Читать книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk - Страница 26

9

Оглавление

Immer lauter wird das Surren und Quietschen.

Aber das Rad ist groß genug in dem Käfig. Die zwei weißen Tiere laufen unermüdlich in dem sich drehenden Rund aus Draht hintereinander her. Neben sich hat der Mann eine ganze Reihe vorgefertigte, selbstgedrehte Zigaretten liegen. In der blauen Tabakpackung sind nur noch ein paar krümelige Reste. Er zündet eine weitere Zigarette an und bläst das Gemisch aus Nikotin und Teer genau auf die ständig weiterlaufenden Tiere. Sie rümpfen für einen Moment ihre spitzen Nasen, zwinkern mit den roten Augen und rasen dann weiter.

Immer rund. Und rund. Und rund.

Es ist schon das dritte Paar weißer Ratten, mit denen er seine Versuche unternimmt, in der kleinen Gartenlaube hinter dem Haus seiner Mutter. Er nennt sie Max und Moritz. Er hat sie immer Max und Moritz genannt. Wie lange diese hier wohl durchhalten werden?

Letzte Nacht haben sie ihn wieder belauscht. Und gedroht haben sie ihm mit unflätigen Worten.

Diese Stimmen.

Es fing an, nachdem dieses kleine Miststück da an der Autobahn ihn um seinen verdienten Lohn gebracht hatte. Dieses Flittchen! Seitdem hatte er immer öfter das Gefühl, beobachtet und belauscht zu werden.

Zuerst war er noch nach draußen gegangen, in die nächtliche Kühle des großen Gartens. Aber immer, wenn er aus der Tür heraustrat, hörte er nur noch das Trappeln flüchtender Schritte. Äste knackten unter den Tritten der sich entfernenden Lauscher.

Dann starrte er nur noch vorsichtig aus dem Fenster in die Nacht. Sah er aber hinaus auf die nächtlichen Umrisse der Büsche und Bäume, die sich im Winde wiegten, dann waren da nur noch hastig zurückschnellende Zweige und hinter Stämmen verschwindende, unscharfe Silhouetten. Auch der große Feldstecher half ihm nicht weiter.

Einmal, ja, da hatte er unter den verwunschenen Zweigen der großen Tanne in ein riesiges Auge geblickt. Nachdem er sich dann von dem plötzlichen Schock erholt hatte, war es nicht mehr da.

An den folgenden Tagen besorgte er sich Stapel leerer Eierkisten, mit denen er die Innenwände tapezierte, um so die nächtlichen Stimmen von sich fernzuhalten. Schließlich vernagelte er das einzige Fenster von innen mit einer Sperrholzplatte und brachte an der Tür drei Sicherheitsriegel und eine schwere Kette an. Und einen Schreckschussrevolver hatte er sich zu seinem Messer auch noch gekauft.

Aber die Stimmen verschwanden nicht. Im Gegenteil. Von Nacht zu Nacht wurden sie wütender und zänkischer. »Wir kriegen dich! Du entkommst uns nicht! Verschwinde! Wir sind viele hier draußen! Wir sind überall!«

Zur Wohnung seiner Mutter legte er eine Telefonleitung. So brauchte er die Laube nicht zu verlassen und wusste immer, wenn sie ihm das Essen bringen wollte.

Der Mann vor dem Rattenkäfig horcht nervös auf die nächtlichen Geräusche des großen Gartens. Dann richten sich seine verquollenen Augen auf die Wandregale mit den ordentlich aufgereihten Computerprogrammen. Seine schöne Bibliothek! Nein, das war nur noch ein schäbiger Ersatz, Nichts gegen das sich aufbäumende Fleisch eines zitternden Mädchenleibes. Nichts im Vergleich zu der angstvollen Unterwerfung in den Augen der Wehrlosen. Vor seinem Willen! Vor seiner Macht! Und dann ...

Aber wenn diese Stimmen da draußen ihn ... doch, doch, doch! Schon bald! Seine Rache!

*


Mittwoch, 14 Uhr. Der Sprecher des Bundespräsidialamtes in Bonn informiert die versammelten Medienvertreter über die offizielle Einladung des britischen Kronprinzenpaares durch den Bundespräsidenten. Zeitdauer und vorgesehene Besuchsstationen in der Bundesrepublik werden nun auch der Allgemeinheit bekanntgemacht. Berlin, Bonn, Köln, Düsseldorf und München werden sich auf einen heißen Novemberanfang vorbereiten müssen.

Genau neun Minuten nachdem der offizielle Text der Presseverlautbarung aus dem Bundespräsidialamt getickert ist, beginnen alle Telefone im Büro der ISAT-Gruppe gleichzeitig zu klingeln.

In den folgenden Stunden wird die Telefonbereitschaft im >Weißen Haus< in Düsseldorf vollauf damit beschäftigt sein, die aufgeregten Stimmen am anderen Ende der Leitung mit immer wieder den gleichen Antworten abzufertigen: »Ja, die Meldung ist uns bekannt. Nein, wir sind noch nicht weiter in unseren Ermittlungen. Ja, wir wissen, dass es nur noch 32 Tage bis zum Staatsbesuch sind!«

»Es geht besser mit ihr, als ich gedacht habe. Sie ist zwar manchmal wirklich ziemlich ... na, wie soll ich sagen ... formell ist wohl der richtige Ausdruck dafür!« Zufrieden nickt Ganser vor sich hin, hauptsächlich, weil er nun doch das richtige Wort gefunden hat.

Hauptkommissar Vitus H. Benedict kommt erst in der zweiten Wochenhälfte dazu, Gernot Ganser mal alleine im Präsidium abzupassen. Ganser war gerade dabei, die Düsseldorf-Karte an der Wand mit bunten Nadeln zu verzieren, als der Leiter des 1. K eintrat, um nach der Entwicklung der Spritzer-Ermittlungen im allgemeinen und der Arbeitsbeziehungen zu Kommissarin Leiden-Oster im Besonderen zu fragen.

In den ersten Minuten ihrer Begegnung vermied der Kriminalhauptmeister zwar taktvoll, aber auch reichlich ungeschickt das zwischen ihnen vereinbarte Du. Schließlich wurde es Benedict dann zu bunt, und mit einem »jetzt erzähl mal, wie weit du bis heute gekommen bist, Gernot!«, hatte er die Luft aus der Sache herausgenommen.

Als hätte Ganser nur darauf gewartet. »Gut, Chef! An deinem Berliner Wochenende haben Maria und ich hier in aller Ruhe angefangen, die ganzen Spritzer-Fälle aktenmäßig durchzugehen. Wir sind aber bis Montag nur bis Fall 9 durchgekommen. Satz für Satz der Opfervernehmungen haben wir systematisch durchgekaut. Desgleichen die Einvernahmen möglicher Verdächtiger. Da sind wir dann zwar auf ein paar nicht ganz sauber abrecherchierte Alibis gestoßen, aber die haben wir bis heute fast alle klären können.«

»Fast alle?«

»Ja, eins muss noch mal quergecheckt werden. Doemges und Läppert sind in dieser Sache gerade draußen!«

»Und ... wo ist die MLO ... äh ... Ihre... deine Kollegin jetzt?«

Ganser kann sich das Grinsen nicht ganz verkneifen. »Die? Die ... musste mal zum Arzt.«

»Hier im Sanitätsbereich?«

»Nein ... zum Frauenarzt.«

Der Hauptkommissar räuspert sich. Er wirkt aus irgendwelchen Gründen verlegen. »Also seid ihr noch nicht viel weiter!«, konstatiert er dann.

Ganser rollt eine Zigarette mit der flachen Hand auf der Schreibtischplatte hin und her und steckt sie nach einer Weile zwischen die Lippen, ohne sie jedoch anzuzünden. »Nein, würde ich so nicht sagen wollen, Chef. Wir haben schon einige Ermittlungsfehler korrigiert und können jetzt sicher sein, jedenfalls ziemlich sicher, dass uns bis einschließlich Fall neun kein dicker Hund durch die Lappen gegangen ist! Bei dem Durcheinander, das hier während der Ermittlungen geherrscht hat, würde ich das doch schon als Fortschritt bezeichnen. Womit ich keine Kritik an irgendwelchen Personen geäußert haben möchte. Dass du mich recht verstehst, Chef!«

Der winkt spöttisch ab.

»Lass gut sein, Gernot. Brich dir keine Verzierung ab. Und wie soll das weitergehen?«

»Na, wir werden uns auch an diesem Wochenende über die Ermittlungsakten hermachen und hoffen, dass wir bis Montag durch sein werden!«

»Und wenn auf diese Weise nichts herauskommt?«

Der Kriminalhauptmeister stützt das Kinn nachdenklich auf die linke Hand und zerkrümelt mit der anderen die kalte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. Er starrt bedrückt auf das weiß-braune Gebrösel vor sich. »Dann müssen wir eben warten. Auf einen neuen Anschlag, auf einen Hinweis von Leuten, auf einen Tipp aus der Szene. Oder wir selbst provozieren ihn, dann macht er vielleicht einen Fehler. Maria hat da so’n paar interessante Ideen dazu.«

»Nein!«, sagt Benedict fast heftig in sehr bestimmtem Tonfall. »Auf keinen Fall, Gernot! Doemges hat mir von diesen Ideen schon berichtet. Dazu gebe ich keine Einwilligung. Versteh mich nicht falsch, Gernot, ich bin nicht prinzipiell gegen diese Form von Einsätzen! Nur, was die Kollegin Leiden-Oster betrifft, bin ich damit nicht einverstanden! Ich habe kein gutes Gefühl. Ich weiß nicht ... irgendwas warnt mich bei dieser Sache. Und du musst zugeben, Meister Gernot, dass es in unserem Beruf manchmal gut ist, auf solche Ahnungen zu hören, oder?«

Abwägend nickt der Jüngere mit dem Kopf. »Vielleicht hast du ja recht, Chef. Ich will dir da nicht widersprechen. Und schließlich ... du trägst die Verantwortung!«

»So ist es«, schließt der Hauptkommissar das Thema kurz ab, um dann mit Blick auf die buntgespickte Stadtkarte an der Wand in einem anderen Ton zu fragen: »Und was gibt das, wenn es fertig ist?«

»Also, mir ist da eine Idee gekommen. Vielleicht ist das von Bedeutung. Ich habe sämtliche Punkte, an denen der Spritzer zugeschlagen hat, mit einer roten Nadel markiert.«

»Wofür stehen die schwarze und die grüne Nadel?«

»Anschlag mit Todesfolge schwarz und der abgewehrte Anschlag Am Schönekamp grün. Logisch, nicht?«

»Zumindest sehr symbolhaft«, brummt Benedict. »Ja, und weiter?« Nervös klappt er den Deckel seiner Taschenuhr auf und zu.

»Neunzehn Fälle, die wir ermittlungsmäßig voll bearbeiten. Weitere zwanzig, bei denen sich die Opfer nach unserem Aufruf anonym gemeldet haben. Also neununddreißig Nadeln, die sich mehr oder weniger gleichmäßig über das Stadtgebiet von Düsseldorf verteilen. Bis auf je zwei in Hilden und Ratingen. Die anderen fünfunddreißig: hier Hellerhof, Garath, Holthausen, Wersten, Himmelgeist, Heerdt, Oberkassel, Unterrath, Derendorf, Mörsenbroich, Grafenberg, Eller, Vennhausen, Unterbach und sieben Fälle im Bereich Stadtmitte, Bilk und Flingern!«

»Ja. Und?«

»Pass auf, Chef. Stell dich mal zwei, drei Meter von der Karte weg. Wenn du jetzt mal nicht ganz so genau über die Karte wegsiehst, kommt es dir da nicht auch so vor, als blieben zwei Gegenden ausgespart?«

Benedict, der den Worten Gansers folgend die Wandkarte aus der Distanz beäugt, äußert nach einer Weile zweifelnd: »Meinst du die Gegend um Gerresheim und Benrath-Urdenbach? Scheint mir ziemlich weit hergeholt, oder? Was ist mit Kaiserswerth, Angermund und Wittlaer? Und wo die nicht angezeigten Fälle stattgefunden haben, wissen wir auch nicht!«

Leicht resigniert lässt der Kriminalhauptmeister die Schultern fallen. »Wittlaer, Angermund und Kaiserswerth gehören doch sowieso nicht mehr richtig zum Stadtgebiet Düsseldorf. Aber möglicherweise hast du recht. Trotzdem ... vielleicht ...« Ganser scheint sich über irgendetwas unschlüssig zu sein. Er kämpft ganz offensichtlich mit sich selbst, dann greift er zögernd in die Innentasche seiner Lederjacke, zieht ein rosa Stück Papier heraus, faltet es langsam auseinander und legt das bedruckte DIN-A 4-Blatt vor Benedict auf den Tisch. »Das finden die Leute seit gestern Nachmittag in ihren Briefkästen. Ich bin sicher, dass auch die Zeitungen schon ihre Exemplare haben!«

FRAUEN WEHREN SICH!, schreit Benedict die fettschwarze Überschrift des rosa Flugblattes ins Gesicht. >In den vergangenen Monaten sind über 100 Düsseldorfer Frauen und Mädchen Opfer eines sexistischen Gewalttäters geworden. Nicht genug mit den Angriffen auf unsere Menschenwürde und Unversehrtheit: Eine unserer Schwestern, Brigitte Craatz, wurde von diesem Schwein in Männergestalt viehisch hingeschlachtet. Die Düsseldorfer Polizisten in ihrer Mehrzahl Männer, haben bisher wenig Interesse gezeigt, den verängstigten Frauen zu helfen und das sexistische Schwein zu fassen!<

Benedicts Rückenmark gebiert einen neuerlichen Eisklumpen, der sich als Drilling zu den schon vorhandenen zwei Eisbällen gesellt. In seinen dröhnenden Ohren glaubt er Dr. Lenzfrieds Worte am Tag des japanischen Feuerwerks zu hören. »Es haben sich ... Frauengruppen gebildet, die sogenannte Selbstverteidigungskurse organisieren ... die, wenn die Polizei nicht bald Erfolg hat, selber auf die Jagd gehen wollen ... eine Frauenmiliz in Düsseldorf!« Die letzten Sätze des Flugblatts verflimmern vor seinen Augen. >Aus diesem Grund haben Düsseldorfer Frauen Folgendes beschlossen: Von heute an wird eine entschlossene Gruppe von Kämpferinnen der Polizei die Jagd nach dem Sex-Schwein abnehmen! Wir warnen alle Männer, die uns weiterhin als Freiwild betrachten! Wir schlagen gnadenlos zurück! Gruppe Düsseldorfer Frauenkampf.<

Als Vitus H. Benedict das rosa Blatt auf die Schreibtischplatte zurückfallen lässt, sind am linken und rechten Rand zwei hässliche, feuchte Flecken zu sehen. Mit kratzender Stimme sagt er dann: »Heute Abend, achtzehn Uhr! Ich will alle verfügbaren Leute hier sehen! Und warn' den Stüchow vor!«

*


Am 27. August 1979 wird in dem kleinen Hafenflecken Mullaghmore, Co. Sligo, Republik Irland, dem Ausgangspunkt der Überfahrt zur malerischen Insel Inishmurry, Earl Louis Mountbatten das bis dahin höchste Opfer der IRA.

Seit dem Mord am Onkel des britischen Thronfolgers werden für die Mitglieder der Königlichen Familie regelmäßige Übungen abgehalten, bei denen sie über das richtige Verhalten in Momenten der Gefahr informiert werden.

Im walisischen Hereford auf dem SAS-Übungsgelände Sterling Barracks setzt sich an diesem 1. Oktober ein kleiner Wagenkonvoi in Bewegung. Angeführt von zwei Motorrädern und zwei dunkelblauen Ford Granadas, fährt der schwarze Rolls Royce mit dem königlichen Stander langsam in die kleine Ortschaft ein. Zwei weitere Fahrzeuge mit Sicherheitsbeamten bilden den Schluss der Kolonne. Jetzt, da die Eskorte und die beiden vorausfahrenden Sicherungsfahrzeuge um die scharfe Kurve in der Ortsmitte biegen, bricht hinter ihnen das Inferno aus. Vor und hinter dem Rolls Royce explodieren krachend grelle Feuerbälle. Nebelschwaden hüllen in Sekundenschnelle das noble Gefährt in einen schwarzen Vorhang. Scharfer Sprengstoffgeruch legt sich beißend über die Szene. Von links und rechts stürmen vermummte Gestalten auf die Kolonne zu. Feuerstöße aus ihren Maschinenwaffen und weitere Explosionen splitternder Handgranaten halten die Sicherheitsbeamten in den Begleitfahrzeugen fest. Als sich der Nebel halbwegs legt, schaut ein blondes Frauengesicht neugierig aus dem Fenster des königlichen Wagens, fährt aber erschrocken zurück, da immer noch Splitter von Darstellungsgranaten an das Wagenblech des gepanzerten Fahrzeugs prasseln.

Wütend reißt Colonel Rupert D. Smites das Megafon an die Lippen. »Damned! Gehen Sie von dem verdammten Fenster weg, Prinzessin! Legen Sie sich auf den Wagenboden! Das könnte Ernst sein! Wollen Sie sich in Schwierigkeiten bringen, Hoheit?«

Und mich dazu, ergänzt der Mann im Kampfanzug noch in Gedanken. Entnervt wischt sich der SAS-Colonel den Schweiß von der Stirn. Nein, in Zukunft würden sie das wohl besser mit einer Doppelgängerin üben.

*


»Das Gelände hier ist relativ einfach zu sichern«, meint Chief Inspector McGrath nach der Besichtigungsrunde trocken, »ab heute Nacht, null Uhr, werden Schloss einschließlich Park und Teich für den öffentlichen Zugang gesperrt!«

»Sicher doch«, ergänzt Benedict in fast dem gleichen Tonfall, »und im Meterabstand stellen wir rundum eine Kette aus Polizeiposten auf!«

Detective Inspector O’Connell fährt sich laut kichernd mit der gespreizten Hand durch seinen widerspenstigen Haarschopf. »Vom Gegner eingesetzte Boden-Boden-Raketen oder Angriffe aus der Luft werden mit SDI-Laserwaffen von unserer Weltraumbasis vernichtet!«

Aber so richtig fröhlich klingt das nicht, was die ISAT-Männer an diesem kühlen Oktobertag von sich geben. Und von Captain Hart, dessen Miene sich während des dreistündigen Besichtigungsrundganges in und um Schloss Benrath mehr und mehr verfinstert hat, ist im Moment überhaupt nichts zu hören. Mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen starrt er auf die von der Decke baumelnden Ballonnachbildungen, die dem Café Ballon am Benrather Marktplatz seinen Namen geben.

»Die Königlichen Hoheiten werden Punkt zwölf im Schloss erwartet. Am Abend davor, um 19 Uhr, werden die Zugänge verschlossen, und wir dürfen mit den Absperrungen anfangen! Lächerlich! Da ist es doch für jeden ernsthaften ... Interessenten geradezu ein Picknick, vorher auf dem Gelände was auszuhecken!«

Mit steigender Erregung rührt der blasse Engländer in seiner milchigen Teebrühe herum.

»Na ja, das Schloss selbst wird ja vierundzwanzig Stunden früher schon für den Publikumsverkehr dichtgemacht. Ab diesem Zeitpunkt können wir es mit den BKA-Kollegen auf den Kopf stellen. Und mit deinen englischen Kollegen!«

»Nein, das ist unmöglich!« Entschlossen schüttelt McGrath seinen kantigen Kopf. Mit heftigen Rüttelbewegungen lässt er die Eisstückchen in seinem Whiskyglas gegen die Wände klackern. »Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Dieser Platz stinkt!«

»Andererseits ... sicher können wir noch nicht sein. Da gibt es immer noch Berlin, Bonn, Köln und München, die für einen Anschlag in Frage kommen. Die können wir auf keinen Fall jetzt schon ausschließen!« Der Mann aus Dublin muss was am Magen haben. Vor ihm auf dem Tisch steht eine Flasche stilles Wasser.

Hauptkommissar Benedict sieht auf seine Taschenuhr und steht dann eilig auf. »Entschuldigt mich für ’ne halbe Stunde, ja? Hab' hier um die Ecke was zu erledigen!«

Einige Strahlen nachmittäglicher Herbstsonne bringen die Fontänenkaskaden im Schlossteich zu kurzlebigem Sprühglanz. Die Fassade des Hauptschlosses erscheint in backfischigem Rosa, als schämte sie sich ihrer aus der Zeit geratenen fürstlichen Herkunft. Aber die vier grimmigen Löwen auf ihren stabilen Sockeln werden wohl noch ein paar Jahre dafür sorgen, dass ihr niemand an den Verputz geht.

Ungeduldig sieht Vitus H. Benedict auf die goldenen Uhrziffern über dem dreispitzigen Giebel des Schlossportals.

»Tut mir leid, Benny! Wir hatten einen Notfall, Kreislaufkollaps, Setz dich doch!«

Dr. Lenzfried nimmt hinter dem mit Patientenberichten, Arzneischachteln, Karteikarten und Rezepten übersäten Schreibtisch Platz, setzt dann mit einer mechanischen Bewegung seine Brille auf und studiert die engbeschriebene Karte des langjährigen Freundes und Patienten Benedict.

»Die Laborbefunde sind so weit ganz ordentlich. Keine wesentlichen Veränderungen!«

»Na, Gott sei Dank!«, antwortet der Hauptkommissar erleichtert.

»Moment, Moment! Nicht so eilig! Hast du in letzter Zeit viel Schokolade oder Süßigkeiten gegessen? Bisschen viel getrunken? Harte Sachen?« Innerlich verflucht Benedict seine trinkfreudigen ISAT-Kollegen, fragt aber ziemlich scheinheilig: »Nö, warum?«

»Du hast etwas viel schlechte Fette im Blut. Nichts Gravierendes, aber du solltest das wieder unter Kontrolle bringen, bevor uns das aus dem Ruder läuft! Wie viel wiegst du eigentlich zur Zeit?«

»Na, so ...«

»Geh doch gerade mal nebenan auf die Waage!«, unterbricht der Arzt kurz und bestimmt Benedicts Gestammel.

Danach sieht ihn Dr. Lenzfried lächelnd an. »Sowohl als Freund als auch als Internist empfehle ich dir, runde acht Kilo abzuspecken! Wirklich! Schadet deinem Allgemeinbefinden überhaupt nicht, und bei den Frauen ... macht das ungeheuren Eindruck. Wenn dir daran noch was liegt!«

Benedict weiß, dass sein Freund recht hat. Schon seit ein, zwei Monaten fühlt er sich nicht richtig wohl. Und was seine Kleidung betrifft, ist der Hauptkommissar ein rechter Geizhals. Hat keine Lust, die sündhaft teuren Kö-Klamotten wegzuwerfen.

»Hast ja so recht, Lenz! Wenn ich diese Sache im Präsidium hinter mir habe, fange ich sofort an, mich zu kasteien. 800 Kalorien und spritziges Mineralwasser. Großes Pfadfinderehrenwort!«

»Ausgezeichnet!« Dr. Lenzfried legt die Karte wieder auf den Tisch zurück. »Und sonst? Alles in Ordnung? Was macht der Hannes?«

»Ja, ja. So weit alles okay. Von Hannes habe ich seit damals nichts mehr gehört. Die Football-Saison ist ja auch vorbei, leider.«

Der Blick des Düsseldorfer Polizeibeamten wird wieder von dem großen Fenster angezogen und wandert hinaus auf das Benrather Schloss.

»Weißt du eigentlich, wie viele Leute dich um diese Praxislage beneiden, mit Blick auf das Schloss!?«

Dr. Lenzfried, schon mit dem Studium der nächsten Patientenkarte beschäftigt, antwortet geistesabwesend. »Meinst du, die würden meine Arbeit auch eintauschen wollen? Tut mir wirklich leid, Benny, aber es ist Freitagnachmittag, und der Warteraum ist noch gerammelt voll! Hast du noch irgendein Problem?«

»Nein, nein. Ist ja in Ordnung. Das heißt ... du hast mir doch damals bei unserer Feuerwerksfete von diesen Frauen erzählt, die angeblich so eine Art Selbsthilfetruppe gegen diesen Sexualstraftäter organisieren wollten ...«

»Jaa, ich erinnere mich«, sagt Lenzfried zurückhaltend.

Benedict erzählt seinem Freund kurz von den aufgetauchten Flugblättern.

»Könntest du dir vorstellen, dass unter deinen Patientinnen jemand dazugehört? Oder fiele das unter die ärztliche Schweigepflicht?«

Nachdenklich nimmt Dr. Lenzfried seine Brille ab und steckt sie zusammengeklappt in die Brusttasche seines weißen Kittels. Dann steht er entschlossen auf und geht zur Tür des Sprechzimmers. »Nein, Kommissar. Das wohl nicht gerade. Ich weiß so was aber nicht. Will es auch gar nicht wissen. Und wenn ich es wüsste ...«, der Arzt verharrt einen kurzen Moment mit der Hand auf der Türklinke, »bin ich mir nicht sicher, ob ich es dir sagen würde!«

»Frau Wehren, bitte! Sprechzimmer 1!«, tönt es blechern aus dem Lautsprecher im Wartezimmer.

Benedict macht noch einen Umweg über die Schlossallee, um ein paar Sachen für Lore einzukaufen. An dem neuen Einkaufszentrum sieht er zu seiner Überraschung Gansers roten Flitzer stehen, kann sich dann aber denken, warum. Der Kriminalhauptmeister hat immer noch eine Reihe nützlicher Kontakte zu kleineren und größeren Ganoven der Düsseldorfer Halbwelt. Wird sicher im Château rumhorchen.

Das Café Ballon hat sich während seiner Abwesenheit bis auf den letzten Platz mit Benrather Gymnasiasten gefüllt. Die drei Kollegen sind so vertieft in ihre Diskussion, dass sie Benedict erst bemerken, als er schon sitzend fragt: »Sollten wir das nicht lieber an einem etwas weniger öffentlichen Ort machen?«

Sorgfältig sammeln sie die auf dem Tisch verstreuten Skizzen und Lagezeichnungen zusammen und zahlen.

*


General Munroe, Jack Donahue und Sean South sitzen an dem großen Esstisch über einem ausgebreiteten Lageplan des Benrather Schlosses. Eine weitere Karte an der Wand gibt einen Überblick über den Stadtteil Benrath, und über den ganzen Tisch verstreut liegen Polaroid-Fotos von Punkten, die für die Durchführung der Aktion von Bedeutung sein werden. Die Operation Berlin befindet sich im akuten Planungsstadium. Minutiös erarbeiten die drei SASU-Kämpfer mögliche Szenarien für den Ablauf der Operation. Wieder und wieder gehen sie die einzelnen Alternativen auf mögliche Risiken und Erfolgsaussichten durch. Zeiten werden genommen, auf ihre Sicherheit geprüft und wieder korrigiert. Fluchtwege festgelegt. Verschleierungsmanöver vorbereitet.

Nach zwei Stunden angestrengter Arbeit klappt Munroe das Drehbuch mit den bis jetzt fixierten Abläufen zusammen.

»Pause! Zehn Minuten.«

Jack Donahue geht zu seinem bevorzugten Platz am Fenster und beobachtet den Verkehr auf dem Autobahnkreuz. Er hat festgestellt, dass ihn das entspannt.

In der Küche mixt sich Sean South seinen üblichen Müsli-Brei, von dem er annimmt, dass er seiner Gesundheit förderlich ist und die Verdauung anregt. Er notiert sich jeden Tag penibel, wie oft sein Darm die normale Pflicht versieht.

Munroe sinniert immer noch über dem Lageplan des Schlossparks. Diese drei Experten, über deren Zusammenarbeit mit der Polizei das Special Active Service Unit inzwischen informiert wurde, könnten zusätzliche Probleme bereiten. Aber die Berliner Ablenkungsaktion der arabischen Freunde würde wohl in der Zwischenzeit für die gewünschte Verwirrung sorgen. Es ist zwar alles getan worden, um den wirklichen Angriffsort zu verschleiern, trotzdem sollte man die Leute nicht unterschätzen. Von jetzt ab würden sie auf Tauchstation gehen und sich so wenig wie möglich außerhalb der Wohnung sehen lassen.

Und dann ... das zweite Manöver würde die Verwirrung des Gegners sicher noch steigern und ihnen noch mehr Luft verschaffen. Es muss einfach klappen. Die Zeit war reif.

Munroe atmet tief durch.

Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek

Подняться наверх