Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 24
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ОглавлениеTief hängende Wolken senden Schauer kühler Nässe von der anderen Rheinseite herüber. Der hochragende Brückenpfeiler mit den stählernen Trageseilen ist kaum zu erkennen, als sie mit dem Wagen über die Fleher Brücke hinüber zum ausgemachten Treffpunkt fahren.
»'n Wetter, fast wie bei uns«, meint Sean South nach einem mürrischen Seitenblick auf die flache andere Rheinseite mit den feuchten Wiesen. Er sitzt auf dem Rücksitz und spielt gelangweilt am Mechanismus einer matt schimmernden Neun-Millimeter-Browning-Pistole auf seinem Schoß.
Jack Donahue beobachtet aufmerksam die Scheinwerferlichter der nachfolgenden Fahrzeuge im rechten, von Regentropfen fast blinden Außenspiegel des ruhig über die Autobahn gleitenden Wagens. »Mmm«, antwortet er nur kurz nach hinten und lässt sich nicht ablenken, aber um sie herum fließt nur der ganz normale Vormittagsverkehr eines Werktages.
Vorsichtshalber sind sie gestern die Strecke bis zum Treffpunkt schon einmal abgefahren, und Munroe kann daher heute auf die Straßenkarte verzichten. Um 10 Uhr 20 biegt der anthrazitgraue Ford Sierra von der B9 in die Neusser Innenstadt ein. An einer kleinen Trinkhalle bringt Munroe das Fahrzeug zum Stehen und parkt hinter einem hellblauen VW-Bully mit der Aufschrift >Gatzweilers Alt<.
Zehn weitere Minuten beobachten die drei Insassen des haltenden Wagens den Obst- und Gemüseladen auf der linken Seite der Straße schräg gegenüber. Eine hochschwangere Frau mit einem Kinderwagen steht auf dem Bürgersteig und unterhält sich mit einer älteren Dame, die sich zwischendurch immer mal wieder zu einem Kind im Wagen herunterbeugt. Zwei Schornsteinfeger mit Rußkäppis betreten ein vierstöckiges Wohnhaus neben dem Gemüseladen. Mit zwei bauchigen Einkaufstaschen, aus denen grüne Gemüsestrünke herausschauen, verlässt eine alte Oma jetzt den Laden und gesellt sich zu der geschwätzigen Gruppe um den Kinderwagen. Ein südländisch aussehender Junge in einer grünen Schürze kommt mit einem Stapel Kisten auf dem Arm auf den geöffneten Ladeneingang zu. Ein gelber Kombi steht mit offener Heckklappe und blinkenden Warnleuchten in der zweiten Parkreihe.
»Okay«, sagt Munroe knapp.
Der junge Mann auf dem Rücksitz steckt die Pistole in die Innentasche seiner dunkelgrünen Windjacke und steigt aus dem Wagen. Während er sich an der Trinkhalle eine Dose Cola geben lässt, fährt Munroe den Wagen vorsichtig auf die andere Straßenseite und lenkt ihn in die Hofeinfahrt neben dem Gemüseladen.
Sean South lehnt sich mit seiner geöffneten Cola-Dose an die Streben des Kioskvordaches und beobachtet die Straße vor dem Laden. Der Regenschauer hat aufgehört. Ein Bus fährt hupend an dem die Straße blockierenden Kombi vorbei.
»Du bist pünktlich. Wenigstens das!«
Munroe verkneift sich eine heftige Reaktion auf die anmaßende Art des Libanesen. So was war ja zu erwarten gewesen. Mit einer kurzen Gebärde der rechten Hand beruhigt Munroe den neben dem Türeingang stehengebliebenen Donahue, der ein wütendes Gesicht erkennen lässt.
Mit »Stop it, Jack!«, verstärkt Munroe die Geste, dann entspannt sich die lang aufgeschossene Gestalt neben der Tür wieder und lässt sich locker mit dem Rücken gegen die Wand des Lagerschuppens im Hinterhof des Gemüseladens fallen. Ein Kaugummi verschwindet in seinem Mund.
Es riecht nach leichter Fäulnis und frischen Früchten und nach dem süßlichen Duft orientalischer Zigaretten.
»Du hast eine witzige Sitzgelegenheit, Leutnant Habib!«, sagt Munroe trocken.
Der fahlbraune Mitvierziger sieht zwischen seinen gespreizten Schenkeln hindurch auf die leere Obstkiste, auf der er sitzt. Dann springt er, wie von der Tarantel gestochen, auf, stößt einen arabischen Fluch aus und gibt dem Sperrholzbehälter einen heftigen Fußtritt. Die Kiste fliegt scheppernd und schon in der Luft zersplitternd an die Wand, aber auf den noch unbeschädigten Brettern kann man immer noch lesen: Product of Israel/Haifa.
General Munroe wendet sich dann an den Vertreter des Palästinensischen Generalkommandos, der jetzt an einem Packtisch lehnt. Sie haben keine Zeit für solche Spielereien. Das Spezial Active Service Unit braucht die zwischen dem IRA-Armeerat und dem Generalkommando vereinbarte logistische Unterstützung dringend. Dafür haben sie bezahlt. »Habt ihr die Sachen fertig?«
»Wie abgemacht!«, kommt jetzt auch Leutnant Habib zur Geschäftsgrundlage zurück. Auch er will die Sache schnell abgewickelt wissen. Der Vertrag zwischen den Iren und dem Generalkommando ist zwar auf höchster Ebene geschlossen worden, aber er möchte die Leute so schnell wie möglich hier raushaben. Schließlich dient dieses Depot den Aktionen seiner eigenen Leute, und er möchte nicht wegen ein paar verrückter Iren mit der Neusser Tarnung bei den BKA-Leuten auffliegen, dazu haben sie in nächster Zeit zu viel vor.
Zwischen plötzlich gespitzten Lippen stößt der Mann mit dem kurzen Kraushaar einen scharfen Pfiff aus. Hinter den aufgestapelten Gemüsekisten erscheinen zwei junge Burschen mit stabilen Kisten, die sie vorsichtig zu dem im Hof parkenden Wagen der SASU-Leute tragen. »Ihr hättet aber besser einen Kombi genommen. Ist euer Problem!«
Munroe und Donahue verstauen einen Teil der Kisten im Kofferraum. Der Rest der Ladung findet vor und auf dem Rücksitz Platz. Der lange Ire lässt sich dann noch mehrere Säcke Kartoffeln und ein paar Kohlköpfe geben, mit denen er sorgfältig die sichtbaren Flächen der Kisten abdeckt. Jetzt ist von den Holzbehältern nichts mehr zu sehen.
»Das Gemüse bekommt ihr noch umsonst dazu!«, sagt der Kraushaarige zum Abschied.
Ohne die Miene zu verziehen, antwortet Munroe: »Wir checken den Inhalt und melden danach Vollzug an unsere Leute!«
Langsam fährt der schwerbeladene Wagen nach rechts aus der Ausfahrt heraus. Knapp 200 Meter weiter hält Munroe auf der rechten Straßenseite direkt neben einer gelben Telefonzelle, deren Scheiben von der Regennässe glänzen.
»Bei uns wäre die schon lange hinüber«, bemerkt Donahue mit erstauntem Tonfall.
»Das ist eben der Unterschied zwischen Iren und Deutschen!«
Sean South ist jetzt von seinem Beobachtungsposten herangekommen und versucht fluchend einen Platz neben dem Gemüse zu finden.
»Alles in Ordnung?«
»Ja. Bis auf diese verdammten Kartoffeln hier!«
»Wenn du sonst keine Probleme hast«, kicherte Donahue wenig teilnahmsvoll.
»Shut up, boys! Beobachtet den Verkehr. Das ist ein Einsatz!«, peitscht Munroes Stimme hart in das Geplänkel der beiden hinein.
*
Der blaue Kleinwagen fährt langsam an der Spitze einer langen Fahrzeugschlange durch die grauen Regenschauer des Nachmittags. Gegen 17 Uhr erreicht der Berufsverkehr hier seinen täglichen Höhepunkt. An der Kreuzung neben der großen Tennishalle stoppt die rote Ampel die Fahrerin des blauen Fahrzeuges. Im Vergrößerungsvisier des Helios-Sichtgerätes zeichnen sich die auf das Lenkrad trommelnden Finger der blonden Frau in scharfen Umrissen ab. Das hellere Zielfenster wandert, ohne zu zittern, millimeterweise höher und höher. Über die Brust zum Hals, dann auf einen Punkt zwischen den konzentriert zusammengekniffenen Augen der Fahrerin. Ruhig verharrt der Sichtpunkt für eine Sekunde auf dieser Stelle, dann zieht der Mann am Fenster den Abzugshebel federleicht zurück.
Klick.
Der blaue Wagen fährt langsam wieder an und führt den folgenden Fahrzeugpulk über die Kreuzung in die Ortschaft hinein. Die blonde Frau wird, vorausgesetzt, sie würde nicht noch in einen Verkehrsunfall verwickelt, unbehelligt ihr Ziel erreichen.
Jack Donahue schwenkt das Präzisionsgewehr zufrieden über das verstopfte Autobahnkreuz nach rechts hinweg und legt es dann auf den großen mit Zeitungspapier abgedeckten Esstisch zurück. Dieses SSG 69 hatte an der Spitze seines >Wunschzettels< gestanden. Obwohl die britische Armee normalerweise das SA 80 mit dem SUSAT-Visier einsetzt, bevorzugt der IRA-Scharfschütze Donahue das österreichische Gerät der Firma Steyr-Mannlicher. Auf größere Distanzen übertrifft es das britische Gewehr an Schussgenauigkeit, und auch das Kahles-Helios-Sichtgerät hat Vorteile gegenüber der SUSAT-Visiereinrichtung. Man kann beide Augen offen lassen und ist so vor plötzlichen Überraschungen aus dem seitlichen Sichtfeld relativ sicher.
»BiEfBiEs! Music ... News ... Information. Twenty four hours a day. The radio division of EsEsViCi!«, plärrt singend das Jingle des feindlichen Soldatensenders aus dem Kofferradio in der Operationsbasis des irischen Special Active Service Units. »Keeping you in touch. BiEfBiEs. BiEfBiEs!« Dann das Zeitzeichen und die Stimme: »This is Colin Hamilton with the BBC news from London!«
Die Lieferung der PLO-Freunde ist mittlerweile ausgepackt und gesichtet. Säuberlich liegen die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände in Gruppen aufgeteilt auf dem Tisch und auf dem Fußboden. Die Aktionsausrüstung ist damit nahezu komplett.
Drei zusätzliche 9-mm-Browning-Gp-Mk2-Pistolen zu ihrem persönlichen Nahschutz, eine Stativstütze für das SSG 69, ein leichtes Greener Harpunengewehr mit drei Harpunen und sechs Rollen Spezialseil, zehn flache Packungen Semtex-Sprengstoff, Bauteile elektronischer Zündungsmechanismen, drei Sender, zwölf Handgranaten tschechischer Herkunft, Nebeltöpfe. Statt der sonst üblichen britischen Sterling-MP hatten die arabischen Lieferanten zwei Heckler-&-Koch-9mm-Maschinenpistolen geliefert, ein Waffentyp, der Donahue und South genauso vertraut ist und der besser zu bestimmten Teilen ihrer Ausrüstung passt.
Vervollständigt wird die PLO-Lieferung durch dazugehörige Munition, ein sowjetisches NSP-2-Infrarotsichtgerät, zwei Polaroid-Sofortbildkameras, Drahtschneider, Handstrahler, diverse Spezialwerkzeuge, zwei Einsatzuniformen der bundesdeutschen GSG 9 sowie zwei Dienstuniformen der englischen Militärpolizei nebst Armbinden und roten Dienstmützen.
Die noch verbleibenden vier Vorbereitungswochen wird das irische Spezialkommando mit der Feinplanung und Informationsaufbereitung zubringen. Munroe, Donahue und South wissen, dass eine der Hauptgefahren in der dabei möglichen Entdeckung und Enttarnung ihrer entsprechenden Aktivitäten liegen wird. Um dieses zumindest zu erschweren, sind von Belfast aus eine Reihe von Maßnahmen und Aktionen vorbereitet worden.
Um 19 Uhr verlässt Munroe in Begleitung von Sean South die Wohnung im dritten Stock des achtstöckigen Wohnblocks und begibt sich in die Telefonzelle an der Ecke der Straße. Zwar birgt das gewisse Gefahren, aber General Munroe schätzt die Gefahr höher ein, dass ein Gespräch von dem in der Wohnung befindlichen Telefonapparat per Zufall abgehört werden könnte.
Sean South beobachtet aus dem Eingang des mittlerweile geschlossenen DM-Supermarktes die Umgebung. Alles scheint in normaler Feierabendstimmung zu liegen. An der Bushaltestelle hält quietschend ein Bus der Linie 782. Sechs Fahrgäste verlaufen sich in den umliegenden Straßen. Klirrend zersplittert Glas in einem der grünen Altglascontainer neben der Telefonzelle. Der Mann faltet zwei jetzt leere Plastiktüten sorgfältig zusammen, geht dann zu seinem haltenden Wagen und fährt davon. Von der nahegelegenen katholischen Kirche dröhnen Glockenschläge herüber.
Munroe steht mit einigen silbernen Münzen in der Hand in der stickigen Sprechkabine und wählt die Nummer. Null-null-vier-vier-eins-vier-sieben-zwei ... Das abgehackte Signal auf der englischen Seite. Der Teilnehmer meldet sich. »Hallo?«
»This is Berlin. It's the General. Logistics are o. k.!«
»Roger, Berlin!, bestätigt die männliche Stimme und fügt dann noch hinzu: »Good luck!«
Munroe legt auf, steckt die restlichen Münzen ein und bleibt für einige Sekunden mit geschlossenen Augen stehen. Jeder Tag würde sie jetzt dem wichtigsten Auftrag ihres Lebens entgegenbringen. Alles, was sie bisher für Irland geleistet hatten, war dagegen völlig unwichtig. Dieser Tag im November würde alles wegwischen. Jeder Schritt, jeder Atemzug dient nur diesem einen Ziel. Es muss gelingen!
Als die beiden nach erfolgter Meldung an ihren Londoner Verbindungsmann in die spärlich eingerichtete Wohnung zurückkehren, hören sie bei ihrem Eintritt den Sprecher des Soldatensenders mit seiner eindringlichen Warnung über den Äther: »Stay alert to stay alive! Bleibt wachsam, um am Leben zu bleiben!«
South spuckt ein höhnisches »drop dead« heraus, aber Munroe zeigt weiterhin einen gleichbleibend aufmerksamen Gesichtsausdruck in dem von langer Haft abgemagerten Gesicht.
»Unser Manöver sollte heute gelaufen sein. Hoffentlich sind Leutnant Habibs Leute dort genauso gut!«
*
»Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze. Seht euch nur die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann. Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze ... auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze. Seht euch nur die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann. Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze ...«
Hauptkommissar Benedict geht davon aus, dass es so einige hundert Millionen Kinder im Vorschulalter auf dieser Erde gibt. Darunter wird es wohl stille, lustige, wissbegierige, vorlaute, frohe und auch ganz liebe Kinder geben. Und es gibt nervende Exemplare. Der Düsseldorfer Polizist verflucht sein Schicksal, welches ihn offensichtlich immer wieder mit den nervenden Exemplaren zusammenführt.
Dieses hier ist kaum fünf Jahre alt, weiblichen Geschlechts und trägt eine Nickelbrille im versonnen lächelnden Gesicht. Es sitzt in der Reihe vor ihm auf dem Fensterplatz einer Boeing 737 der British Airways, die nach Berlin unterwegs ist. Seit dem Start in Düsseldorf vor fünfundzwanzig Minuten singt es unablässig dieses Lied von dieser verdammten Wanze.
Ob es wohl in diesem Fall mildernde Umstände bei Kindestötung gäbe? Oder für eine Flugzeugentführung ein höherer nervlicher Notstand geltend gemacht werden könnte?
»Cheers!«, mischt sich das raue Organ des Nordiren in Benedicts unfeine Gedanken. Die beiden neben ihm sitzenden Iren sind schon am frühen Morgen wieder bei Whisky. Beim Anblick der schwappenden braunen Brühe in den Bechern der beiden wird Benedict übel, und er richtet die Augen schnell zum Fenster hinaus. Löcher in der aufreißenden Wolkendecke geben den Blick frei auf abgezirkelte Feldraine, blanke Spiegel runder Seen, dann wieder dunkle Waldflächen und rauchende Fabrikschlote.
Er hätte sich vor zwei Tagen auch noch nicht träumen lassen, dass er am Freitag Vormittag in einer Maschine nach Berlin sitzen würde. Die Meldungen waren von drei verschiedenen Seiten auf den Telefonen des ISAT-Büros aufgelaufen. Zuerst war Captain Hart von Kollegen aus der Berliner Garnison angerufen worden, dann meldete sich das LKA Berlin, und fast unmittelbar darauf hörte der Hauptkommissar die unverkennbare und ihm sehr willkommene Stimme der Oberstaatsanwältin Meerkämper am Telefon, die ihm im Grunde genommen nur noch die vorausgegangenen Anrufe bestätigte. Alle involvierten Dienststellen waren der Meinung, dass das ISAT-Team die Geschichte unbedingt überprüfen müsse, und so sitzen die vier nun in diesem Schüttelflieger von Düsseldorf nach Berlin, und Benedict hat das zweifelhafte Vergnügen, dem Lied von der Mauerwanze zu lauschen. Den beiden Iren scheint das nichts auszumachen, und Captain Hart sitzt auf der anderen Gangseite.
»Sinn der Bildergalerie hier ist nicht, dass die deutsche Polizei sich jetzt 147 IRA-Verdächtige einprägen soll. Die Bilder sind auch für uns selbst als Gedächtnisstütze gedacht, obwohl wir die Fotos alle kennen. Und für dich, Benny, wäre es ganz gut, wenn du dir vielleicht zehn oder zwölf Bilder sehr genau ansiehst, damit du die Leute erkennst, wenn sie dir zufällig in Düsseldorf übern Weg laufen!« So hatte Jerry Hart gestern Nachmittag formuliert und dann noch fast belanglos hinzugefügt: »Hast du dir die neuen Aufnahmen von der Farrell aus dem Magill-Magazin angesehen? So ungefähr dürfte sie heute aussehen. Wenn du die irgendwo erkennen solltest, absolute Vorsicht! Sie schießt erst und fragt dann! Wenn die in Düsseldorf ist, dann können wir sicher sein, dass die Sache hier steigen wird!«
»Schwierig, sehr schwierig«, hatte der Hauptkommissar mit Blick auf die Magill-Fotos in sich hineingemurmelt und sich dann zehn andere Bilder ausgesucht.
»Auf der Mauer auf der Lauer sitzt 'ne kleine Wa'. Seht euch nur die Wa' an ...«
Vorbei am Ost-Berliner Fernsehturm fliegt der blau-weiße Westvogel in die Einflugschneise nach Tegel. Benedict verstaut das Highlife-Bordmagazin in der Tasche der Rücklehne vor sich. Vergeblich bemüht er sich, die langen Beine auszustrecken. Dann hat der feste Boden sie wieder. Nach einer Stunde Flugzeit betreten sie die Kunststoffnoppen des Berliner Flughafens Tegel. Benedict rümpft die Nase. Als er das letzte Mal nach Berlin geflogen war, landete die Maschine noch im gemütlichen Tempelhof. Jetzt also auch hier internationale Flughafenatmosphäre, angestrengt und irgendwie unpassend für die Halbstadt. Das singende Wanzenkind wird von einer schicken Jungmutti in die Arme geschlossen und entschwindet endlich seinen Ohren.
»Na, wohin soll’s denn jehn, Meesta?«
»Zum Flugplatz Gatow!«
»Zu die Tommies, waa! Soll ick üba de Avus oda üba de Potsdama fahren?«
»Fahren Sie ruhig durch Siemensstadt und dann über die Potsdamer Chaussee!«
»Aua. Der Bundi kennt sich aus. Na, is jut. Ham’se den Knalla schon jehört? Der Barschel ist nu doch zurückjetreten! Hat wohl doch janz schön Dreck am Stecken!«
Der Taxifahrer berichtet Neues. Also hat man die Sache doch nicht so schnell unter den Teppich kehren können, wie Benedict das nach der Landtagswahl angenommen hatte. Hart, McGrath und O’Connell sind an dem Gespräch zwischen Benedict und dem Berliner Taxifahrer nicht interessiert und sehen neugierig auf die Straßenzüge der ehemaligen Hauptstadt.
Auf dem Gelände der Royal Air Force werden sie von einem Captain der englischen Special Investigation Branch in Empfang genommen und in einen kleinen Konferenzraum geführt, der nicht ein einziges Fenster hat. Weiße Leuchtröhren tauchen den spartanisch wirkenden Raum in kaltes Licht.
»Wir fahren gleich anschließend an den Explosionsort, damit Sie sich ein Bild machen können. Bitte setzen Sie sich doch. Tee?«
Die vier Männer aus Westdeutschland murmeln Zustimmendes und setzen sich an den blankpolierten Konferenztisch. Eine junge Frau in Luftwaffenuniform bringt ein Tablett mit fünf Teetassen, Milch und Zucker und einem Glasteller mit Keksen. Der Berliner Captain wartet, bis das Mädchen den Raum verlassen hat.
»Ich bin John Grey. Captain der S.I.B. Wird Ihnen Jerry ja schon gesagt haben. Die Ladung explodierte heute Nacht in einem Vauxhall mit englischem Kennzeichen. Um exakt 1 Uhr 37. Der Wagen war bei den Montgomery Barracks abgestellt, dem englischen Wohnviertel in Kladow. Fast an der Mauer. Es wurde niemand verletzt. Ein paar andere Fahrzeuge sind hinüber, es gibt ’ne Menge Glasschaden. Sonst nichts. Erfahrungsgemäß mussten wir davon ausgehen, dass auch an anderen Stellen Bomben deponiert sein würden, wenn es die IRA-Leute waren. Also durchsuchten wir sämtliche Fahrzeuge in den Barracks und fanden auch noch zwei präparierte PKWs mit Ladungen unter dem Chassis. Sie wurden mit ferngesteuerten Robotern abmontiert und werden gerade von unseren Spezialisten untersucht. Die Ergebnisse werden wir wohl haben, wenn wir von der Besichtigung zurückkommen. In einem der nicht explodierten Fahrzeuge fanden unsere Leute einen Stadtplan von Köln mit einer handschriftlichen Zahlenfolge, die wir für eine Telefonnummer hielten. Eine Anfrage in Köln heute Morgen war Fehlanzeige. Da gibt es diese langen Nummern nicht. Wir haben es dann in Berlin versucht. Die Telefonnummer gehört zu einem Anschluss auf der Falkenseer Chaussee in Spandau. Seit einer halben Stunde wird die Wohnung von Ihren und unseren Leuten observiert. Wir fahren da heute noch hin.«
Kurz darauf fahren sie mit zwei Landrovern über den Ritterfeld Damm und die Sakrower Landstraße zu den Montgomery Barracks, Die haben sich das hier hübsch eingerichtet, denkt Benedict im Fond des brummenden Militärfahrzeugs. Sieht fast aus wie im Grunewald. Alles schön grün. Schmucke, kleine Einfamilienhäuschen. Von wegen Barracks! Aber einen friedlichen Eindruck macht es nicht gerade. Am Eingang zur Siedlung und in den Straßen Soldaten im Kampfanzug und mit geschwärzten Gesichtern.
Die roten Mützen der Militärpolizei. Aber keine Aufregung. Leute in grünen Overalls notieren ruhig und koordiniert Fundstücke, Fotoapparate klicken, Kommandos. Keine besondere Hektik. Leuchtende Plastikbänder sperren den Explosionsort im Umkreis ab. Verbogenes und geschwärztes Metall, Lack mit Blasen, drei Autowracks. Schon werden die Fenster an den Häusern wieder ersetzt. Der scharfe Geruch liegt noch in der Luft. Dennoch zwitschern hier Vögel. Benedict schüttelt verwundert den Kopf. Tatsächlich, über den Soldaten sitzt in den Bäumen ein Vogelschwarm. Haben wohl vergessen, gen Süden aufzubrechen.
Schweigend betrachten die vier ISAT-Männer die noch qualmenden Reste des nächtlichen Knalls und laufen ziellos zwischen den Spezialisten herum. Hier gibt es nicht viel für sie zu tun, da sind schon die richtigen Leute am Werk. Jetzt ist anderes wichtiger.
»Okay, John!«, sagt Captain Hart endlich laut zu seinem Berliner Kollegen. »Das langt. Fahren wir wieder zurück!«
Gegen 13 Uhr treffen die zwei Jeeps der Königlichen Militärpolizei wieder auf dem Gelände der Royal Air Force in Gatow ein. Ein geflecktes Harrier-Jagdflugzeug mit blau-roten Kokarden an den Flügeln landet unter pfeifendem Düsengekreische. Interessiert verfolgt Benedict die fast senkrechte Landung des Siegers von Falkland. Technik hat etwas fürchterlich Korrumpierendes, findet der Deutsche und erschauert leicht.
Im fensterlosen Konferenzraum mit den kahlen Wänden dröhnt leise eine Klimaautomatik. Es ist kalt und verqualmt. Zwei Abgesandte vom Berliner Landeskriminalamt erwarten die >Touristengruppe< und geben letzte Informationen über die Wohnung auf der Falkenseer Chaussee.
»Bei der Wohnung mit dem genannten Telefonanschluss handelt es sich um ein Zwei-Zimmer-Apartment im ersten Stock eines sechsstöckigen Hauses. Architektenzeichnung liegt vor. Das Haus gehört der BAURENTA-Wohnungsgesellschaft und wurde vor fünf Jahren errichtet. Laut Auskunft der Wohnungsgesellschaft wurde die bezeichnete Wohnung vor drei Jahren an einen Auslandsstudenten vermietet, der an der TU studiert. Der Mann ist laut Ausländerbehörde an dieser Anschrift ordentlich gemeldet und verfügt über eine Aufenthaltsgenehmigung. Er ist 32 Jahre alt. Sein Name ist Yussuf Hafis. Als Heimatanschrift ist Damaskus/Syrien angegeben. Es liegt nichts gegen ihn vor!«
»Haben Sie den Mann schon vernommen, Kollege?«, fragt Benedict den dürren Beamtentyp vom Berliner LKA.
»Versucht. Ja. Wir haben erst die vorliegende Telefonnummer angewählt. Aber da war Fehlanzeige. Hat sich niemand gemeldet. Dann hat einer unserer Leute als Briefträger an der Wohnung geklingelt, es hat aber auch niemand geöffnet. Der Hauswirt hat ihn wohl auch schon länger nicht mehr gesehen ...«
»Wie lange?«
»Kann er sich nicht erinnern. Vielleicht einen Monat oder so. Ist aber nichts Ungewöhnliches bei diesen Ausländern. Meinte der Hauswirt. Wir haben dann im Keller auf die Zähler gesehen, das bewegt sich nur ganz langsam. Erfahrungsgemäß ist das die Leistung vom Kühlschrank und von anderen ständig laufenden Geräten. Lässt nicht unbedingt auf den Gebrauch mehrerer Stromquellen schließen ...«
Sein Kollege in der Lederjacke nickt bestätigend mit dem Kopf und setzt den Bericht fort. »Wir haben dann bei der TU nachgefragt, beim Rektorat. Hafis hat sich vor einem Monat für den Rest des Semesters beurlauben lassen. Wegen einer dringenden Familienangelegenheit musste er angeblich nach Syrien zurück.«
»Die Wohnung steht also leer?«
»Wie es aussieht, ja. Aber wir sind nicht sicher. Unsere Kontakte zu Syrien sind zur Zeit nicht so gut, dass wir da einfach anfragen könnten und kurzfristig Auskunft bekommen würden. Vorsichtshalber observieren wir die Wohnung mal weiter. Müssen Sie dann entscheiden, was weiter passieren soll.«
»So lautet jedenfalls unsere Anweisung vom BKA Wiesbaden«, sagt Lankmann abschließend.
Fragende Blicke auf die vier ISAT-Leute. Der Berliner S.I.B.-Captain spielt mit seinem Zeigefinger an einem Brandfleck auf der polierten Tischplatte herum.
»Wann können wir mit dem Bericht Ihrer Bombenspezialisten rechnen?«, fragt Benedict ihn.
Grey springt auf und geht zu dem Telefon in der Ecke neben einem Overhead-Projektor. Nach einer halblaut geführten Unterredung dreht er sich mit unglücklichem Gesicht zu seinen Besuchern um.
»Tut mir leid. Es sind Schwierigkeiten aufgetreten. Die Leute werden nicht vor morgen Vormittag mit den Untersuchungen fertig sein!«
»Also treffen wir uns morgen wieder hier?«
»Ja.«
»Wann?«
»Um zehn Uhr, schlage ich vor. Wenn Ihnen das nicht zu früh ist!«
Die Gesichter von Grey und den beiden LKA-Leuten haben sich zu einem Grinsen verzogen. O’Connell, McGrath und Hart blicken flach in die Runde. Nur Benedict ist im Bilde und versucht, seinen drei ausländischen Kollegen den Begriff »Polizeistunde« und die Konsequenzen des Wegfalls derselben klarzumachen.
»Könnt ihr uns vorher in der Meinekestraße vorbeifahren?«, fragt er die LKA-Kollegen draußen. »Dann können wir unsere Taschen abstellen und uns auch ein bisschen frisch machen.«
Lankmann und Budde setzen die vier vor der Hotelpension Savoy ab und warten unten im Wagen. Nachdem das Gepäck abgegeben ist, fahren sie nach Spandau in die Falkenseer Chaussee zu dem Haus mit dem verdächtigen Telefonanschluss.
Hier hat sich seit heute Vormittag nichts Entscheidendes ereignet. Niemand hat die Wohnung betreten oder verlassen.
Die Gruppe, zu der auch wieder Captain Grey stößt, trifft sich in einer Schultheiß-Eckkneipe und bespricht die Lage.
»Was machen wir weiter?«, fragt Benedict über seine Molle in die Runde. John Grey schnüffelt nervös mit der Nase. »Die paar Stunden Beobachtung sind etwas wenig. Wenn wir die Wohnung bis morgen beobachten, geht uns vielleicht noch was ins Netz!«
Die drei ISAT-Manner nicken zustimmend, aber äußern sich noch nicht. Dann räuspert sich Lankmann nach einem tiefen Schluck. »Wir könnten versuchen, von den beiden angrenzenden Wohnungen aus einen Lauschangriff durchzuführen. Dann wissen wir wenigstens mit Bestimmtheit, ob jemand in der Wohnung ist!«
»Wäre auch sicherer für den Fall, dass wir morgen reingehen wollen«, öffnet McGrath jetzt doch den Mund.
Unbehaglich nestelt Benedict an seinem Krawattenknoten herum. Er starrt hilfesuchend auf seine drei Kollegen, aber für die ist das Normalität.
»Na gut«, sagt der Düsseldorfer Kommissar dann zögerlich. »Machen Sie das so. Und wenn sich bis morgen nach unserem Treffen in Gatow noch nichts ergeben hat, dann sehen wir uns die Wohnung mal etwas genauer an!«
*
»Tja, wir werden eben alle nicht jünger!« Die Oberstaatsanwältin straft ihre eigenen Worte Lügen. Mit der gepflegten linken Hand streift sie eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr zurück und löffelt genüsslich ihr Mousse au Chocolat.
Nein. Man sieht ihr kaum an, dass sie kurz vor Überschreiten der Fünfzigerschwelle steht. Straffe, braun getönte Haut, voller, sinnlicher Mund. Eine Frau im vollen Bewusstsein ihres Könnens und ihrer Fraulichkeit.
»Aber manche immer fetter!«, stöhnt Benedict und versucht den spannenden Bauch einzuziehen.
»Also, Vitus H Punkt! Das haben wir beide doch nicht nötig!«
Recht hat sie. Dazu haben sie zu lange in Düsseldorf zusammengearbeitet. Gut zusammengearbeitet. Schade, dass sie sich unbedingt nach Berlin versetzen lassen musste. Na ja, bessere Chancen. Aber seit ihrem Weggang sind die Kontakte mit der Staatsanwaltschaft nicht mehr so reibungslos. Da sei Eugen Sprotte vor!
»Wie macht sich der Kollege Grüberle denn so? Kommt ihr gut mit ihm zurecht?«
Carola Meerkämper kratzt mit ihrem Teelöffel die letzten Reste der französischen Dessertschleckerei zusammen.
»Ach, hätte schlimmer werden können, Meerkämperin. Um die Wahrheit zu sagen, er kommt so langsam. Aber so gut wie mit Ihnen wird das halt nie laufen!«
Die blonde Frau in dem roten Kostüm reißt in gespielter Verzweiflung ihre blauen Augen auf. »Mir kommen ja fast die Tränen ... oder macht mir der Leiter des 1. K etwa Avancen? Muss ich unbedingt meinem Mann erzählen. Dann kann Vitus H Punkt nämlich seinen eigenen Todesfall ermitteln!«
Benedict lacht verlegen in sich hinein. Vielleicht hat sie sogar ein ganz klein wenig den Punkt getroffen. Er hatte richtig Herzklopfen gehabt, als er um sechs Uhr abends vor dem bombastischen Säuleneingang des Moabiter Kriminalgerichts in der Turmstraße stand.
Es war eben nicht nur die gute Zusammenarbeit damals gewesen. Er hätte sich was vorstellen können mit dieser intelligenten, selbstbewussten Frau der Staatsanwaltschaft, die auch ihre starke Ausstrahlung im Gespräch einsetzte. Da hatte es manchmal ganz schön geknistert. Aber sicher war er sich nie gewesen, ob sie ihre Beziehung eventuell auch auf einen anderen Bereich ausdehnen würde. Und immerhin, sie war verheiratet. Fast wie ein kleiner Pennäler war er den gigantischen Treppenaufgang emporgeschlichen, und erst hier, in diesem merkwürdig deplatziert wirkenden Fachwerkhäuschen namens Paris-Moskau, fühlte er sich wieder halbwegs entspannt.
»Na? Noch einen schönen Cognac und die obligatorische Kiste?«
Sie kennt ihn noch sehr gut. Weiß um seine heimlichen Laster. Als sie sein Zögern bemerkt, fügt sie beruhigend hinzu: »Alles aus unserem Reptilienfonds für liebe Gäste aus Westdeutschland!«
»Nein, nein. Deshalb nicht. Aber ich platze schon aus allen Nähten!«
»Papperlapapp! Havannas haben bekanntlich keine Kalorien!«
Benedicts angetäuschter Widerstand fällt zusammen wie dürres Herbstlaub. Dann zeigen warmer Remy und karibisches Kraut Wirkung. Entspannt rutscht der Kommissar mit dem Rücken an die Lehne und öffnet ungeniert die Westenknöpfe.
Oberstaatsanwältin Meerkämper zündet sich mit einem zierlichen Lackfeuerzeug eine Zigarette an. Dabei klirrt ein goldener Armreif an ihrem Handgelenk. In die Tabakwolken hinein formuliert sie vorsichtig über den abgeräumten Tisch hinweg: »Abgesehen davon, dass Sie wirklich ein bisschen aus der Form gehen, machen Sie auch sonst keinen allzu guten Eindruck, Vitus H Punkt. Was ist los mit Ihnen? Oder besser: Was ist los bei Ihnen?«
So ist sie. Immer auf den Punkt. Benedict wiegt seinen Kopf hin und her. Soll er ...?
»Bitte. Wir müssen uns darüber nicht unterhalten, wenn Sie nicht wollen. Aber manchmal ist es ganz gut, mit Menschen zu reden, die etwas außerhalb stehen. Es könnte helfen, oder?«
Die Meerkämper nippt an ihrem Irish Coffee und sieht ihn aufmunternd an.
Und dann brechen die Schleusen.
Nach dem vierten Cognac liegt die ganze verkorkste Situation des 1. K zwischen ihnen auf dem Tisch, und Benedict merkt, dass er sich erleichtert fühlt. Allein die Tatsache, dass er das Problem Leiden-Oster vor dieser Frau ausbreiten kann, scheint dasselbe zu verkleinern. Schon jetzt sieht er in einigen Punkten klarer und glaubt, während des Erzählens eigene Fehler und auch Lösungsansätze erkannt zu haben. Und Carola Meerkämper hat noch kein Wort gesagt.
»Das mit dem Ganser finde ich sehr gut!«
»Was?«, schreckt Benedict aus seiner Nachdenklichkeit auf.
»Dass Sie den Kriminalhauptmeister wieder nach Düsseldorf geholt haben! Ich kann mir vorstellen, dass er in der Lage ist, als Katalysator zu wirken. Er hat so was! Außerdem wird Ganser immer in Ihrem Sinne arbeiten ... soweit es seine Loyalität gegenüber der Institution Polizei erlaubt!«
Vitus H. Benedict lässt sich jetzt doch einen Kaffee und ein Selters bringen.
»Aber irgendetwas stimmt mit der Dame trotzdem nicht. Da ist so eine Gespanntheit und Aggressivität, deren Ursache keiner kennt, an die man auch nicht rankommt. Das hängt über ihr ... wie ... wie eine Aura! Klingt blöd, nicht? Eine Art Drohung von Gefahr. Komisch, oder?«
Nachdenklich fährt die Staatsanwältin mit der Kuppe ihres Zeigefingers über den Rand des leeren Irish-Coffee-Glases. Ein melodiöses Summen erklingt.
»Vielleicht. Aber wir beide wissen zu gut, dass unsere Arbeit oftmals auch auf solchen Ahnungen fußt. Mag sein, dass ich Ihnen da weiterhelfen kann. Haben Sie schon mal ihre Personalakte daraufhin durchforstet?«
»Ja. In aller Ausgiebigkeit. Nichts Greifbares zu finden.«
»Mmh, Sie sagen, dass sie vorher in Köln war. Dezernat für Sexualstraftaten?«
»Genau. In Köln.«
»Ich kenne die Leiterin der Kriminalgruppe, die für Ihre Kollegin zuständig gewesen sein muss, recht gut. Wenn Sie nichts dagegen haben, spreche ich mal mit ihr über die Kommissarin Leiden-Oster!«
Gegen halb zwölf setzt ihn die Staatsanwältin am Savoy ab. Die drei ISAT-Kollegen sind wohl noch unterwegs. Sie scheinen den Begriff Polizeistunde verstanden zu haben. Benedict geht mit dem wohligen Gefühl zu Bett, einen richtig gelungenen Abend verbracht zu haben. Trotz des vollen Magens schläft er ungewohnt ruhig ein.
Draußen ist es grau in grau. Um 8 Uhr früh, an einem Sonnabend, ist es auch in einer Metropole noch ziemlich ruhig. Als Benedict in den Frühstücksraum kommt, ist der Brötchenkorb schon leer, und seine drei Kollegen sitzen über Spiegeleiern mit krossem Speck. Putzmunter sehen sie wieder aus mit ihren roten Augen und den wasserfrisierten Morgenköpfen.
»Morning everybody! Alles klar?«
Der Hauptkommissar versucht, sich mit seinem Kaffee an den Nebentisch zu verziehen, aber Jerry Hart räumt den Stuhl neben sich von den Morgenzeitungen und nötigt ihn mit einer energischen Handbewegung in die Runde der Esser. Allein davon schon dreht sich Benedict fast der Magen um. Die Eier triefen von Fett. Er hat vorhin kaum die Hose zugekriegt und sich statt der Weste einen Rollkragenpullover übergezogen.
»Na, noch Schrippen?«, fragt das Frühstücksmädchen die Tischrunde.
»Nein, danke«, sagt Benedict morgenfaul, wird aber übertönt von dem lauten »aber sicher, schöne Frau!« des Iren O’Connell.
Knackig sehen sie aus und knusprig, die Schrippen in dem Bastkörbchen. Herrlicher Morgenduft. Und es werden immer weniger, sehr schnell. So greift der Hauptkommissar denn doch noch zu und sichert sich eine der hellbraunen Berliner Köstlichkeiten. Er lässt sich sogar noch einen Schusterjungen bringen, wie seine geliebten Röggelchen hier genannt werden.
»Wie war’s gestern? Wann seid ihr zurück gewesen?«
Die drei grinsen sich an wie Schulbuben nach einem gelungenen Streich. »So gegen vier.«
»Was haltet ihr von der Sache mit der Wohnung?«
Die gerade noch feixenden Gesichter der drei Frühheimkehrer verziehen sich zu einer skeptischen Grimasse. Wie auf Kommando legen sie klappernd die Bestecke zurück auf ihre Teller.
Dann meint McGrath, während er schnell einen Bissen hinunterschluckt: »Wir wollen noch abwarten, was die Untersuchung der Sprengsätze nachher ergibt.«
»Vor allen Dingen der beiden, die nicht explodiert sind«, ergänzt Jerry Hart und wischt sich mit einer Serviette den Mund ab.
O’Connell wartet nicht ab, bis er zu Ende gekaut hat, sondern murmelt ziemlich undeutlich etwas wie: »Müssen mal den gesamten Inhalt der zwei anderen Wagen checken und den komischen Stadtplan mit der Nummer.«
Um 9 Uhr hält unten auf der Meinekestraße der blaue Audi vom LKA. Lankmann und Budde kommen. Also gibt es noch mal Schrippen und Kaffee.
Mit vollem Mund berichten die zwei, dass sich in der Falkenseer Chaussee nichts getan hat. Auch der Lauschangriff hat nur bestätigt, dass sich in der fraglichen Wohnung wirklich niemand aufhält.
Auf dem Weg raus nach Gatow stellt der Düsseldorfer fest, dass er in einem Budweiser-Paradies gelandet ist. Nahezu jede zweite Kneipe trägt das tschechische Bierwappen lockend über der Tür. Er fährt sich mit der Zunge verlangend über die trockenen Lippen.
Am Straßenrand steht eine lange Reihe gelber Doppelstockbusse. Die Straßen bevölkern sich rasch mit Einkaufswilligen und Touristen. Taxis, Taxis, Taxis. Grellgelb lackiert rumpelt ein U-Bahnzug oberirdisch auf schwarz-eisernen Stahlgerüsten.
Dann wieder der Eingang Royal Air Force Gatow.
Im Konferenzraum sieht es heute aus, wie auf dem Flohmarkt. Der lange Mitteltisch und zwei zusätzliche Tische an den Seitenwänden sind mit nummerierten und beschrifteten Gegenständen bedeckt. An der Stirnwand neben dem Overhead-Projektor stehen zwei Männer in englischen Uniformen.
»Sorry, wir sind heute etwas beengt. Tee und Bisquits finden Sie da in der Ecke auf dem kleinen Tisch. Versorgen Sie sich, bevor Sergeant Lashmar und Corporal Jennings mit ihrem Vortrag beginnen!«
Die Präsentation der beiden englischen Spezialisten ist knapp und sachlich. Der Semtex-Sprengstoff war mit Klebemagneten an der Unterseite der Fahrzeuge befestigt worden. Zur Aufnahme von Sprengstoff und Zündvorrichtung hatte ein viereckiger Holzkasten in den Abmessungen 30 cm x 22 cm x 15 cm gedient.
»Sie sehen hier«, der lange Zeigestock des rotgesichtigen Sergeanten tippt auf einen braunen Kasten am schmalen Ende des Konferenztisches, »einen der beiden Sprengsätze, die nicht explodierten, im Originalzustand.« Mit einem dünnen Lächeln fügt er hinzu: »Natürlich nur mit einer Semtex-Atrappe! Daneben, wenn Sie bitte schauen wollen«, der lange Schulmeisterstock schwenkt weiter nach links hinüber, »sehen Sie das in seine Einzelteile zerlegte zweite Gerät. Der Holzbehälter, das Explosionsmittel, Zündung, Empfänger und Haftkleber! Die Zündung erfolgte durch einen starken Funkimpuls, der hier an dieser Stelle die Explosion auslöst.« Die Spitze des Zeigestocks verharrt zitternd in der Luft.
»Haben Sie feststellen können, ob der explodierte Sprengsatz auf dem gleichen Prinzip beruhte?« O’Connell hat einen Block vor sich auf den Knien und macht schnelle Notizen.
»Ja, Sir, nach dem gleichen Prinzip!«
Auch Hart und McGrath bedecken Notizpapier mit kleinen Kritzeleien. Captain Hart fährt mit leichtem Klicken die Mine seines Kugelschreibers zurück und fragt den steif stehenden Sergeant: »Sie haben die beiden anderen Sprengsätze untersucht. Wurde irgendeine Funktionsstörung entdeckt? Etwas, das die Ursache dafür sein könnte, dass die beiden anderen Bomben nicht explodierten?«
»Nein, Sir, beide Sprengsätze mit ihren Zündmechanismen sind in funktionstüchtigem Betriebszustand!«
»Sie hätten also explodieren müssen?«
»Ja, Sir, wenn der Funkimpuls abgegeben worden wäre!«
»Was ist mit dem Sprengstoff und dem Empfänger?«, meldet sich McGrath.
»Alles funktionstüchtig, Sir!«
Benedict hat nichts zu schreiben, aber das Gefühl, auch etwas fragen zu müssen. »Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass die beiden anderen Sprengsätze nicht explodiert sind, Mister Lashmar?«
»Nein, Herr Benedict. Wir haben überlegt, dass vielleicht die Sendefrequenz, auf der der Funkimpuls gegeben werden sollte, aus irgendwelchen Gründen gestört worden sein könnte.«
»Ach so.«
Die drei ausländischen ISAT-Spezialisten verziehen die Mundwinkel nach unten, aber sagen nichts dazu. Sie machen nur weiter Notizen auf ihren Schreibblöcken.
Corporal Jennings erklärt jetzt die in den beiden unversehrten Fahrzeugen gefundenen Gegenstände. Aber da ist nichts Aufregendes dabei. Das übliche Sammelsurium: Kleenex-Tücher, Putzlappen, Parkscheiben, mehrere Kulis, ein paar Montagehandschuhe, ein Overall, Abschleppseile, Starterkabel, Zigarettenreste aus Aschenbechern, zwei Schokoladenriegel, eine halbe Dose Mehrbereichsöl und eine rote Flasche STP-Benzinzusatz. Jennings wartet auf Fragen, aber es kommt nichts von den Zuhörern. Die zwei LKA-Leute, O’Connell und McGrath, qualmen um die Wette in dem abgeschotteten Raum. Es ist empfindlich kalt. So kalt, dass Benedict innerlich zu zittern beginnt.
»Dann dürfen wir Ihnen auch den Kölner Stadtplan mit der Telefonnummer zurückgeben«, erhebt sich Lankmann halb von seinem Stuhl. »Wir haben ihn im Labor untersucht, aber nichts Verwertbares gefunden!« Aus einer Tüte holt er einen Falkplan und legt ihn auf den Konferenztisch zu den anderen Sachen.
»Nichts markiert drauf?«, fragt Captain Hart mit ätzendem Spott in der Stimme.
Auch seine beiden irischen Kollegen grinsen spöttisch.
Lankmann schüttelt verständnislos den Kopf.
»Und was machen wir mit der Wohnung?«, fragt Budde in die Runde. »Können wir die jetzt durchsuchen lassen?«
Benedict schaut fragend seine drei Mitstreiter an, die aber einhellig die Köpfe schütteln.
»Warum nicht?«
Die Verblüffung steht nicht nur in seinem Gesicht geschrieben.
Jerry Hart stimmt sich kurz mit seinen beiden Kollegen ab und steht dann auf. »Wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass an der Sache etwas faul ist. Erstens, eine Bombenzündung an einem leeren Wagen auf einer leeren Straße zu nachtschlafender Zeit, mit dem einzig möglichen Resultat, einen Riesenknall zu verursachen. Ziemlich unsinnig. Schwerwiegender aber ist der Umstand, dass man für so was keinen ausgefeilten Encode-Decode-Zündmechanismus einsetzen würde. In solchen Fällen arbeitet die IRA mit stinknormalen Zeitzündern, an einen simplen Wecker gekoppelt. Die Encode-Decode-Zünder verwendet die IRA nur dann, wenn ein bewegliches Ziel an einer ganz bestimmten Streckenstelle getroffen werden soll!«
»Wie zum Beispiel bei dem Anschlag auf den Bus des First Battalion Light Infantry in Belfast, auf der A 5!«, knurrt McGrath bissig dazwischen.
»Korrekt«, bestätigt Hart. »Was soll also ein derart komplizierter Sprengsatz bei einer so simplen Sache? Zweitens, wurde nicht nur ein Fahrzeug auf diese Weise präpariert, sondern insgesamt drei. Drei Fahrzeuge mit einem völlig überflüssig hochkomplizierten Zündmechanismus, der dann erstaunlicherweise bei zwei Zielen nicht funktioniert, wofür es, nach Darstellung von Sergeant Lashmar, keinen wirklich plausiblen Grund gibt! Und siehe da: Ausgerechnet in einem der nichtexplodierten Fahrzeuge finden wir, drittens, zufällig eine Telefonnummer, die uns den Weg zu einer verdächtigen Wohnung in Berlin weist! Nein, meine Herren, so dumm ist die IRA nicht!«
»Wir meinen, dass man uns absichtlich in diese Wohnung lockt und dass dort eine Falle für uns aufgebaut ist«, lässt sich O’Connell hinter Wolken von Pfeifenrauch vernehmen.
Lankmann und Budde sehen vor sich auf die Tischplatte, Budde trommelt mit den Fingern auf dem blanken Holz herum. »In die Wohnung müssen wir aber, um uns Klarheit zu verschaffen!«
»Wäre vorstellbar, dass die einen Sprengsatz installiert haben, der auf das Öffnen von Tür oder Fenster reagiert. Oder beides. Und dann ... wusch!« McGrath schwenkt beide Arme in die Luft.
»Wenn dabei Hausbewohner zu Schaden kämen ...«
»Also lassen wir das Haus evakuieren und den Bereich weiträumig absperren. Dann gehen wir mit Spezialausrüstung an die Tür.«
»Wann kann die Evakuierung abgeschlossen sein?«
»Nicht vor 15 Uhr!«
»Na dann!«
Benedict läuft hinter der energischen Menschentraube hinterher, als gehörte er überhaupt nicht dazu. Auch draußen ist es kalt. Ihn fröstelt wieder. Na ja, so nah am Osten.
Unterwegs halten sie noch an, um eine Currywurst zu essen. Benedict, der die rheinische Version dieser Schnellspeise im Regelfall meidet, genießt ausnahmsweise das Berliner Original mit klammen Fingern und großem Appetit. Dann fahren sie weiter nach Spandau. Mittlerweile hat sich dort das anfängliche Chaos aus Lautsprecherwagen, Umleitungsschildern, aufgeregten Hausbewohnern und Beamten der Berliner Bereitschaftspolizei zu einer gut organisierten Straßensperrung entwickelt. Die Bewohner des Hauses auf der Falkenseer Chaussee sind entweder mit Kleinkindern und Gebrechlichen vorübergehend in einer nahegelegenen Schule untergebracht worden oder stehen mit gemischten Gefühlen an den von Uniformierten bewachten Absperrgittern.
Benedict hat sich mit dem Rest der Mannschaft in einen gepanzerten Einsatzbus der Berliner Kollegen zurückgezogen.
Im Flur des ersten Stocks haben die LKA-Leute eine ferngesteuerte Video-Kamera installiert, über die die Gruppe im Bus auf einem Monitor die Arbeit der beiden Sprengstoffspezialisten verfolgen kann. Aus einem Innenlautsprecher wird die Busbesatzung über die jeweiligen Schritte unterrichtet.
Im Moment ist die Kamera noch starr auf das Türschild mit dem Namen Hafis gerichtet. Der Mann an der Kontrolleinrichtung steuert das Objektiv in einem Schwenk auf die linke Nachbarwohnung. Auf dem Bildschirm erscheint ein neues Türschild. Hadi Asitanelioglu. Ein weiterer Schwenk nach rechts. A. Giardelli. Mit einer nochmaligen Bewegung der Fernsteuerung richtet sich das Objektiv jetzt in den Treppenaufgang. Mehrere Uniformierte schleppen keuchend einen schweren Gegenstand hoch: einen metallenen Schutzschild, den sie vorsichtig vor der Wohnungstür aufrichten. Danach verschwinden sie schnell wieder aus dem Sichtfeld der Kamera.
Die Tür ist nun fast vollständig von dem dunklen Metallschutz abgedeckt. Benedict fühlt, wie ihm der Schweiß den Nacken hinunterläuft. Die Hitze in dem kleinen Fahrzeug wird immer größer. Und er hat sich auch noch diesen dicken Rolli angezogen.
Aus dem Treppenaufgang übertragen die Mikrofone das Stampfen und Schlurfen schwerer Schritte. Die Kamera schwenkt auf die unförmigen Golemsgestalten der zwei Spezialisten in ihren gepanzerten Schutzanzügen. Sie tragen eine große Kiste mit sich. In ihren Helmen, die nur einen schmalen Sehschlitz für die Augen offenlassen, erinnern sie an die ersten Astronauten auf dem Mond. Ein kleiner Schritt ... Ihre Bewegungen sehen genauso tolpatschig aus. Jetzt stehen sie vor dem Arbeitsschild und stellen die Kiste ab.
»15 Uhr 16 Minuten. Wir fangen jetzt an!«, meldet sich eine der beiden Gestalten über das Innenmikrofon. Die Stimme klingt flach und blechern aus dem Lautsprecher der Einsatzleitung.
Der Mann muss eine Uhr im Helminnern haben, wundert Benedict sich.
»Okay«, antwortet Lankmann leise und drückt auf die Stoppuhr.
»15 Uhr 17. Ich gehe jetzt mit dem Generalschlüssel an das Türschloss!« Auf dem Bildschirm tastet sich ein rechter, unförmig geschwollener Arm in Zeitlupe an dem Stahlschild vorbei. Leise Atemzüge kommen aus dem Lautsprecher. Gefolgt von metallischen Schabe- und Knackgeräuschen. Dann klirrt etwas.
»Scheiße!«
Der Arm kommt wieder hinter der Metallwand zum Vorschein,
»15 Uhr 18 und 50 Sekunden. Mit dem Schloss stimmt was nicht. Der Schlüssel scheint nicht zu passen. Außerdem ist das Miststück runtergefallen. Ich versuch's noch mal!«
Allen kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis der Sprengstoff-Astronaut, der mühsam in die Hocke geht, den kleinen Schlüssel wieder in seiner klobigen Hand hält.
»15 Uhr 19 Minuten. Wir starten den zweiten Versuch!«
Wieder sieht Benedict gebannt auf den rechten Arm. Wieder Knacken und Quietschen aus dem Lautsprecher.
»15 Uhr 20 Minuten. Der Schlüssel passt definitiv nicht! Kann es sein, dass du uns aus Versehen den Wohnungsschlüssel deiner Freundin gegeben hast, Lankmann?«
Die Anspannung im Inneren des Einsatzwagens macht sich durch befreiendes Gelächter Luft.
»Wir klären das mit dem Hausmeister. Schicken euch jemanden, der den Schlüssel abholt.«
»Und 'ne Molle mit Korn!«
»Schnauze!«, giftet Lankmann gereizt ins Mikro.
Dann erscheint auch schon ein Uniformierter auf dem Bildschirm, um den Schlüssel in Empfang zu nehmen.
Ein Vergleich beim Hausmeister zeigt, dass der Schlüssel richtig ist. »Ist es möglich, dass ohne Ihr Wissen das Schloss ausgewechselt wurde?« Der Mann in dem grauen Kittel kratzt sich bedächtig am Hinterkopf. »Naa, also jestattet is det aba nich!«
»Aber es könnte doch passiert sein. Wenn Sie mal nicht da sind, oder?«
Der Alte nickt nachgiebig vor sich hin. »Natierlich, natierlich. Meechlich soll woll alles sinn. Aba, erlaubt is det nich!«
Lankmann bläst genervt die Backen auf und schiebt den Alten aus dem Einsatzwagen.
»Also passt auf«, spricht er wieder ins Mikrofon, »wahrscheinlich hat der Knabe ein anderes Schloss eingebaut. Also hebelt das Ding auf, aber Holzauge hat besonders wachsam zu sein jetzt!«
Nummer zwei macht sich bereits an der Kiste zu schaffen und reicht dem anderen Golem ein Stemmeisen.
»15 Uhr 32 Minuten. Holzauge tranchiert jetzt das Hühnchen!«
Der Pullover ist klitschnass. Benedict zieht sein Jackett aus. In dem engen Raum ist kein Platz. So lässt er das teure Stück einfach vor sich auf den Boden fallen.
»15 Uhr 32 und 20 Sekunden. Setze an!«
Es quietscht und schrapt aus dem Lautsprecher. Dazwischen schwere Atemstöße. Benedict möchte sich am liebsten die Ohren zuhalten.
Dann ein Knall.
»15 Uhr 43 Minuten. Die Tür ist auf. Nur laue Luft und Pappmachee!«
Die massige Gestalt mit dem Stemmeisen in der Hand wendet den Sehschlitzkopf in Richtung Kamera. »Ich übernehme die Kamera jetzt und zeige euch, wie der Kollege die Wohnung abcheckt! Schickt aber vorher jemanden hoch, der die Schutzplatte wegtransportiert. Wir brauchen hier Bewegungsfreiheit!«
Als der Mann die Kamera aus der Halterung nimmt, bricht das Bild auf dem Monitor für kurze Zeit wackelnd zusammen.
Um 16 Uhr 01 können dann endlich auch die anderen die Wohnung betreten. In dem Zwei-Zimmer-Apartment ist nichts von einem Sprengsatz zu finden. Auch die erste Grobuntersuchung durch LKA und ISAT fördert nichts Verdächtiges zutage.
Jerry Hart läuft mit gerunzelter Stirn durch die Räume und stellt misstrauisch Blickkontakt zu McGrath und O’Connell her. Auch die beiden machen keine wirklich erleichterten Mienen.
Danach machen sich die Spurensicherer an die Arbeit. Gegenstände werden in Plastiktüten gepackt und abtransportiert. Im LKA wird es eine lange Nacht geben.
Die ISAT-Leute fahren dann zusammen wieder in die Meinekestraße zurück. Bis halb neun ist Individualprogramm angesagt. Für danach hat Benedict seine drei Kollegen zu Deftigem bei Hardtke eingeladen. Das hat den Vorteil, dass sie nicht weit zu laufen haben, und so ein bisschen Berliner Fresskultur sollten die ausländischen Kollegen wenigstens mit nach Düsseldorf zurücknehmen. Wenn schon sonst nichts ist.
*
Der junge Mann in dem altmodischen Dufflecoat beobachtet aufmerksam, wie die letzten Sperrgitter an der Falkenseer Chaussee wieder abgebaut werden. Viele Neugierige treiben sich noch herum. Einige Reporter befragen Hausbewohner. Diskutierende Menschengrüppchen stehen vor dem Haus und tauschen aufgeregt Abenteuerliches aus.
Schließlich geht der Mann mit dem ungewöhnlichen Mantel zu seinem abgestellten Vespa-Motorroller und fährt Richtung Askanier Ring davon.
Wenige Minuten später steht der silberfarbene Roller an einer Telefonzelle. Der junge Mann wählt eine Telefonnummer in Neuss/Rhld.
»Hier Berlin. Ankauf vereinbarungsgemäß getätigt. Lufthansa steigend!«
*
»Bist du wirklich in Ordnung, Kommissar? Du siehst käseweiß aus!«
Auch O’Connell äußert sich besorgt: »Vielleicht gehst du besser ins Hotel und legst dich hin. Kannst ja später nachkommen!«
»Ja, wenn du dich besser fühlst!«
»Ach, hört auf! Das ist nur ... nur eine Magenverstimmung. Vielleicht die Currywurst. Oder von der Kälte. Ein, zwei Körnchen, und es geht wieder besser!«
In den Mienen der drei am Tisch zeigen sich Zweifel, aber nach dem zweiten Doppelkorn ist die Rebellion in Benedicts Eingeweiden zu einer halbwegs friedlichen Straßendemonstration abgeklungen. Zum Glück lassen sie ihn jetzt für eine Weile in Ruhe, um sich auf die Speisekarte zu konzentrieren.
Auf seinem Zimmer war Benedict die Zeit bis zum Essen zu lang geworden. Es gibt für ihn kaum Unangenehmeres, als mit knurrendem Magen auf einen späten Essenstermin warten zu müssen. Um halb sieben hatte er sich also die Schuhe angezogen und die Hotelpension zu einem größeren Spaziergang verlassen. Immer in der Hoffnung, vielleicht seinen drei Kollegen zu begegnen, um die Essensverabredung doch noch vorverlegen zu können, war er erst am Ku’dorf vorbei in die Lietzenburger und dann die Fasanenstraße wieder Richtung Ku’damm getrottet.
Auf dem Ku’damm tobte trotz der abendlichen Herbstkälte das Leben. Während Vitus H. Benedict seine Füße zu spüren begann und immer öfter eines der gleißenden Schaufenster als Ausruhvorwand akzeptierte, stellte er Vergleiche zu seiner Düsseldorfer Kö an. Die Mischung hier war bunter, musste er zugeben. Es schien nicht ganz so exklusiv. Dafür sorgte sicher auch der hohe Anteil der westdeutschen Touristen, die für unaufhörlichen Nachschub an Provinztönen sorgten. Sicher, auch hier gab es die aufgetakelten Selbstdarsteller und -darstellerinnen, die wie auf der Kö ihr im Styling-Salon gekauftes Image zur Schau trugen. Aber hier schienen sie nur der glitzernde Strass an großen buntgewirkten Hosenträgern zu sein. Nicht mehr. Exotische Vögel in einem auch so schon bunten, laut zwitschernden Vogelschwarm.
Ähnlich sah er auch die Geschäfte. Hier gab es die gleichen Namen mit dem Klang der großen weiten Welt. Dennoch wirkten sie hier in der Nachbarschaft von Straßenverkäufern und Souvenir-Shops mit erschwinglichem Kitsch nicht so elitär und exklusiv protzig wie auf dem rheinischen Showsteg, wo er gewöhnlich seinen Tee zu >nehmen< pflegte.
Verglich er den Ku’damm aber mit der nur einige S-Bahn-Stationen entfernt liegenden Friedrichstraße oder dem drei Trabistunden entfernten Greifswald gar ... es kam eben immer auf die Perspektive an.
Benedict überquerte den Ku’damm, auf dem der Verkehr tobte, und schlenderte auf der anderen Straßenseite Richtung Bahnhof Zoo. An den erleuchteten Vitrinen, den vorgeschobenen Verkaufsposten, lehnten Frauengestalten mit auffordernden Blicken. Miniröcke unter Pelzjacken, Ledernes und glänzende Accessoires, die die angebotene Ware im Lichterschein zur Geltung bringen sollten. »Naa, was ist denn mit uns beiden Hübschen?«
Benedict beobachtete interessiert das Verkaufsgespräch des grellen Mädchens in schwarzem Lack. Dann war der Abschluss getätigt. Sie hing sich kokett in den Arm des älteren Herrn mit dem Fotoapparat ein und führte ihn zielsicher zu einem Hauseingang, der mit vielen Pensionsschildern verziert war.
»Kommst du mit mir hoch, Süßer? Bei mir ist es schön warm. Ich mach’ dir’s auch ganz toll!«
Das ungesund-weiße Gesicht mit den mattroten Haaren war ganz plötzlich neben ihm. Eine knochige Hand mit Sommersprossen fasste seinen Arm. Stumpfgrüne Augen sahen ihn fast flehend an.
Diese Stimme. Diese Augen. Benedict stand einen Moment unschlüssig da und überlegte.
Die Frau mit den verlebten Gesichtszügen schien es in ihrem Sinne zu deuten. »Nur 100 Mark! Nackt! Und ohne Präser!« Der Griff der sehnigen Hand wurde fordernder, zerrender.
Benedict schüttelte sie unwillig ab. Er blieb aber immer noch stehen und starrte im Lichte der Vitrine auf dieses kaputte Gesicht. Bemühte sich, verdrängte Erinnerungen wachzurufen. Frankfurt 1970. Ein neues Mädchen in der auseinanderfallenden Kommune. Sehr jung, gerade 18 damals. Rote Haare, grüne Augen. Mit einem Geheimnis. Ganz weiße Haut. Aus ihrem Zimmer kam der Duft von Kräutern und indischen Ölen. Eine undurchsichtige Hexe. Von Anfang an. Schien keiner politischen Gruppierung zugehörig. Eines Abends kam sie unvermittelt in sein Zimmer. Bis zu dem Tag hatten sie kaum zehn Worte miteinander gewechselt. »Kann ich bei dir fernsehen?«, fragte sie und setzte sich sofort auf einen Sessel. Bis zum Programmende waren das ihre einzigen Worte. Dann: »Meinst du, das Bett ist breit genug für uns zwei?« Der damals knapp dreißigjährige Benedict nickte überrumpelt mit dem Kopf, und sie zog ihr dunkelgrünes Kleid aus und schlüpfte unter die Bettdecke. Einen sehr weißen Mädchenkörper mit kleinen Brüsten hatte er aus verstohlenen Augenwinkeln wahrgenommen. Auch im Bett war sie sehr ruhig. Mit federzarten, liebevollen Bewegungen nahm ihr Körper seine verwirrte Liebe entgegen.
Am nächsten Morgen verließ sie genauso ruhig sein Zimmer, den Jasmin-Duft ihres Körpers und einen völlig aufgewühlten Benedict zurücklassend.
In den darauffolgenden Wochen erschien ihm das Ganze immer unwirklicher. Mit keinem Wort, keiner Geste stellte sie eine Verbindung zu dieser Nacht her. Seinen Versuchen, zu ihr eine Beziehung aufzubauen, widersetzte sie sich mit Gleichgültigkeit. Sie ließ sich von ihm weder in die Uni begleiten, noch akzeptierte sie seine sonstigen Einladungen. Verletzt und deprimiert taumelte er mit seinen Gefühlen ins Leere.
Dann, nach Wochen, klopfte sie wieder an einem Abend an seine Zimmertür. »Willst du heute mit mir schlafen?«
»Raus! Hau bloß ab! Lass mich in Ruhe!«, brüllte er in seinem verletzten Stolz. Die Nacht über wälzte er sich verärgert über sich selbst im Bett herum und kämpfte mit den widersprüchlichsten Gefühlen.
Damit war die Sache beendet. Nur langsam und erst viel später wurde ihm halbwegs klar, dass dieses Mädchen zu einer anderen, neuen Frauengeneration gehörte. Einer Generation, die versuchsweise selber bestimmen wollte, wie die Art ihrer Beziehungen zum anderen Geschlecht verlaufen sollte.
»Helga? Bist du die Helga?«
Das ausgezehrte Gesicht vor ihm schien an Leben zu gewinnen. In die harten grünen Augen sprangen Funken abwartenden Interesses. Auf ihrem Gesicht zeigte sich Neugier. Aber der Schleier ständigen Misstrauens hing wie ein nebliger Vorhang über den Augen.
»Jaaa?«
»Frankfurt. Untermainanlage. SDS. Ich bin Benny!«
In dem zerstörten Frauengesicht zeichnete sich die Anstrengung ab, wenigstens eine flüchtige Erinnerung hervorzugraben. Aber erneut herabfallende Mundwinkel machten ihr Widerstreben deutlich, ihre Auflehnung gegen das qualvolle Erinnern an eine Zeit, in der noch alles möglich war. Dann sagte die lethargische Stimme, in der nichts mehr an jene Nacht zärtlich-hexenhaften Liebesgeflüsters anklang: »Okay, vergiss es, Alter! Kannst du mir wenigstens einen Hunderter geben, wenn du schon nicht mit mir bumsen willst? Für Miete ... oder so?«
Benedict brauchte nicht weiter in dieses kaputte Gesicht, auf diesen zerschlissenen Körper zu starren. Er wusste, wofür sie das Geld nötig hatte. Heroin wahrscheinlich. Trotzdem noch ein hilfloser Versuch.
»Können wir uns nicht hier in ein Café setzen? Ein bisschen reden? Und vielleicht kann ich dir ja ...?«
»Und wer verdient in der Zwischenzeit die Kohlen für die ... Miete?«
Deprimiert und erleichtert nestelte Benedict zwei knisternde Scheine heraus und schob sie zwischen ihre kalten Finger. »Na, mach’s gut, Alter!«
Dann war die Gestalt in einem der Hauseingänge verschwunden gewesen.
Schwer fällt ihm an diesem Sonntagmorgen das Aufstehen. Die verlorene Winterzeitstunde fordert zusätzlichen Tribut. Das Eisbein von gestern Abend liegt wie ein Wackerstein im Magen. Dazu die vielen Runden Bier und Korn. Rias Berlin bringt laute Morgenmusik. »I told you, I told you, I told you I was one of those.« Wieder dieses Lied mit dem eigentümlichen Refrain.
Im hell beleuchteten Toilettenspiegel sieht er sich einem aufgedunsenen Mittvierziger gegenüber. Verklebte Augen stieren ihn an. Grimmig versucht er sich anzurülpsen. Aber selbst das misslingt ihm.
»Du bist ein Widerling, Benedict!«, sagt er zu seinem Spiegelbild, streckt sich die belegte Zunge raus und speit ins Klobecken.
Nach einem Brauseaspirin fühlt er sich für die Begegnung mit seinen Kollegen im Frühstücksraum gewappnet.
Auch die Leute im Berliner LKA sehen nicht besonders frisch aus. Wenn auch aus anderen Gründen.
»Wir können als gesichert annehmen, dass die in den Montgomery Barracks verwendeten Sprengsätze in der Wohnung dieses Hafis zusammengebastelt worden sind. Auf einer Arbeitsplatte fanden wir Reste von elektronischen Bauteilen und Holzabfällen, die zu den Behältern passen. Außerdem konnte unser Labor Spuren von Semtex-Sprengstoff zweifelsfrei auf der gleichen Platte analysieren.«
»Das ist aber dann auch schon alles«, ergänzt der übernächtigte Lankmann die ruhigen Worte des Labormannes. »Vier unserer Beamten sind noch dabei, sämtliche Schriftstücke aus dem Schreibtisch und den Bestand der Bibliothek des Hafis zu untersuchen. Wir haben insgesamt 2382 Bücher gezählt und sichergestellt!«
»Das sind größtenteils fach-technische Lehrbücher«, fällt Budde mit belegter Stimme ein. »Auch ’n Haufen Zeugs auf Arabisch. Da muss also jemand ran, der gut Arabisch kann, und das wird noch dauern!«
»Also, Kollegen«, meint Lankmann abschließend, »da werdet ihr heute bei uns nicht mehr viel erfahren. Frühestens am Mittwoch, realistisch ist Ende nächster Woche.«
»Wenn überhaupt!«, brummelt Budde wieder dazwischen.
»Und schlafen müssen wir ja wohl auch mal. Gegen den Hafis haben wir vorsichtshalber einen internationalen Haftbefehl erwirkt, aber da, wo der wahrscheinlich ist ...«
Auch die anderen Männer im Besprechungsraum winken mit resignierenden Gebärden ab.
»Helfen könnt ihr uns hier auch nicht mehr ...«
Ein eleganter Rausschmiss.
Ihre Maschine nach Düsseldorf würde erst um 16 Uhr 20 von Tegel abfliegen. Die verbleibenden drei Stunden verbringen die vier ISAT-Leute mit einer vom Berliner S.I.B.-Captain organisierten Mauertour.
An Bord eines Jeeps der Royal Military Police gibt der S.I.B.-Mann kundige Erläuterungen. Er kennt sich schließlich aus. »Es dürfte sich bei der Berliner Mauer so ziemlich um die perfekteste Grenzanlage der Welt handeln. Na ja, haben eben Deutsche gebaut. Sorry, Herr Kommissar! Könnt ihr euch vorstellen, dass der Stacheldraht für die Befestigungen von westdeutschen Firmen geliefert wird?«
Benedicts deprimierte Stimmung verstärkt sich während der Fahrt entlang der Mauer immer mehr. Und die manchmal schneidenden Bemerkungen des englischen Führers tun das ihrige dazu. In den Mauergraffitis glaubt er manchmal ein weißes Frauengesicht mit grünen Augen zu erkennen. Als er die Augen schließen will, wird ihm schwindlig.
»Was ihr von hier seht, die Mauer mit den runden Betonröhren auf der Krone, damit die Leute auch schön abrutschen, ist sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Auf der anderen Seite, im russischen Sektor, erstrecken sich die Sicherungsanlagen über einen bis zu 500 Meter breiten Streifen aus Kfz-Sperren, Sperrgräben, geharkten Spurensicherungsstreifen, Lichtsperren, Bunkern und Beobachtungstürmen, Hundelaufanlagen, Leuchtsignalanlagen, Drahtzäunen und nochmals Mauern!«
»Wird immer noch geschossen, wenn jemand hier rüberwill, von den Ostdeutschen?« Auch McGrath scheint von der allgegenwärtigen Nähe des glatten Betonwerks bedrückt.
»Ja, sie schießen immer noch. Es gibt einen Befehl.«
»Wie sieht es auf der anderen Seite aus? Kann man da mal was sehen?«
Captain Hart, der schon öfters hier war, beantwortet O’Connells Frage mit einem Kopfnicken. »Wir halten nachher an einer Aussichtsplattform. Da kannst du dir auch Souvenirs kaufen!«
Der Blick des Iren ist erstaunt.
»Es gibt insgesamt acht Grenzübergänge. Löcher in der Mauer. Allerdings meistens nur in eine Richtung!«
»Und um Mitternacht in die andere«, bemerkt Benedict trocken.
»Richtig.«
Dann hält der hartgefederte Militärjeep inmitten einer Einöde. Mit ungutem Gefühl schließt sich der Hauptkommissar seinen Kollegen an und besteigt die hölzerne Plattform am Potsdamer Platz. Er sieht über die Schultern der anderen hinweg auf den hochragenden Fernsehturm am Alex.
Als sie wieder in den Jeep steigen, sagt Benedict: »Das war mal das Zentrum einer Weltstadt hier. Der belebteste Platz. Kann man auf alten Bildern noch sehen, was hier mal für ein Trubel war!«
O’Connell steckt verstohlen einen Satz Mauer-Postkarten in die Tasche.
Im Flugzeug gibt es diesmal kein nervendes Singekind, und alle dösen erschlafft in ihren Sitzen.
»Nein, Benny, so eine Mauer wollen wir in Irland doch wohl nicht haben, nein, glaube ich«, sagt Chief Inspector McGrath aus Belfast, als die Maschine in Lohausen aufsetzt.