Читать книгу Blutsbande - Peter Horper - Страница 10
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Der Nachmittag verging mit Fragen, die ich mir stellte und die immer wieder bei der gleichen endeten: Wieso war das Mädchen so überzeugt davon, dass ihrer Mutter etwas zugestoßen war? War das ernst zu nehmen? War nicht die Haltung der Polizei viel nachvollziehbarer? Susan Maiwald war außer sich vor Sorge. Susan Maiwald wirkte nicht wie eine hysterische Göre, mit der ihre Hirngespinste durchgingen.
Ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich durch diese Grübeleien durch musste, um sie beenden und handeln zu können. Andererseits war es zu früh für Schlussfolgerungen. In dieser Phase ohne jede Unterfütterung mit Fakten mäanderten alle Theorien im leeren Raum dahin. Da war nichts zu ergründen. Mir fehlten alle Informationen. Alle! Da war nichts außer den Ängsten eines achtzehnjährigen Mädchens. Kein Anhaltspunkt, kein Startblock.
Karin rief an und wollte wissen, ob ich wüsste, wann denn Ines nach Hause käme. Ich wusste es nicht, was sie seltsam fand.
»Du lässt sie einfach so gehen?«
Ich war froh, dass ich solche in Fragen verpackte Vorwürfe nicht mehr beantworten musste. Dann rief Ines an und sagte, ich solle bitte Karin sagen, wenn sie anriefe, dass sie erst am Abend käme. Ich sagte ihr, sie solle ihr das bitte selbst sagen.
Um sechs Uhr holte ich den Wagen aus der Tiefgarage unter dem Motorama-Einkaufszentrum. Er war noch warm von der Tagschicht und die Sprituhr zeigte, dass ich erst mal an die Tanke musste. Während ich wartete, bis der Diesel eingelaufen war, funkte ich nach Hans, erwischte ihn irgendwo in Schwabing und verabredete mich um Mitternacht zur Pizza und zwei oder drei Blitzschachpartien.
Hans war mein Freund und Lieblingskollege. Hans war notorischer Single und gern mal unglücklich verliebt, hatte den messerscharfen Verstand eines Informatikers und die dazu gehörige fehlende Phantasie. Ich gewann jede Schachpartie, die wir ohne Zeitdruck spielten, und ich verlor jede Partie unter dem Druck der Schachuhr.
Karin hatte mal gesagt: »Du bist nicht dumm, aber langsam«. Und so recht sie hatte, ich war froh, es nicht mehr hören zu müssen.
Noch an der Tankstelle, ich hatte gerade die Rechnung unterschrieben, die mein »Besitzer« zu begleichen hatte, schlüpfte mir ein Pärchen auf die Rückbank.
»Hochleite, in den Biergarten.«
Knappe Ansage. Dann vergaßen sie mich.
Ich hatte die beiden eine halbe Stunde im Wagen. Die Grünwalder Straße war natürlich um diese Zeit verstopft. Die »Hochleite« war ein Biergarten, in den man nach Münchner Tradition sein Essen mitbringen durfte, allerdings nur in einen abgetrennten Teil. Im Rest des Gartens und im Gebäude wurde bedient, und die Harlachinger und Grünwalder Villenbewohner zahlten nicht zu knapp für ihre Mahlzeiten.
Ich war schon wieder weg, bevor ich sehen konnte, welchen Teil die beiden ansteuerten, stellte mich als einziges Taxi an die Bavaria Filmstudios und bekam nach kurzem Warten einen Stich zurück in die Innenstadt. Auch der Rest des Abends verlief ohne erinnerungswürdige Fahrgäste und ohne erwähnenswerte Trinkgelder. Kurz vor zwölf funkte mich Hans an. Er wartete schon im Nonstop und fragte, ob er für mich Pizza Funghi bestellen solle. Er sollte. Hans war meistens vor mir da, weil er grundsätzlich keine Zeit mit Parkplatzsuche verschwendete, sondern bedenkenlos auf dem Gehsteig parkte.
Ich fand einen Platz, einige Minuten zu Fuß vom Nonstop entfernt. Aber die paar Schritte taten gut. Als ich ins Lokal kam, winkte er bereits aus einer Ecke. Hans war immer leicht zu finden. Er war deutlich über eins neunzig und breit und blond wie ein Wikinger. Außer mir wusste niemand, dass er sein Haar färbte und dass er längst schlohweiß wäre. Wir berichteten uns bei unseren nächtlichen Treffen natürlich alles Erzählenswerte über die erste Hälfte der Nachtschicht, ich erfuhr aber auch das Wichtigste und Neueste seiner missglückten oder missglückenden Frauenbekanntschaften.
»Du bist ein Trödler!« begrüßte er mich. »Ich warte seit einer halben Stunde.«
Ich konnte ihn kaum verstehen, so laut war es um uns. Hier war alles, was nachts arbeitete und in der Bahnhofsgegend zu tun hatte. Dazu Gruppen von Jugendlichen, die ein später Hunger überfiel, Reisende, die auf einen Zug warteten oder auf jemanden, der sie abholte, Touristen, die in einem der nahe gelegenen Hotels abgestiegen waren, manchmal Polizisten, die sich Stärkung besorgten für die nächtliche Streife.
Eine große üppige Bedienung, die auch in einem Bierzelt eine gute Figur gemacht hätte, fluchte, weil sie fast über einen Rollkoffer gefallen wäre und fragte laut rufend, für wen denn nun das Weißbier sei, das sie noch in der Hand hatte. Das Nonstop war eines der nicht mehr so zahlreichen Münchner Lokale, die wirklich wichtig waren. Die Pizza kam. Ich erzählte kauend von meinem neuen Fall. Wir beschlossen, heute die Blitzschachpartien ausfallen zu lassen, aßen auf, zahlten.
»Komm, gehen wir raus!«, meinte Hans. »Hier ist es heute einfach zu laut.«
Wir schlenderten zusammen über die Bayerstraße, die allerdings nur wenig leiser war als das Innere des Nonstop. Hans war ganz bei meiner Geschichte.
»Warum ist das Mädchen so sicher?«
»Ich weiß nicht.«
»Glaubst du ihr?«
»Ich glaube schon.«
»Du glaubst, dass du ihr glaubst. Das klingt nach einer seriösen und systematischen Ermittlung!«
Hans’ Sarkasmus war meistens konstruktiv. Aber nicht immer.
»Ich werde bald mehr erfahren. Sie bringt mir eine Liste aller Bekannten und Verwandten und Freunde ihrer Mutter. Da wird sich dann schon ein Anhaltspunkt finden.«
»Hast du keine Ahnung, warum sie so überzeugt davon ist, dass ihrer Mutter etwas zugestoßen ist? Wirklich gar keine?«
»Nein, habe ich nicht. Noch nicht.«
»Ich weiß nicht, ob du den richtigen Job hast, Ludwig. Und ich meine nicht das Taxifahren. Denk doch mal nach!«
»Ich tu kaum etwas anderes.«
»Versetz dich in das Mädchen!«
»Hältst du das für eine leichte Übung?«
»Nein, aber für eine nötige. Ich denke, es gibt für sie keine schlimmere Vorstellung, als dass ihre Mutter wieder verschwunden ist, so wie damals, als sie ein kleines Kind war. Dass ihre Mutter sie noch einmal zurückgelassen hat, sich wieder aus ihrem Leben geschlichen hat. Vielleicht kann sie besser mit einer Mutter leben, die Opfer ist.«
»Westentaschenpsychologe!«
Wir standen vor meinem Taxi. Ich ließ Hans einsteigen, fuhr zurück zum Nonstop. Hans’ Auto stand auf dem Gehsteig neben dem Eingang.
»Ruf mich an!«, sagte er.