Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 38
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Nein. Kein Bedauern über diesen toten Landespolitiker in der Genfer Badewanne eines Luxushotels vor 14 Tagen. Auch nicht über das lange Ende dieses ausgetrockneten Kirchenfürsten in der vergangenen Woche. Aber das nahm ihn mit. Das Dackelfaltenantlitz des Filmbullen mit dem italienischen Namen würden viele vermissen. Traurig, wie die wirklichen Charaktere abtreten. Dinosaurier vergangener Zeiten, eine weltweit aussterbende Spezies, wie eben dieser Lino Ventura. Der Bulle. Wenigstens gibt es jetzt die Chance für einige gute Wiederholungen im Fernsehen, denkt Benedict und wälzt sich zerschlagen auf die andere Seite.
Wie sich der einsame Wolf und Kämpfer wohl an seiner Stelle verhalten hätte? Hätte er mit vorgeschobenen Schultern alle auftauchenden Probleme weggeschoben wie ein Bulldozer?
Benedict musste übel ausgesehen haben, als er vor zwei Stunden aus der Cäcilien-Kirche in Benrath wieder zurückgekommen war. Die Blicke der ISAT-Leute waren wie ein Spiegel.
Nach zehn Minuten fasste O’Connell die allgemeine Einschätzung in Worte: »Du gehst besser heute Nacht nach Hause. Versuch mal ordentlich zu schlafen. Du siehst aus ... wie fünfmal gestrecktes Guinness! So hältst du nicht mehr lange durch!«
»Die nächste Woche hat’s noch mal in sich, Benny. Da brauchen wir dich vielleicht noch lebend, also verzieh dich in die Koje und geh uns hier nicht auf den Sack!«
»Richtig, Jerry! Sein Anblick wirkt absolut demoralisierend auf die Truppe. Hau ab, Kommissar!«
In seinem Spiegel zu Hause sah der am Boden zerstörte ISAT-Chef die Ursache des mitfühlenden Verhaltens seiner ausländischen Kollegen. Zwischen aufgedunsenen Hautfalten starrten ihn kleine, entzündete Rotaugen durch verschmierte Brillengläser an. Selbst dem bräunlich eingefärbten Spiegelglas war es nicht gelungen, sein grünes Gesicht gesund erscheinen zu lassen. Inmitten bläulicher Bartstoppeln erblickte er aufgesprungene, trockene Lippen, auf denen die ersten Herpesbläschen fiebrig pochten.
Ja, sie hatten recht, er war am Ende. Aber sie wussten nicht, warum.
Nach einer weiteren halben Stunde, in der er sich schlaflos im Bett herumgewälzt hatte, steht Benedict stöhnend wieder auf und zieht sich seine Strickjacke über den Pyjama. Mit immer noch zittrigen Händen gießt er sich einen großen Whisky ein und lässt sich schlaff in einen Sessel im Wohnzimmer fallen.
Das Kristallglas fühlt sich merkwürdig dünn an zwischen seinen aufgequollenen, heißen Lippen. Dann gesellt sich der erste Schluck brennend zu den zwei großen Schnäpsen, die er in Benrath hastig in sich hineingeschüttet hat, im Deutschen Haus, am Tresen stehend, noch keuchend, atemlos nach dem Erlebten.
Indirekt war es ja O’Connell gewesen, der ihn überhaupt auf die Idee gebracht hatte: Der irische Detective Inspector meldete sich jede Woche regelmäßig zum Kirchgang ab. Als er letzte Woche auch noch in einem Nebensatz bemerkte, dass fast alle Südiren praktizierende Katholiken seien, gerieten in Benedicts Unterbewusstsein feine Rädchen in Schwingungen. Wenn dem wirklich so wäre, dachte er, würden dann nicht vielleicht auch die irischen Terroristen, nach deren Aufenthaltsort sie so verzweifelt suchten, in einer katholischen Kirche ihren Glaubenspflichten nachkommen wollen? Weder O’Connell noch McGrath oder Hart konnten an dieser Idee einen Fehler finden. Der ISAT-Chef ließ sich ein Verzeichnis aller katholischen Kirchen in Düsseldorf und der näheren Umgebung bringen. Sie konzentrierten sich aber nur auf die Stadt selbst mit den südlichen Vororten und besuchten abwechselnd verschiedene Gotteshäuser zu den Zeiten der Heiligen Messe oder der Abendandachten. Dort musterten sie eingehend die aus der Kirche kommenden Gläubigen, sprachen auch manchmal den Gemeindepfarrer an, zeigten ihre Bilder. Viel Erfolg hatten sie damit nicht gehabt. Der eine oder andere Geistliche hatte die Bilder nachdenklich betrachtet und ein sehr barmherziges »vielleicht war der ja da« gemurmelt.
Heute, Sonntag, stand er mit der St.-Cäcilien-Kirche Benrath auf dem Plan. Das hatte ihm gut gepasst, weil er so vorher noch die Stationen inspizieren konnte. Dort war alles in Ordnung, und so schlenderte er gemächlich die Fußgängerzone zum Benrather Marktplatz hinunter. Er stellte sich vor das Schaufenster eines Tabakladens und behielt den Kircheneingang im Auge. Nach einer Weile kamen die ersten Leute aus dem Portal heraus und zeigten das Ende der Heiligen Messe an. Er trat näher, um im Lichte der Straßenlaternen die Herauskommenden zu mustern. Fünf Minuten später hörte das Auf und Zu der Kirchentür fast ganz auf. Benedict wartete noch ein, zwei Minuten auf seiner Position vor der Kirchentreppe und ging dann langsam in die Kirche hinein. Stille. Vorne hantierte der Geistliche am Altar. Das leere Kirchengestühl lag im Halbdunkel. Kerzenschein. Schwerer Kräuterduft. Augenscheinlich hatten alle Gläubigen das Gotteshaus verlassen. Der beißende Geruch verursachte in Benedicts Kehle einen Hustenreiz. Er hielt sich die Hand vor den Mund und horchte erschreckt auf das hallende Echo seines Hustens. Der Geistliche drehte sich um. Eine kleine Gestalt, die er übersehen hatte, weil sie in einer der Kirchenbankreihen an der Außenwand kniete, huschte in den Mittelgang heraus. Vielleicht drei Meter vor dem hustenden Benedict verharrte sie kurz mit dem Gesicht zum Altar. Der Hauptkommissar sah, wie die Frau, die ein Tuch um den Kopf trug, eine Kniebeuge machte und sich bekreuzigte.
In dem Halbdunkel des Kirchenportals trat Benedict näher an sie heran, um auch das Gesicht dieser letzten Gläubigen unter den Fransen des grünen Kopftuches zu mustern.
Ein schmales, weißes Frauengesicht im flackernden Schein der Kirchenkerzen. Um die Dreißig. Dunkle, dünne Brauen über leicht zusammengekniffenen Augen. Spröde Lippen, wie von der kleinen Zungenspitze schartig gerissen. In den graugrünen Augen, die sich jetzt erschrocken weiteten, sprenkelige Spottfünkchen. Zärtliches Sehnen. Schwarze Klippen im salzigen Seewind. Papageientaucher. Eine Höhle nachtschwarzer Dunkelheit. Klang des silbernen Teelöffels. Gesang der Harfe. Frisches Heu und Pferde.
»Moira!«
Nur einen Moment später war der Ausdruck dieser Augen ein anderer geworden. Kalt und verschlossen. Die Hand, die einstmals liebkosende, sie hielt plötzlich bläulich schimmernden Tod umklammert.
Benedict war vom Schock der Erinnerung wie gelähmt. Dann spürte er den Luftzug einer geöffneten Tür. Weg!
Oh Moira!
Als Benedict, Ewigkeiten später, wieder hinaus vor die Kirchentür trat, war vom Kopf des irischen Mordkommandos nichts mehr zu sehen.
In der Kneipe gegenüber schüttete er dann die zwei grausigen Schnäpse hinunter. Wie es ihm gelang, in die ISAT-Zentrale zurückzukommen, daran kann er sich nicht mehr erinnern. Dort dann die zwei Bilder an der Wand. Höhnisches Papiergrinsen. Mord in den Augen.
Was würde also sein gestern verstorbenes Idol den Kameraden erzählen? Wie würde der >Bulle< ihr Entkommen rechtfertigen, die Flucht einer mehrfachen Killerin?
Moira.
Mairead Farrell, ihr wirklicher Name. Kaltblütige Planerin terroristischer Aktionen der IRA. Todesmutige Idealistin. Anführerin bei der wohl wichtigsten IRA-Operation, der Ermordung von Prinz Charles und Lady Diana hier auf Schloss Benrath. Danny McCann, der Schütze. Sean Savage, der Bomber. Mairead Farrell, der Kopf.
Moira!
Was sage ich Patrick O’Connell? Rory McGrath? Jerry Hart, mit seinen wissenden Augen? Woher ich die Farrell kenne. Wieso ich sie entwischen ließ. Was mit mir los ist.
Der Mann mit dem leeren Whiskyglas in der Hand stiert schwer atmend auf einen Wandkalender mit Städteansichten. Das heutige Datum sticht ihm rot in die Augen. Sonntag, der 25. Oktober.
Wir haben noch genau sieben Tage. Sieben Tage bis zur Ankunft des Staatsbesuches in der Bundesrepublik Deutschland!