Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 32
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ОглавлениеMontag, 12. Oktober.
Milde Meeresluft verwöhnt die Düsseldorfer mit angenehmen Temperaturen.
Die ISAT-Zentrale im >Weißen Haus< hat übers Wochenende an Wichtigkeit gewonnen. Polizeimeister Herrmann sitzt hinter der neu installierten Funkanlage, die in misstrauisch beargwöhnte Konkurrenz zur Einsatzzentrale im Haus gegenüber getreten ist. Alle elf von ISAT in der vergangenen Woche eingerichteten Beobachtungsstationen können von hier aus zentral geführt werden.
BKA-Neuner hat am Sonntag aus Wiesbaden einen zwischen-schaltbaren Funkzerhacker geschickt. Das moderne Störgerät soll angeblich unbefugtes Abhören der Sprechfunkkommunikation unmöglich machen. Der Hauptkommissar freut sich über die zunehmend professionelle Atmosphäre, die sich im ISAT-Büro ausbreitet, als er um 9 Uhr morgens zusammen mit seinen drei Kollegen den großen Raum betritt.
Diese Freude ist nicht von langer Dauer. Sie währt genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Tasse Tee vor ihm auf dem Schreibtisch dampft und Schwaden blauen Tabakdunstes aus Richtung O’Connell und McGrath ihn einzunebeln beginnen.
Genau acht Minuten.
Dann blinkt die ebenfalls neu eingerichtete Zentralanlage auf Herrmanns Funktisch.
»Ja, Herrmann! - Einen Moment, ich verbinde. Das Bundespräsidialamt Bonn, Hauptkommissar!«
»Benedict! - Nein ... nicht direkt ... ja, wir verfolgen, das ... ist mir auch klar ... wir bemühen uns ... ja, wissen wir ... natürlich, Herr Ministerialrat ... auf Wiederhören!«
Noch während der ISAT- Leiter mit dem ungeduldigen Mann aus dem Präsidialamt telefoniert, sind auf dem Zentralapparat drei weitere Anrufer aufgelaufen. Kaum dass Benedict den Hörer ärgerlich auf die Gabel knallt, stellt ihm Herrmann eine neue Verbindung her.
»LKA Berlin, Hauptkommissar!«
Ein interessierter Lankmann erkundigt sich teilnahmsvoll nach dem Fortschritt der Düsseldorfer Kollegen. »Also, wenn wir noch was für euch tun können, lasst es uns wissen. Bis dann!«
»Der Chef, Hauptkommissar!«
Verwirrt greift Benedict erneut zum Hörer. Welcher ... ach das >Karo<! »Nein, noch immer nichts!«
»Innenministerium Haroldstraße!«
»Bundeskanzleramt Bonn!«
»Präsidium Köln!«
»Auswärtiges Amt Bonn!«
»BKA Wiesbaden!«
»Ihre Haushälterin, Herr Hauptkommissar!« - Um 12 Uhr hat Benedict Dutzende wichtige oder wichtig tuende Anrufer beruhigt, beleidigt oder beschworen. Dann hat er genug und fängt an, mit seinen drei Kollegen zu arbeiten. Zuerst bemächtigen sie sich eines weiteren Raumes im >Weißen Haus<, den sie provisorisch mit einem Pappschild ISAT II versehen. Die Ausquartierung der dort sitzenden Kollegen verschafft ihm einige weitere Feinde im Polizeipräsidium.
Um 16 Uhr fährt ein Lieferwagen der Firma Foto-Koch vor dem >Weißen Haus< vor. Zwei Angestellte tragen ächzend eine größere Anzahl von Kisten und Kartons in den neuen Raum hinauf. Den Abschluss macht eine unförmige, circa sechs Meter lange Röhre, die einem Kanonenrohr ähnelt. Die beiden jungen Männer halten sich noch weitere zwei Stunden mit dem Auspacken und dem Aufbau der angelieferten Gerätschaften im Raum ISAT II auf.
Gegen 18 Uhr erscheinen die vier vom LKA angeforderten Fachbeamten und lassen sich eine halbe Stunde in die Bedienung verschiedener Geräte einweisen, die auch ihnen noch nicht bekannt sind. Um 19 Uhr fahren die beiden Angestellten des Fotogeschäftes wieder weg. Die LKA-Leute schließen sich in dem neuen Raum ein.
Über einen Zugangsschlüssel verfügen nur die Eingeschlossenen selbst und die vier ISAT-Leute.
Wenig später rollt dann noch ein Polizeilaster an. Zwei Beamte in grünem Drillich bringen sechs Feldbetten die Stufen hoch. Vier der unbequemen Gestelle verschwinden in dem geheimnisvollen LKA-Raum, die zwei anderen beordert Benedict in die ISAT-Zentrale selbst.
Ab heute, 20 Uhr, wird das Büro des Internationalen Sonder-Arbeits-Teams Tag und Nacht von mindestens zwei Beamten besetzt sein!
In dieser Nacht liefert ein Motorradkurier um 21 Uhr 30 einen prall gefüllten Ledersack in der ISAT-Zentrale ab. Captain Hart, zur Bereitschaft eingeteilt, nimmt den Kuriersack und trägt ihn in das neue ISAT-II-Büro. Als er nach kurzer Zeit wieder herauskommt, weht mit ihm ein leicht säuerlicher Geruch heraus. Auch in den folgenden Nächten wird der Motorradkurier seine Lieferungen in das > Weiße Haus< fortsetzen. Immer pünktlich um 21 Uhr 30.
»In Ordnung. Anfängen!«
In dem abgedunkelten Raum riecht es streng.
Das liegt nicht ausschließlich daran, dass sich einige der Anwesenden während der vergangenen Tage nur unzureichend mit Körperhygiene befassen konnten.
»Noch eins«, sagt eine Stimme aus der Finsternis, »es hat sich ja inzwischen immerhin Material von sechs Tagen angesammelt. Wir haben also versucht, das Verfahren ein wenig zu straffen, im Interesse aller Beteiligten!«
»Position 1«, ertönt eine weitere Stimme vom hinteren Teil des Raumes. Gleichzeitig mit einem einsetzenden Summton taucht ein grelles Lichtbündel sieben sitzende Personen in seinen Strahlenrand und bringt zwei Gesichter auf eine Leinwand.
»Linkes Bild«, schließt die Stimme aus dem Hintergrund eine Erklärung an, »zeigt unbekannte Person bei Zutritt Position 1. Rechtes Bild zeigt identische Person bei Verlassen des Objektes über Position 5.«
Das linke Dia zeigt eine schon ältere Frau mit grauen Dauerwellen aus einer seitlichen Perspektive. Dia rechts zeigt die gleiche Frau, wie sie diesmal allerdings fast auf die Kameraposition zuzugehen scheint.
»Wir haben diese Vorabzusammenstellung in aller Eile noch gemacht. Kann also passiert sein, dass wir uns da mal vertan haben!«
Die Müdigkeit in der Stimme ist niemandem im Raum entgangen.
»Ist schon gut, Mensch. Vielen Dank. Macht weiter!«
»Position 2. Brücke A!«
»Position 3. Brücke B!«
Bild um Bild.
»Position 4. Bauplatz!«
Die Augen brennen, fangen an zu tränen.
»Position 5!«
»Stopp. Stopp! Gebt mir das letzte Bild noch mal ran!«
Plötzlich ist alles hellwach. Überanstrengte Hirne verzeichnen neue Energiezufuhr. Adrenalin schießt in Blutbahnen. Rückenmuskulaturen spannen sich.
Dann Entwarnung. »Danke. War nichts. Weiter!«
»Position 6! Position 7! Position 8! Position 9!«
Einige tausend Wanddias später stehen die Männer von ihren harten Stühlen auf, strecken für wenige Minuten ihre malträtierten Wirbelsäulen und schlenkern eingeschlafene Gliedmaßen. Das alles schweigend. Längst hat der durchdringende Säuregeruch aus den Entwicklungsbehältern ihre Lippen verätzt.
»Machen wir also weiter.«
Auf der Leinwand zur Abwechslung mal Videofilme. Wieder zwei nebeneinander.
»Links, Position A. Rechts, Position B!«
Eine belebte Straße im Bildvordergrund. Eine Straßenbahn. Mal von links, mal von rechts. Dahinter ein breiter Fußgängerweg. Ein Rasenstück. Der Rand eines Gewässers. Die Filme jetzt im Schnelldurchlauf. Tag. Nacht. Tag. Viel Verkehr. Abflauend. Fast ruhig. Ansteigend. Hektisch. Autos im Scheinwerferlicht. Regenspiegelnder Asphalt. Menschen mit Modellbooten unter dem Arm setzen ihre Boote auf dem Gewässer aus, bewegen kleine Hebel an ihren Fernsteuerungen, gehen mit den Booten wieder weg. Regen. Sonne. Regen. Nacht. Tag. Nacht.
»Das war's. - Wohl nichts dabei gewesen, oder?«
Der Stimme ist vorweggenommene Enttäuschung anzumerken.
Die Männer, die den dunklen Raum verlassen, sind zu übernächtigt, um noch zu antworten. Sie reiben sich schabend über ihre Bartstoppeln und zwinkern erstaunt in das graue Licht des beginnenden Tages.
Ein paar unruhige Schlafstunden noch zwischen arbeitenden Kollegen auf quietschenden Provisorien. Dann normaler Dienst bis zur kommenden Nacht, bis zur nächsten Nachtvorführung.
Jede kommende Nacht.
Am Freitagnachmittag kommt Benedict endlich dazu, sich auch mal wieder um den Stand der SpriKo-Ermittlungen zu kümmern.
Aber Ganser hat sich mit einer fiebrigen Grippe schon am Montag krank gemeldet, will aber am Wochenende seine Arbeit im Präsidium aufnehmen.
»Habe versucht, dich zu erreichen, Chef. Aber bei euch ist ja wohl im Moment Hochbetrieb!«
»Könntest du recht haben.«
»Und ... wie kommt ihr voran?«
Da legt der ISAT-Chef einfach den Hörer auf die Gabel.
*
»Room-Service. Good evening!«
»Philipps. Kerry-Suite. Bringen Sie mir bitte einmal Atlantik-Seezunge und die Mille-Feuille-Torte. Und Kaffee, bitte!«
Mr. Philipps ist gerade mit der Maschine aus London im Dubliner Hotel Shelbourne eingetroffen. Der grauhaarige Mann hat sich als Kaufmann in die Hotelanmeldung eingetragen. In seinem gedeckten Anzug und mit dem typischen Leichtgepäck des internationalen Business-Travellers fällt er in der Masse der ständig herumjettenden Geschäftsleute nicht weiter auf. Nur dass diese in der Regel keine der sündhaft teuren Suiten im besten Hotel am Platz bewohnen und dass sie normalerweise keine Aktenkoffer mit doppelt gesicherten Geheimböden bei sich tragen, in denen noch dazu französische, britische und deutsche Reisepässe mit anderen Namen, aber identischen Fotos liegen.
Terence Philipps, wie er bei diesem Auftrag heißt, weiß die Annehmlichkeiten seiner Position zu schätzen. Aber er kennt auch sehr genau seinen eigenen Wert.
Der Mann, der sich mühelos in vier Weltsprachen zu Hause fühlt, gehört zu einer Handvoll hochklassiger Spezialisten der TWC Inc., die weltweit nur die besten ihrer Klasse rekrutiert.
Er ist ein Negotiator.
Damit gehört er zu jener TWC-Elite, die die eigentlichen, immer heiklen Verhandlungen zwischen den unterschiedlichen Auftragsparteien zu führen hat, Konditionen verabredet, Vorbedingungen abschwächt, Sicherheiten bietet, Misstrauen beseitigt, für die akkurate Einhaltung der abgesprochenen Abläufe garantiert.
Menschenkenntnis, Erfahrungen auf vielen Ebenen und unbedingte Integrität gegenüber den unterschiedlichen Parteien sind die Erfolgsgeheimnisse eines guten Negotiators in Diensten der TWC Inc.
Philipps hat sich vor drei Tagen mit seinem Ansprechpartner von Sinn Féin in Belfast zu einer ersten Kontaktaufnahme getroffen. Dort, im Schatten des mächtigen Royal Victoria Hospitals, unterbreitete er während eines regnerischen Spaziergangs im Dunville Park dem rosagesichtigen Mann mit den Hasenzähnen das Verhandlungsangebot des deutschen Ministerialdirektors.
Vorsichtig wie immer hatte der kleine Sinn-Féin-Mann aus der Falls Road reagiert.
»Immer vorausgesetzt, solch eine Operation ist wirklich von diesen Leuten geplant, werde ich Ihr Angebot den möglicherweise interessierten Leuten übermitteln. Sollte dann von dieser Seite Interesse an weiteren Verhandlungen bestehen, treffen wir uns am Samstag zu einem neuen Gespräch. Drüben in Dublin.«
»Gut«, hatte der Negotiatcr genickt.
»Wo kann ich Sie erreichen?«
»Im Shelbourne Hotel. Ab 8 Uhr abends.«
Terence Philipps steht von seiner Seezunge auf, um das Fenster zu schließen. Ein feiner Regen prasselt an die Scheiben. Kaum dass die Umrisse der Bäume im gegenüberliegenden St. Stephens Green Park zu erkennen sind. Als er dann das erste Stück Torte in den Mund schieben will, läutet das Zimmertelefon.
»Wir treffen uns morgen um 12 Uhr bei Burdock’s. Sie kennen das?«
»Ja. Der Fish & Chips-Laden, nicht?«
»Korrekt.«
Aus dem Hörer kommt nur noch ein leises Schnarren.
Der Platz ist gut gewählt. Völlig überlaufen. Angeblich die besten Fish and Chips der Welt soll es da geben. Ständig parken sogar Porsches und Mercedesse vor dem Geschäft.
Der Negotiator weiß, warum Joe Austin selbst hier in Dublin solche Plätze wählt. Auch das Dubliner Büro der Sinn Féin wird ständig überwacht. Von Engländern und Iren.
Wieder ist der Mann vom Vorstand der Sinn Féin dann vorsichtig. »Im Falle, dass jemand eine solche Aktion planen würde, hätte sie eine eminent große Bedeutung für diese Leute!«
Der Negotiator nickt dazu nur und stochert in seinen Kartoffelchips. Klar, dass Austin den Preis hochtreiben will.
Eine halbe Stunde später kennt der TWC-Verhandler die Vorstellungen seiner Geschäftspartner. Am gleichen Samstagnachmittag wird er mit einem TWC-Jet von London aus nach Bonn fliegen und das Angebot unterbreiten.
*
Max ist tot.
Zwei Tage liegt das weiße Tier schon mit ausgestreckten Krallenpfoten auf dem Boden des Käfigs. Moritz, der in dem quietschenden Drahtrad immer noch unermüdlich weiterläuft, wird seinem Bruder sicher bald folgen. In zwei Tagen, in einer Woche. Vielleicht sogar erst in einem Monat.
Die Nikotinversuche mit den Ratten gab der Mann schon vor einer Woche auf. Sie waren ihm keine aufregende Abwechslung mehr, seit er diese Meldungen in den Zeitungen gelesen hatte.
Noch fester dichtete er danach die Fenster ab. Die einzige Tür verbarrikadierte er mit den wenigen Möbeln von innen. Er achtete nicht auf die immer besorgteren Blicke der Mutter, wenn sie ihm die wenigen Mahlzeiten durch den schmalen Türspalt reichte.
Notgedrungen konnte er wieder nur Programme einlegen. Fade!
Er versuchte sich gegen die kreischenden Stimmen der Nachtweiber durch das Überstülpen von Kopfhörern und schrille Heavy-Metal-Musik abzuschirmen.
Und irgendwann weiß er es dann. Die da, die seine zwei Brüder heimtückisch überfallen haben, sie sind es, die ihn Nacht für Nacht, Tag um Tag beobachten, mit Drohungen verfolgen. Sie haben seine Brüder der Lächerlichkeit preisgegeben und der Öffentlichkeit ausgeliefert. Das ist schlimmer als der Tod.
Ja. Die sind seine Gegner. Seine Blutfeinde.
Bald. Bald würde er ihnen entgegentreten im Glanze seiner Waffen. Zum alles entscheidenden, vernichtenden Kampf! Er würde die gemeinen Kreaturen auf die Knie zwingen, ihnen heimzahlen, was sie ihm und seinen Brüdern angetan haben. Winselnd sollten sie vor ihm in ihrem Schmutz liegen, um ihr unnützes Leben bettelnd. Mit ihren nackten Brüsten würden sie seinen Leib berührend um Gnade bitten, seine Füße mit ihren Zungen lecken. Wie Hündinnen würde er sie nehmen. Und dann ...
Während der Mann in der Gartenlaube sich unter den dröhnenden Klängen schwerer Musik seinen euphorischen Fantasien hingibt, zerrt draußen ein nächtlicher Herbststurm heftig an den Fensterläden, prasseln losgerissene Äste auf das hölzerne Dach, fegt hochgewirbeltes Laub raschelnd gegen dünne Wände.
Drüben, im Haus der Mutter, brennt ein unruhiges Licht.
*
Bonn. Sonntagnacht. 2 Uhr 30. 18. Oktober.
Staatssekretär Hunold und Ministerialdirektor Riechmann sitzen seit vier Stunden in dem fensterlosen Raum des Bundeskanzleramtes, der >Käfig< genannt wird. Angeblich soll dieser Raum völlig abhörsicher sein. Der Negotiator ist um 22 Uhr wieder gegangen und ließ sie mit einer Reihe von Problemen zurück. Er würde bis 10 Uhr vormittags in seinem Kölner Hotel ihren definitiven Bescheid erwarten. Erfolgt dieser nicht ... nun, dann ist das Geschäft als abgehakt anzusehen und er würde sich neuen Aufgaben widmen.
»Die 10 Millionen Dollar sind sicher ein harter Brocken ...«
»Aber kein Vergleich mehr mit den anfangs geforderten 25 Millionen US-Dollar!«, unterbricht Johann Riechmann den Staatssekretär bestimmt.
»Gut, gut. Es ist ja inzwischen klar, aus welchen Etattöpfen wir das unauffällig abzapfen können, ohne dass uns das jemand rausschnüffelt!« Damit hatten sie den überwiegenden Teil der vergangenen Stunden zugebracht. Der geforderte Betrag musste unbedingt an den dafür zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien vorbei bereitgestellt werden.
Um drei Uhr morgens können die beiden Männer sich endlich mit der weitaus schwierigeren und politisch viel gefährlicheren zweiten Forderung des Sinn-Féin-Mannes aus Belfast befassen.
Nachdem in letzter Zeit vermehrt Waffenlieferungen an die IRA abgefangen worden waren, das Aufbringen des Frachters Marita Ann war ein letzter, schwerer Schlag in dieser Kette, stimmte der Armeerat hauptsächlich wegen dieser zweiten Forderung einem möglichen Abbruch der Operation Berlin zu. Das italienische Frachtschiff Laura Venetia befindet sich gerade jetzt mit zehn Tonnen Waffen für die IRA auf dem Weg von Tripolis über Zypern nach Irland. Der Armeerat verfügt über die Information, dass eine Mitteilung über Schiff und Ladung vom israelischen Geheimdienst Mossad an die irische und die englische Regierung gegangen ist. Mit einem Aufbringen des Schiffes bei Erreichen der irischen Küste muss also gerechnet werden. Das würde schwerwiegende Folgen für alle künftigen IRA-Operationen haben, aber auch innerhalb der IRA selbst wäre mit erheblichem Unmut zu rechnen. Die sich daraus ableitende Forderung ist klar: Die Laura Venetia soll wegen einer plötzlich erforderlichen Notreparatur den Hamburger Hafen anlaufen. Im Schutze des Reparaturdocks soll die Ladung, die als Spinnereimaschinen deklariert ist, auf einen deutschen Frachter umgeladen werden. Container mit unverdächtigen Maschinenteilen sollen die abgeladene Waffentonnage auf der Laura Venetia ersetzen und normal mit dem Frachter nach Irland gehen, während gleichzeitig das deutsche Frachtschiff den Hamburger Hafen verlässt und die >Spinnereimaschinen< ordnungsgemäß und unentdeckt in Rosslare gelöscht werden.
Beiden Männern im >Käfig< stehen die politischen Implikationen dieses Forderungsteils vor Augen. Johann Riechmanns Position in dieser Angelegenheit ist allerdings pragmatischer als die des Staatssekretärs mit seinem politischen Amt. Sollte dieser Teil der Abmachung auch nur ansatzweise in die Öffentlichkeit gelangen, hätte das außenpolitische Konsequenzen ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte des Landes zur Folge. Von den innenpolitischen Erschütterungen ganz zu schweigen. Die Gefahren liegen dabei hauptsächlich in der Einbeziehung sehr vieler unterschiedlicher Personen, Dienststellen und Organisationen. BGS, Zoll, Hafenbehörden, Schiffseigner, Schauerleute.
Dennoch ist die Entscheidung bereits vorhin gefallen.
Um 6 Uhr 30 haben die beiden Regierungsmänner das Ende des Tunnels im >Käfig< erreicht. Jetzt wissen sie, wie sie auch diesen Teil der Belfaster Forderungen akzeptieren können.
»Maggie Thatcher röstet uns bei lebendigem Leibe, wenn sie davon was erfährt!«, sagt Staatssekretär Hunold, als Riechmann endlich zum Telefon greift.
Am morgigen Montag würde Ministerialdirektor Riechmann mit einem Diplomatenkoffer nach Zürich fliegen und den Koffer im Treuhandbüro Dr. Rappertswyl an der Bahnhofstraße übergeben. Die darin befindlichen 10 Millionen Dollar wird Dr. Rappertswyl in dem Moment auf ein Nummernkonto bei der Schweizer Nationalbank einzahlen, in dem Prince Charles und Lady Diana nach ihrem Staatsbesuch in der Bundesrepublik sicher auf englischem Boden gelandet sind.
»Und was machen wir jetzt mit diesen ISAT-Leuten in Düsseldorf? Sollen wir die nach Hause schicken?«
»Nein, warum?«, meint Riechmann locker, als sie das schwarze Gebäude gegen 7 Uhr endlich verlassen. »Würde doch sehr merkwürdig aussehen. Hat sich doch offiziell nichts an der Lage geändert. Die sollen ruhig weitermachen!«
Jovial grüßt er den Wachposten vom Bundesgrenzschutz, der ihren Wagen am Schlagbaum herauslässt.
Der >Käfig< genannte Raum im Bundeskanzleramt, von dem gesagt wird, dass er völlig abhörsicher sei, wird an diesem Sonntag keine weitere Besprechung erleben.
*
Die Woche in Angelas Haus in Mettmann hatte ihnen beiden ganz gutgetan. Sie hatten endlich mal wieder miteinander geredet. Und ihm war wieder bewusst geworden, wie sehr er diese Gespräche während seiner Lehrgangsabwesenheit vermisst hatte. Und das andere natürlich, auch wenn man sich mit einer Grippe bekanntlich nicht so anstrengen soll.
Grinsend legt Kriminalhauptmeister Ganser den Papierbogen wieder aus dem gelben Lichtschein der Schreibtischlampe heraus auf den Tisch. Ein bisschen flau im Kopf und in den Beinen fühlt er sich ja noch. Sein Kreislauf nimmt ihm das lange Liegen übel.
Maria ist schon gegen Mittag wieder gegangen.
In der Woche seiner Abwesenheit von der Dienststelle hatte sie ihre Mauer aus Frostigkeit und Ungemütlichkeit wieder aufgebaut. Also musste er wieder von vorne mit ihr anfangen, aber bis vorhin hatten sie schon wieder fast den vorherigen Status erreicht gehabt.
Es scheint so, als sollten die nörgelnden Kollegen der SpriKo recht behalten: Wieder hat er einen Fall durchgearbeitet, ohne einen Hinweis zu finden. Er ist fast am Ende der Spritzer-Akten angelangt. Noch vier oder fünf Ordner vielleicht. Die würde er an diesem Sonntag auf jeden Fall schaffen. Seufzend klappt er einen neuen Ordner auf.
Als er das mit braunen Flecken verschmierte Blatt nach dem Durchlesen Umschlägen will, kommt es ihm zwischen seinen Fingern ungewöhnlich dick vor. Zwischen Daumen und Zeigefinger reibt er es hin und her. Dann, als er fühlt, wie sich von dem fleckigen Blatt ein zweites, dahinter festhängendes ablöst, pulsieren seine Schläfenadern. Hier könnte was sein, was er seit Wochen gesucht hat. Konzentriert zieht er die Tischlampe noch näher und liest mit immer größerer Wachheit einen Vernehmungsbericht von Kriminalhauptmeister Dunklenbroich: Elisabeth Helbig, 56 Jahre, unverheiratet. Wohnhaft Düsseldorf-Gerresheim. Gerresheim ... Gerresheim ... Gerresheim! Ruckartig reißt Ganser seinen Kopf vom Blatt hoch. Richtet den Lichtkegel auf den Stadtplan an der Wand. Die leeren Stellen in Benrath ... und Gerresheim! Hastig liest er weiter in dem immer noch leicht klebrigen Bericht des Kollegen, E. H., Mutter von Michael Helbig, 30 Jahre. Arbeitslos. Wohnhaft daselbst. M. H. bis 6. Februar d. J. (Scheidungsbeschluss Amtsgericht Düsseldorf gl. Dat.) Ehemann der am 5./6.9. ermordeten Brigitte Craatz. M. H. nicht in der Wohnung angetroffen. Nach Angaben der Mutter M. H. z. Z. auf Stellungssuche. Hielt sich nicht in der Wohnung auf. Auf weiteres Befragen erklärt Mutter, dass M. H. sich zum Zeitpunkt der möglichen Tatzeit mit ihr zusammen in der gemeinsamen Wohnung auf gehalten habe. KHM Dunklenbroich. Unterschrift.
Als Ganser am Ende des Berichtes auf einen weiteren handschriftlichen und dick unterstrichenen Vermerk des Kriminalhauptmeisters stößt, glaubt er fest, endlich etwas gefunden zu haben. M. H. unbedingt nochmals persönlich einvernehmen! Mutter? D.