Читать книгу Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen - Rainer Sachse - Страница 34
2.12 Kurzer Überblick über die Persönlichkeitsstörungen
ОглавлениеWie ausgeführt soll nicht im Detail auf einzelne Persönlichkeitsstörungen oder auf die damit verbundenen spezifischen therapeutischen Strategien eingegangen werden.
An manchen Stellen ist es jedoch unvermeidlich, zumindest oberflächlich auf Unterschiede in den einzelnen Störungen hinzuweisen. Daher soll hier ein kurzer Überblick gegeben und im weiteren Verlauf immer wieder auf spezielle Aspekte einzelner Störungen eingegangen werden.
Es werden zwei Arten von PD unterschieden: Es gibt die sogenannten »reinen Persönlichkeitsstörungen«, also solche, die sich durch rein psychologische Konzepte erklären lassen und für die es rein psychotherapeutische Vorgehensweisen gibt. Diese sind (mit Abkürzungen):
• narzisstisch (NAR)
• histrionisch (HIS)
• dependent (DEP)
• selbstunsicher (SU)
• schizoid (SCH)
• passiv-aggressiv (PAS)
• zwanghaft (ZWA)
• paranoid (PAR)
Außerdem gibt es die sogenannten »hybriden PD«, also solche, für die man psychologische und neuropsychologische Erklärungsansätze benötigt und für deren Behandlung man spezifische Trainingsmethoden braucht. Dies sind:
• Borderline (BOR)
• Psychopathie (PSY)
Auf diese Störungen soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Die »reinen PD« lassen sich unterteilen in Nähe- und Distanz-Störungen.
Klienten mit Nähe-Störungen (NAR, HIS, DEP, SU) suchen aktiv Beziehungen, lassen sich auf Beziehungen ein und reagieren vergleichsweise gut auf eine komplementäre Beziehungsgestaltung.
Klienten mit Distanz-Störungen lassen sich nur schwer auf Beziehungen ein, halten Distanz und/oder kontrollieren Interaktionspartner stark. Sie reagieren auch nur langsam auf eine komplementäre Beziehungsgestaltung.
Kurz kann man die einzelnen Störungen wie folgt charakterisieren.
1. Narzisstische PD:
Die Person hat viele Zweifel an sich selbst oder ihren Fähigkeiten (d. h. sie weist ein negatives Selbstschema (SK-) auf). Sie kompensiert dies durch die Entwicklung eines positiven Selbst-Schemas (SK+), also dadurch, dass sie andererseits von sich annimmt, »toll« und »kompetent« o. ä. zu sein.
Sie ist aufgrund ihres negativen Selbstschemas kritikempfindlich, stark bestimmend und oft schnell zu verärgern.
Bei »erfolgreichem« Narzissmus ist die Person hochgradig anstrengungsbereit, handlungsorientiert, entscheidungsfreudig, risikobereit, eher kreativ und wird (im Rahmen ihrer Kompetenzen) auch beruflich erfolgreich.
Bei »erfolglosem« Narzissmus glaubt die Person meist, nichts erreichen zu können und ist nur wenig anstrengungsbereit: Sie bildet damit ein kompensierendes positives Selbstschema, in dem sie annimmt, selbst Fähigkeiten zu haben, die sie nicht hat.
2. Histrionische PD:
Die Person zeigt im Verhalten eine (hohe) Dramatik, ist hoch manipulativ, versucht Aufmerksamkeit zu erlangen und fühlt sich schnell nicht ernst genommen. Sie verfügt meist über eine Vielzahl manipulativer Strategien, setzt viele Regeln und reagiert oft relativ heftig negativ auf Regel-Verletzungen.
Bei »erfolgreicher« Histrionik realisiert die Person überwiegend sogenannte positive manipulative Strategien, also solche, die auf Interaktionspartner zunächst positiv wirken wie attraktiv sein, unterhaltsam sein etc.
Bei »erfolgloser« Histrionik realisiert die Person überwiegend sogenannte »negative Strategien« wie fordern, nörgeln, jammern u.ä.
3. Dependente PD:
Die Person hat massiv negative Beziehungsschemata der Art »Beziehungen sind nicht verlässlich.« und hat dadurch starke Angst, verlassen zu werden. Um Beziehungen zu stabilisieren, vermeidet sie Konflikte, ordnet sich anderen unter, versucht, die Erwartungen von Interaktionspartnern zu erfüllen. Sie kann schwer Entscheidungen treffen und weiß nicht, was sie möchte. Sie versucht mit Interaktionspartnern alle Probleme zu vermeiden, sich durch ihr Handeln »unentbehrlich« und damit eine Beziehung stabil zu machen. Sie zeigt ein hohes Maß an Selbsttäuschung (Sachse, 2020c), indem sie sich selbst vormacht, sich für den Partner aufopfern zu wollen, mit allem zufrieden zu sein und keine Probleme zu haben.
4. Selbstunsichere PD:
Die Person weist negative Attraktivitätsschemata auf der Art »Ich bin nicht männlich/weiblich genug.«, »Ich bin uninteressant.«, »Ich sehe schlecht aus.« u.ä. Die Person hält sich für sozial ungeschickt, unattraktiv; sie fürchtet soziale Blamage und versucht, Aufmerksamkeit zu vermeiden. Vor allem hat sie Annahmen, sie sei für potentielle Partner unattraktiv; sie möchte sehr gerne Kontakt, hat jedoch massive Angst vor Ablehnung. Durch ihr ungünstiges Sozialverhalten erzeugt sie in hohem Maße selbsterfüllende Prophezeiungen und stabilisiert damit stark ihre negativen Schemata.
5. Schizoide PD:
Die Person hat Schemata der Art, dass Beziehungen nichts bringen und sogar unangenehm und gefährlich sind. Die Person geht wenig in Beziehungen, versucht, allein »mit allem klarzukommen«; sie unternimmt viel allein und braucht scheinbar wenig Kontakte. Tatsächlich hat sie jedoch ein Bedürfnis nach Beziehungen, glaubt aber, Beziehungen seien ungünstig und gefährlich. Deshalb hält sie Distanz zu Interaktionspartnern, meist dadurch, dass sie wenig an verbalen, paraverbalen und nonverbalen Signalen zeigt.
6. Passiv-aggressive PD:
Die Person hat Schemata der Art, dass andere ihre Grenzen verletzen werden und sie sich nur schlecht dagegen schützen kann. Die Person fühlt sich schnell bevormundet und kontrolliert. Sie versucht, ihre Grenzen auf unoffene Weise zu schützen, indem sie vorgibt, kooperativ zu sein, sabotiert aber Aktionen verdeckt. Sie ist manchmal pessimistisch (»negativistisch«). Die Person hat ständig Angst, dass Interaktionspartner ihre Grenzen überschreiten und dadurch Schaden anrichten und versucht das mit Strategien unoffener Sabotage zu verhindern.
7. Zwanghafte PD:
Die Person hat starke, hoch verbindliche, starre und rigide Normen, oft moralischer Art. Die Person folgt den starren Normen und Vorstellungen in hohem Maße. Sie definiert auch für Interaktionspartner starre Regeln und erwartet, dass Interaktionspartner sich völlig daranhalten; was sie von Interaktionspartnern erwartet, erwartet sie meist auch von sich. Sie übt in hohem Ausmaß Kontrolle aus und kontrolliert ihre Emotionen stark. Sie versucht auch Interaktionspartner zu kontrollieren. Sie hat oft die Vorstellung, moralischer zu sein als Interaktionspartner und besser zu wissen, was »man« tun sollte. Deshalb versucht sie, Interaktionspartnern stark vorzuschreiben, was sie allgemein tun sollen oder nicht dürfen.
8. Paranoide PD:
Die Person hat Annahmen, dass Interaktionspartner gefährlich sind und »ihr was wollen« und dass sie sich nicht gut dagegen wehren kann. Die Person hat ständig den Eindruck, andere seien feindselig und wollen ihr schaden; sie ist hoch misstrauisch und lässt sich kaum auf Beziehungen ein. Sie unterstellt Interaktionspartnern »böse« Absichten, verhält sich abweisend und feindselig. Sie lässt sich nur schwer auf Beziehungen ein und vertraut einem Interaktionspartner nie wirklich. Therapeuten haben damit auch massive Probleme, mit diesen Klienten eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.