Читать книгу Das Handbuch gegen den Schmerz - Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas R. Tölle - Страница 80
ОглавлениеEin Drittel bis fast die Hälfte aller Erwachsenen leidet einmal pro Jahr an Nackenschmerzen. Bei den allermeisten Fällen kann keine Ursache für die Schmerzen in der Halswirbelsäule gefunden werden – lediglich bei einem von 100 Fällen liegt eine ernste Grunderkrankung vor, beispielsweise ein Tumor oder eine Entzündungskrankheit wie eine Hirnhautentzündung (Meningitis).
Veränderungen der Halswirbel („Buckel“, „Geierhals“) erhöhen nicht das Risiko für chronische Nackenschmerzen. Menschen ohne solche Auffälligkeiten sind tatsächlich ebenso häufig betroffen. Es gibt aber eine Reihe von Risikofaktoren – auch beeinflussbare – die das Auftreten von Nackenschmerzen begünstigen können. Dazu zählen zum Beispiel Übergewicht, Schwangerschaft, anhaltender Stress, schwere körperliche Arbeit, Ängstlichkeit und Depressivität, außerdem Bewegungsmangel. Besonders gefährdet für Nackenschmerzen sind auch Menschen, die einer körperlich monotonen Arbeit mit wenig Bewegung und Änderung der Körperhaltung nachgehen. Das gilt somit für alle, die vorwiegend am Computer arbeiten.
„Regelmäßig ausgeführte Übungen reduzieren das Risiko für Nackenschmerzen.“
Wer regelmäßig kurze Arbeitspausen einlegt und gymnastische Übungen zur Lockerung der Halsmuskulatur macht, reduziert sein Risiko für Nackenschmerzen deutlich. Das lohnt sich auf jeden Fall, denn Nackenschmerzen sind hartnäckig. Sind sie einmal aufgetreten, ist das Risiko, dass sie wiederkehren oder sogar bleiben, sehr hoch: Über die Hälfte der Betroffenen gibt an, auch noch ein bis fünf Jahre nach dem Erstauftreten unter Nackenschmerzen zu leiden! Aus diesem Grund sollten so früh wie möglich Gegenmaßnahmen ergriffen werden, um eine Chronifizierung zu vermeiden.
Diagnose von Nackenschmerzen
Wie bereits beschrieben, ist in vielen Fällen keine Ursache für die Schmerzen zu finden. Wichtig ist aber, dass gefährliche Diagnosen, wie ein Bruch der Halswirbel oder auch ein Bandscheibenvorfall in den Halswirbeln, der im Extremfall auch zu Lähmungen der Arme und der Hand führen kann, ausgeschlossen werden. Der Arzt untersucht den Patienten dafür körperlich, tastet die Halswirbelsäule ab und prüft ihre Beweglichkeit (also die Fähigkeit zur Seitenneigung, Rotation, Vor- und Rückbeugung der oberen Wirbelsäule). Wenn der Arzt dabei keine Auffälligkeiten feststellen kann, werden auch keine bildgebenden Untersuchungen (MRT, CT, Röntgen) durchgeführt – denn wie schon erwähnt, stehen selbst von außen erkennbare Deformationen der Halswirbelsäule nicht unbedingt im Zusammenhang mit den Schmerzen. Erst recht nicht kleinere, die nur mit der modernen Bildtechnik zu erfassen sind.
Behandlung von Nackenschmerzen
Sogenannte unspezifische Nackenschmerzen, deren Ursache also nicht eindeutig zuzuordnen ist, werden ähnlich wie unspezifische Kreuzschmerzen behandelt. Grundlage der Therapie ist die Mobilisierung. Wie beim Kreuzschmerz ist Bewegung das A und O von Therapie und Vorsorge. Zur Therapie und um eine Chronifizierung zu verhindern, sollten Patienten mit Nackenschmerzen ein Sportprogramm absolvieren: Mehrfach wöchentlich Ausdauersport (Joggen, Walken, Radfahren) und 15 Minuten ein muskelstärkendes Training der Rumpfmuskulatur (insbesondere der Rücken- und Bauchmuskeln).
Um Bewegungen, auch die Alltagsbewegungen, überhaupt ertragen zu können, erhält der Patient Schmerzmedikamente, in erster Linie sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Auch eine Manuelle Therapie kann bei akutem Nackenschmerz erfolgen: Bei der Mobilisation werden langsam die „blockierten“ Gelenke bewegt und damit die Gefügigkeit der Halswirbelsäule wieder gefördert. Ruckartige Manipulationen an der Halswirbelsäule können sehr gefährlich sein, wenn sie nicht korrekt durchgeführt werden. Sie sind Ausnahmefälle und gehören ausschließlich in die Hand des Spezialisten.
Auch die Wärmetherapie mit Rotlicht oder Heizkissen kann bei akut auftretenden Nackenschmerzen schmerzlindernd sein, da sie schmerzhafte Verspannungen in der Nacken- und Schultermuskulatur lösen kann. Auch wenn die Behandlungsleitlinien diese Maßnahme nicht empfehlen, kann es sich lohnen, dieses „Hausmittel“ einmal auszuprobieren, da es zumindest nicht schaden kann.
Unterstützung durch Physiotherapie
Wenn alle diese Maßnahmen nicht anschlagen, wird ab etwa der vierten Woche – man spricht dann vom subakuten Schmerz, da er nicht mehr akut, aber auch noch nicht chronisch ist – dem Patienten zusätzlich auch Krankengymnastik verschrieben. Hierbei soll mit gezielten Übungen die Muskulatur gelockert und entspannt werden, wodurch auch die Schmerzen zurückgehen sollen. Ein weiteres langfristiges Ziel der Physiotherapie ist, dass bestimmte „tragende“ Muskelgruppen aufgebaut und gestärkt werden.
Wenn der Schmerz dauerhaft im Nacken sitzt
Von chronischem Nackenschmerz spricht man, wenn er über zwölf Wochen anhält. Die Therapie umfasst dann alle Maßnahmen wie bei subakutem Schmerz. Zusätzlich empfehlen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin die Akupunktur, das Erlernen eines Entspannungsverfahrens (wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson) und psychologische Maßnahmen. Diese Methoden gelten derzeit als die wirksamste Möglichkeit, auch chronische nicht-spezifische Nackenschmerzen in den Griff zu bekommen.