Читать книгу Das Handbuch gegen den Schmerz - Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas R. Tölle - Страница 81

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Die Art Directorin Astrid W. ist äußerst diszipliniert – und stellte ihre Gesundheit so lange hintenan, bis eine chronische Schmerzerkrankung ihres Nackens sie zu mehr Selbstfürsorge brachte. Sie konnte von einem Moment auf den anderen den Kopf nicht mehr bewegen und bekam kaum Luft.

„Ich lernte durch Kunsttherapie, mich und meinen Nacken zu entspannen.“


Astrid W. (52), Art Directorin im Zeitschriftenbereich in Österreich, litt unter heftigsten Nackenschmerzen. Hier erzählt sie, wie sie durch die multimodale Behandlung mit Kunsttherapie zurück ins Leben fand.

Stellen Sie sich vor, Sie bekommen einen Hexenschuss – aber nicht im Rücken, sondern im Hals. Von einem Moment auf den anderen konnte ich meinen Kopf nicht mehr bewegen, fühlte mich, als würden meine Wirbel zerbröseln und bekam kaum Luft. Es war, als würde ich am Schmerz ersticken.

Ich suchte daraufhin im Internet einen Orthopäden, der mir sofort helfen konnte – ob er gute oder schlechte Bewertungen hatte, nah oder weit weg war, war mir völlig egal. Hauptsache, er konnte sich Zeit nehmen und meine Schmerzen lindern. Danach ging es mir besser, ich ging wieder arbeiten, verdrängte die Probleme im Hals, den immer wieder steif werdenden Nacken, schluckte Tabletten, wenn die Beschwerden stärker wurden. 15 Jahre lang habe ich bei Zeitschriften als Leiterin der Gestaltung frei gearbeitet, große Projekte entwickelt und geleitet, immer unter enormem Zeitdruck. Seit einem Jahr war ich nun fest angestellt, machte mir dadurch aber noch mehr Druck und wollte erst recht zeigen, dass ich es wert bin. Ich habe gespürt, dass ich eine Pause brauche, handelte einen vierwöchigen Urlaub für den Sommer aus, versuchte runterzukommen und kämpfte mich danach weiter durch. Bis eine Woche vor Weihnachten meine Chefin nach fast 20 erfolgreichen Berufsjahren gefeuert wurde. Scheinbar einfach so. Ersetzt durch jemanden, den ich und viele andere Kollegen als Egomanen kennenlernen sollten. Was dann passierte, beschreibt meine Psychologin später so: „Die Betroffene, die sich jahrelang aufgeopfert hatte und ohnehin nicht gut darin war, sich abzugrenzen, mal Nein zu sagen, Pausen zu machen, verlor den letzten Rest Selbstfürsorge.“

Der bohrend-stechende Schmerz im Nacken kam mit einer solchen Wucht zurück, dass ich förmlich zum Orthopäden kroch – der zu meinem großen Glück nicht nur gut im Einrenken, sondern auch im Zuhören war und mich in die Algesiologikum Tagesklinik für Schmerzmedizin in München überwies. Dort wurde schnell klar: Mein Schmerz hat bereits eine Geschichte – und die braucht eine Behandlung. Ich habe eine vierwöchige Schmerztherapie gemacht, mit einer Mischung aus psychologischen, medizinischen und bewegungstherapeutischen Therapieelementen. Dazu gehörten therapeutische Gruppensitzungen, viele Bewegungseinheiten und Arztgespräche. Das Schwierigste zu Beginn: Eine Kunsttherapie. Für mich, für die Kreativität immer Leistung und Lohn bedeutete, schien sinnloses Bildchenmalen nun wirklich das Letzte zu sein, was ich brauche. Ich habe am Ende trotzdem mitgemacht – schlicht deshalb, weil mir die Therapeutin so leidtat, die von allen anderen Mitpatienten nur angemeckert wurde. Ich begann meinen Namen zu malen, mit Blumen und Ranken drum herum. Das fühlte sich seltsam „hausfrauenmäßig“ an, und ich kam mir dabei erst blöd vor, schaffte es dann aber nach und nach loszulassen. Ich merkte, dass ich zwar keine Lust hatte, mir kreativ Gedanken zu machen, aber dass das Herummatschen mit verschiedenen Aquarelltönen mir Spaß bereitete. Es hatte etwas fast Meditatives.

„Sinnloses Bildchenmalen schien das Letzte zu sein, was ich brauche. Doch nach und nach schaffte ich es, loszulassen."

Mitten in der Klinikzeit, als ich gerade begriff, dass mein Nackenschmerz lediglich das Ventil des sprichwörtlichen Druckes auf meinen Schultern war, wurde mir telefonisch ein Auflösungsvertrag von meiner Firma vorgeschlagen. Das war ein enormer Rückschlag für mich, aber es war gut, dass ich ihn nicht alleine erlebt habe, sondern von den Ärzten und Mitpatienten aufgefangen wurde. Einige von ihnen hatten bereits Ähnliches erlebt. Ich habe mich also beraten lassen, nicht unterschrieben oder geantwortet und mich dann wieder auf mich konzentriert.

Vor allem die Bewegungseinheiten waren sehr befreiend. Nordic Walking, Wassergymnastik, Physiotherapie und Theraband-Übungen – ich habe für mich rausgesucht, was mir guttut, und gelernt, in mich reinzuspüren. Die ruhigen Einheiten sind mir erst sehr schwergefallen. Ich sage mal so: Ich bin eher der Typ Rockstar, Sport bedeutet für mich Schwitzen. Yoga oder Feldenkrais waren jetzt nicht gerade meine bevorzugten Bewegungen. Doch ich habe gelernt, dass gerade diese langsamen, achtsamen Übungen mir guttun, auch wenn ich mich zuerst dagegen gewehrt habe. Auch die sogenannte Psychoedukation half mir. Die Therapeutin ist mit mir durchgegangen, dass ich ein Typ bin, der sehr strukturiert und diszipliniert ist, und dass das ja zunächst einmal gar nicht schlecht ist – schließlich bin ich dadurch weit gekommen und habe Karriere gemacht. Aber genau diese Eigenschaften haben mich am Ende auch in den Schmerzteufelskreis gebracht. Gerade weil ich so diszipliniert immer weiter gemacht habe. Auch diese Erkenntnis half mir. In der Klinik habe ich gelernt, dass ich diese Strukturiertheit und Disziplin nun für mich selbst nutzen muss. Ich war nach nur zehn Tagen völlig schmerzfrei und euphorisch! Experten unterteilen Patienten mit chronischen Schmerzen in vier Gruppen. Die meisten, die stationär behandelt werden, haben bereits Level drei erreicht. Ich wurde noch bei Level zwei eingestuft, weil ich relativ schnell den Weg in die Klinik gefunden habe – innerhalb eines Dreivierteljahres nach dem ersten Auftreten der Schmerzen. Damit erklären sich die Mediziner auch meinen schnellen Therapieerfolg.

„Kein Arzt der Welt kann dich gesundhalten, das kannst du nur selbst.“

Dann habe ich aber einen entscheidenden Fehler gemacht. Heute kann ich sagen: zum Glück. Ich habe, als es mir gut ging, sofort mit allem aufgehört, was ich bis dahin probiert hatte, schließlich war ich doch wieder fit – und musste bitter spüren, dass das genau falsch war. Gut, dass ich damals noch in der Klinik war und von vorn beginnen konnte.

Heute halte ich mich jeden Tag akribisch an meinen Trainingsplan, mache täglich 20 Minuten Übungen zu Hause mit dem Theraband, gehe einmal die Woche zur Feldenkrais-Gymnastik, versuche dort, meine Ungeduld wegzuschieben und wirklich in den kleinen Zeh zu spüren oder in die Fingerspitzen. Jeden zweiten Tag mache ich abwechselnd eine Meditationsübung mit einer CD und Progressive Muskelentspannung oder eine Stunde Nordic Walking. Wenn die Muskelspannung mal sehr stark wird, dann bemerke ich das jetzt und lege meinen Kopf auf einen Ballon. Ein einfacher Trick aus der Klinik, der banal klingt, dem Nacken aber leicht und unkompliziert Druck nimmt. Als ich zum ersten Mal so dalag, mit meinem Ohr auf dem Ballon, wurde mir plötzlich klar: Kein Arzt der Welt kann dich gesundhalten, das kannst du nur selbst. Ich habe damals begriffen: Die Gesundheit ist der Hauptmotor unseres Seins – und da sitze ich selbst am Hebel.

Noch merke ich, dass mein Nacken zieht, wenn ich länger als zwei Stunden am Stück am Rechner sitze, deshalb habe ich mich nun noch für eine Behandlung in einer Burn-Out-Klinik angemeldet, um weiter ganzheitlich an mir zu arbeiten. Mein Ziel ist es, danach wieder in den Beruf einzusteigen – aber in einem neuen Umfeld und mit einem neuen Vorsatz: Meine Struktur und Disziplin nicht nur für meinen Job zu nutzen, sondern auch für meine Gesundheit.

Das Handbuch gegen den Schmerz

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