihm fragte mit vollem Mund: „Wird es bald etwas aufregend? Ich liebe aufregende Fahrten!“
Webster knurrte eine Antwort, die Bill nicht verstand. Und Henry sagte: „Wir wünschen Ihnen und uns, Madam, dass Sie da enttäuscht werden.“
Die dicke Buchhalterin wurde aber keinesfalls enttäuscht. Einen Vorgeschmack bekam sie schon nach wenigen Minuten.
Bill, sonst ein erfahrener Fahrer, machte einen winzigen Fehler. Als die riesige Wasserlache kam, die den ganzen Weg bedeckte, vertraute er darauf, dass sie gleichmäßig tief war. Das war sein Fehler. Sie war links sehr viel tiefer, das Land war eingesackt. Und genau in dieses Loch geriet das linke Vorderrad des Busses.
Der Ruck riss Bill das Lenkrad aus den Händen. Er stoppte sofort, dass die Dicke und die übrigen Fahrgäste von den Sitzen rutschten. Nur so brachte Bill es fertig, dass der Bus nicht noch vom Weg geriet und in den Morast des Waldes rollte oder gar an einen Baum krachte.
Bill versuchte, mit dem Rückwärtsgang aus dem Loch herauszukommen. Es war sinnlos. Vorwärts war es gänzlich ausgeschlossen.
Schimpfend stieg er aus. Henry folgte ihm. Indessen versuchte Webster, seine Angestellten geordnet durch die hintere Tür aussteigen zu lassen. Zwei seiner männlichen Mitarbeiter schafften das nicht mehr. Sie hockten angeschlagen in ihren Sesseln und lallten unverständliche Worte. Teufel Alkohol hatte sie bereits ins Land der Träume entführt.
Bill wäre selbst nach Alkoholgenuss nüchtern geworden, als er dieses Dilemma sah, in das der Bus geraten war. Das Vorderrad saß bis zur Achse im Loch.
Ohne Rücksicht auf seine Kleidung stapfte Bill in die Lache und prüfte, welche Möglichkeiten da waren, den Bus wieder flott zu machen.
Dann holte er ein Beil aus dem Werkzeugkasten. Henry sah ihn fragend an.
„Nun glotz mich nicht so blöde an. Es ist deine Schuld, Henry!“, brüllte Bill. „Sag diesen Säufern, sie sollen Äste suchen, viele Äste! Das wird sie wieder munter machen! Und du nimm den Spaten und versuche, hinter dem Rad den Schlamm wegzuschaufeln!“
Der Weg war weich, und für einen so schweren Bus war er nicht gemacht. Während die Menschen Äste suchten oder bloß herumsaßen oder standen, sackte das linke Vorderrad mehr und mehr ab.
Vielleicht wäre alles gut gegangen, wenn Mr. Websters Vorschlag angenommen worden wäre. Er sagte nämlich in diesem Augenblick: „Kinder, regt euch nicht auf. Wir gehen zu Fuß, es ist nicht mehr weit. Nur noch eine Meile. Und Sie, Fahrer, kommen auch mit. Von meinem Haus aus rufen wir einen Abschleppwagen an, der macht den Bus wieder flott. Ich bezahle das schon, nur keinen Ärger, nur keine bösen Worte. Es kann im Leben immer mal was danebengehen.“
Sein Vorschlag fand wenig Gegenliebe. Die dicke Buchhalterin stöhnte gequält, als sie etwas von Fußmarsch hörte. Und die Alkoholleichen würden sowieso noch zwei Stunden benötigen, ehe sie fähig wären, zu Fuß zu gehen.
Immerhin waren ein paar junge Leute bereit, Mr. Webster zu folgen.
Bill jedoch protestierte. „Das könnte euch allen so passen, was? Abschleppwagen, wenn ich das nur höre! Der bleibt hier noch eher sitzen als ich. Und wie lange sollen wir darauf warten? Nix da! Ich brauche jede Hand. Ihr alle müsst mir helfen, den Bus herauszuschieben. Da ist keine Hand übrig. Nun mal ran.“
Sie schufteten wie die Besessenen. Äste und Zweige wurden auf dem Weg gepackt. Bill fällte mit seinem Beil kleine Stämme, astete sie ab und baute mit Henry einen Knüppeldamm. Dann konnte er endlich die Winde ansetzen.
So verflog die Zeit. Mit Dreck an den Kleidern, schweißgebadet machten sie eine Pause. Webster ließ die Whiskyflasche kreisen. Diesmal trank auch Bill davon. Dann wagten sie den ersten Versuch. Er misslang. Zwar kam der Bus aus dem Loch heraus, sackte aber, als er hinten wegrutschte, mit dem rechten Hinterrad neben dem Wege ein.
„Wir kommen hier nie raus“, meinte Henry. „Nicht allein. Wir sollten jemanden zum Telefon schicken.“
Bill dachte nur noch an Korea. „Das wäre ja gelacht!“, brüllte er. „Beim nächsten Male schaffen wir‘s bestimmt. Und dann fahre ich zurück, bis zu einer Stelle, an der wir wenden können.“
Die meisten Reisenden waren erschöpft. Doch Bill hatte jetzt das Zepter in die Hand genommen. Er kommandierte wie auf dem Kasernenhof. Es gab Streit, die Dicke wollte sich seinen Ton nicht bieten lassen. Aber Webster schlichtete. Dann arbeiteten sie weiter. Ein neuer Zwischenfall. Der alte Lagerist der Firma Webster & Lesser sank erschöpft in den Morast und fasste sich an die Brust.
Alles stürzte zu ihm. „Er hat einen Herzanfall!“, schrie seine Frau, die zuerst bei ihm angelangt war.
Henry kletterte in den Wagen, um die Apotheke herauszuholen. Doch da ging es dem Lageristen schon wieder etwas besser. Die Dicke schimpfte auf Bill, der ungerührt weiter mit seinen Baumstämmen hantierte, und Mr. Webster meinte: „Nun gebt ihm einen Schluck Wasser, er hat bestimmt auch zu viel getrunken.“ Schließlich konnte der Lagerist wieder stehen, und die Arbeit ging weiter.
Dann endlich gelang es Bill, den Bus flottzubekommen. Alle stiegen ein, Bill beugte sich aus dem Fenster und fuhr langsam rückwärts.
Auf der Uhr am Armaturenbrett war es kurz nach zwei. Noch sechs Stunden Zeit. Niemand wusste im Bus, was über ihm war. Niemand kannte sein Schicksal. Nur noch sechs Stunden.