Читать книгу Blutsbande - Peter Horper - Страница 8

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II

Sie schlug die Augen auf.

Ihr erstes Gefühl war Kälte.

Das Kleid hatte ihr am Leib geklebt, sie erinnerte sich. Obwohl schon spät, war es noch warm gewesen, zu warm, keine Frische mehr, keine Abkühlung in den Nächten, aber hier war es kalt. Sie fror.

Plötzlich wieder der beißende Geruch aus dem Tuch. Mit welcher Kraft er es ihr ins Gesicht gepresst hatte! Keine Chance, ihn abzuwehren, nicht durch Schlagen und um sich Treten, nicht durch sich Winden. Es war eng im Wagen, und er war stark. Und sie so überrascht. Ihr leidender Verstand trieb ihr den Geruch von neuem in die Nase.

Erinnerungen sprangen sie an wie aus einem Hinterhalt. Das Fest im Ballsaal des Hotels. Susan war auch da gewesen. Sie war früher gegangen, weil sie müde war. Dann die Männer an der Bar. Hotelgäste. Bleiben Sie doch noch! Einer wollte tanzen. Immer wieder. Aber sie hatte genug von dem Tag und dem Abend und sie hatte genug getrunken. Dann der Vorschlag, sie nach Hause zu fahren. Er mache es doch gern, und es sei kein Umweg. Er war so freundlich gewesen. So freundlich wie immer. So wie sie ihn kannte.

Wo war sie? Warum war sie da, wo sie war? Warum hatte er das getan? Fragen, auf die sie keine Antworten wusste. Keiner da, um sie stellen zu können. Oder war da jemand? Beobachtete er sie? Nichts war klar, außer ihrer Hilflosigkeit. Sie lag auf einem Bett. Ihre Arme und ihre Beine weit gespreizt. Fixiert an massiven Bettpfosten. Sie versuchte, sich zu bewegen. Das Ziehen und Zerren erhitzte die Haut an ihren Gelenken. Ein grobes Seil, das ihre Haut zerreiben würde, wenn sie nicht aufhörte. Unzerreißbar.

Sie schrie. Sie schrie seinen Namen. Sie schrie um Hilfe, in der Hoffnung, dass irgendjemand sie hören konnte. Sie rief wieder seinen Namen, als diese Hoffnung schwand.

Die Angst wie ein Tier. Ihr eigenes Schreien hatte es geweckt. Die letzte der Fragen. Was würde er ihr antun? Es war ihr jetzt egal, dass sie sich verletzte. Ihr Körper bäumte sich auf. Sie riss mit den Armen an den Fesseln. Die Beine. Die Beine waren stärker als die Arme. Sie stemmte ihren Po fest in die Matratze. So fest sie konnte. Versuchte, die Beine anzuwinkeln. Die Stricke gaben nicht nach. Sie warf ihren Körper hin und her. Anfangs zielgerichtet. Bewegungen, die ihre Fesseln lockern sollten. Dann unwillkürlich. Dann geschah das Aufbäumen einfach. Dann Erschöpfung. Der Schmerz an ihren Gelenken. Sie blutete.

Sie hörte auf. Atmete wild, ihr Brustkorb pumpte. Lange lag sie so. Nur langsam gelangen ihr wieder Gedanken.

Irgendwann würde er kommen. Irgendwann würde sie das Warum erfahren. Nichts, absolut nichts konnte sie sich erklären. Sie musste warten. Auf ihn.

Seltsam, dachte sie. Betäubt, entführt, gefesselt, und nun liegt sie da und denkt. Fügt sich ihr Geist schon in die neue Lage, sondiert und erkundet, stellt Fragen, fügt sich in die Erkenntnis, dass sie jetzt nur abwarten kann, ruhig bleiben muss, nicht handeln kann? Ist der Mensch so? Ist Panik nur sinnvoll, wenn Flucht möglich ist und Angst die Beine schneller macht? Wie ein Wild, das vor dem jagenden Raubtier flieht, aber sich gefasst wendet und stellt, wenn es in die Enge getrieben ist.

Sie sah sich um. In ihrem eingeschränkten Blickfeld ein kahler grauer Raum im dämmrigen Licht einer einzigen schwachen Glühbirne an der Decke. Kein Fenster. Kein weiteres Möbel außer dem Bett, auf dem sie lag. Eine geschlossene Eisentür.

Es roch kalt und abgestanden und modrig. Es roch nach unter der Erde.

Sie war kein Wild, das fliehen konnte, und es war auch niemand da, um sich ihm zu stellen. Sie war erjagt und bereit gelegt. Eine Fliege, eingesponnen im Netz einer Spinne. Nun kam sie wieder angekrochen, die Angst. Nicht als Panik, wie nach dem Erwachen, sondern leise. Sie kroch überall hin.

Blutsbande

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