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XI

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Bereits durch die Maßnahmen der Industrialisierung waren etwa ab 1840 auch im Tischlerhandwerk wichtige Maschinen, wie die Kreissäge, die Hobel- oder die Fräsmaschine eingeführt worden, um die Maßnahmen der Holzbearbeitung zu vereinfachen und zu erleichtern.

Generell jedoch, stülpte erst die berühmte Maschinisierung des europäischen Tischlerhandwerks, die etwa ab dem Jahre 1900 einsetzte, die tradierte Arbeitsweise nahezu vollständig um.

Dennoch befand sich der spätere Minister ohne Geschäftsbereich vollständig auf dem Holzweg, wenn er aufgrund dieser Tatsachen davon ausging, dass er nur an Maschinen oder mit Maschinen arbeiten würde.

Die Tätigkeit eines Tischlergehilfen bestand nämlich vordergründig in subsidiären, also in niederen und dienenden Aufgaben, die vorrangig darauf ausgerichtet waren, den Gesellen oder Facharbeitern die Rohstoffe, also das Holz, heran zu schaffen sowie Bier und Zigaretten zu organisieren und die Werkstatt sauber zu machen, indem die Sägespäne und das Holzmehl beseitigt wurden.

Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich war also überwiegend damit beschäftigt, Holzstämme oder Balken abzuladen, die angeliefert worden waren, um sie mit anderen Lehrlingen in die Werkhallen zu schleppen. Daneben gehörten Besen, Handfeger und Kehrschaufel, zu seinen ständigen Arbeitsgegenständen, ebenso wie der Flaschenöffner, den die Gesellen schlicht und prosaisch den „ökonomischen Hebel“ nannten.

Daneben lernte er, die verschiedenen Arten des Holzes, meist wurde jedoch Kiefer oder Fichtenholz verarbeitet, an ihrer Maserung und Farbe, an Wuchsform, Rinde und schließlich sogar an ihrem Eigengeruch voneinander zu unterscheiden.

Die meisten ehedem privat geführten Tischlereibetriebe in der DDR waren bereits mit dem Kriegsende enteignet und in das sogenannte Volkseigentum überführt worden. Besonders betraf dies jedoch die großen Bautischlereien und die mittleren Handwerksbetriebe.

Kleinere private Tischlereien waren insbesondere seit den 1950er Jahren gedrängt worden, sich zu Produktionsgenossenschaften des Handwerks, den PGHs, zusammenzuschließen.

Weitere Formen der Kollektivierung von privaten Tischlereien bestanden in ihrer Organisation in Einkaufs- und Liefergenossenschaften.

Die Staats- und Parteiführung betrieb diese Privatisierungspolitik, weil es den privatwirtschaftlich geführten Tischlereien trotz Kontingentierung von Material und Arbeitskräften nach wie vor gelungen war, sich der im gesamtstaatlichen Maßstab erfolgten Planung immer wieder zu entziehen, wobei sie die ihnen zugedachten Aufgaben der Reparaturen und der Durchführung von kleineren Dienstleistungen auch nur unzureichend erfüllten.

Besonders jedoch die großen staatlichen Tischlereibetriebe, darunter auch der VEB Bautischlerei Berlin, konzentrierten sich auf die handwerklich und technisch einfache, dafür finanziell allerdings einträgliche Erbringung von Kooperationsleistungen für die staatliche Industrie und auf die Herstellung einfacher Massenbedarfsartikel, wie beispielsweise Räuchermännchen oder Gardinenleisten.

Die Erbringung anspruchsvollerer Reparaturleistungen war dagegen bei den Werktätigen des VEB Bautischlerei Berlin äußerst unbeliebt und wurde meist mit der Begründung, es mangele an Kapazitäten, zurück gewiesen. Diese Reparaturen konnten außerdem nur mit dem verordneten und außerordentlich niedrigen Satz an Regelleistungspreisen abgerechnet werden, zumal kaum Rohstoff- und Materiallieferungen für reine Reparaturdienstleistungen erfolgten.

Der VEB Bautischlerei Berlin hatte folglich vordergründig die Aufgabe, die festen hölzernen Bestandteile von Baracken herzustellen und sie einzubauen.

Hierzu gehörten insbesondere Fensterrahmen, Türen und Türrahmen, hölzerne Wand- und Dachstuhlkonstruktionen, Trennwände und seltener auch Geländer oder Treppen.

Die ehemals weichen und empfindlichen Handflächen des späteren Ministers ohne Geschäftsbereich wurden hart und schwielig. Unzählige Splitter bohrten sich in sie hinein und machten sie schwielig und ließen sie verhornen.

Er fühlte, dass die Holzbalken, die er aus Mangel an Arbeitshandschuhen oft mit bloßen Händen ablud und in die Werkhalle schleppte, etwas Totes waren. Etwas Totes, in dem es einmal Leben gegeben haben musste. Und oft stellte er sich dabei vor, er sei ein Leichengräber, der Tote abladen und zur Verbrennung schleppen musste.

Auch dachte er beim Abladen hölzerner Balken an den Leib des Herrn, der an ebensolches Holz genagelt worden war, um daran zu sterben. Und er ging daran, sich innerlich zu prüfen, ob er selbst zum Kreuzestod bereit wäre, würde dieser von ihm gefordert werden. Er befand, ja, er sei dazu grundsätzlich bereit und in der Lage. Wusste allerdings auch, dass bei diesem Gedanken Pathos und Eitelkeit überwogen und die reale Möglichkeit, den Kreuzestod erleiden zu müssen, ihn wohl vor unzählige seelische und körperliche Qualen gestellt hätte, denen er keinesfalls gewachsen war.

Er kannte inzwischen die Geräusche und den Hall, den sie in der Werkhalle verursachten. Er kannte die Arbeitslampen an der Decke, das Werkzeug der Kollegen und das Materiallager. Er kannte den allgegenwärtigen nach frischem und abgelagertem Holz und das Stäuben der Holzbearbeitungsmaschinen und ihren Lärm.

Zwangsweise hatte er sich mit der Möglichkeit abgefunden, Bautischler werden zu müssen, obschon in die Aussicht, lebenslang diese stupide Art von Arbeit ausführen zu müssen, immer noch abschreckte.

Seitdem er seine Tätigkeit aufgenommen hatte, hatte er tatsächlich kaum noch gelesen und der Samstag und der Sonntag bekamen in seinem Wertekanon völlig andere Dimensionen.

Wann immer er jedoch darauf hingewiesen wurde, er könne als Angehöriger der Arbeiterklasse doch stolz darauf sein, zu den Herrschenden im Staate zu gehören, dann ließ er sogleich eine Art von verächtlichem Schnauben hören.

Er wusste beim besten Willen nicht, was es mit Herrschen und Machtausübung zu tun haben sollte, tagein, tagaus schwere Holzbalken in eine zugige Werkhalle zu schleppen und diese am Abend auszufegen, wobei er regelmäßig in einer schmutziggrauen Wolke aus Dreck, Staub und Holzmehl verschwand.

Nichts Herrschaftliches fand sich an dieser Tätigkeit. Ja nicht einmal der Anflug von etwas Kreativem! Ebenso gut hätte man die Sklaven, die gezwungen waren, die Pyramiden von Gizeh zu errichten, zur herrschenden Klasse ganz Ägyptens deklarieren zu können! Sie hätten sich vermutlich ebenso wenig als Herrscher Ägyptens gefühlt, wie der spätere Minister ohne Geschäftsbereich, während er schwere Holzbalken ablud und in die zugige und schlecht beleuchtete Werkhalle schleppte!

Er erkannte den Stellenwert und die Bedeutung von Polemik und Propaganda! Man musste den Dingen nur den richtigen Namen geben, um sie im Sinne einer bestimmten Ideologie wirksam werden zu lassen! So einfach war das!

Dennoch stellte er, buchstäblich gegen seinen Willen, einen bestimmten Stolz über seine Zugehörigkeit zu diesem Berufsstand fest. Schon allein aufgrund seiner Fähigkeit, all die dutzenden von Werkzeuge auseinander zu halten, die das tägliche Handwerkszeug des Tischlers bildeten. Darunter all die Sägearten, die verschiedenen Hobelwerkzeuge, die Stemm- und Handwerkzeuge, die Handmaschinen und jene Maschinen, die an einer sogenannten Station fest installiert waren!

Auch stellte er eine Veränderung seines Wortschatzes fest, der sich nun jenem Wortschatz seiner Kollegen anpasste. Und ebenso, wie sich sein Wortschatz änderte, so änderte sich auch sein Verhalten. Er begann, zu rülpsen und laut zu furzen und er fand Geschmack an dem bitter-herbem Bier, welches seine Kollegen so schätzten. Wie sie hatte er die Angewohnheit angenommen, zu rauchen. Und seine Hände füllten sich nicht nur mit Hornhaut, Narben und Schwielen, die er nun nicht mehr an den Wochenenden ab polkte, sondern wuchern und wachsen ließ, sondern überzogen sich an den Fingern auch mit einer gelblich-bräunlichen und stark nach Nikotin riechenden Schicht, von der seine Kollegen hartnäckig behaupteten, man könne sie nur mit Backpulver und mit Wasser wieder weg bekommen.

Er stellte fest, dass er, ebenso wie Martin Eden in Jack Londons gleichnamigem Roman, vollkommen dabei war, gerade zum Proletarier zu werden. Zu jener Art von scheinbar völlig unbekümmertem Menschen, der in den Tag hinein lebte und das Leben nahm, wie es gerade kam, ohne sich allzu viel Gedanken darüber zu machen, solange er nur regelmäßig zu essen und vor allem Bier zu trinken, zu rauchen und gelegentlich auch einmal eine Frau bekam.

Malleus communisticarum oder der Stiefel Gottes

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