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MUSIK DER GATTUNGEN VON DER SONATE BIS ZUM ORATORIUM

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Am Anfang der Musik steht das musikalische Staunen. Man stelle sich eine Welt ohne jeglichen Schmuck vor – vielleicht eine Szene aus der Urzeit des Menschen. Man ist auf die Sicherung der lebensnotwendigen Dinge beschränkt: Nahrung, Schutz vor Kälte, Nässe und äußeren Gefahren. Und da – inmitten des täglichen Überlebenskampfs – tritt etwas völlig Unnötiges und dennoch Erfreuliches auf: ein unerwarteter Klang – vielleicht der Gesang der Vögel in der Morgendämmerung, vielleicht nur der Klang einer Tonschale, an die ein Löffel schlug, oder ein spielendes Kind, das vor sich hin summte oder sang. Man horchte, hob den Kopf – vielleicht ein kurzes Lächeln, weil das Schöne in eine nüchterne und auf das Notwendige beschränkte Welt hineindrang. So – oder so ähnlich – kann man sich die Anfänge der Musik vorstellen.

Das Staunen in der Musik zeigt die Überraschung, dass es abseits des Nützlichen und Notwendigen eine Welt äußerer und innerer Erfahrung gibt, die das Leben erhellen und bereichern kann: die Erfahrung des Schönen und des Sinnvollen, etwas das unser Leben erhellen und in schweren Zeiten Trost schenken kann. Ähnlich wie in der Welt der Klänge gibt es auch in der Welt der Bilder dieses Staunen – etwa den »Trost der Bäume« (Günter Eich), den »erhebenden« Blick zum Himmel, die malerische Welt der Blumen und Blüten. Die Geschichte der Künste, die Dichtungen der Völker, die Mythen der Religionen – sie bezeugen, dass es jenseits des Zweckhaften und Nützlichen auch die andere Welt des Sinnvollen gibt. Nicht zuletzt in der Liebe.

Wahrscheinlich sind solche rückblickenden Fantasien in unserer Zeit gar nicht so leicht nachzuvollziehen. Denn wir haben Kunst und Kunstfertiges in jeder Menge und häufig sogar bis zum Überdruss um uns. In der Bilderflut, dem Wortschwall und der Musikberieselung der Gegenwart kann man sich das Staunen eher als Reaktion auf eine plötzliche Stille vorstellen. Auf jeden Fall verliert Musik – wie jede Kunst – ihren Zauber, wenn sie kein Staunen mehr erweckt. Vom Verlust dieses Staunens sind vor allem zwei Menschengruppen besonders bedroht: jene Menschen, die einer Dauerbeschallung – freiwillig oder unfreiwillig – ausgesetzt sind, und die Berufsmusiker. Sowohl der unbewusste als auch der bewusste Überfluss kann uns beschädigen.

Hinter uns liegt eine lange Geschichte der Klänge: von den frühesten Klangerfahrungen der Urzeit, die wir bestenfalls erahnen können, über die nur in Umrissen bekannte Musik der Antike, über die wenigstens bruchstückhaft in unsere Gegenwart herübergerettete Musik des Mittelalters – bis zu dem Schatz der neuzeitlichen Musik, der uns in Aufführungen und auf Tonträgern allgemein zugänglich ist. Jede Wiedergabe von Musik – außer der Uraufführung und der Improvisation – ist ein Rekonstruktionsversuch. Das gilt vor allem für die Musik des Mittelalters, auch für den gregorianischen Choral, aber umso weniger, je mehr wir uns der Gegenwart nähern. Die sogenannte Originalklangbewegung setzte etwa um 1600 ein und hat uns viele Erkenntnisse gebracht, wie und unter welchen Umständen Musik ursprünglich erklang.

Die primäre Art der Musik ist jedoch nicht die Reproduktion, sondern die Produktion – also entweder überhaupt die unwiederholbare Improvisation oder die durch stete Wiederholung eingeschliffene und nur wenig variierte ungeschriebene Komposition. Sie ist häufig auch eine kollektive Komposition – wie heute noch in manchen Bereichen der Volksmusik und im Jazz. Um es überdeutlich zu sagen: Gute Musik ist immer spontan – entweder weil sie gerade entsteht oder weil sie in der Wiederholung so kommt, als wäre sie gerade eben erst entstanden. Wie ja auch auf der Bühne ein Text so klingen soll, als wäre er dem Sprecher eben erst eingefallen. Das ist natürlich umso schwieriger, je weiter wir – zeitlich, örtlich und kulturell – von der Entstehung entfernt sind. Um die Überbrückung dieser Kluft geht es bei allem Bemühen um gute Musik – so auch in diesem Buch.

Das alles sollte dem Leser bewusst sein, wenn über die Geschichte der Musik und ihre Spiel- und Singweisen – die Gattungen – geschrieben wird. Das meiste jemals Musizierte ist für immer verklungen. Notiert wurde »erst« vor etwa 1000 Jahren – ungenau und nicht immer eindeutig. Auf Tonträger aufgezeichnet wird erst seit etwa 100 Jahren. Um Musik in ihrer Entwicklung zu verstehen, genügt es jedoch nicht, sie zu hören. Man sollte sich auch der Umstände bewusst sein, unter denen sie entstanden und erklungen ist: die Menschen, ihre Lebensumstände, ihre sozialen und kulturellen Verflechtungen, ihre Lebenswelten, ihre weltanschaulichen und religiösen Bindungen. Deshalb ist Musikgeschichte immer auch Sozial- und Kulturgeschichte. Zu welcher Musik man getanzt oder getrauert, geheiratet oder begraben hat, welche Lieder man am Feierabend, zum Tanz oder im Krieg sang, wie man zum Marsch, zum Triumph oder zum Tod geblasen hat – all das ist ebenso wichtig wie Instrumente, Partituren, Tempo- und Gattungsbezeichnungen.

Viele Musikgattungen haben ihre Bezeichnung nahe am Geschehen. Am deutlichsten ist es bei der Sonate (lateinisch: sonare/erklingen) und der Kantate (cantare/singen). Die Sonate ist ein Klangstück, die Kantate ein Singstück, gemeint ist Instrumentaloder Vokalmusik. Die Sinfonie steht für den Zusammenklang (verschiedener Instrumente), das Konzert für den Wettstreit (zwischen Instrumenten und/oder Solisten), das Oratorium verbindet Musik mit geistlichem Inhalt (orare/beten). Manche Bezeichnung muss man ausführlich herleiten (Ordinarium, die ordentlichen/gleichbleibenden Teile der Messe) oder sprachlich erklären (Toccata, italienisch: toccare/schlagen, bei Tasteninstrumenten). Bedeutungen haben sich verändert – von der einsätzigen Sonate der Frühzeit zur mehrsätzigen Sonate der Klassik.

Das griechische Wort für das gemeinsame Erklingen verschiedener Töne findet sich in der Sinfonie. Die frühe Sinfonia war daher ein Stück für ein Instrumentalensemble. Es diente oft als Einleitung für eine Oper oder ein Oratorium, wie eine Ouvertüre. In der Spätromantik war die Sinfonie ein mächtiges Orchesterwerk, das manchmal sogar mehr als eine Stunde dauerte. Einige Bezeichnungen irritieren beim ersten Hören: Canzone, Chaconne, Cantiones. Ist das ähnlich, gleichbedeutend oder total verschieden? Manches kommt aus fremden Sprachen – Anthem (Motette, Kantate), Voluntary (Präludium), anderes von alten Tänzen – Sarabande, Gavotte, Menuett.

Im Folgenden wird nicht versucht, all diese Gattungen sprachlich, inhaltlich oder historisch zu erklären, sondern sie werden von den Grundfunktionen der Musik abgeleitet. Denn einerseits ergeben sich aus der Erzeugung der Klänge (Spielen und Singen) und andererseits aus ihrer Anwendung (einzeln und gemeinsam, weltlich und geistlich) grundlegende Muster für das musikalische Geschehen:

1 Das Zusammenspiel und Gegenspiel der Instrumente

2 Das Spiel auf mechanischen, also Tasteninstrumenten

3 Das dramatische Zusammenspiel von Gesang und Instrumenten

4 Die Kunst des solistischen und chorischen Singens

5 Die spirituelle und religiöse Musik

Die wichtigsten Musiker im Portrait

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