Читать книгу Hundert Geschichten - Quim Monzo - Страница 40

Barcelona

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– Du hörst mir nicht zu – sagte sie plötzlich.

Er blickte erschrocken auf. Aber es war die Wahrheit: Schon seit einigen Minuten begleitete der Redefluss der Frau seine abschweifenden Gedanken nur als Hintergrundmusik.

– Du hörst mir nicht zu – wiederholte sie. – Wenn du redest, dann redest du die ganze Zeit von dir. Du interessierst dich nur für dich. Und es interessiert dich nicht im Mindesten, was ich sage. Es kümmert dich nicht, was mir durch den Kopf geht, nicht, wie ich bin und was ich mache . . .

Der Mann war überrascht. Er hatte Angst, die Frau könnte ihn fragen, worüber sie geredet hatte bis zu dem Augenblick, als sie dann plötzlich abbrach, um ihm unmittelbar danach vorzuhalten, er höre ihr nicht zu. Der Mann wusste nicht, was er antworten sollte. Um eine Antwort auf die Vorwürfe hinauszuzögern, küsste er sie auf die Wange, die sich ganz zart anfühlte, und blieb bei diesem Zärtlichkeitsbeweis länger als nötig. Doch die Zeit verstrich, und er musste irgendeine Antwort finden.

– Glaubst du wirklich, ich rede nur von mir selbst?

– In keinem Augenblick dieser beiden zusammen verbrachten Nächte hast du dich auch nur ein einziges Mal für meine Sachen interessiert . . .

– Verdammt – Sein Gesicht war traurig, abwesend.

– Du bist schon seltsam. – Und so, als ob er ihr vorwerfe, ihn traurig gestimmt zu haben, fügte sie hinzu: – Schmoll jetzt nicht.

Als sie sich wieder umarmten, gab ihr der Mann insgeheim recht. Und er bedauerte ganz aufrichtig (auf eine Art und Weise, die er fast als Schuldgefühl identifizierte), sich nicht erkundigt zu haben, was der Frau durch den Kopf ging, was sie im Leben machte: was ihre Interessen waren, wovon sie lebte. Er hatte sich, als sie den ersten Abend miteinander ausgingen, kaum, wenn überhaupt, dafür interessiert, ob die Frau alleine oder mit jemandem zusammenlebte, und wenn, dann nur, um herauszufinden, ob ihre Wohnung eine gute Anlaufstelle für die Nacht war oder ob sie in ein kleines Hotel gehen sollten oder im Auto in einer Kurve der Landstraße bleiben mussten. Unwohlsein überkam ihn. Er fühlte sich kleinlich, wie die mieseste Kreatur auf der Erde, und er gestand sich ein, dass ihm in letzter Zeit die Leute tatsächlich ziemlich egal waren. Da hatte ihn die Frau doch tatsächlich auf frischer Tat ertappt: Er war mitten in den lächerlichsten Napf getreten. Ausgerechnet er, der sich immer für »menschlich« und »sensibel« gehalten hatte, meilenweit entfernt von jenen Personen, die sich nur für sich selbst interessierten! Er wandte den Blick ab, so als müsse er schleunigst den Fehler zugeben, und starrte auf die Wand vor sich. Sie saßen bei ihr daheim, und hätte er sie beschreiben sollen, er hätte es nicht vermocht. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete er die lange Schrankwand aus hell lackiertem Holz; dort sah er einen glänzenden Keramikteller, eine marokkanische Trommel, ein Aspirinröhrchen, drei Bücher und eine weiße holländische Pfeife. Er schaute auf den Boden: farbige Fliesen. Die Vorhänge waren eierschalenfarben. Er drehte den Kopf und betrachtete die Zeichnung an der Wand: Linien unterschiedlicher Stärke mit scharfkantigen Ecken, kompakten Kreisen und Pfeilen. Das Sofa, auf dem sie saßen, war aus grauem Stoff und hatte einen rosaroten Besatz. Er betrachtete den Rücken der Frau in seinen Armen: Genau auf der Wirbelsäule, etwa eine Handbreit unter dem Nacken hatte sie einen Leberfleck. Für einen Augenblick stellte er sich vor, wie er sich auf einer Dachterrasse dem Geländer näherte. Sie lösten die Umarmung. Fast mit Tränen in den Augen bemühte sich der Mann schleunigst, den Fehler zuzugeben.

– Du hast recht: immer rede ich von mir. Mir ist das noch nie aufgefallen. Ist das schrecklich! Es ist wirklich ein widerliches Verhalten. Ich meine das ganz aufrichtig. Ich wünschte, du könntest mir glauben. Wirklich. Ich belüge dich nicht; ich erzähle dir keine Märchen, nur um dir zu gefallen. Ich gebe zu, es muss schwer sein, jemanden zu ertragen, wenn auch nur für ein paar Nächte, der nur von sich redet. Ich fände es grausam, mit so jemandem zusammen zu sein. Doch mit der Ehrlichkeit nehme ich es genau. Ich war immer ehrlich, und nicht nur zu dir. Ich bin ziemlich durcheinander. Ich kann das, was du sagst, nicht leugnen. Denn du hast recht, in letzter Zeit rede ich immer nur von mir . . .

Er war aufgestanden und fuchtelte mit den Fäusten, so als boxe er in der Luft.

– . . . so als sei ich das Einzige, was mich interessiert. Die Entdeckung, dass ich so bin, erschreckt mich wirklich. Aber früher war ich anders. Mir waren die anderen wichtig. Ich bin sicher. Ich würde gerne wissen, wann ich aufgehört habe, mich für andere Menschen zu interessieren . . .

Er fiel vor der Frau auf die Knie. Er umschlang ihre Beine, schob seine rechte Hand unter ihren Rock und streichelte ihre Schenkel.

– . . . ich würde gerne wissen, was, welches Ereignis oder welche Ereignisse aus mir einen Egoisten gemacht haben. Lach nicht. Ich möchte mich gern wieder für meine Mitmenschen interessieren. Und vor allem anderen und an allererster Stelle möchte ich aufhören, zu dir so zu sein. Denn du interessierst mich wirklich. Deshalb brauche ich deine Hilfe, du musst mir sagen, wann ich mich so verhalte. Und warum ich mich so verhalte. Ich möchte gerne mit dir darüber reden.

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