Читать книгу Blutsbande - Peter Horper - Страница 17
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Als ich mir am Abend das Taxi holte, regnete es in Strömen. Ein warmer sommerlicher Wolkenbruch. Kaum Menschen auf der Straße, nur ein paar Versprengte, die es nicht mehr rechtzeitig ins Trockene geschafft hatten und sich zu Hause als erstes die tropfenden Kleider vom Leib reißen würden. Ich stieg schon durchnässt in den Wagen, die Scheiben beschlugen, und ich mochte meinen Job nicht. Das Geschäft würde auch nicht brummen. Keine Laufkundschaft zu erwarten und immer wieder raus ans Telefon an den Taxiständen.
Ich hatte ein Riesenglück. Mein erster Auftrag war der medizinische Notdienst. Das hieß, einen Notarzt zu seinen nächtlichen Patienten fahren, im Wagen bleiben können, die Adressen über Funk erhalten, die Uhr ticken hören und Zeit zum Nachdenken haben.
Der Notarzt war eine Ärztin um die sechzig, ruhig, freundlich, aber wortkarg, und während sie bei ihren Patienten war, wanderte mein Geist zur Familie Maiwald. Dass in dieser Familie etwas Dunkles lag, war offensichtlich. Doch ob dieses Dunkle wirklich ein »Fall« war?
Ich trat auf der Stelle. Meine Gedanken kreisten nicht, sie kreiselten. Umschwirrten ein achtzehnjähriges Mädchen, das manchmal erwachsen wirkte, manchmal wie ein trauriges Kind.
Sie brauchte Hilfe, aber brauchte sie die von einem Privatdetektiv? Oder vielleicht eher von einem Freund, einem Seelsorger, einem Therapeuten?
Durfte ich diesen Auftrag annehmen?
Nachdem ich kurz vor Mitternacht die Ärztin nach Hause gefahren und mein Auftragsbuch ausgefüllt hatte, fuhr ich ins Nonstop. Diesmal fand ich tatsächlich einen regulären Parkplatz vor der Tür und war vor Hans da.
Ich bestellte Pizza, extrascharf für ihn, alkoholfreies Weißbier. Das Essen und Hans kamen gleichzeitig.
Wenn Hans reden und essen wollte, empfand er es als Zeitverschwendung, die Dinge zu trennen. Ich verstand ihn trotzdem. Er hatte allem Anschein nach kaum weniger über meinen Fall nachgegrübelt als ich.
Während er mit einem stumpfen Messer im Boden seiner Pizza herumsäbelte, erklärte er mir das Ergebnis seiner Überlegungen zu meinem Problem.
»Die Mutter nimmt ihre Auszeit. Das scheint sie zu brauchen. Bindungsunfähig.«
»Aha«, antwortete ich. »Das ist ja mal eine klare Analyse.«
»Keinen Sarkasmus, mein Lieber! Im Ernst, für mich gibt’s da keine andere Erklärung, die Sinn macht.«
»Ich hab das schon auch im Kopf. Allerdings noch nicht so abschließend wie du.«
Ich kaute nachdenklich und spülte mit dem Weißbier nach.
»Du hast das Mädchen nicht gesehen, Hans! Sie ist verzweifelt, und daran ist nichts aufgesetzt oder überspannt.«
»Das glaube ich dir. Doch das hat nichts mit den Fakten zu tun.«
»Wo sind denn da für dich Fakten?«
»Genau! Das ist es ja. Die Fakten fehlen. Die Mutter des Mädchens ist reich. Sie könnte entführt worden sein, aber dann gäbe es eine Forderung. Es könnte ihr etwas zugestoßen sein, aber dann wäre sie in irgendeinem Krankenhaus gelandet. Menschen, die verschwinden, wollen meistens verschwinden. Wenn man von den anderen Fällen in der Zeitung liest, dann deshalb, weil sie so selten sind.«
Hans ließ sich jetzt Zeit beim Sprechen. Aß, trank, redete und zwar hintereinander. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es ihm sehr wichtig war, verstanden zu werden.
»Mir tut die Kleine auch leid, Ludwig. Sie ist schon einmal in ihrem Leben von ihrer Mutter verlassen worden. So etwas ist tragisch und traumatisch.«
»Und die Mutter ist nun gewissermaßen vorbestraft und verdächtig. Wiederholungstäterin!«
»Höchstwahrscheinlich!«
Hans schob sich sein letztes Stück Pizza in den Mund. Ich wartete darauf, dass er weiter sprach.
»Und es gibt wahrscheinlich nichts, vor dem sich das Mädchen mehr fürchtet. Pest oder Cholera!«
»Erklär mir das!«
»Pest ist die grausam gemeuchelte oder entführte Mutter, die sie lieb hatte, Cholera die Mutter, die wohlauf ist, sich irgendwo mit ihrem Geld eine schöne Auszeit gönnt. Vielleicht hat sie irgendwo einen Lover, die Mutter, die kaum mal an ihre Tochter denkt und sich höchstens ein kleines schlechtes Gewisserchen macht.«
»Ein Gewisserchen! Du bist zynisch, Hans.«
»Nein, das bin ich nicht. Willst du einen Beweis? Frag mich, was ich an deiner Stelle täte!«
»Ok. Was tätest du an meiner Stelle?«
»Ich würde sie suchen. Ich kann ja Unrecht haben!«