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Josef, der spätere Minister ohne Geschäftsbereich, war zu diesem Zeitpunkt mit seiner Familie nichts weiter als ein üblicher Bestandteil jenes menschlichen Strandgutes, welches der verlorene Krieg in die Trümmeroase der Hauptstadt getrieben hatte.

Wie tausende andere Flüchtlinge auch, die zwischen den Trümmerbergen umher wankten, immer auf der Furcht vor den Nachstellungen der Russen, immer auf der Suche nach Irgendetwas zum Essen, zum Rauchen oder wenigstens doch zum Tauschen, so glich auch Josef, der spätere Minister ohne Geschäftsbereich, damals einem welken brüchigen Blatt im Herbstlaub, das morsch und schimmelnd vom Frühjahrssturm des Jahres 1945 durch die Straßen und Gassen der Hauptstadt geweht wurde, weil kein Besen mehr existent gewesen war, es noch zu bändigen.

Zunächst stieß ihn der hässliche hauptstädtische Dialekt ab. Hastig hingestoßen, wie gehässige Dolchstiche, so nahm er ganze Wortfetzen und Sätze wahr, ohne ihren Sinn dabei zu verstehen.

Er empfand das Berlinische als unfein und plebejisch. Es schien ihm eine Sprache der intellektuell minderbemittelten städtischen Unterschicht zu sein. Ein übler Jargon der Gangster und Ganoven, wie er in dunklen Gassen und Hinterhöfen zu Hause war.

Die Stadt selbst empfand er als gigantischen Schmelztiegel. Als eine Art von Höllenofen, in welchem menschliches Rohmaterial beständig erhitzt und immer wieder durchgeglüht wurde.

Letztendlich wurde er, wie bereits Hitler, in der Hauptstadt emotional nie warm und heimisch, obwohl er doch über Jahrzehnte dort leben und arbeiten sollte.

Mit großem inneren Unwillen nahm er daher im Juni 1991 den sogenannten Haupstadtbeschluss des deutschen Bundestages zur Kenntnis, dem er damals bereits selbst angehörte, wonach die Stadt zum Sitz der deutschen Bundesregierung und des deutschen Bundestages bestimmt wurde.

Er selbst wäre stattdessen weitaus lieber ins feine Bonn nach Nordrhein-Westfalen gezogen. Hätte im schicken Parlaments- und Regierungsviertel gearbeitet und gern vielleicht in Bad Godesberg gelebt.

Er schätzte den Blick auf den Rhein, die Kölner Bucht, den Godesberger Rheintaltrichter, die Rheinische Küche und vor allem das Rheinische Brauchtum. Gern wäre er ein fester und geachteter Bestandteil der hiesigen Karnevalssession geworden! Er liebte das Flair der rheinischen Diplomatenstadt, das sich in seinen Augen überaus wohltuend vom plebejischen Berlin abhob, welches er immer noch mit dem Sitz des SED-Zentralkomitees und mit der allmächtigen Staatssicherheit in Verbindung brachte! Mit grauen Hinterhöfen, in denen die blechernen und verbeulten Mülltonnen überquollen, tote Tauben in dunklen Ecken verwesten und johlende vorlaute Kinder Gummihopse oder Fußball spielten. Mit nach Fisch stinkenden und zischenden S-Bahn-Zügen, in denen man auf mit Klarlack lackierten harten Holzbänken Platz nehmen musste. Mit toten Fischen, die auf der Oberfläche des Kupfergrabens an der Museumsinsel trieben. Mit dem aufdringlichen grellen Schmuck der Fahnen und Spruchbänder anlässlich der Republikgeburtstage. Mit dem stets misstrauischen Blick der grün uniformierten Volkspolizisten, an deren Seiten gleichsam drohend die Utensilien der Pistolentasche und des rechteckigen Sprechfunkgerätes baumelten.

Er konnte in dieser Stadt notgedrungen wohnen und sein Geld verdienen. Er konnte diese Stadt benutzen, um in ihr Karriere zu machen, weil sie eine geeignete Plattform dafür bot, sich dafür eignete, wie eine Bühne für den Auftritt eines ehrgeizigen Schauspielers. Heimisch werden jedoch konnte der spätere Minister ohne Geschäftsbereich in dieser Stadt nicht!

Sein Vater Jakob fand rasch Arbeit in einem der zahlreichen mittelständischen Berliner Baubetriebe als Zimmermann und Ausbauhelfer. Es war einer von hunderten Berliner Baubetrieben, die mit der Beseitigung der Kriegstrümmer und der Wiederherrichtung der zerstörten Wohnungen beschäftigt waren.

Und der spätere Minister ohne Geschäftsbereich empfand es erneut mit besonderem Stolz und mit Genugtuung, dass er von sich sagen konnte, er sei der Sohn eines Zimmermannes. Er sprach jedoch nie nur davon, dass er der Sohn eines Zimmermannes sei. Nein, er sagte stattdessen stets mit besonderer Betonung, er sei der Sohn des Zimmermannes. Und immer, wenn sein Gegenüber dann verwundert drein blickte, so zeigte dies dem späteren Minister ohne Geschäftsbereich bereits an, dass er vollständig verstanden worden war!

Nun, da er reifer und verständiger geworden war, ersetzten ihm die besonderen Betonungen dieser beiden Artikel das Bettlaken und den mit Ruß aus dem Ofen angemalten Vollbart. Die Wirkung blieb jedoch dieselbe.

Nun allerdings bedauerte er stets, dass er mit Vornamen Josef hieß. Der Name Josef erschien ihm für seine selbst auferlegte Mission unpassend und viel zu profan. Er nannte sich selbst daher stets Issa, in der westafrikanischen Variante des alten arabischen Vornamens Isa oder auch gern Joshua, Josua oder Jeschua.

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht wurde die ehemalige Reichshauptstadt nun, spiegelbildlich zu ganz Deutschland, in vier Besatzungszonen eingeteilt.

Ganz im Osten saßen die Russen, wobei er den rot markierten Umriss des sowjetischen Sektors Berlins, der ihn von seinen Umrissen her stets an eine hässliche Larve oder Raupe erinnerte, innerlich als einen bösen Parasiten empfand, der am in Blautönen gehaltenen Westteil der Stadt parasitierte.

Kurz: Der Russe saß komplett im Ostteil der Stadt. Der Amerikaner residierte im Südwesten. Darüber, im Nordwesten, saß der Engländer und ganz im Norden fanden sich die Franzosen.

Betrachtete er die Umrisse der einzelnen Sektoren näher, besonders jedoch jene des sowjetischen und des französischen Sektors, so glich der sowjetische Sektor Berlins tatsächlich auf verblüffende Weise dem im 45-Grad-Winkel schräg gestellten Umriss der kompletten Sowjetunion und der französische Sektor im Norden der Stadt schien ein deutlich verkleinertes Abbild des Umrisses ganz Frankreichs zu sein.

Es gab für Groß-Berlin nun also einen parteilosen Oberbürgermeister, 4 Stellvertreter und insgesamt 16 Stadträte. Und einer davon hieß Sauerbruch!

Weil die Familie des späteren Ministers ohne Geschäftsbereich im Osten der Stadt, also im sowjetischen Sektor, lebte, war auch Josefs Familie dorthin gezogen, obwohl sie gegen die Russen und gegen den Kommunismus war und obwohl bereits im Jahre 1952 die Stadtgrenzen der Westsektoren gegenüber den umliegenden Gebieten der DDR mit Stacheldrahtzäunen abgegrenzt worden waren.

Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich lebte mit seiner Familie also im Ostteil der Hauptstadt, im sowjetischen Sektor. Zum sowjetischen Sektor Berlins zählten die Stadtbezirke Pankow, Weißensee, Prenzlauer Berg, Berlin-Mitte, Friedrichshain, Lichtenberg, Köpenick und Treptow.

Dies waren jene Stadtbezirke, in welche sich die Rote Armee, nachdem sie ursprünglich das gesamte Stadtgebiet Berlins erobert hatte, gemäß den Alliierten Beschlüssen der Konferenz von Jalta zurückgezogen hatte.

1949 waren die Westsektoren Berlins, allerdings mit erheblichen Einschränkungen, zum Land Groß-Berlin innerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland geworden. Der Russe verweigerte sich gegenüber der Anwendung des Grundgesetzes auf seinen Sektor von Berlin.

Obwohl die Familie im sowjetischen Sektor Berlins, im Stadtteil Köpenick wohnte, wurde der spätere Minister ohne Geschäftsbereich im feinen Westen, in Dahlem, eingeschult und besuchte auch dort das Gymnasium.

Er wurde damit beizeiten zum Pendler zwischen den Welten der Machtblöcke in Europa.

Dahlem war ein Ortsteil der amerikanischen Besatzungszone, ganz im Südwesten der Stadt und im Stadtbezirk Steglitz-Zehlendorf gelegen. Zweifellos bildete Dahlem traditionell eines der wohlhabendsten Gebiete innerhalb der Hauptstadt.

Zwischen Zehlendorf und Steglitz, zwischen dem Grunewald und der imposanten Villenkolonie von Lichterfelde-West gelegen, ist es selbst durch seine Villen und seine Parks bestimmt.

Das historische und von zahlreichen militaristischen Bauten bestimmte Ambiente des nahen Stadtteiles Lichterfelde mit seiner Preußischen Hauptkadettenanstalt und den Gebäudekomplexen der ehemaligen Leibstandarte SS Adolf Hitler sowie der Fliegeberg, von welchem der deutsche Flugpionier Otto Lilienthal seine ersten Flugversuche unternommen hatte, inspirierten den späteren Minister ohne Geschäftsbereich schließlich bei seiner Berufswahl. Er wünschte, einmal ein Jagdflieger im Militär zu werden.

Malleus communisticarum oder der Stiefel Gottes

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