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Der Norden des Südens

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N nahm immer zwei Stufen auf einmal, nervös und völlig fertig versuchte er, sein Herzklopfen zu verbergen. Auf dem letzten Treppenstück, bei dem Versuch, sich zu beruhigen, merkte er, dass das einzige Detail, was ihn rein äußerlich verdächtig machte, seine beschleunigte Atmung war. Er atmete mehrmals ein und aus und öffnete ängstlich die Tür. Er hörte in das Schweigen, um zu sehen, ob er daraus etwas ableiten konnte. Er wusste, alles war kurz davor zusammenzubrechen, sich in einen Berg von Schutt zu verwandeln, und es gab keine Möglichkeit, das zu verhindern. Doch nun war nicht die Zeit zu klagen und zu reden über das, was man hätte tun müssen (und was man nicht getan hatte, weil man im entscheidenden Moment alles runterschluckte und weitermachte wie bisher). Schließlich leben wir nur ein oder zwei Mal, und Risse in Decke und Fußboden und der Einsturz aller Fundamente, auf die er seit Jahren seine Existenz gründete, war das Mindeste, was man von einer Situation wie dieser erwarten konnte, einer Sackgasse, die ihn für immer zu verschlingen drohte und ihn in dem Schlund einer endlosen Spirale verschwinden ließ. Er setzte sich. Ließ seinen Kopf nach hinten fallen.

Er stellte sich die Wut von S vor, die ihn mit blank liegenden Nerven und offenem Mund anstarren würde, als erkenne sie ihn nicht und als sähe sie dieses Reptil zum ersten Mal, das diskret vor ihr hüstelte und ihrem Blick auswich, der sich in seine Haut einbrannte. Er konnte sich keine andere Reaktion vorstellen: Ab diesem Moment schossen die Möglichkeiten unkontrolliert durcheinander. N wusste, von nun an gehörten die geteilten Bonbons für immer der Vergangenheit an, die Marmelade am Sonntagmorgen, der Abendspaziergang, die Küsschen im Fahrstuhl, das Lachen auf der Pferderennbahn, die einmal unter dem Hut und einmal unter der Serviette versteckten Kinokarten. Stattdessen begannen nun die frostigen Morgen, die Schweizer Wecker, die deprimierenden Nachmittage als Löwe, eingesperrt in einem zu großen Käfig, als Mönch in einer Zelle, als ausgestopfter Vogel, der Motten und Staub fängt.

Natürlich würde es irgendwann wieder tauen und der Raureif zu Wasser schmelzen, dann kämen die Fußballspiele am Donnerstag, die Spielhallen am Samstag, die Bierdosen unterm Bett, die Füße auf dem Tisch, das Sektfrühstück vor dem Schlafengehen. Und nicht nur das: Die Besuche von verrunzelten Verwandten und besserwisserischen Freunden, die bei Pflichtabendessen Asche auf dem Parkett fallen ließen, würden endgültig vorbei sein. Keine Strümpfe mehr auf dem Sofa, keine Ratschläge mehr im falschen Ton, keine Haare mehr im Waschbecken und keine unangebrachten Ansprüche mehr. N lief eine Weile in der Wohnung auf und ab. Dann war ihm schwindelig, und er glaubte, gleichzeitig essen und sich übergeben zu müssen. Er wusch sich, räumte Bücher weg und vertrieb sich die Zeit, indem er den Plattenspieler mal schneller und mal langsamer laufen ließ.

Dann hörte er die Schritte von S: Sie stieg schnell die Treppe hoch, steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür. Wie ein Kind, das seine Augen zukneift, um nicht gesehen zu werden, sah er weg und hörte nur, wie sie Mantel und Hut auf einen Stuhl warf und »Hallo« sagte. Ihr Blick, viel zaghafter, als er es sich vorgestellt hatte, konnte ihm nichts anhaben. Beunruhigt schaute N auf und nahm es mit ihrem Blick auf: S war völlig fertig und versuchte, das heftige Herzklopfen zu verbergen. N war verwirrt: Er hatte alle Fallstricke gewittert, in denen er sich hätte verheddern können, diese unerwartete Ruhe aber hatte er nicht vorausgesehen. Ganz offensichtlich würde keiner der beiden den Mund aufmachen, da beide gleich durcheinander waren. N erkannte messerscharf, die Pokerrunden waren vorbei, ehe sie überhaupt begonnen hatten, es würde keine Füße auf dem Tisch geben, keinen Fußball am Donnerstag, keine Bierdosen unterm Bett, kein Sektfrühstück vor dem Schlafengehen. Natürlich aber wieder geteilte Bonbons, Marmelade am Sonntagmorgen, zwei unter dem Hut versteckte Eintrittskarten. Doch auch die Haare im Waschbecken, die Strümpfe auf dem Sofa, die Ratschläge im falschen Ton, die Besuche von verrunzelten Verwandten, die besserwisserischen Freunde, die bei Pflichtabendessen Asche auf dem Parkett fallen ließen, die unangebrachten Ansprüche, die Hand, die so oft das Messer packte. Er stand auf (und es war ihm klar, alles, worüber er nachgedacht hatte, war auch ihr durch den Kopf gegangen), sie drückten die Wangen aneinander, sagten noch einmal »Hallo« und küssten sich in einer unbändigen, wütenden Umarmung.

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