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Unter deutschen Dächern

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In Kiel angekommen, wusste die Familie ohne männliches Familienoberhaupt nicht, wohin sie überhaupt gebracht werden und was sie erwarten würde. Sie wurde einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein zugewiesen. Dort kam sie bei einer alleinstehenden Dame in einer Villa in einem einzigen kleinen Zimmer von ca. 16 m2 Größe für ganze vier Jahre unter. Der Raum hatte zunächst nicht einmal eine Ofenheizung und das Dach eines kleinen Erkers war undicht, weswegen es stets kalt, klamm und feucht war. Die Hausbesitzerin zeigte sich keineswegs begeistert über die neuen Mitbewohner, auch wenn sie Deutsche wie sie selbst waren. Von einer Willkommenskultur konnte damals keine Rede sein und auch mit der Solidarität gegenüber Mitmenschen aus den Ostgebieten war es oft nicht weit her. So machte sich die Dame keinerlei Sorgen um die stark abgemagerten und von der Flucht gezeichneten Menschen. Mitleid, Empathie und Menschlichkeit waren wohl Fremdwörter für sie. Dass einer der beiden Söhne der jungen Mutter aus Ostpreußen infolge der Flucht gesundheitlich schwer angeschlagen war und kaum noch ein Lebenszeichen von sich gab, rührte sie kaum. Bereits in Ostpreußen hatte Ella-Maries Großmutter nach der Geburt der kleinen Inge ihre zweitgeborene Tochter aufgrund einer Lungenentzündung verloren, weswegen sie um den Gesundheitszustand des älteren ihrer beiden Söhne in großer Angst war. Der Villenbesitzerin größte Sorge galt vielmehr ihrem schönsten Zimmer, in das später ein Ofensetzer sehr zum Leidwesen dieser Frau einen Kohleofen für die vierköpfige Flüchtlingsfamilie einbaute.

Zwei weitere Räume des Hauses wurden von einer ausgebombten Hamburgerin mit ihren drei Kindern bewohnt. Daneben lebten darin auch die Hauseigentümerin selbst, ein Lehrer mit Frau und Sohn sowie eine pensionierte alleinstehende Lehrerin. Das Zimmer der Lehrerin war nur durch eine Schiebetür von dem der Familie mit den ostpreußischen Wurzeln getrennt. Privatsphäre war Fehlanzeige und Inge und ihre beiden Brüder mussten immer sehr leise sein. Dies insbesondere dann, wenn die Lehrerin privaten Nachhilfeunterricht erteilte. Es gab nur eine Toilette für alle gemeinsam, also nicht nach Geschlechtern getrennt. Das stille Örtchen befand sich jedoch nicht im Haus, sondern in Form eines Plumpsklos in einem Schuppen im Garten. Wer jetzt erwartet, dass es zumindest fließend Wasser in der Villa gegeben habe, der wird enttäuscht: Zum Waschen, Kochen und Baden wurde kostbares Nass mittels einer Schwengelpumpe aus dem Brunnen im Vorgarten befördert. Gewaschen, gekocht, gegessen, geschlafen, Hausaufgaben gemacht, gespielt usw. wurde nur in diesem einen Zimmer. Wie schon gesagt: Mit vier Personen vier Jahre lang. Wer mag sich heute ein Leben unter solchen Umständen vorstellen? Wohl keiner. Doch damit nicht genug. Das beengte Wohnen für Menschen, die man kurzerhand per Zwangseinweisung anderen Menschen, die über unzerstörten Wohnraum verfügten, zuwies, war nur eines der vielen Probleme damals.

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