Читать книгу Das Handbuch gegen den Schmerz - Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas R. Tölle - Страница 84

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Kopfschmerzen

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft („International Headache Society“/IHS) unterscheidet insgesamt über 250 Kopfschmerzarten. Kuriose Beispiele sind der „primary headache associated with sexual activity“, also Kopfschmerz, der auftritt, während man Sex hat (bei einigen Menschen unmittelbar vor, bei anderen beim Orgasmus) oder ein Kopfschmerz, der nur während des Schlafs auftritt („hypnic headache“).

Ein einziges wirksames Mittel gegen all diese Schmerzen gibt es leider tatsächlich nicht, auch wenn die Werbung das glauben machen will. Was es aber umgekehrt gibt, sind Kopfschmerzen, die durch Schmerzmittel ausgelöst werden. Hier muss also zur Vorsicht geraten werden, um nicht in einen wahren Teufelskreis zu geraten. Gerade bei chronischen Kopfschmerzen sollte die medikamentöse Behandlung ganz gezielt auf die Art des Schmerzes abgestimmt werden. Kopfschmerzen gelten dann als chronisch, wenn Betroffene mindestens drei Monate lang darunter leiden. Das muss nicht unbedingt durchgehend sein, aber für diese Diagnose an mindestens 15 Tagen pro Monat jeweils über mindestens vier Stunden vorkommen. Menschen mit chronischen Kopfschmerzen haben somit im Durchschnitt mindestens jeden zweiten Tag Beschwerden – ein Umstand, der verdeutlicht, wie stark die Schmerzen die Lebensqualität dieser Menschen beeinträchtigen.

Eigene Krankheit oder nur ein Symptom?

Mediziner unterscheiden zwischen primärem und sekundärem Kopfschmerz. Unter primären Kopfschmerzen versteht man diejenigen, die ohne eine fassbare Ursache, also „aus sich heraus“ (Fachbegriff: idiopathisch) entstehen. Hier ist der Kopfschmerz mit den entsprechenden Begleitsymptomen selbst die Erkrankung, er ist kein Symptom oder Ausdruck einer anderen Krankheit oder Verletzung. Ein Beispiel hierfür ist die Migräne. Genetische Faktoren spielen für die Entstehung solcher primärer Kopfschmerzformen vermutlich eine wichtige Rolle.

Schmerztabletten können Kopfschmerzen verursachen

Wenn die Schmerzen nicht chronisch sind, helfen zunächst meist Schmerzmittel, die ohne Rezept gekauft werden können, wie ASS, Paracetamol oder auch die sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika (zum Beispiel Ibuprofen). Wirksam sind auch Kombinationspräparate aus ASS, Paracetamol und Koffein. Doch es ist Vorsicht geboten! Schmerzmittel können bei häufiger Anwendung (also an zehn oder mehr Tagen pro Monat) dazu führen, dass Kopfschmerzen chronisch werden. Schmerzen, die im Kontext eines Schmerzmittelübergebrauchs entstehen, sind manchmal schwer vom normalen, aus sich heraus entstandenen Spannungskopfschmerz oder einer Migräne abzugrenzen. Patienten sollten daher ihrem Arzt unbedingt ganz ehrlich mitteilen, wie lange und wie häufig sie schon Schmerzmittel einnehmen, damit er dann auch die richtige Diagnose stellen kann.

„Für die Entstehung mancher Kopfschmerzarten wie Migräne spielen genetische Faktoren vermutlich eine wichtige Rolle.“

Zu den sekundären Kopfschmerzen zählen die, die auf eine identifizierbare (und manchmal kausal behandelbare) Ursache zurückzuführen sind. Das gilt beispielsweise für eine Gehirnerschütterung nach einem Unfall oder auch für andere Verletzungen. Ebenso können auch Infektionserkrankungen Kopfschmerzen auslösen – fast jeder von uns hat bei einem grippalen Infekt als Begleitsymptom schon einmal Kopfschmerzen gehabt. Diese Symptome verschwinden jedoch dann wieder, sobald nach einiger Zeit der Infekt abgeklungen ist.

Weitere Ursachen für die Kopfschmerzen können beispielsweise Bluthochdruck, neurologische Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen oder gar Krebs sein. Die wichtigste Maßnahme ist bei den sekundären Kopfschmerzen natürlich, die zugrunde liegende Ursache zu finden und diese entsprechend zu behandeln. Daraus ergibt sich als Folge häufig auch eine Verbesserung der Kopfschmerzen des Patienten.

Diagnose von Kopfschmerzen

Wenn ein Patient wegen Kopfschmerzen erstmals einen Arzt aufsucht, muss dieser feststellen, ob es sich um einen primären oder sekundären Kopfschmerz handelt. Das bedeutet, dass er Erkrankungen ausschließen muss, die Kopfschmerzen als Hauptsymptom haben. Dafür befragt der Arzt den Patienten zunächst genau und nimmt dann eine neurologische Untersuchung vor, in der er unter anderem Kraft, Reflexe, Koordination, Sensibilität und Hirnnerven überprüft. Jeder Hirnnerv hat eine bestimmte Funktion. Der „Nervus opticus“ beispielsweise steuert das Sehen und ist damit an der Pupillenreaktion beteiligt. Wenn sich die Pupille bei Lichteinfall nicht verengt, kann dies darauf hindeuten, dass eine Funktionsstörung dieses Nervs vorliegt.

Treten zusammen mit dem Kopfschmerz neurologische Symptome (wie beispielsweise Schwindel, Sprach-, Seh- oder Gefühlsstörungen) auf oder bemerkt der Arzt im Rahmen der neurologischen Untersuchung auffällige Befunde, ist häufig eine weitere apparative Diagnostik notwendig. Das kann zum Beispiel eine bildgebende Untersuchung sein, wie eine Computertomografie (CT) oder eine Magnetresonanztomografie (MRT), die auch Kernspintomographie genannt wird. Manchmal werden auch gleich mehrere solcher bildgebenden Untersuchungen durchgeführt, wie ein CT, um die Schädelbasis darzustellen, und zusätzlich ein MRT, um die Blutgefäße zu sehen, die das Gehirn versorgen. Eine solche weiterführende Untersuchung ist auch immer dann erforderlich, wenn sich die Kopfschmerzen untypisch äußern und sich deshalb nicht einer bestimmten primären Kopfschmerzerkrankung zuordnen lassen. In den meisten Fällen kann der Arzt aber ohne weiterführende Untersuchungen die Kopfschmerzen gut einordnen und eine sichere Diagnose stellen. Neun von zehn Patienten, die mit chronischen Kopfschmerzen kommen, leiden unter einem primären Kopfschmerz, also einer „eigenständigen“ Kopfschmerzerkrankung. Bei ihnen liegt keine andere zugrundeliegende Krankheit oder Verletzung vor, die zu den Kopfschmerzen führt, sondern der Kopfschmerz und dessen Begleitsymptome stehen für sich.

Häufige primäre Kopfschmerztypen sind Migräne, Spannungskopfschmerz oder der sogenannte Clusterkopfschmerz. Diese Krankheitsbilder haben unterschiedliche Symptome und Verläufe und können daher gut voneinander abgegrenzt werden. Der Spannungskopfschmerz ist meist dumpf drückend und tritt typischerweise beidseitig auf, beim Clusterkopfschmerz kommt es zu sehr heftigen, einseitigen Schmerzattacken, und bei der Migräne wird der Schmerz häufig als „pulsierend-pochend“ beschrieben. Auch wird die Migräne oft von typischen Beschwerden wie Übelkeit oder Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet.

Im Folgenden werden Migräne, chronischer Spannungskopfschmerz sowie Clusterkopfschmerz als typischste Schmerzarten näher vorgestellt. Eine Migräne-Patientin berichtet zudem über ihre langjährige Schmerzgeschichte und was ihr helfen konnte.

Wie kann der Patient zur sicheren Diagnose beitragen?

Grundlage für jede Diagnose ist, dass der Patient den Schmerz gut beschreibt und genau erklären kann, wo es weh tut. Er muss Auskunft darüber geben, welchen Charakter der Schmerz hat und mit welcher Dynamik er auftritt. Zudem darüber, wie lange er (unbehandelt) andauert, wie häufig er ist und welche Begleitsymptome bestehen.

Meist ist es hilfreich, sich das vorher zu notieren. Viele Schmerztherapeuten händigen ihren Patienten einen Kopfschmerzkalender aus und bitten darum, darin alles genau festzuhalten. Dann ist es einfacher festzustellen, an wie vielen Tagen im Monat man Kopfschmerzen hatte, wie lange sie andauerten und welcher Art sie waren. Auch kann man dann mögliche Veränderungen feststellen, beispielsweise, ob die Dauer oder Intensität der Kopfschmerzen zunehmen, ob die Frequenz kürzer oder länger wird und ggf. auch, was eine Kopfschmerzattacke auslöst. Das ist gerade für Patienten mit Migräne wichtig, da diese Erkrankung bei manchen Patienten bestimmte Auslöser hat. Dazu können unter anderem Stress, Wetterwechsel, aber auch Schlafmangel oder bestimmte Nahrungs- oder Genussmittel wie Käse oder Rotwein gehören. Je genauer der Betroffene weiß, was die Kopfschmerzen bewirken könnte, desto bewusster kann er solche Auslöser umgehen.

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