Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 22

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Es war keine gute Nacht gewesen.

Ständig hatten herbstliche Wärmegewitter Düsseldorf umkreist. Donnergrollen und zuckende Blitze hatten bis 5 Uhr morgens seine Schlafversuche zunichte gemacht.

Und immer wieder dieses grobkörnige Fotogesicht hinter seinen zuckenden Augenlidern.

Punkt sieben riss ihn der Wecker aus seinem erschöpften Schlaf. Fast noch träumend war er gewohnheitsmäßig in sein Büro im Präsidium getaumelt. Erst dort war ihm klar geworden, dass seine Dienststelle zur Zeit auf der anderen Straßenseite zu finden war.

Die Bilder an der Raufaserwand versetzten ihn dann aber sofort in dienstlichen Wachzustand. Einhundertsiebenundvierzig Fotos, die meisten schwarz weiß, viele unscharf. Grobe Rastervergrößerungen einzelner Köpfe aus Menschenansammlungen heraus. Aufnahmen, die offenbar aus geheimen Verstecken mit Teleobjektiven geschossen worden waren. Erkennungsdienstliche Fotos von Häftlingen aus Long Kesh und Armagh.

Captain Hart hatte sie gestern in einer Pause aus seiner Aktentasche gezaubert. Es waren Aufnahmen von Leuten, die verdächtigt wurden, dem terroristischen Teil der Organisation anzugehören, der Mörderbande, wie der Engländer sie bezeichnete.

Als Benedict gestern die Aufnahmen kurz durchsah, zitterten seine Hände.

Jetzt hängen die 147 Fotos in Reihen fein säuberlich an der Wand. Dritte Reihe. Siebtes und achtes Foto von links. Benedicts schlafverklebte Augen sehen nur diese zwei Fotos. Mit schmerzhafter Anstrengung starrt er auf den verschwommenen Frauenkopf mit den vollen Gesichtszügen. Langes, herabfallendes Blondhaar. Nein. Da ist keine Ähnlichkeit zu finden. Er lässt den Blick weiter über die anderen Reihen der Fotos gleiten, um dann aber wie ein ferngelenkter Roboter in der dritten Reihe zu landen. Siebtes und achtes Foto.

Die Augen. Nein. Auch nicht direkt die Augen. Vielmehr der Ausdruck in ihnen, der jenseits von den fremd scheinenden Äußerlichkeiten des Frauengesichtes Erinnerungen wachruft. Den Ausdruck dieser Augen hatte er mal auf sich ruhen gefühlt. Spröde und zärtlich. Schatten erlittener Demütigungen hatten das Strahlen verhindert. Dennoch waren da Wärme und Stolz gewesen.

Benedict nimmt die drückende Brille ab und legt sie vor sich auf den Schreibtisch. Er nimmt eine große Nahsichtlupe aus der Schublade und tritt zentimeternah an die Bilderwand heran.

Dieses Schulmädchengesicht mit den glatten Teenagerhaaren, dem breiten Lächeln ... nein ... es wird auch durch die Nähe nicht vertrauter. Er musste sich täuschen.

Aber das Bild daneben. Nummer acht. Keinerlei Ähnlichkeiten mit dem pausbäckigen Jungmädchengesicht auf Nummer sieben. Ein fast abgehärmtes eingefallenes Frauengesicht, tiefliegende, aber dennoch ausdrucksstarke Augen, kämpferischer Trotz, sogar Spott über den Fotografen. Und noch anderes. Noch näher schiebt sich sein Gesicht an die Lupe heran.

»Da hast du dir aber interessante Fotos ausgesucht! Weißt du, wer das ist?«

Die Lupe rutscht aus den schweißnassen Fingern und poltert auf den Boden. Erschrocken bückt sich Benedict und hebt sie wieder auf. »Nein«, murmelt er und starrt von unten herauf auf den eingetretenen Captain Hart. »Keine Ahnung, nein!«

Hart wirft seine Aktentasche auf den Schreibtisch. »Das süße Miststück heißt Farrell. Die erste Aufnahme datiert ungefähr aus dem Jahr 75 oder 76, kurz nachdem sie vom Rathmore College abgegangen war. Es wurde aufgenommen vor dem Eingang Falls Road 51-53 in Belfast!« Als er den verständnislosen Blick Benedicts bemerkt, fügt der Captain hinzu: »Die Sinn-Féin-Zentrale. Ihren Begleiter haben wir weggeschnitten. Die zweite Aufnahme stammt aus dem Armagh-Gefängnis, wo sie zehn Jahre Haft verbüßte ...«

»Wofür?«

»Mmmh, die junge Dame überfiel mit zwei anderen Kumpanen das Conway Hotel in Dunmurray. Versteckte ein paar Bomben. Sie wurde zwar kurz nach dem Verlassen des Hotels geschnappt, aber noch während des Verhörs bei der Special Branch explodierten die Bomben im Hotel. Sie wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt, kam aber schon nach 10 Jahren wieder frei!«

»Schon ist gut«, rutscht es dem Hauptkommissar heraus.

Captain Hart lässt die linke Augenbraue hochschnellen. »Was willst du? Wir haben unsere Erfahrungen. Wenn Frauen mal in dieser Szene drin sind, arbeiten sie skrupelloser als die Männer. Ich erinnere dich an die RAF! Und die Farrell hat das ganze Gefängnis mit ihren Aktionen auf Trab gehalten!«

»Es ist sehr schwierig, nach diesen Fotos Identifizierungen vorzunehmen. Sie sind nicht besonders gut. Und auch nicht besonders aktuell.«

Der Engländer nickt mit dem Kopf. »Stimmt. Es gibt aber ein neueres Foto, dass ihr auch ähnlicher sieht. Kollegen vom Dienst haben es aus dem Archiv einer in Dublin erscheinenden ... äh ... Zeitschrift erhalten. Wird im Laufe des heutigen Tages rübergefaxt. Warum bist du gerade an der Farrell so interessiert? Ist was mit der?«

Benedict weicht dem Blick des S.I.B.-Mannes gekonnt aus und trägt die Lupe wieder zu seinem Schreibtisch zurück. »An Damen bin ich immer interessiert, Jerry, das weißt du doch!«

Der schluckt das erst mal, und zum Glück erscheint jetzt auch das ungleiche Pärchen O’Connell und McGrath im ISAT-Büro.

»Und da wir gerade von Frauen sprechen«, nimmt Benedict den Faden wieder auf, nachdem sich die beiden Iren gesetzt haben, »mir fehlt noch eine Erklärung für die Durchsuchung der Wohnung von Sergeant Greens Begleiterin, dieser Gabriele Bersch, durch wen auch immer!«

Erleichtert öffnet Benedict hinter seinem Schreibtisch sitzend die Knöpfe seiner Weste und sieht in die Runde.

Captain Hart hat wieder sein rotledriges Filofax-Kompendium vor sich liegen, Detective Inspector O’Connell zieht den Aschenbecher zu sich heran und stopft seine Pfeife, und McGrath kratzt sich auf dem Handrücken, bevor er sich dann eine Senior-Service-Zigarette zwischen die Lippen schiebt.

Unwillkürlich öffnet Benedict den Mund, um gewohnheitsmäßig das Rauchen zu unterbinden, aber er ist hier ja nicht im 1. K, und dieses sind nicht seine Leute. Also richtet er sich innerlich auf einen weiteren Tabakdunsttag ein.

»Well, Kommissar, dieses Fräulein Bersch. Sie war uns natürlich bekannt, denn alle privaten Kontakte mit Nicht-Militärangehörigen werden von uns geprüft. Und das besonders, wenn es sich um einen IntCorps-Mann handelt. Aber sie war sauber. Es gab keine Sicherheitsbedenken, und zudem war es eine gute Tarnung für unseren Mann. Eine deutsche Verlobte. Ich habe dir ja schon durch einen Kontaktmann mitteilen lassen, dass die Wohnung von Fräulein Bersch nicht von unseren Leuten in diesen ... Zustand gebracht wurde. Wir und die IntCorps-Spezialisten nehmen an, dass das dieselben Leute waren, die Sergeant Green und Fräulein Bersch exekutierten!« Captain Hart hat diesmal nicht in sein ledernes Buch blicken müssen.

»Wenn also eure Annahme stimmt, was haben die IRA-Leute dann noch in der Wohnung gesucht?«

»Informationen! Greens zivile Anschrift war ihnen wohl nicht bekannt, aber die Adresse von Fräulein Bersch müssen sie aus den Papieren entnommen haben, die sie bei sich hatte. Und sie suchten nach irgendwelchen schriftlichen Aufzeichnungen, die sie bei den Toten nicht fanden, von deren Vorhandensein sie aber ausgingen.«

O’Connell hat seine Pfeife jetzt in Brand gesetzt und stößt bedächtig stinkende Rauchschwaden des Three-Nuns-Tabaks aus. »Was soll das gewesen sein?«

»Sie könnten zum Beispiel angenommen haben, dass Sergeant Green die Verfolgung durch die IRA-Leute bemerkt hat oder vielleicht irgendwelche schriftlichen Angaben über seine neuesten Erkenntnisse in einer Art Briefkasten deponieren wollte!«

In den Gesichtern von O’Connell, McGrath und Benedict zeigen sich leise Zweifel.

»Auf eine solche Möglichkeit weist auch der Ort der Erschießung hin!« Dieser letzte Satz des Captains produziert Stille.

Benedict räuspert sich nach einer Weile. »Kannst du das bitte näher erklären!«

Jerry steht auf und bezieht Posten neben dem an der Wand hängenden Plan der Landeshauptstadt Düsseldorf. Aus der Brusttasche seines Anzugs zieht er einen Silberstift, den er wie ein kleines Teleskop ausfährt. Mit dem so entstandenen Zeigestock deutet er auf das grünflächige Gebiet des Aaper Waldes in der Kartenmitte. »Hier wurden die beiden Toten gefunden. Sergeant Green hatte eine zivile Wohnung in der Nähe des Nordparks, das ist hier oben beim Messegelände, und ein weiteres Zimmer im NCO-Club auf dem Kasernengelände des Hauptquartiers Rear Combat Zone am Flughafen. Das ist hier.« Der silberne Zeiger deutet auf einen Punkt im Lohauser Rheinknick. »Die Wohnung von Fräulein Bersch finden wir in Heerdt auf der anderen Rheinseite. In keinem Fall hätte der Weg in den Aaper Wald geführt, denn der liegt in völlig entgegengesetzter Richtung.«

»Vor allen Dingen, wie sind die dorthin gekommen? Wir haben kein Fahrzeug gefunden!«

»Aber wir! Der Wagen von Fräulein Bersch, ein dunkelroter VW Golf, wurde von unseren Leuten auf einem Parkplatz des Restaurants Knittkuhle entdeckt. Hier oben. Circa drei Kilometer vom Tatort Aaper Wald entfernt, wo er augenscheinlich von den IRA-Leuten nach der Ermordung hingefahren wurde!«

Hauptkommissar Benedict atmet hörbar ärgerlich auf. »Das nenne ich vertrauensvolle Zusammenarbeit! Wieso haben wir darüber keine Informationen erhalten?«

»Wir wollten das Fahrzeug erst von unseren eigenen Spezialisten untersuchen lassen. Hätte ja auch sein können, dass sich im Wagen geheime Unterlagen befunden hätten. Im Übrigen ist es müßig, sich darüber jetzt noch aufzuregen, denn das Fahrzeug befindet sich schon wieder im Besitz der Eltern von Fräulein Bersch. Wir haben nichts gefunden!« Damit scheint für den englischen Captain das Thema abgeschlossen zu sein.

Der Deutsche schluckt die saure Übelkeit hinunter, bleibt aber ziemlich steif.

»Anyway, es gibt keinen offensichtlichen Grund für diesen weiten Umweg.«

»Doch! Wenn sie vielleicht sowieso zu dieser Kneipe da, diesem Restaurant Knittkuhle, wollten. Was trinken oder so!« Der Dubliner spricht das Naheliegendste aus.

»Natürlich. Das wäre eine Möglichkeit. Wenn nicht ...«, der dünne Silberzeiger senkt sich auf einen Punkt rechts oberhalb des Aaper Waldes, wo die Knittkuhler Straße in die breite Bergische Landstraße einmündet, »wenn nicht auf diesem Gelände einer deutschen Kaserne auch eine kleine englische Militärabteilung, das Hubbelrath Detachment, stationiert wäre!«

»Oh, Jerry Hart«, stöhnt der Mann von der GARDA, »nicht schon wieder einen Theatercoup! Spuck’s aus! Was ist es?«

»Das Hubbelrath Detachment ist auch eine Anlaufstelle für Int-Corps-Leute, wenn sie aus irgendwelchen Gründen nicht mit ihrer Leitstelle am Flughafen in Verbindung treten können!«

Alle starren auf die Stelle, die der Zeigestock auf der Karte noch immer markiert.

»Sie haben ihn und seine Begleiterin vorher erwischt. Im Aaper Wald. Die Frage ist nun auch für uns: Wollte er einen mündlichen Bericht an den Wachoffizier geben, oder hatte Green die Zeit noch genutzt, um etwas zu Papier zu bringen? Der Zustand der Wohnung lässt uns jedenfalls darauf schließen, dass die IRA-Leute nichts gefunden haben. Und zwar, weil nichts geschrieben wurde oder weil es vielleicht woanders deponiert wurde!« - »Habt ihr die Gegend um den Fundort der Leichen abgesucht?«, fragte der RUC-Mann knurrend.

»Haben wir. Aber es kann etwas so Winziges sein, dass wir es übersehen haben. Zudem ist nicht einwandfrei erwiesen, ob der Überfall auf den Wagen im Aaper Wald oder schon vorher erfolgte. Dann könnte sich eine mögliche Nachricht ganz woanders befinden!«

Das einsetzende Schweigen kündet von konzentriertem Nachdenken. Es dauert mehrere Minuten. Dann öffnet Benedict seine Lippen. »Jetzt, da wir wissen, was wir vielleicht suchen ... da sollten wir eventuell das Gebiet noch mal filzen?«

Zustimmung von allen Seiten. Man scheint froh, das verqualmte ISAT-Büro schnell verlassen zu können.

*


»Du Pflaume! Meinst du, das tangiert mich! Nicht mal peripher!« Kriminalhauptmeister Ganser pariert Läpperts Frotzeleien mit einem gekonnten Griff in seine Sprachschatzkiste.

»Na, komm! Uns kannst du’s doch sagen. Wir sind doch Freunde fürs Leben! Sie haben dich wegen grober Unfähigkeit vom Lehrgang gefeuert!«

Ja. Gernot Ganser fühlt sich wieder wie zu Hause.

Der Morgen hatte schon gut angefangen. Gleich als Erstes ging er in die Fahrbereitschaft runter. Suchend schlich er zwischen dem grün-weißen Einsatzdurchschnitt herum, misstrauisch beobachtet von dem alten Wagenmeister in seinem gläsernen Aquarium, der schließlich blinzelnd seine Weitsichtbrille aufsetzte und im Licht der bläulichen Neonröhren den Kriminalhauptmeister erkannte.

»Na so was«, der Alte kratzte sich am Kopf und kramte verlegen in den Taschen seines abgetragenen Lagerkittels herum. »Wieder vom Lehrgang zurück, nein ... ja, wo habe ich denn, nein ...« Dann brachte er doch noch den gesuchten Zettel zum Vorschein. »Ihr rotes Auto ist gerade im Einsatz. Wird aber gegen 14 Uhr vom 2. K wieder hier abgeliefert. Ich lasse es dann picobello überholen, nein ... Ölwechsel ... Filter ... Reifen ... auftanken, nein? ... und dann können Sie ihn gegen fünf wieder übernehmen, nein!«

Ganser feixt vor sich hin. Ihr Auto hatte der Wagenmeister gesagt. Die Dinge kamen wieder ins Lot. Brauchte er sich wenigstens nicht mehr von Angela fahren zu lassen. Das war nämlich ziemlich gefährlich zur Zeit, da sie mit ihren Gedanken immer nur bei ihrem bunten Rallyegeschoss war.

»Ich geh’ mal die Lottoscheine wegbringen«, verabschiedet sich Läppert, und Ganser sitzt plötzlich mit Doemges allein im 1. K. Maria Leiden-Oster hat sich heute Vormittag ins Zwote abgemeldet. Da scheint sich was zu tun.

Auch gut, dann kann er sich in aller Ruhe mal mit Doemges über die Sache unterhalten. Witzige Situation. Nominell ist er ja dem Kollegen Doemges unterstellt, der ist ja immerhin Leiter der SpriKo. Und auch die Kommissarin, als seine Stellvertreterin, steht in der Hierarchie noch über ihm. Andererseits weiß jeder im 1. K um das besondere Vertrauen, welches Ganser bei Hauptkommissar Benedict genießt, und um die daraus resultierende Sonderstellung im 1. K. Und letztlich bleibt auch die Tatsache der Abkommandierung vom KD-Lehrgang zur SpriKo nicht ohne Wirkung auf die anderen Beamten des 1. K. Aber noch wichtiger für alle Kollegen im zweiten Stock des Präsidiums am Jürgensplatz sind die jahrelangen Leistungen des Kriminalhauptmeisters und dessen unbestrittene Kollegialität.

Ganser wird sich hüten, die dienstliche Autorität von Doemges anzukratzen, auch wenn ihm schon gestern aufgefallen ist, dass eine ganze Menge auf seiner alten Dienststelle nicht so reibungslos läuft, wie er das von früher gewohnt war. Da spürt er Spannungen und falsche Töne. Kollegen führen sich plötzlich übertrieben autoritär auf, pochen auf ihnen angeblich zustehende Rechte, wachen eifersüchtig über kleine Privilegien, ja, hauen sich gegenseitig in die Pfanne. Die gezielte Arbeit scheint nicht mehr oberstes, gemeinsames Gebot zu sein.

Kommissar Doemges scheint ihm menschlich zu eckig, zu sperrig, um diese Reibungen abbauen zu können. Er scheint nicht mal zu erkennen, wie sehr der Dienstbetrieb unter diesen Missklängen leidet. Aber Ganser, als Außenstehender, riecht förmlich, dass hier einiges faul ist. Seine einzige Chance sieht er darin, sich den gegeneinander arbeitenden Gruppierungen als neutraler Ansprechpartner anzubieten und so zu versuchen, die SpriKo wieder dem gemeinsamen Ermittlungsziel unterzuordnen. Kriminalhauptmeister Ganser kennt seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet und traut sich daher einiges zu. Dennoch verflucht er im stillen den Chef, den er für einen der Mitschuldigen an dem existierenden Dilemma hält. Wäre doch wohl zuerst seine Aufgabe, Missstände abzubauen. Na ja, wird schon wissen, warum er mich geholt hat.

»Was hältst du von der Geschichte?« Wie immer sehr direkt, der Kollege Doemges.

»Warum stellst du mir gerade diese Frage?« Gernot Ganser hat vor Kurzem den Lehrgangsabschnitt >Diskussionstechnik< hinter sich gebracht und versucht die Theorie in die Praxis umzusetzen.

Doemges klappert unter dem Tisch unruhig mit den Klotschen und zieht einen Pfefferminzdrops aus der Tasche. »Findest du denn, dass das hier alles seinen richtigen Gang geht?«

Der Kriminalhauptmeister lässt die Frage unbeantwortet, blickt stattdessen nachdenklich aus dem Fenster in den wolkigen Herbsthimmel und bläst die Backen auf.

Nach einer Weile stöhnt Doemges hörbar. Er geht zum Fenster, verstellt seinem Kollegen die Aussicht und starrt ihn mit gequältem Gesichtsausdruck an. »Wir haben einen Haufen Probleme mit unserer neuen Kollegin. Die Arbeit leidet!«

So ganz ist die veränderte Situation also auch an Kommissar Doemges nicht vorbeigegangen. Gernot Ganser nestelt versonnen einen Kamm aus der Innentasche seines braunen Lederblousons und fährt sich damit mehrmals durch seine dunkle Haartolle. »Ihr habt einen Haufen Probleme mit einem Sexualstraftäter«, meint er dann sehr bestimmt. »Zwanzig angezeigte Straftaten, davon eine mit tödlichem Ausgang. Und wenn ich von zwanzig angezeigten Fällen spreche, dann wissen wir beide, dass die Dunkelziffer noch wesentlich höher ist!«

»Und was willst du damit sagen?«, kommt es reserviert von dem Mann mit dem Pfefferminzbonbon im Mund.

Bevor Ganser antwortet, steckt er den schwarzen Kamm wieder in die Tasche zurück und nimmt eine HB aus einer reichlich verdrückten Packung heraus. »Ich möchte nicht ungerecht sein. Aber vielleicht könntet ihr doch schon weiter sein, wenn ihr ...«, ein Moment des Zögerns, »... wenn ihr euch mehr auf die Ermittlungen selbst konzentrieren würdet, statt auf eure ... Probleme mit der Kollegin Leiden-Oster! Aber ... das ist nur der erste Eindruck eines ... Außenstehenden!«, nimmt er sich vorsichtig etwas zurück.

Doemges' Blick scheint zu sagen, >na, du kannst gut reden, du hast das hier ja nicht miterlebt<, als er dem Kriminalhauptmeister erwidert: »Und was stellst du dir vor? Was würdest du machen, an meiner Stelle?«

Oh, nein. Auf dieses Spiel will sich Ganser nicht einlassen.

»Was ist denn bis jetzt so gelaufen in der Geschichte?«

In knappen Worten erfährt er den ganz normalen Verlauf einer Ermittlung, wie er sie selber schon hunderte Male erlebt hat. Das übliche Verfahren unter alleiniger Federführung des 2. K, Anzeige der betroffenen Frauen, Tatortaufnahme und -untersuchung, Umfeldbefragungen, Täterskizzen nach Beschreibung der Opfer, ärztliche Stellungnahmen, chemische Spurenanalysen, Computercheck möglicher Täterkreise, Vernehmungen, Einschaltung der Öffentlichkeit. Dann aber der Mord an Brigitte Craatz auf den Rheinwiesen während des japanischen Feuerwerks. Übertragung der Ermittlungen an das 1. K in Zusammenarbeit mit K zwo. Am Wochenende wieder ein neuer Fall, diesmal zum Glück glimpflich, dank der überraschenden Reaktion des Mädchens. Unterbrechungen der Ermittlungsroutine durch Sondereinsätze, Personalwechsel und -abzug, Krankmeldungen, Benedicts ständige Abwesenheit und immer wieder diese unterschwelligen Andeutungen über die komplizierte Zusammenarbeit mit der neuen Kollegin. Gansers Blick irrt suchend im Raum herum.

Kommissar Doemges nimmt aus seinem Schreibtisch eine Untertasse heraus und schiebt sie dem Kriminalhauptmeister vor die Hand mit der bereits am Filter kokelnden Zigarettenglut.

»Mit dem Rauchen ist das jetzt so eine Sache hier, aber ...«

»Fanfaren! Kollegen, Fanfaren!« In der abrupt geöffneten Tür des 1. K steht die Kommissarin Leiden-Oster mit rosig angehauchtem Gesicht. »Erfolgsmeldung vom 2. K! Die Vergewaltigung von der Weiberfastnacht ist aufgeklärt. Einer der Täter hat gerade gestanden!«

Da Ganser den Fall nicht kennt, lässt er sich von der noch auf ihrer Erfolgswelle schwimmenden Kollegin in die Sache einweihen. Eine Achtundzwanzigjährige war an Weiberfastnacht nachts im Düsseldorfer Karnevalsrummel von zwei jungen Burschen in der Kö-Galerie schwer zusammengeschlagen, vergewaltigt und beraubt worden. Jetzt, nach sieben Monaten, konnte der Fall doch noch geklärt werden.

»Sieben Monate!«, wundert Ganser sich. »Normalerweise gibt’s da kaum noch eine Chance. Wie kommt’s so plötzlich?«

»Ein Tipp! Einer der Täter hatte der Bewusstlosen einen Ring geklaut. Der Hinweis kam aus der Szene. Aber immerhin, die Schweine haben wir jetzt doch noch!«

Der Kriminalhauptmeister verzieht sein Gesicht. Dieser Tonfall behagt ihm ganz und gar nicht. »Ja, ja. Wo wären wir ohne unsere Mitarbeiter aus der Szene!« Halb ernsthaft und halb ironisch kommentiert er den Ermittlungserfolg der Kollegen des 2. K.

»Was willst du, Gernot! Ich wünschte, wir hätten auch so einen Hinweis in der Craatz-Sache. Wenn wir schon sonst nichts tun ...« Kommissarin Leiden-Oster fängt an zu schnüffeln. Ihr Blick fällt auf die vor Ganser stehende Untertasse mit dem schwarzbraunen Überrest einer kurzen Suchtphase.

Doemges, der innerlich noch an der offensichtlichen Vertrautheit zwischen Ganser und der Kollegin zu knacken hat, sucht fieberhaft nach einem neuen Vivil in seinen Taschen.

Der Kriminalhauptmeister blickt für einen Moment verständnislos drein, dann fällt bei ihm der Groschen. »Pass mal auf, Maria«, versucht er die Situation zu bereinigen, »die Sache mit den Tipps aus der Szene sehe ich genauso wie du. Ich habe hier in Düsseldorf noch 'ne ganze Menge interessanter Kontakte, die sollten wir uns mal vornehmen, und außerdem würde ich gerne mit dir am Wochenende mal in aller Ruhe die bisherigen Ermittlungs- und Vernehmungsprotokolle durchgehen ...«

Bevor die Kommissarin sich dazu äußern kann, öffnet sich die Verbindungstür zum Büro des Leiters der Mordkommission. Hauptkommissar Benedict grüßt die Anwesenden mit leichtem Kopfnicken. »Ach, Ganser, kannst du mal kurz rüberkommen?«

*


»Hoffentlich holt niemand die Polizei. Bei diesem Lärm!«

»Was?«

»Ich sagte ...« Gernot Ganser beendet mit einer wegwerfenden Handbewegung den Versuch, die aus den beiden Wandboxen dröhnenden Musikklänge zu übertönen. Er zieht seinen älteren Gesprächspartner am Hemdsärmel hinüber in die geräumige Sitzküche. Da ist es etwas ruhiger als in dem großen Wohnzimmer mit Rheinblick. Aber das haben auch schon andere festgestellt.

Vitus H. Benedict sitzt mit dem ebenfalls in Hemdsärmeln schwitzenden Patrick O’Connell an dem rustikalen Küchentisch inmitten einer ganzen Batterie fein säuberlich aufgereihter leerer Flaschen, die alle den verschlungenen, tschechischen Schriftzug Budvar tragen. Unter dem Tisch steht noch ein fast voller Kasten der gleichen Marke.

»Vielleicht solltest du die Musik doch was leiser stellen, Chef! Es ist immerhin fast zwölf, und ich weiß nicht, ob deine feinen Nachbarn ...«

»Ja, ja... klar doch. Macht ja auch keinen guten Eindruck, wenn die Kollegen von der Luegallee hier antanzen!«

Benedict erhebt sich ächzend, schon nicht mehr ganz sicher auf den Beinen macht er sich im Wohnzimmer an den Knöpfen der Stereoanlage zu schaffen. Er schiebt vor sich hinbrabbelnd eine CD in den Spieler. Die knapp ans Kitschige streifenden Lockmelodien eines irischen Folkorchesters untermalen nun schmeichelnd die Gespräche der sechs Teilnehmer des Benedictschen Begrüßungsabends.

Der Engländer Hart, der nur widerstrebend der Einladung des deutschen ISAT-Kollegen ins Private gefolgt ist, verzieht peinlich berührt das Gesicht, als Rory McGrath laut und falsch 'When Irish eyes are smiling' mitzusingen beginnt. Rechtsanwalt Hannes zieht den Engländer wieder am Ellenbogen zu der vor dem großen Schiebefenster liegenden Rheinansicht und stellt noch einmal seine Frage: »Wie meinst du das, du lebst im Wohnwagen? Du bist doch beim englischen Militär, da kannst du doch nicht ...«

Der Angesprochene schenkt sich seinen soundsovielten Whisky ein und starrt dabei missbilligend auf das Jameson-Etikett der halbleeren, grünen Flasche. »Scotch mag ich lieber, aber dieser Benedict ist ja ein verdammter Irenfreund! Wenigstens du bist auf der richtigen Seite, Hannes«, kichert er dann in das verständnislose Gesicht des dunkelhaarigen Rechtsanwaltes hinein. »Ich meine deinen Tabak«, sagt er und deutet dabei mit dem schon wieder fast leeren Whiskyglas auf die gelb-rote Blechdose auf dem Rauchtisch. »Der Erinmore Mixture wird in Belfast hergestellt. Und dafür sind wir zuständig! Aber lass das bloß nicht den Rory hören, da sind die Nordiren nämlich eigen!«

»Jetzt weiß ich immer noch nicht, ob das mit dem Wohnwagen ein Witz ist oder wie?«, schüttelt Hannes verwirrt den Kopf und zieht an seiner Meerschaumpfeife.

»Nein, gar kein Witz. Ganz simpel, ich habe meine Dienstwohnung oben in Hubbelrath, aber meistens kampiere ich in meinem Motorhome. Ist absoluter Luxus. Mit allen Schikanen ausgestattet, moderne Küche, Dusche, Stereo, Fernsehen, Autotelefon und noch so ein paar Sachen. Ich kann immer da sein, wo mich niemand vermutet. Ein eigenes Haus hat mich nie gereizt. Stecke alles in mein Mobilhome. Da ich keine Familie habe, Gott sei Dank, mache ich das so, wie ich will. Und sicherer ist es auch. Mit meinem deutschen Kennzeichen!«

Der Blick des geschiedenen Rechtsanwaltes Hannes ist voll unverhohlenem Neid auf diesen merkwürdigen Engländer gerichtet.

Vitus H. Benedict findet, dass die Begrüßungsfete für die ausländischen Kollegen trotz Dr. Lenzfrieds plötzlicher Absage doch noch ganz gut gelungen ist: Lores Festkarnickel nach Kanarenart gab die richtige Unterlage, wenn sie auch die nächsten Wochen immer wieder über die Unverschämtheit zetern würde, nach dem Rezept eines spanischen Polizeibeamten kochen zu müssen. Aber die Lobpreisungen der Gäste strich sie gerne ein. Benedict nutzte während des Essens die Gelegenheit, seinen Gästen einiges von seinen Erlebnissen mit Manuel Rojo und dem spanischen Gardekapitän auf der Insel Fuerteventura zu erzählen. Besonders die Iren waren hervorragende Zuhörer. Gernot Ganser griente an manchen Stellen in sich hinein, kannte er doch die Geschichte aus einer ganz anderen Perspektive.

Mit den Getränken würden sie wohl hinkommen, obwohl den Iren der Ruf besonderer Trinkfestigkeit vorauseilt. Leichte Sorgen bereitet Benedict die Geschichte, die ihm sein Freund Hannes da eingebrockt hat. Natürlich hatte er recht, sie konnten sich nicht alle duzen, und nur der Kriminalhauptmeister, den er in seiner Not als Ersatz für den plötzlich abgesprungenen Dr. Lenzfried noch schnell eingeladen hatte, würde hier alle siezen. Nein, das hätte die ganze Atmosphäre gestört. Wie aber sollte das im normalen Dienstbetrieb weitergehen? Wo doch im ganzen Präsidium bekannt war, dass Benedict prinzipiell das kollegial übliche Du ablehnte. Und jetzt duzt er sich plötzlich mit dem Ganser! Aber das >Hamburger Du< hatte er ja auch früher immer gebraucht, dieses unverbindliche, zurücknehmbare >mach doch mal, Kollegen<. Lange genug arbeitete er ja schon mit dem Ganser zusammen für ein richtiges Du. Er hoffte nur, dass der zukünftige Kommissar jetzt nicht über die Stränge schlagen würde. Na, irgendwie würde das schon klappen. Hoffentlich!

»Also wirklich, genau wie du gesagt hast, Benny! Kein Vergleich mit dem amerikanischen Budweiser bei uns. Das ist wirklich Bier!« Patrick O’Connell macht sich daran, die elfte oder zwölfte braune Flasche zu öffnen, ohne dass man ihm von den vorherigen etwas anmerken würde. »Bleibt bloß fest in eurem aufrechten Kampf für die Reinheit des Bieres! Ihr habt das ganze irische Volk fest und treu an eurer Seite!« Letzteres bekräftigt er mit einem handfesten Rülpser.

»Na, hervorragend«, antwortet der gewöhnlich immer etwas steif wirkende Benedict lachend, »so werden wir die Brüsseler Eurokratie in ihrer eigenen Chemiebrühe ersäufen!« Er fühlt sich wohl in dieser Gesellschaft. Ein wirklich gelungener Abend. »Woher kennst du eigentlich den McGrath so gut? Ich dachte immer, dass ihr mit den Belfaster Protestanten nicht so gut könnt!«

Die zwölf Flaschen Budweiser müssen in völlig ausgetrocknetem irischen Boden versickert sein, denn die Augen O’Connells sind hellwach, als er sehr sorgfältig formuliert. »Wer behauptet das? Die Presse! Vielleicht ganz gut so. Die Wahrheit ist, dass die Kontakte zwischen der GARDA und den RUC-Leuten sehr eng sind. Sehr eng. Besser, als es manchen Leuten in Irland und England lieb ist. Die beiden Commissioner besprechen sich täglich telefonisch, und es gibt wöchentliche Routine-Meetings auf der mittleren Ebene. Mal im Belfaster Brooklyn Knock und mal im Dubliner Phoenix Park. Und den Rory, den kenne ich schon seit Jahren. Wir haben zusammen Lehrgänge bei Scotland Yard absolviert. Außerdem gibt es so eine Art Spezialtraining in der Terroristenbekämpfung. Das findet zusammen mit der RUC in Nordirland statt!«

Vitus H. Benedict lockert den Knoten seiner Strickkrawatte und pfeift verblüfft durch die Zähne. »Ist ja ’n Ding. Ihr werdet von der nordirischen Polizei trainiert? In Belfast?«

»Was ist groß dabei?«, versucht O’Connell die sensationelle Information herunterzuspielen. »Eure GSG-9-Leute werden ja auch ab und zu in die Stirlings Barracks zum Training geschickt!«

Der Deutsche schüttelt verständnislos den Kopf, bevor er sich aus dem Holzkästchen vor ihm auf dem Küchentisch eine dünne, braune Zigarre nimmt. Während er mit der kleinen Guillotine das Ende der Juan Clemente abschneidet, denkt er darüber nach, ob ihm der Name Stirling Barracks irgendwas sagen sollte. Dann beißt der scharfe Rauch der Havanna an seinen Nasenwänden und bringt ihn zum Husten. Ein richtiges, kleines Miststück. Kein Vergleich mit der ausgereiften, füllig würzigen Sanftheit einer großen Davidoff-Zigarre. Ein richtiges, kleines Miststück, ja. Jemand hatte diese Worte kürzlich in einem anderen Zusammenhang gebraucht, aber der fällt Benedict jetzt nicht ein.

»Sterling Barracks? Was soll das bedeuten?«

»Ach, Kommissar. Man merkt, dass du nicht im Geschäft bist. Warum bist du nicht bei deinen alltäglichen Mordfällen geblieben? Die Sterling Barracks befinden sich in Hereford, im schönen England. Es sind die Ausbildungscamps der SAS-Truppe. Da wird jeder mal auf Lehrgang geschickt, der was mit Anti-Terroreinsätzen zu tun hat, Delta Force, GSG 9, nur die Israelis nicht, dafür aber unser ach so feiner Pinkel, Sir Jerry, der ein Faible für gelungene Theaterauftritte hat. Soll ich dir mal erzählen, wie ich Jerry vor vier Jahren das erste Mal während der Close Quarter Battle im Killing House erlebt habe, da ...«

»Als Chief Inspector bei der RUC habe ich so knapp 20000 Pfund im Jahr. Dazu kommen dann noch spezielle Nordirland-Zulagen und Wohngeld. Alles zusammen komme ich damit auf 25000 Pfund.«

Gernot Ganser versucht die Beträge im Kopf umzurechnen. Runde 80000 Mark im Jahr.

»Gar nicht so schlecht«, meint er dann, »und wie lange hast du bis zum Chief gebraucht?«

Rory McGrath blickt sehnsüchtig zu dem großen Küchentisch, wo Benedict und O’Connell in einer Wolke Tabakrauch und Bierdunst schwatzen. Wer schützt ihn bloß vor diesem mineralwassertrinkenden Polizisten aus Deutschland, der ihn mit seiner Neugier schon seit einer halben Stunde nervt?

»Also, um deine Neugier zu befriedigen, in aller Kürze: Bin mit 21 zur Grundausbildung ins RUC Training Center in Garnerville gegangen. Die dauert 13 Wochen und umfasst das Übliche, Dann als Police Constable zur Probe für zwei Jahre nach Enniskillen. Nach Ablauf der Probezeit als ordentlicher Constable übernommen und weiter auf der Station Enniskillen Dienst gemacht. Mit 25 habe ich mich um eine Stelle als Detective Aid beworben. Prüfungsgespräch und Zuteilung zur B-Division in Belfast. Ach ja. Die B-Division ist zuständig für das Gebiet mit den größten terroristischen Aktivitäten in Nordirland. IRA und UD A, wenn dir das was sagt. Mit 27 Bewerbung beim Crime Investigation Department CID. Mit 30 Beförderung zum Detective Sergeant, mit 35 Detective Inspector und mit 44 zum Chief Inspector befördert. Und wenn dir das noch nicht ausreicht«, Rory McGrath sieht nervös auf das leere Glas in seiner rechten Hand und räuspert sich trocken, »mit 29 habe ich Fiona, eine Krankenschwester am Ulster Hospital, geheiratet. Wir haben drei Kinder und wohnen in einem Einfamilienhaus an der Küste, in Bangor. Wir sind Mitglied im Ballyholme Yacht Club und teilen uns ein Segelboot mit Freunden. Ich wähle konservativ, und wenn ich jetzt nicht was zu trinken bekomme, wähle ich die Flucht, junger Freund!«

Gegen zwei Uhr morgens finden sich dann doch alle sechs an dem niedrigen Sitzgruppentisch im Wohnzimmer zusammen. Die Gespräche sind leiser und zäher geworden. Man weiß, dass man jetzt eigentlich gehen sollte, aber findet nicht den rechten Schluss. Immer wieder wirft noch jemand einen Satz in die müde Runde, der dann ein paar neue Gesprächskringel aufwirft.

Gähnend und ein wenig ärgerlich versetzt Jerry Hart mit einer Bemerkung die lahme Runde nochmals in heftige Bewegung: »Macht’s doch wie die Ostdeutschen und baut eine Mauer quer durch euer verdammtes Irland. Dann ist das Problem erledigt!«

Benedict hätte sich fast an seiner fünften Havanna verschluckt, als O’Connell wütend von seinem Sitz hochspringt. »The German solution ?«, brüllt er. »Das kann auch nur so einem blöden Engländer einfallen!«

»Du musst zugeben«, versucht der Nordire seinen aufgebrachten Kollegen aus Dublin zu beruhigen, »dass das unter polizeilichen Gesichtspunkten keine schlechte Lösung wäre. Kein Banditen-Niemandsland mehr, kein unbeobachteter Terroristenverkehr von hier nach dort, die totale Kontrolle!«

»Und keine 100 toten Terroropfer pro Jahr, keine 200 Mordversuche und keine 150 Bombenanschläge!«, bellt die Stimme von Jerry Hart bissig hinterher.

Der Abend scheint doch noch ungemütlich zu enden. Vitus H. Benedict kratzt sich ernüchtert am Kopf. Leise seufzend putzt er seine leicht verschmierten Brillengläser. In das verbissene Schweigen hinein fragt er dann: »Habt ihr eigentlich schon mal die Mauer in Berlin gesehen? Patrick? Rory?«

Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek

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