Читать книгу Marshals und Coltkiller: Wichita Western Sammelband 9 Romane - Pete Hackett - Страница 18
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ОглавлениеZwei Tage waren vergangen. John Whiteman zügelte sein Pferd, das nicht mehr lahmte, auf dem Ufersaum eines schmalen Flusses, der fast ausgetrocknet und zu einem Bach, der in der Mitte des steinigen Flussbettes verlief, geschrumpft war. Äste, bleich wie Knochen, die irgendwann einmal angeschwemmt worden waren, lagen zwischen dem Geröll herum. Es war um die Mittagszeit und die Sonne stand hoch im Zenit.
Hinter Whiteman lag die Hölle der Felswüste. Er und das Pferd waren völlig ausgepumpt und am Ende. Die Wunde an seinem Oberarm war verkrustet und schmerzte kaum noch. Von seinen Verfolgern hatte Whiteman nichts mehr gesehen, aber er gab sich keine falschen Hoffnungen hin; Jim Hooker würde so leicht nicht aufgeben.
Der ausgelaugte Mann hob müde das rechte Bein über das Sattelhorn und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Das Tier setzte sich von selbst wieder in Bewegung und ging zu dem Rinnsal mitten im Flussbett, um zu saufen. Whiteman wankte hinterher, kniete am Rand des Baches nieder, schöpfte mit den zusammengelegten Händen Wasser und wusch sich Staub und Schweiß aus dem stoppelbärtigen, hohlwangigen Gesicht, dann trank er. Das Wasser schmeckte brackig, denn es hatte keine Strömung, dennoch führte es Whiteman neue Energien zu.
John Whiteman hatte keine Ahnung, wann die Felswüste endete und zivilisiertes, menschenfreundliches Terrain begann. Er war zum ersten Mal in dieser Gegend und wäre nie auf die Idee gekommen, diesen Weg zu wählen, wenn er nicht von seinen Verfolgern dazu gezwungen worden wäre. Seine Hoffnung, sie in der Wildnis abgeschüttelt zu haben, war groß. Und nun wollte John Whiteman nur noch raus aus diesem Fegefeuer von Hitze, Staub und totem Gestein.
Das Pferd löschte lautstark seinen Durst. Whiteman holte die Wasserflasche vom Sattel und füllte sie voll, hängte sie an den Sattel zurück und nahm ein Päckchen Pemmikan aus der Satteltasche. Kauend saß er schließlich auf einem kniehohen Felsbrocken. Seine Gedanken schweiften zurück und verharrten an jenem Tag vor vier Jahren, als er im Saloon in Dalhart mit dem alten Jason Hooker in Streit geriet. Er war angetrunken gewesen und wollte – warum auch immer – seinem Boss einen Gefallen erweisen, denn der damalige Besitzer der Bar H-Ranch war auf das Weideland Hookers scharf, weil es wie ein Keil in die Weidegründe der Bar H hineinragte.
Damals war noch Keith Finnegan der Sheriff des Dallam County. Finnegan hatte keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass es für ihn nicht Notwehr, sondern Mord war. Er, John Whiteman, hatte sich mit dem Colt in der Faust aus Dalhart verabschiedet, Texas verlassen und vier Jahre lang das unstete Leben eines Abenteurers geführt.
Schon tausendmal hatte er das Geschehen an jenem unseligen Tag in Dalhart bereut. Er konnte den alten Mann nicht mehr zum Leben erwecken, und er war damals wirklich der Meinung gewesen, in Notwehr zu handeln.
Er verdrängte diese Gedanken, schluckte den letzten Bissen Pemmikan, drehte sich eine Zigarette, und als er sie geraucht hatte, ritt er weiter. Das Land wurde wieder hügelig und die Vegetation üppiger. Und dann sah John Whiteman von der Kuppe eines Hügels aus die kleine Stadt am Ende der Senke und parierte das Pferd.
Es handelte sich um eine Ansammlung von Häusern, Schuppen und Stallungen, die ohne jede bauliche Ordnung errichtet worden waren. Um den Ort herum gab es Pferche und Koppeln, in denen die Nutztiere der Stadtbewohner weideten. Hinter der Ortschaft erhoben sich wieder hohe Berge, die durch den Dunst aber nur schemenhaft auszumachen waren.
„Hier werden wir schätzungsweise ein paar Tage bleiben“, murmelte John Whiteman und tätschelte den staubigen Hals seines Pferdes. „Du darfst dich in einem Stall ausruhen, erhältst prächtigen Hafer zum Fressen, und ich werde in einem richtigen Bett schlafen.“ Mit dem letzten Wort ruckte der mitgenommene Mann im Sattel, schnalzte mit der Zunge und das Pferd setzte sich in Bewegung.
Auf ein verwittertes Holzschild, das vor den ersten Häusern an einen Pfahl genagelt war, der am Wegrand stand, war der Name des Ortes gepinselt: Chapham. Whiteman nahm alle Eindrücke in sich auf, die sich seinem Blick boten. Die ganze Stadt mutete grau in grau an. Unter den Vorbauten und an den Gehsteigen hatten sich Tumbleweds verfangen, der heiße Wind trieb Staubwirbel über den großen, freien Platz zwischen den Häusern. Auf der einen oder anderen Fensterbank stand ein verbitterter Blumenkasten, in dem verstaubte Geranien ein kümmerliches Dasein fristeten.
Alles hier wirkte ärmlich, fast provisorisch, aber der Ort vermittelte Beschaulichkeit und Frieden.
Es gab einen Saloon. Sein Besitzer hatte ihm keinen Namen gegeben. Auf der großen Holztafel, die am Vorbaudach befestigt war, stand lediglich in großen Lettern das Wort ‚Saloon’. Am Haltebalken stieg Whiteman vom Pferd, schlang den langen Zügel lose um den Holm und zog seine Winchester aus dem Scabbard. Gleich darauf betrat er den Schankraum. Es roch nach Tabakrauch und verschüttetem Bier. An zwei Tischen saßen insgesamt fünf Männer, ein sechster lehnte am Tresen und hielt ein Glas Brandy in der linken Hand.
Stechende Blicke fixierten Whiteman, als er sporenklirrend zur Theke Schritt, sein Gewehr daran lehnte und an den Keeper gewandt sagte: „Geben Sie mir bitte ein Bier. Außerdem habe ich Hunger wie ein Wolf. Mein Pferd braucht einen Stall und ich ein Zimmer, in dem ich einige Tage ausruhen kann.“
„Ich kann Ihnen ein Steak braten lassen, den Platz für Ihr Pferd können Sie haben, außerdem ein Zimmer – vorausgesetzt, Sie können den Preis dafür bezahlen.“ Abschätzend musterte der Keeper, während er sprach, den verstaubten und verschwitzten und nicht gerade vertrauenerweckenden Fremdling.
Whiteman holte seine Brieftasche hervor, entnahm ihr eine Zehn-Dollar-Note und warf sie auf den Schanktisch. „Reicht das fürs erste?“
„Natürlich.“ Der Keeper nahm den Schein und fügte hinzu: „Ich veranlasse, dass Ihr Pferd einen Platz im Stall erhält und dass Ihnen meine Frau das Steak brät. Und jetzt schenke ich Ihnen ein Bier ein.“
Als Whiteman den Krug Bier in der Hand hielt, ging er damit zu einem der freien Tische und setzte sich. Weit streckte er die Beine unter den Tisch, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und trank durstig. Plötzlich rief einer der Männer am Tisch: „Kein vernünftiger Mann reitet freiwillig durch die Felswüste. Wer jagt dich, Fremder, weil du den Weg mitten durch diese Hölle gewählt hast?“
Whiteman richtete den Blick aus seinen entzündeten Augen auf den Sprecher. Es war ein Mann mittleren Alters, sein Gesicht war knochig, ein riesiger Schnurrbart verdeckte seinen Mund. „Geht dich das etwas an, Mister?“
„Gewiss. Wir achten hier in Chapham akribisch darauf, dass Ruhe und Frieden aufrechterhalten bleiben. Du siehst jedoch aus wie einer, der den Ärger anzieht wie das Licht die Motten.“
„Ich habe nicht vor, Ruhe und Frieden in eurem Ort zu zerstören. Ihr müsst auch nicht befürchten, dass ich vom Gesetz gejagt werde. Ich komme von Texas, genauer gesagt vom texanischen Panhandle herüber und wählte den kürzesten Weg nach Westen. Das dies ein Weg voller Unbilden und Strapazen sein würde, ahnte ich nicht.“
„Das kann ich kaum glauben“, versetzte der Pferdegesichtige. „Im Grunde meines Herzens interessiert es mich aber auch gar nicht. Du solltest nur wissen, Fremder, dass es in Chapham eine Bürgerwehr gibt, und dass wir jede Art von Verdruss, der in unseren Ort gebracht wird, im Keim ersticken.“
„Dann weiß ich ja Bescheid“, stieß Whiteman hervor und ein hartes Grinsen brach sich Bahn in seine Züge.
„Du solltest es dir zu Herzen nehmen“, sagte der andere mit Nachdruck im Tonfall.
„Du bist sehr freundlich, Mister“, murmelte Whiteman und sagte sich, dass er Chapham wohl sehr schnell wieder verlassen würde.