Читать книгу Hundert Geschichten - Quim Monzo - Страница 29

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Der Morgen zeigte sich muffelig. Beim Tennis gab sich Enric den normalen Wechselfällen auf dem Platz hin: Zum Beispiel war der Schmetterball etwas lang (oder kurz; oder perfekt) und Natxo verlor (wie so oft) den Ball, der gegen eine Wand schlug (oder im Metallnetz oder in den Bäumen landete) und dann neben einem leeren Klappstuhl liegen blieb. Nehmen wir an (um es kurz zu machen), dass er mit diesem Ball das Spiel in der Tasche hatte, den Satz und das Spiel: Das sind Details, die nicht so wichtig sind: Enric gewann fast immer.

Danach duschte er und zog sich an. Natxo schlug vor, zusammen zu Mittag zu essen. Enric lehnte ab: Er musste sich mit Pepa treffen. Sie vereinbarten, wegen des Abendessens zu telefonieren.

Pepa kam zu spät. Sie entschuldigte sich schon unter der Tür. Zudem hatte sie bereits gegessen: ein belegtes Brötchen mit ihren Kommilitonen. Es tat ihr sehr leid. Enric dachte, von einem belegten Brötchen werde man nicht satt. Pepa sagte, sie werde etwas trinken. Der Kellner nahm die Bestellung auf. Pepa lächelte. Enric erzählte, er habe ein Haus auf Menorca gekauft (fürs Wochenende) und überlege, ob er zur Vereinfachung den Pilotenschein mache. Pepa schlug vor, ins Kino zu gehen.

Zwei Stunden später kamen sie aus dem Kino. Sie gingen zu Enric und dann ins Bett. Sie lagen im Halbschlaf, als um acht das Telefon klingelte. Es war der verärgerte Natxo: Er hatte sich zweimal hintereinander verwählt. Immer mit derselben Nummer. Sie verabredeten sich zum Abendessen. Im Schlafzimmer war Pepa noch am Schlafen. Enric biss ihr in die Schenkel.

– Duschen wir zusammen?

Halb eingeseift, klingelte das Telefon noch einmal. Mit einer schaumigen Erektion verbreitete Enric Fußabdrücke auf den Fliesen. Pepa fasste sich beleidigt an eine Brustwarze.

– Ja?

Auf der anderen Seite Schweigen; jemand, der fast unhörbar atmete.

– Ja?

Die Atmung kam ins Zweifeln. Es schien, als würde sie sich das Lachen verbeißen. Enric stellte sich einen Apfelbaum ohne Äpfel und ohne Blätter vor: aus Pappe; oder einen stummen Papagei, der aus einer ganz nahen anderen Welt anruft. Schließlich redete eine Frauenstimme:

– Hallo, Enric. Erinnerst du dich an mich?

Er erinnerte sich nicht. Für einen Moment überlegte er: »Vielleicht Eva oder Anna.« Er ließ alle Möglichkeiten Revue passieren: Diese Stimme war ihm hundertprozentig unbekannt. Die Erektion war dahin, die Seife tropfte auf den Boden und hinterließ eine Pfütze.

– Offen gestanden . . .

– Erinnerst du dich nicht an aaallllll das, was wir gemeinsam gemacht haben?

Die Stimme wollte erregend sein und machte sich stattdessen lächerlich. Niemand kann fragen: »Erinnerst du dich nicht an all das, was wir gemeinsam gemacht haben?«, es sei denn aus Jux. Er wollte gerade antworten, als die Stimme wieder sprach:

– Ich schon, ich erinnere mich an dich. Willst du wissen, was ich mache, wenn ich mich an dich erinnere? – Die Stimme atmete übertrieben, schnalzte mit der Zunge an den Gaumen – Kannst du es dir vorstellen? Zuerst lutsche ich an einem Finger, ich sauge daran, als sei er aus Honig. Dann gleite ich mit der Hand ganz langsam, denn ich habe es nicht eilig (ich habe die ganze Zeit der Welt) den Körper entlang nach unten und streichle alles, jede Mulde, denn es ist ein empfindsamer Körper, den man sehr sanft behandeln muss. Und genau da, wo ich mich gerade anfasse, an diesem flackernden Knöspchen, sterbe ich vor Lust; mit der anderen Hand stecke ich einen Finger in ein seidenes Loch, warm und saftig . . .

Enric legte auf. Er versuchte zu erraten (jetzt, wo er sich sicher war, die Besitzerin der Stimme nicht zu kennen), welcher Bekannte sich, zwei Meter vom Telefonapparat entfernt, vor Lachen bog, während eine Freundin, die sich mit ihm verschworen hatte, die Verführerin spielte. Die Erektion war nun wieder da. Er beeilte sich und warf sich in die Badewanne. Er setzte das ganze Badezimmer unter Wasser.

– Weißt du, was das war? Ein schweinischer Telefonanruf.

– Was hat sie dir gesagt?

– Sie hat mir gesagt, wie sie sich genau so zwei Finger reinsteckt.

Als eine halbe Minute später das Telefon noch einmal klingelte, waren schon drei Finger drin. Sie taten, als hörten sie es nicht. Es klingelte weiter, lang, minutenlang, wie die Sirene eines Krankenwagens.

Am nächsten Tag speiste Enric nach dem gewonnenen Tennisspiel mit einem Bankberater. Später rief Lídia an. Sie verabredeten sich für abends, er würde sie abholen. Zu Hause zog sich Enric um, hörte Musik, las einen Bericht; als um Punkt acht das Telefon klingelte, las er das International Management und gähnte.

– Hallo, Enric. Erinnerst du dich immer noch nicht an mich?

– . . .

– Gestern nacht habe ich ganz intensiv an dich gedacht und . . .

– Und du hast dir drei Finger reingesteckt?

– Vier. Weil ich sehr feucht war und sie ganz leicht hineinglitten, sanft, wie nie . . .

Enric legte auf. Es fehlte nur noch, dass er ihr erlaubte, ihn zum Schwanken zu bringen. Er zog sich an. Er legte Klaus Schulze auf (das war die Musik, die Lídia mochte) und bereitete alles so weit vor, dass er nur noch den Plattenspieler anstellen brauchte, sobald sie nach Hause kamen.

Drei Tage lang wiederholte sich der Anruf immer zur gleichen Zeit. Am vierten Abend um acht versammelte Enric alle seine Freunde und Freundinnen, die von der Geschichte wussten, um das Telefon und jedes Mal, wenn es klingelte, nahm eine andere Person ab und leugnete, dass dies die gewählte Nummer sei. Beim fünften Mal sagte die Stimme »Idiot« und rief nicht mehr an.

In jener Nacht ging Enric früher als sonst schlafen. Am nächsten Morgen verlor er zum ersten Mal in sechs Monaten ein Spiel. Irritiert rief er nicht, wie verabredet, Pepa an, sondern verbrachte den Nachmittag damit, lauter nutzloses Zeug zu kaufen einschließlich einer Blumenvase in einem Antiquitätengeschäft. Um halb acht saß er halb eingenickt vor dem Fernseher. Zwei vor acht klingelte das Telefon. Er wunderte sich: Die anonymen Anrufe waren immer überaus pünktlich. Er nahm ab: Pepa: Wie geht’s so? Fünfzehn Sekunden vor acht suchte Enric nach einer Ausrede: Er würde sie später anrufen. Sobald er den Hörer aufgelegt hatte, klingelte das Telefon noch einmal.

– Ja?

– Hallo.

Ab diesem Moment ist es leicht, diese Geschichte weiterzuspinnen, und vielleicht wird sie dadurch langweiliger. Es heißt also, sich kurz zu fassen und sowohl psychologische Erklärungen (ständig verfügbare Ausflüchte, mit denen man alles und jedes rechtfertigen kann) zu vermeiden als auch die Beschreibung der Reaktionen von Freunden und Freundinnen, die wachsende Sorge der Bankberater, die Maßnahmen der Familie (erst befremdet, dann nacheinander besorgt, empört, entschlossen): Sie sind leicht vorhersehbar und von Mal zu Mal schärfer.

Tagelang versuchte Enric, sich mit der geheimnisvollen Stimme zu verabreden. Nach vielen Abenden Kampf willigte die Stimme ein: morgen um acht an dem und dem Ort. Enric beschrieb sich, damit sie ihn erkennen konnte: grauer Anzug und rote Nelke am Kragen. Die Stimme fand das lustig. Enric freute sich darüber.

Am nächsten Abend um acht war er zum ersten Mal seit Wochen nicht vor dem Telefon. An dem vereinbarten Ort war es brechend voll, und niemand kam auf ihn zu. Er konnte nicht feststellen, ob sie da war oder nicht, und falls sie da war, wer sie war. Er kam spät und betrunken nach Hause zurück, mit zu großen Schlüsseln für zu kleine Schlösser. Beim nächsten Anruf zeigte er sich verärgert. Die Stimme sagte, sie sei da gewesen, hätte es aber vorgezogen, nichts zu sagen und zu schauen, wie er reagiere. Ärgerlich legte Enric den Hörer auf und bereute es sogleich, denn wenn sie zur Verabredung gekommen war, sich nicht vorgestellt, sondern stattdessen ihn beobachtet hatte, so bedeutete dies, dass sie von diesem Spiel allmählich genug hatte. Er wartete auf einen weiteren Anruf, der nicht kam. Er schlief schlecht. Am nächsten Tag um acht abends blieb das Telefon stumm. Als es drei Tage später endlich wieder klingelte, war es nur, um ihm mitzuteilen, dass das Spiel zu Ende sei, dass sie die Nase voll habe von einer Geschichte, die sie aus Spaß begonnen hatte, rein zufällig, als eines Tages jemand anrief, der sich verwählt hatte und nach einem Enric fragte und dabei die Nummer zwei Mal wiederholte, oft genug, um sie zu notieren und das Spiel zu beginnen. Nun würde sie nicht mehr anrufen. Enric bat um ein Treffen. Sie sagte nein. Er insistierte. Sie lehnte kategorisch ab. Er hatte Angst, sie könne den Hörer auflegen, und hätte sich damit zufriedengegeben, dass alles weiterging wie bisher, ohne ein Treffen: ein täglicher Anruf. Sie antwortete, sie habe ihre Entscheidung bereits gefällt: Sie würde nicht mehr anrufen. Und legte auf.

Enric dachte über verschiedene Möglichkeiten nach: Wenn sie seinen Namen und seine Nummer wegen ein paar verwählter Anrufe herausbekommen hatte, dann mussten beide Telefonnummern sehr ähnlich sein: nur eine oder maximal zwei Ziffern Unterschied. Er beschloss, alle möglichen numerischen Variationen auszuprobieren. Doch die möglichen Kombinationen von sieben Ziffern sind zahlreich. Nach wenigen Tagen war sein Finger müde, und er grämte sich, weil ihre Nummer eine der vielen sein konnte, die er probierte, es unendlich lang klingeln ließ, aber niemand abnahm. Er versuchte es über Wochen hin: Er wählte Tausende von Nummern; nichts, rein gar nichts.

Er stellte sich hunderttausend mögliche Tode vor. Er würde aus Liebe sterben, aus Liebe für eine Frau, von der er nicht mehr kannte als ihre Stimme. Jeden Abend, wenn er nach einem anstrengenden Tag (vor acht, falls sie doch anrufen würde) den Hörer auflegte, entschied er sich für einen anderen Freitod: Schließlich hatte er das größte Handbuch zu dem Thema beisammen. Er stellte sich die Schlussszene in einem Film vor, immer dieselbe: Um acht Uhr abends, der Sarg mit seiner Leiche wird gerade hinausgetragen, da klingelt das Telefon, einen Tag zu spät.

Alles überstürzte sich, doch ganz anders als gedacht: Nachdem er sich wochenlang in der dunkelsten Ecke seiner Wohnung verschanzt hatte (um den polizeilichen Ermittlungen, den Brigaden von Psychoanalysten, die ihm die Familie auf den Hals schickte, der Belagerung von Freunden und Freundinnen aus dem Weg zu gehen) fand er eines Abends unter der Wohnungstür eine Telefonrechnung mit einem Datum, das bereits eine Weile zurücklag, und die die unmittelbar bevorstehende (und daher schon eingetretene) Drohung enthielt, ihm das Telefon abzustellen. Er rannte zum Telefon, hob den Hörer ab, wissend, was ihn erwartete: null Ton. Daraus entnahm er, dass es bei den Bemühungen seiner Familie, ihm (angesichts seines offensichtlichen Wahns) die Konten zu sperren, einen Fehler gegeben hatte und die Sperrung nun auch die Zahlungen betraf. Das Ende der Geschichte verliert sich nun in den Labyrinthen, Fluren und Schaltern des Behördendschungels bei dem Versuch alle ausstehenden Rechnungen zu bezahlen, um sein Telefon wieder angeschlossen zu bekommen, und in der immer weiter verblassenden Hoffnung, der Anruf könne sich doch wiederholen; als er dann eines Tages mal wieder auf der Straße war, nahm er die Gelegenheit wahr, anfangs noch etwas vergrätzt, und rief Lídia (oder vielleicht auch Pepa) aus einer Telefonzelle an:

– Hallo, junge Frau.

– Ach, was für eine Überraschung! Hast du eigentlich inzwischen die vierzig überschritten?

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