Читать книгу Malleus communisticarum oder der Stiefel Gottes - Ralph Ardnassak - Страница 12
X
ОглавлениеNotgedrungen und weil sich nichts anderes fand, was offenbar seitens der zuständigen staatlichen Organe und Gremien bewusst gesteuert wurde, erlernte der spätere Minister ohne Geschäftsbereich den Beruf des Tischlers.
Zunächst jedoch war er gezwungen, die in seinen Augen erniedrigende Tätigkeit des Tischlergehilfen auszuüben.
Tischler oder Schreiner, wobei letztere Berufsbezeichnung aus dem süddeutschen Raum resultierte und daher in der DDR weniger gelitten war, war eigentlich ein ehrbarer Handwerksberuf.
Es war ein Handwerksberuf, welcher ganz und gar auf die Bearbeitung von Holz sowie auf die unterschiedlichsten Formen und Arten der Bearbeitung der Oberflächen des Holzes ausgerichtet war.
Wollte man sich spezialisieren, so konnte man Möbeltischler werden oder Bauelemente herstellen.
Eine gewisse Art von Trost verschaffte dem späteren Minister ohne Geschäftsbereich jedoch die Tatsache, dass auch Jesus von Nazareth und sein Vater den Beruf des Tischlers erlernt und offenbar über Jahre hinweg ausgeübt hatten.
Ein schelmisches Grinsen umspielte jedoch seine Lippen, als er erfuhr, dass ein gewisser St. Josef als der Schutzheilige der Tischler galt, nämlich der sogenannte Nährvater oder Nutritius Jesu. Eben jener Josef, der der Sohn Jakobs war, aus dem Geschlecht König Davids stammte und der mit Maria oder Mariam verlobt gewesen war. Jener Frau, welche nicht durch menschliche Zeugung, sondern allein durch die Wirkung des Heiligen Geistes mit Jesus schwanger ging und die das Wunder der Jungfrauengeburt vollbrachte.
Wieder meinte der spätere Minister ohne Geschäftsbereich die Wirkungen des göttlichen Willens in seinem persönlichen Leben offenkundig zu finden, indem er nicht nur einen Namen trug, welcher der Familie des Herrn der Welten zuzuordnen war, sondern nunmehr auch jenen handwerklichen Beruf erlernen und ausüben würde, welchem der Herr selbst und sein Nährvater als Zimmerleute und Bauhandwerker aus Nazareth nachgegangen waren.
So kam der spätere Minister ohne Geschäftsbereich zunächst als Tischlergehilfe zum VEB Bautischlerei Berlin.
An seinem ersten Arbeitstag lag das ND, die offizielle Zeitung „Neues Deutschland“, das Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf dem Schreibtisch seines Lehrmeisters und allein bereits diese Tatsache stieß ihn ab. Zeigte sie ihm doch wieder einmal die Allgegenwart der Partei und ihrer Ideologie.
Wie ein Sträfling, der sich in der Verbannung in ein ungewisses Schicksal fügen musste, sah er auf der Titelseite der Zeitung das Konterfei Ulbrichts, wie er dem ordensgeschmückten Botschafter der Sowjetunion, Abrassimow, die Hand reichte.
Er fühlte wieder einmal deutlich, dies war eine andere Welt, nicht die Seine! Und auch der Beruf des Tischlers würde nicht der Seine werden, sondern lediglich jener des Pastors und Predigers!
Umso mehr stießen ihn jene Wort- und Satzfetzen innerlich ab, die er auf der Titelseite jener Zeitung entziffern konnte:
„Hohe Staatsauszeichnungen verliehen
Walter Ulbricht ehrt 63 verdiente Persönlichkeiten unserer Republik
Berlin (ADN). Der Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, hat am Montag in seinem Amtssitz Schloss Niederschönhausen auf Empfehlung des Präsidiums des Ministerrates 63 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Arbeiterveteranen, Trainern und Sportlern der Republik sowie dem Kollektiv des Deutschen Fernsehfunks und der sozialistischen Massenorganisationen des Gesundheitswesens Deutsches Rotes Kreuz…“
(Quelle: http://www.nd-archiv.de/ausgabe/1962-12-18)
Da war es wieder, sein Unverständnis! Warum, zum Teufel, residierte ein einfacher Tischler, der für sich in Anspruch nahm, der höchste gewählte Repräsentant von Arbeitern und Bauern zu sein, in einem Schloss, der Behausung für Adlige? Unterschied ihn möglicherweise viel weniger von dem offiziell verpönten und geschmähten Adel, als zugegeben wurde? Und wurde stattdessen nicht vielmehr der Lebensstil ebenjenes Adels unter dem Fähnlein, ein einfacher und schlichter Repräsentant von einfachen und bescheidenen Arbeitern und Bauern sein zu wollen, ganz dreist einfach kopiert?
„Glotz nicht so auf die Zeitung, Josef!“, herrschte ihn der glatzköpfige feiste Lehrmeister sogleich an, der problemlos jedes Klischee vom Habitus eines Massenmörders erfüllt hätte: „Schließlich bist Du nicht hier, um die Parteipresse ausgiebig zu studieren, sondern um zu arbeiten und was zu lernen! Mal sehen, ob Du es eines Tages auch noch so weit bringen wirst, Büschchen, wie unser berühmter sächsischer Tischlerkollege mit der hohen Fistelstimme und den sportlichen Ambitionen!“
Dabei grinste der Lehrmeister ungeniert, als sei er sich seiner geradezu unangreifbaren Stellung als Angehöriger der herrschenden Arbeiterklasse, noch dazu als Lehrmeister und Mitglied der SED, durchaus bewusst.
Er bemühte sich dabei, die beiden im mittleren Glied amputierten Finger der rechten Hand vor dem jungen Tischlergehilfen zu verbergen und betrachtete den jugendlichen Körper des späteren Ministers ohne Geschäftsbereich mit unverhohlener Gier aus seinen verquollenen Augen, deren gelbliche Farbe der Augäpfel ebenso wie der stets nach Schnaps riechende Atem den gewohnheitsmäßigen Trinker offenbarten, während seine feuchte Zungenspitze im Mundwinkel spielte.