Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 30
11
ОглавлениеEiner aus der langen Kette jener Herren, denen er während seiner nun fast zwanzig Dienstjahre schon aus manch vertrackter Situation geholfen hatte, nannte ihn einmal scherzhaft seinen >kleinen Störtebecker<, was bei dessen Verbundenheit mit dem hanseatischen Raum höchste Wertschätzung ausdrückte.
Nein, Ministerialdirektor Johann Riechmann kann nicht als Muster für deutsche Beamtenkarikaturen herhalten. Dazu hat er zu wenig mit seinen sonstigen Bonner Kollegen gemein.
Sein jetziger Chef meint, er hätte einen typischen >Vigilantenblick<. Womit er sich auf seine Weise dem Urteil des Vorgängers im Amte anschließt.
Zwar ist er, und damit entspräche er schon der landläufigen Vorstellung deutschen Beamtentums, immer ein loyaler Diener seiner wechselnden Chefs gewesen, aber seine Kollegen im Bundeskanzleramt distanzieren sich von Riechmanns dienstlichen und außerdienstlichen Aktivitäten entschieden. Sie meiden den drahtigen Sonderberater und missgönnen ihm seine relative Unabhängigkeit und seine Nähe zum Amtschef.
Der Ministerialdirektor, wie immer braungebrannt und in amtsunüblichen Schick gekleidet, beriet sich nach dem gestrigen Anruf des Düsseldorfer Innenministers unverzüglich mit dem Staatssekretär. Beide beschlossen, den Chef aus dieser Sache herauszuhalten und eine Lösung des Problems auf einer anderen Schiene zu erreichen.
»Eins ist sonnenklar«, hatte der Staatssekretär dem Ministerialdirektor zugestimmt, »ein Anschlag auf den zukünftigen König von England darf hier nicht stattfinden. Um keinen Preis! Und wenn das mit polizeilichen Mitteln nach Lage der Dinge nicht hundertprozentig auszuschließen ist, dann müssen wir eben Ihre bewährten Kontakte nutzen. Es versteht sich von selbst, dass der Chef von Ihren Aktivitäten nichts weiß. Aber wem sage ich das!«
Nein, das brauchte man Johann Riechmann wahrlich nicht zu sagen. Seine bisherigen Aufgaben, egal ob sie ihn nach Südafrika, Mittelamerika, in den arabischen Raum oder nach Ostberlin geführt hatten, waren von ihm stets ohne schriftliche Vorgaben oder ausdrückliches Wissen des Amtschefs erledigt worden. Zur Zufriedenheit erledigt worden!
Am Abend hatte der Ministerialdirektor dann also wieder einmal nach seinem kleinen schwarzen Lederbuch, von dem es eine genaue Kopie in einem Schweizer Bankschließfach gibt, gegriffen und eine Nummer in Washington D.C. angewählt.
Bei dieser Telefonnummer handelte es sich um eine Direktverbindung zum Schreibtisch des amerikanischen Rechtsanwaltes James D. Otis. Mr. Otis gehört zu den einunddreißig Associates der bekannten Anwaltskanzlei John Senior Associates, die in unmittelbarer Nachbarschaft diverser Regierungsgebäude auf der South West Capitol Street in nahezu drei Etagen eines modernen Büroblocks residiert.
Aber Rechtsanwalt Otis ist daneben - und darum steht seine Telefonnummer in dem kleinen schwarzen Buch des Bonner Ministerialdirektors - Mitglied des Aufsichtsrates der New Yorker Firmengruppe Trans World Consultants Inc., an den Börsen der westlichen Welt kurz TWC genannt!
*
Ausnahmslos alle Anwesenden im Besprechungszimmer des mit dem Dom konkurrierenden Baus am Kölner Waidmarkt fühlen sich unwohl an diesem bewölkten Oktobertag. Benedict sitzt verkrampft zwischen den Kölner Kollegen, deren Blicke nicht gerade freundlich sind und es auch früher nie waren. Aber so wie heute? Auf gute Zusammenarbeit! »Macht ihr Witze mit uns?«, hatte der Kölner K-Leiter gemeint, als er die lange Adressenliste sah.
Die Gemüter beruhigten sich auch nicht wesentlich, nachdem der Düsseldorfer ISAT-Chef von der zusätzlichen Bereitstellung eines Kontingents der Verfassungsschützer aus der Barthelstraße berichten konnte. Immerhin würden die zwanzig zusätzlichen Beamten die Durchführung der Überprüfungen etwas erleichtern.
Die drei ausländischen ISAT-Kollegen verfolgen mit wachsendem Interesse den passiven Widerstand der Kölner, wenn ihnen auch dessen Hintergründe nicht klar sind.
In diesem besonderen Fall kann Benedict seine Kölner Brüder im Amte durchaus verstehen. Wahrscheinlich ist deren Personalsituation ähnlich desolat wie die in Düsseldorf. Dazu kommt der ständige Druck von oben und von der allgegenwärtigen Presse. Und jetzt auch noch diese Sonderaufgabe auf allerhöchste Anweisung. Er möchte den sehen, der sich da nicht auf die Hinterbeine stellt.
Den größten Affront aber hebt sich Hauptkommissar Benedict für den Schluss auf:
»Die Beamten der Schmitz-Kommission haben unverzüglich und direkt an mich oder meine drei Kollegen in der ISAT-Zentrale in Düsseldorf zu berichten!«
Unter den angespannten Gesichtshäuten der Kölner toben mühsam unterdrückte Proteststürme. Dennoch beginnen Punkt 12 Uhr die achtundneunzig, von allen möglichen Dienststellen zusammengebettelten Beamten der Schmitz-Kommission mit ihrer Sisyphusarbeit.
Wenn die wüssten, denkt Benedict mit schlechtem Gewissen, als er den Dienstwagen am Ford-Gelände vorbei auf die Süd-Autobahn nach Düsseldorf lenkt. Wenn die wüssten!
Der Beliebtheitsgrad des Leiters der Düsseldorfer Mordkommission auf der nach unten offenen Kölner Freundschaftsskala hat an diesem kühlen Donnerstag seinen bis dato niedrigsten Wert erreicht.
*
Am Freitagmittag treffen die Einheiten aus Paderborn und Detmold zum Wochenendbiwak mit Übungsschießen auf dem englischen Truppenübungsplatz Sennelager ein.
Schon um 15 Uhr mahlen dann die riesigen Challenger-Panzer der 5th Inniskilling Dragoon Guards mit klirrenden Ketten ihre Dinosaurierspuren in den tausendmal zerpflügten Heidesand. Hinter und zwischen den mattgrünen Stahlkolossen stürmen abgesessene Panzergrenadiere unter Feuerstößen und markigem Feldgeschrei einem unsichtbaren Feind entgegen. Schwarze Pulverschwaden und graue Nebel legen sich über die verschlissene Landschaft.
Von der weiter entfernten Exercise Range Blue wummern in regelmäßigen Abständen die dröhnenden Abschüsse aus den 155-mm-Howitzer-Geschützen des Royal Artillery Corps.
Auch in dem kleinen Waldstück am Rande des militärischen Groß-Übungsgeländes, da, wo Schilder mit der Aufschrift >Militärischer Sperrbezirk!< taube Ahnungslose am Pilzesuchen hindern sollen, knallt es ab und zu in den Büschen. Aber diese Schüsse aus automatischen Waffen gehen im dumpfen Trommeln der gewaltigen Kriegsmaschinerie auf dem Hauptgefechtsfeld unter.
Hier im Schutz des geräuschvollen Manövers erproben die drei IRA-Kämpfer mit dem wichtigsten Auftrag ihres Lebens die Funktion und Genauigkeit der vom Palästinensischen Generalkommando gelieferten Waffen und Geräte.
General Munroe ist sich des Risikos dieser Übung voll bewusst. Dennoch ist ihnen nichts anderes übriggeblieben. Sie hatten ergebnislos mehrere Tage lang die weitere Umgebung von Düsseldorf abgefahren, um ein Gelände zu finden, wo der Waffeneinsatz möglich wäre, ohne gleich Neugierige oder Polizisten auf den Plan zu rufen. Aber in den dicht besiedelten Gebieten Westdeutschlands gab es keinen Fleck, den nicht Jogger oder Spaziergänger auf der Suche nach Ruhe oder Fitness heimsuchten. Und das Desaster der RAF-Leute, die einmal während eines Übungsschießens in einem Stadtwald aufgeflogen waren, zwang Munroe zu anderen Überlegungen.
So wählten sie das Naheliegendste, wenn auch weiter Entfernte. An diesem Platz, den die Feinde schon seit Jahren mit dem ohrenbetäubenden Lärm ihrer Unterdrückungsmaschinerie erfüllten, würden sie ihre eigenen Übungen ziemlich unbemerkt durchführen können.
Munroe muss trotz der Anspannung lächeln.
Wie hatte Seamus O’Brien, der raubeinige Instrukteur aus Derry, vor langer Zeit während der ersten Ausbildungseinheit gesagt? Haltet euch immer genau da auf, wo euch der Feind am wenigsten vermutet!
Nein, hier würde man das SASU wirklich nicht vermuten.
Spät abends, nach der erfolgreich abgeschlossenen Übung, übergibt Munroe dann das Steuer des Wagens an Donahue. Während der Sierra auf der A 2 Richtung Dortmund dahinrollt, hat Munroe auf dem Rücksitz Zeit für ein kurzes Abgleiten in einen halbwachen Traumzustand. Begleitet vom monotonen Brummen des gleichmäßig arbeitenden Motors und beschützt vom Blech des Wagens und den Waffen der vertrauten Kameraden, erlaubt sich Munroe vorgreifende Phantasien über die Auswirkungen der Operation Berlin auf die zukünftigen Entwicklungen. Sicher würden sie als Helden in die Geschichte des irischen Freiheitskampfes eingehen. Oppositionelle und Noch-Gleichgültige würden sich wieder unter dem Banner des Einigungskampfes zusammenfinden. Aus dem glimmenden Funken schlügen dann wieder heiße Flammen größerer Kämpfe. Bis zum Sieg. Die Zeit der großen Abrechnung. Die Zeit der Rache. Für die Kildare-Brüder. Rache auch für Kinsale. Für Wolfe Tone, John MacDermot und die fünfzehn Osteraufständischen, für das Croke-Park-Massaker, Kevin Barry, Roger Casement, Terence MacSwiney ... für Bloody Sunday ... die Toten von Long Kesh ...
Als der Wagen tief in der Nacht vor der Basiswohnung des Kommandos hält, muss General Munroe von South und Donahue aus festem Schlaf geweckt werden.
*
Dieses gewaltige Brüllen im Kopf! Knochen durchdröhnend. Den ganzen Körper ausfüllend.
Die Nasenlöcher verstopft von Schotterstaub und Ölgestank. Heißer Schweiß, in Bächen unter dem einzwängenden Schutzhelm, den Hals runter, dann in Strömen zwischen den Schulterblättern und den Bauch hinunter. Sein Oberkörper ist fest mit dem eng geformten Sitz verbunden. Aber was heißt da schon fest. Volle Power! Anpressdruck bei 150 Kilometer. Atemholen. Sein ausgelieferter Körper wird nach links gegen das Türblech geschlagen. Vorsicht, nicht an die Black-Box! Jetzt nach rechts geschleudert. Willenlos geworfen. Er rutscht fast aus den Hosenträgergurten. Bloß das rechte Bein anziehen. Nicht an das verdammte Kühlrohr ... au ... verdammte Sch... Das überheiße Rohr im Mitteltunnel! Locker bleiben, Junge! Ganz locker bleiben. Versuch dich den Bewegungen einfach hinzuge... Achtung! Die Mauer! Die Mauer! Unter den ängstlich angezogenen Füßen prasselt spitzer Schotter an die Bodenbleche. Klack. Klack, klack, klack. Sonne blendet durch verdreckte Windschutzscheiben. Überhitztes Öl, kochende Kühlaggregate, fräsende Kolbenstangen. Noch lauter der Motor. Die graue Mauer! Kreischendes Sägen. Drehzahl im roten Bereich. Rote Warnlampe. Tuuuuut... ein langgezogener Hupton ... die Mauer. Die verdammte graue Mauer! Mensch ...
Mit einer weiteren schnellen und heftigen Synchronbewegung aus Lenkausschlag und Schaltvorgang bringt die Fahrerin das schleudernde Gefährt knapp vor der Begrenzungsmauer auf die folgende steil hochführende Rechtskurve.
Erleichtert will er seine Entkrampfungsübungen wieder aufnehmen, als sich die mächtige 560-PS-Maschine, die von einem willensstarken Fuß auf dem Gaspedal bewegt wird, in Sekundenschnelle erneut in die oberen Leistungsbereiche schraubt. Die höchste Stelle der steilen Asphaltstrecke rast auf sie zu! Noch eine überscharfe Haarnadelkurve vor dem Schotterbelag. Aus den Augenwinkeln sieht er die schweißtreibenden Bewegungen der Lenkerin abgehackt und hektisch. Ein harter Schlag. Die Landschaft dreht sich vor der Windschutzscheibe. Schlingern! Schleudern! Einmal, zweimal. Wiese. Grüne Wiese. Stillstand. Ruhe.
»Tut mir leid, da habe ich mich wohl ein bisschen verschätzt. Muss ein kleiner Felsen im Weg gewesen sein!«
Mit zitternden Fingern löst Gernot Ganser eilig die runden Metallverschlüsse des gelben Gurtes, in dem er gerade die schrecklichsten drei Minuten seines Lebens gehangen hat. Dann steht er auf wackligen Beinen neben dem bunt lackierten Plastikhaufen auf Rädern, der ruhig zwischen Feldgräsern steht. Er entzieht seinen fast platzenden Kopf mühsam dem schützenden Futteral aus Kevlar. Er ist wieder er selbst, nicht mehr Teil dieses röhrenden Monsters. Nein, nie wieder! Das war schlimmer als der Vierfach-Looping auf der Rheinkirmes. Viel schlimmer!
»Na, fährst du noch eine Runde mit?«
Ohne Angela von Suttner in ihrem roten Rennhelm einer Antwort zu würdigen, dreht sich Ganser auf dem Absatz um und geht zielstrebig, wenn auch leicht schwankend zu der kleinen Wagenburg aus Motorcampern, Trailern und aufgebockten Rennautos hinunter.
Im luxuriösen Motorhome des Britischen Ralleycross-Meisters John Welch macht ihm dessen dunkelhaarige und mitfühlende Frau Lyn eine Tasse Tee. Obwohl sein Englisch nicht besonders ist, hat sie seinen beklagenswerten Zustand sofort erkannt und leistet Samariterdienste.
Während sie an einem Pullover strickt und ihre beiden kleinen, zwischen den Rennwagen herumtollenden Kinder durch das große Fenster im Auge behält, verflucht sich Ganser für seine eigene Nachgiebigkeit, die ihn an diesem Wochenende auf den Gründautalring bei Büdingen verschlagen hat.
Aber Angela hatte ihm keine Chance gelassen.
»Dann kannst du auch gleich Zimmermiete und Menügeld zahlen, wenn du sowieso nur noch zum Schlafen zu mir kommst!«
Also hatte er nachgegeben und war zu diesem Testwochenende mitgefahren, zumal sich auch Maria Leiden-Oster für dieses Wochenende wegen eines dringenden Krankenbesuchs freigenommen hatte.
Der bunte Ford Escort Xtrac kommt jetzt mit blubberndem Motor in den abgesperrten Mechanikerbereich gefahren und bleibt neben dem neuen, blau-weiß-roten Kadett des Briten stehen. Einer der Mechaniker klappt die Motorhaube hoch. Weißer Dampf der überkochenden Kühlflüssigkeit hüllt seinen Kopf in Nebel. Links und rechts bocken die beiden anderen den Wagen hoch und lockern mit pfeifenden Elektroschraubern die Radmuttern. John Welch beugt sich in den Motorraum hinein. Angela von Suttner stellt den Rennhelm aufs Wagendach und gesellt sich zu dem englischen Vorbesitzer des Escorts.
Eine weitere junge Frau in Rennoutfit kommt von ihrem Manta herübergeschlendert und spricht mit Angela. Grace Ließfeld ist eine erfahrene Ralleycross-Pilotin. Im Gegensatz zu Angela aber kann sie sich kein Fahrzeug mit Vierradantrieb leisten und hat auch ständig Probleme mit dem schwachen Motor des Rüsselsheimer Wagens. Aber mit der offenbar in diesem Spezialsport unter den Rennfahrern noch üblichen Hilfsbereitschaft versorgt sie die neue Ralleycross-Kollegin aus Mettmann freundlich mit wertvollen Tipps aus ihrer langjährigen Erfahrung.
Jetzt dreht der weiße Turbo-Audi des Norwegers Martin Schanche röhrend seine waghalsigen Testrunden auf dem ADAC-Kurs. An Angelas lädiertem Wagen verklebt ein Mechaniker gerissenen Kunststoff mit Klebebändern aus Plastik.
Ganser sitzt grübelnd neben der strickenden Frau und rührt in seinem milchigen Tee. Also hatte der Alte doch wieder recht gehabt mit seinem Feeling. Seit Freitag überschlugen sich die Düsseldorfer Zeitungen. Terror auf Benrather Straße! Brutaler Überfall auf Jugendliche Discobesucher! Oder Killermädchen: Mordslust, Mordswut, Mordversuch! Je nach Publikumsgeschmack. Dazu die großen Fotos der beiden zusammengeschlagenen Zwanzigjährigen, so wie sie von den Tätern an die Zeitungen verschickt worden waren: mit heruntergezogenen Hosen, die Geschlechtsteile mit rosa Ölfarbe überschmiert, das Schild mit der Aufschrift Männer-Schwein!, die wie Herbstlaub herumliegenden Flugblätter der Gruppe Düsseldorfer Frauenkampf.
Die Zeitungen taten einerseits fürchterlich empört und forderten in heftigen Kommentaren ein Ende des Frauenterrors, andererseits schilderten sie wohlig-hämisch das Aussehen der beiden Opfer bis in alle unerquicklichen Einzelheiten. Auch der übelkeiterregende Güllegestank wurde nicht ausgelassen.
Spuren der Täter hatte man keine gefunden. Die zwei Männer lagen verstockt und wütend im Krankenhaus. Auch beim Personal und den Gästen des Yuppi Du war man auf kollektives Schweigen gestoßen.
Während sich draußen Angela von Suttner zu einer neuen Testfahrt bereit macht, folgt Gernot Ganser weiter seinen Gedankengängen. Diese Fesselung der beiden hätte er nicht fachmännischer machen können. Wie auf der Polizeischule gelernt. Und warum war der Anruf nicht in der zuständigen Kriminalwache Garath aufgelaufen, sondern im weit entfernten Präsidium am Jürgensplatz?
*
Rechtsanwalt Otis besteigt am Sonntagmorgen auf der Landeplattform des Konzernhauptquartiers in Manhattan den TWC-Helicopter, der ihn zu seinem verabredeten Treffen mit dem deutschen Ministerialdirektor Riechmann auf den John-F.-Kennedy-Flughafen bringen soll.
Gestern Abend hat er in der Firmenzentrale noch kurz mit Adrian Simmons gesprochen. Auf dessen Visitenkarten stehen weder Titel noch Rang. Nur sein Name und eine Adresse in New York. Bescheidenheit? Kaum. Jeder auch nur halbwegs wichtige Mensch in den Vereinigten Staaten weiß, wer Adrian Simmons ist. Er ist Präsident des TWC-Imperiums, dessen Tätigkeit sich über alle Kontinente erstreckt. Die Zentralen in London, Sydney, Tokio, Toronto, Paris, Monte Carlo, Palermo, Genf, Frankfurt, Rio de Janeiro, Johannesburg und Hongkong garantieren globale Effizienz.
Wer die auf Hochglanz gedruckten Jahresberichte und Erfolgsbilanzen der Gruppe studiert, gewinnt den Eindruck einer prosperierenden, soliden und ständig wachsenden Weltfirma mit vielen lukrativen Beteiligungen. Bankdirektoren aller Länder schätzen sich glücklich, die TWC mit Mitteln zu bedienen.
Vergeblich wird man in diesen Hochglanzberichten allerdings die Beteiligung an diversen Verbrechersyndikaten, der Yakuza, Camorra, Cosa Nostra, der Triade oder ETA, UDA, IRA, HIS-BOLLA und RAF suchen. Auch die Zweigstellen in Kolumbien, Paraguay, Ho-Chi-Minh-Stadt, Beirut, Damaskus und Berlin (Ost) finden aus verständlichen Gründen keine Erwähnung in diesen Berichten.
Die Aktien der TWC Inc. werden an den Börsen der Welt hoch und lebhaft gehandelt. Über die Jahresdividenden sind die Anteilseigner glücklich. Als der TWC-Helicopter mit Rechtsanwalt Otis auf dem JFK-Airport landet, rollt das schlanke Flaggschiff der British Airways gerade auf dem Taxiway Richtung Terminal. Wie fast immer ist das einzige Überschall-Passagierflugzeug der Welt pünktlich um 9 Uhr 20 Ortszeit gelandet, nachdem es - o Wunder der Technik - um 10 Uhr 30 des gleichen Tages in London zu seinem Flug über den Atlantik abgehoben hatte.
In der speziell eingerichteten Lounge für Concorde-Passagiere sitzen sich die beiden Männer kurz darauf bei einem kleinen Frühstück gegenüber.
Man kommt sofort zur Sache, denn man kennt sich von früheren Aufträgen, und Zeit ist schließlich Geld. Außerdem wird die zurückfliegende Maschine den John-F.-Kennedy-Flughafen um 13Uhr 25 wieder Richtung London Heathrow verlassen.
Riechmanns Vortrag ist ruhig und geschäftsmäßig.
»Ihre Organisation nimmt Kontakt zu den Auftraggebern des Kommandos in Belfast auf. Ermitteln Sie, unter welchen Bedingungen diese Auftraggeber bereit sind, von dem geplanten Unternehmen zurückzutreten. Sollten diese Bedingungen für unsere Seite akzeptabel und erfüllbar sein - dass sie dies sein werden, gehört auch zu Ihrem Teil des Jobs -, erhält Ihr Unternehmen zehn Prozent des Auftragsvolumens in der gewünschten Form an einen von Ihnen bestimmten Ort!«
Um 13 Uhr 40 trinkt Johann Riechmann in seinem engen Flugzeugsitz ein erstes Glas Champagner auf den heutigen Sonntag.
Nach der Ankunft in London um halb elf abends würde ihn eine bundeseigene Sondermaschine zurück nach Köln-Wahn fliegen. Er weiß die Angelegenheit in richtigen Händen, fühlt sich ruhig und entspannt, während vorne die kleine Leuchttafel MACH 1 anzeigt und ein dezenter Gong die Passagiere darauf aufmerksam macht. Wie auch die anderen Fluggäste dieser Edelklasse zeigt Riechmann demonstrativen Mangel an Interesse. Relaxed lässt er sich von der Stewardess nachschenken.
Noch 23 Tage bis zum Staatsbesuch.