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1.3 Die griechisch-römische Antike als Übersetzungsepoche
ОглавлениеDie griechisch-römische Antike ist für uns die erste historisch greifbare Übersetzungsepoche. In ihr haben sich bestimmte übersetzerische Grundkonzeptionen erstmals herausgebildet, die auch für die Folgezeit Gültigkeit behalten sollten, ja teilweise bis heute ausgeübt werden. Zugleich aber unterscheidet sich die antike Übersetzungspraxis grundsätzlich von der modernen. Die RezeptionRezeption der Griechen durch die Römer1Rezeption diente auch dem Zweck, das Lateinische als SpracheSprache zu bereichern, es literaturfähig zu machen, die im Griechischen schon vorhandenen literarischen Gattungen auf dem Wege der Übersetzung zu gewinnen (vgl. SEELESeele 1995:4).
Anfangs, in der archaischen Zeit, werden die griechischen Vorbilder experimentierend und bezogen auf den Textinhalt oft frei angeeignet. „Die römischen Komödiendichter waren sich durchaus ihrer Entfernung von den griechischen Vorlagen bewußt und formulierten auch explizit das Postulat der Wirkungsäquivalenz. Zeugnis hierfür sind insbesondere die Prologe des Terenz“ (SEELESeele 1995:7). Die antiken ÜbersetzerÜbersetzer wetteiferten mit ihren Originalen, amplifizierten oder reduzierten sie, modifizierten die SemantikSemantik ihres Ausgangstextes, wenn dies im eigenen oder im Interesse ihrer LeserLesers. Empfänger lag. Dies konnte bis zur Parodie gehen. Dass ein und derselbe Text in mehreren Übersetzungen durch verschiedene Übersetzer je andersartig ausfällt, ist dabei eine Erfahrungstatsache.2Übersetzerwörtlich
Eine stärkere Selbstreflexion römischer ÜbersetzerÜbersetzer tritt erst in der klassischen Zeit auf, als die römischen Autoren sich in ihren Originalwerken mehr von den Vorbildern lösten, und umgekehrt sich in den Übersetzungen stärker um genaue Nachbildung bemühen konnten. Der römische Dichter Horaz (65–8 v. Chr.) sprach von einem „fidus interpres“, dem man trauen könne, weil er seine Aufgabe zuverlässig ausübe. Der wichtigste Übersetzer der klassischen Zeit war aber Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.). Er übersetzte seine Vorlagen in der Regel mit starkem literarischem Gestaltungs- und oft Überbietungswillen, was durch das literarkritische Konzept der aemulatio, der konkurrierenden Nachbildung, bedingt ist. Seine theoretischen Reflexionen über das ÜbersetzenÜbersetzen sind von starkem patriotischem Selbstbewusstsein getragen. So warnt Cicero stets vor allzu sklavischer Nachahmung des originalen Wortlauts. In aller Schärfe fasst er die Antithese „non ut interpres sed ut orator“, man orientiere sich als Dolmetscher nicht wie ein Ausleger am Wortlaut der Vorlage, sondern wie ein Redner an seinen Zuhörern.
Er fordert also nicht wörtliche Abbildung, sondern sinngemäße Wiedergabe. Gleichzeitig aber bemüht er sich insbesondere auf der Ebene des Wortschatzes um möglichst präzise Umsetzung der philosophischen TerminologieTerminologie der Griechen und legt darüber in zahlreichen Äußerungen übersetzerischer Selbstreflexion Rechenschaft ab.3Seele Die nachklassische Zeit hat dem theoretisch nicht viel hinzuzufügen. Weittragende ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren sind entwickelt worden. Man kann feststellen,
daß der antike ÜbersetzerÜbersetzer sich vor eine ganz ähnliche Typologie von Übersetzungsschwierigkeiten gestellt sah wie der moderne: vor lexikalische Lücken, semantische Ambivalenzen, divergierende Sprachsysteme, unübersetzbare Idiomatismen, Bilder und Metaphern, metrische Zwänge, glossierungsbedürftige Stellen usw.
Auch wenn der antike ÜbersetzerÜbersetzer sich bei der Übersetzung ganzer Texte oft unbefangen über solche Schwierigkeiten hinwegsetzte, so hat er doch zumindest punktuell schon ein weites Spektrum von Lösungsmöglichkeiten erarbeitet (SEELESeele 1995:17).
Nachstehend werden einige ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren der Antike genannt (vgl. SEELESeele 1995:24ff). Im Umgang beispielsweise mit der lexikalischen Lücke, dem Fehlen eines passenden Ausdrucks in der ZielspracheZielspraches. ZS, haben die ÜbersetzerÜbersetzer verschiedene Strategien entwickelt:
1. Das Übersetzungslehnwort (exprimi verbum e verbo), das in der Regel einen zielsprachlichen Neologismus darstellt. So wurde der lateinische Wortschatz erweitert, indem Worbildungsgesetze imitiert und nach Analogie der griechischen Komposita lateinische Zusammensetzungen geformt wurden: omnipotens, altivolans, altisonus. Auch in der deutschen Übersetzung der Odyssee von J.H. Voß finden wir solche Ausdrücke: die schönäugige Jungfrau Nausikaa, die rosenfingrige Morgenröte. Produktiv sind auch die Zusammensetzungen mit Präfix: ανεφελοϛ – innubilus – wolkenlos.
2. Bei Bedeutungslehnwörtern wurden bereits existente lateinische Wörter mit neuen Bedeutungen gefüllt, so wenn z.B. griechische Götternamen (Ερμειαϛ) durch lateinische ersetzt wurden (Mercurius).
3. Manchmal wurden lexikalische Lücken auch geschlossen, indem das griechische Wort einfach als Fremdwort, als Exotismus in den lateinischen Text aufgenommen wurde,
4. oder mit mehreren lateinischen Wörtern umschrieben wurde (ParaphraseParaphrase). (Quod uno Graeci … idem pluribus verbis exponere).
Grundsätzlich neue Gedanken fügt der übersetzungstheoretischen Tradition erst die christliche Ära der Spätantike hinzu. Hier wird nach der Autorität von Texten unterschieden. Bei „heiligen Texten“ wie der Bibel darf nichts verändert oder verschoben werden. So entstand die „Interlinearversion“, das ist eine zwischen die Zeilen geschriebene Wort-für-Wort-Übersetzung, besonders auch in frühen mittelalterlichen Handschriften. Wichtig war insbesondere die berühmte Epistel des HIERONYMUS (348–420) an Pammachius4Störig, wo der lateinische Bibelübersetzer einräumt:
Ich gebe es nicht nur zu, sondern bekenne es frei heraus, daß ich bei der Übersetzung griechischer Texte – abgesehen von den Heiligen Schriften, wo auch die Wortfolge ein Mysterium ist – nicht ein Wort durch das andere, sondern einen SinnSinn durch den anderen ausdrücke; und ich habe in dieser Sache als Meister den Tullius (Cicero) (…).
Diese spezielle Problematik der Übersetzung der Bibel, in der schon die Wortstellung ein (unantastbares) Mysterium sei, sollte freilich auch die ÜbersetzerÜbersetzer weltlicher LiteraturLiteratur beeinflussen. Nachdem nämlich die Übersetzer biblischer Schriften durch ihr gewissenhaftes Bemühen um adäquate Nachbildung der Originale das sprachliche Instrumentarium geschaffen hatten, konnten auch die Übersetzer weltlicher Schriften sich um ausgangssprachlich genaues ÜbersetzenÜbersetzen bemühen. Die Kirchenväter hatten im 4. Jh. n. Chr. die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn entwickelt, und die mittelalterliche Tradition hat daran angeknüpft.5 Bis zur Neuzeit erfolgt dann ein allmählicher Übergang von der mittelalterlichen Allegorese hin zur modernen Hermeneutik, indem der Buchdruck neue Kommunikationsformen ermöglichte.