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2.5.3 Zum Begriff der Manipulation

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Es wird hier von Manipulation oder manipulativen Strategien gesprochen: Es muss absolut klar sein, dass damit überhaupt keine Wertung und auch überhaupt keine Abwertung des Handelns gemeint sein sollen! Das ergibt sich allein schon daraus, dass solche Strategien hier als Lösungen und potentielle Ressourcen und damit nicht als »Pathologien« gesehen werden! Außerdem sollte man noch bedenken:

1. Praktisch jeder Erwachsene hat mehr oder weniger ausgeprägte Persönlichkeitsstile und damit ist er bereits (mehr oder weniger) manipulativ!

2. Persönlichkeitsstörungen sind sehr verbreitet, also gibt es recht viele Personen, die stark bis sehr stark manipulieren!

Ich möchte mich hier explizit der »Impression-Management-Theory« anschließen (vgl. Tedeschi et al., 1973, 1985; Tedeschi & Norman, 1985; Tedeschi & Riess, 1981 sowie Braginsky et al., 1966; Frühauf et al., 2015a, 2015b, 2017; Higgins et al., 2003; Howard et al., 1986; Kipnis et al., 1980; Leary & Kowalski, 1990; Pontari & Schlenker, 2004; Schütz, 1995; vgl. dazu: Sachse, 1999, 2001, 2002, 2006a, 2013b, 2014b, 2019a, 2019b), die annimmt,

• dass Manipulation ein völlig normales, verbreitetes Interaktionsverhalten ist,

• dass Manipulation oft als eine soziale Kompetenz oder Ressource angesehen werden kann,

• dass Manipulation ein Kontinuum ist von leichter Manipulation bis massiver Manipulation,

• dass Manipulation an sich noch keine sozialen Probleme erzeugt, sondern dass das Ausmaß der Manipulation (die »Dosis«) entscheidend ist,

• dass Manipulation jedoch auch in leichter, »normaler« Form intransparent ist und einen Interaktionspartner dazu bringen soll, etwas zu tun, was er eigentlich nicht tun will (nicht, nicht jetzt oder nicht in dem Ausmaß) und dass das auf eine Weise geschieht, die der Interaktionspartner nicht durchschaut oder nicht durchschauen soll,

• dass man daher auch bei leichter Manipulation psychologisch sinnvoll von »Manipulation« sprechen kann.

Manipulation wird damit durch die Art der Handlung definiert, nicht durch deren Intensität. Beachtet eine Person bei Manipulation die sogenannte Reziprozitätsregel, hat Manipulation unter Umständen gar keine negativen sozialen Folgen. Die Reziprozitätsregel besagt, dass beide Interaktionspartner den Eindruck haben sollten, dass sie in etwa gleich viel für die Beziehung tun und in etwa gleich viel von der Beziehung profitieren. Manipulieren zwei Interaktionspartner nach dem Motto: »Heute manipuliere ich Dich, morgen darfst Du.«, passiert wahrscheinlich gar nichts.

Manipuliert ein Interaktionspartner aber so stark, dass er den anderen »ausbeutet«, dann wird der über kurz oder lang unzufrieden und die Beziehung gerät in eine Krise.

Bei manchen Personen, vor allem bei jenen mit starken Persönlichkeitsstörungen, kommen solche problematischen Manipulationen durchaus vor, insbesondere bei Psychopathien (Sachse & von Franqué, 2019).

Ein Therapeut sollte sich daher immer fragen:

• Wie und wodurch manipuliert ein Klient?

• In welchem Ausmaß manipuliert ein Klient?

• Verletzt er die Reziprozitätsregel?

• Welche interaktionellen Kosten erzeugt der Klient durch seine Manipulation?

Denn: Verletzt ein Klient die Reziprozitätsregel, dann wird das Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (über kurz oder lang) zu Interaktionsproblemen und damit zu Interaktionskosten führen!

Ein manipulatives Handeln einer Person ist ein ganz spezielles Handeln, für das gilt:

• Dieses Handeln wird von einer Person ausgeführt, um einen Interaktionspartner zu einem für die Person bedürfnisbefriedigenden (komplementären) Verhalten zu veranlassen.

• Die Person glaubt dabei, dass der Interaktionspartner dieses komplementäre Verhalten ohne dieses spezielle Handeln gar nicht ausführen würde.

• Die Person verfolgt dadurch mit ihrem Handeln Absichten, die sie dem Interaktionspartner aber nicht offenlegt, sie möglicherweise sogar tarnt.

• Die Person behauptet dagegen dem Interaktionspartner gegenüber (verbal oder nonverbal), eine andere Absicht zu verfolgen, die sie aber in Wahrheit gar nicht oder nicht zentral verfolgt.

Dadurch wird der Interaktionspartner über die tatsächlichen Absichten der Person getäuscht; er »durchschaut« die Strategie nicht und er hat damit auch nur wenig Wahlmöglichkeiten: Er wird zu etwas veranlasst, von dem er gar nicht weiß, was es ist oder zu etwas, was er gar nicht tun will: Und damit wird er eindeutig manipuliert.

Hat der Interaktionspartner den Eindruck, dass er trotzdem ausreichend von der Beziehung profitiert, muss sich das aber nicht negativ auswirken: Da er auch manipuliert, gleicht sich das wieder aus.

Fühlt sich der Interaktionspartner jedoch ausgenutzt o. ä., dann wird die Manipulation »interaktions-toxisch«.

Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

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