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1.4 Verdeutschende Übersetzung (LutherLuther)

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Der deutsche Bibelübersetzer Martin LUTHERLuther (1483–1546) entschied sich dann sogar bei der Heiligen Schrift für die freiere Formulierung: „rem tene, verba sequentur“ (erfasse die Sache, dann folgen die Worte von selbst), wie schon Cato gesagt haben soll. Für ihn war es wichtig, dass der ÜbersetzerÜbersetzer eine innere Nähe zum Gegenstand der Aussage hat und ein sensibles SprachgefühlSprachgefühl für den Rhythmus und die Melodie des Textganzen, damit die Übersetzung auch die rechte Wirkung erzielen kann. Bei seiner zehnjährigen Arbeit an der Psalmenübersetzung wünschte er sich z.B. eine hebräische Stilkunde, die über die von ihm verwendete reine GrammatikGrammatik und das Lexikon Reuchlins hinausgehen würde. In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530)1Störig verteidigt er sein Vorgehen mit vielen Beispielen gegen Kritiker, die ihm eine zu freie Übersetzung vorwarfen.

Martin LutherLuther erklärt: „… man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen, und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.

So wenn Christus spricht: ‘Ex abundántia cordis os lóquitur’ [Matth. 12, 34]. Wenn ich den Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstaben vorlegen und so dolmetschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sage mir: ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche verstehet solches? Was ist Überfluß des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, es sei denn, er wollte sagen es bedeute, daß einer ein allzu groß Herz habe oder zu viel Herz habe; wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn ‘Überfluß des Herzens’ ist kein Deutsch, so wenig als das Deutsch ist: Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank, sondern s o redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gutes Deutsch geredet, des ich mich beflissen und leider nicht allwege erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über die Maßen sehr, gutes Deutsch zu reden“ (Sendbrief, S. 21f).

Von LUTHERLuther stammt die BezeichnungBezeichnung „Verdeutschen“, mit der er sein Übersetzungsprinzip umreißt.2 Eine solche Übersetzung ist dann sinngemäß, „frei“. Natürlich kann eine solche Einstellung immer auch zu Fehlleistungen führen, wie das gängige Diktum „traductions – les belles infidèles“ andeutet.3Originals. Ausgangstext Dagegen wirkt eine Übersetzung, die sich wort„getreu“ an der FormForm der Vorlage orientiert, meist „verfremdend“, weil sie für den zielsprachlichen LeserLesers. Empfänger befremdlich, fremdartig wirkt; es ist nicht „seine Sprechweise“. Aus diesem Spannungsverhältnis ist das Bedürfnis nach der Festlegung gültiger Maximen des Übersetzens entstanden.

Wie ein roter Faden zieht sich seither die Auseinandersetzung über die Methode der übersetzerischen Tätigkeit durch die Geschichte der ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie. Im deutschen Sprachraum hat sie sich in den beiden einander entgegenstehenden Grundforderungen nach „wörtlicher, getreuer, verfremdender Übersetzung“ einerseits und nach „freier, eindeutschender Übersetzung“ andererseits verdichtet. Schon Hieronymus beschrieb das Dilemma (Epistel, S. 2):

Es ist schwierig, nicht irgend etwas einzubüßen, wenn man einem fremden Text Zeile für Zeile folgt, und es ist schwer zu erreichen, daß ein gelungener AusdruckAusdruck in einer anderen SpracheSprache dieselbe Angemessenheit in der Übersetzung beibehält. Da ist etwas durch die besondere BedeutungBedeutung eines einzigen Wortes bezeichnet: in meiner Sprache habe ich aber keines, womit ich es ausdrücken könnte, und, während ich den SinnSinn zu treffen suche, muß ich einen langen Umweg machen und lege kaum ein kurzes Wegstück zurück.

In diesen frühen Äußerungen zum ÜbersetzenÜbersetzen folgte praktisch die TheorieTheorie aus der PraxisPraxis als deren Begründung. Solche einzelfallbezogenen Hinweise dokumentierten die Übersetzungsschwierigkeiten des jeweiligen Übersetzers und zeigten den von ihm gewählten Lösungsweg auf. Das ist aber noch keine ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie.

Auf der Suche nach einer „Regel des Übersetzens“ gab es immer wieder allgemein gefasste Grundprinzipien als übersetzerische Zielvorstelllung, die freilich in ihrer Allgemeinheit wenig über das tatsächliche Vorgehen im Einzelfall aussagen. Im 18. Jh. ist Alexander TYTLERTytler (1791) zu nennen. Als Grundvoraussetzungen für eine gute Übersetzung forderte er, was unwiderleglich ist: Kenntnis beider Sprachen, Einblick in die angesprochene Sache, Stilsicherheit und ein Verständnis der Mitteilungsabsicht des Autors. Das Verhältnis von TextvorlageTextvorlages. Ausgangstext, AS, Original und Übersetzung fasste er bündig zusammen4Tytler:

I. That the translationTranslation should give a complete transcript of the ideas of the original work. II. That the style and manner of writing should be of the same character with that of the original. III. That the translation should have all the ease of the original composition.

Kommentar

Seit jeher haben Übersetzungen zwischen den Völkern vermittelt. Frühe ÜbersetzerÜbersetzer begründen zwar ihre Methode, doch es gelingt noch nicht, das ÜbersetzenÜbersetzen als eine spezifische SprachverwendungSprachverwendungs. Sprachgebrauch theoretisch zu fassen und wissenschaftlich zu beschreiben. Die zahlreichen Anmerkungen zum Übersetzen kreisen im Grunde immer um den grundsätzlichen Streit zwischen der abbildend-wörtlichen und der sinngemäß-übertragenden, also der „treuen“ und der „freien“ Übersetzung, was vielleicht mit einzelnen Beispielen belegt, aber nicht stringent theoretisch begründet wird.

Als Faustregel lehrte man lange Zeit, und im schulischen Fremdsprachenunterricht teilweise bis heute, man solle „so wörtlichwörtlich wie möglich und so frei wie nötig übersetzen“, wobei dies eigentlich ein Zirkelschluss ist. Man könnte also sagen, dass sich, sobald die PraxisPraxis nicht mehr reibungslos funktioniert, ein BewusstseinBewusstsein der jeweiligen Problematik entwickelt. Einsichten werden beschreibend zusammengefasst, jedoch handelt es sich hierbei noch nicht um eine ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie.

Lektürehinweise

HIERONYMUS: „Epistel an Pammachius“, in: Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens, S. 1–13.

Werner KOLLERKoller (1992, 82011): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. 4. erw. Aufl., Tübingen; besonders Kapitel 1.2.

Martin LUTHERLuther: „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530), in: Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens, S. 14–32.

Astrid SEELESeele (1995): Römische Übersetzer – Nöte, Freiheiten, Absichten. Darmstadt.

Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens. Darmstadt.

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