Читать книгу Malleus communisticarum oder der Stiefel Gottes - Ralph Ardnassak - Страница 4
II
ОглавлениеDer einstige Minister ohne Geschäftsbereich hatte es vollbracht! Er hatte sich, gegen die Widerstände zahlreicher politischer Gegner, ja selbst gegen die Widerstände verschiedener seiner eigenen Anhänger, durchgesetzt!
Er wusste, es kam im Leben eines Menschen entscheidend darauf an, sich durchzusetzen, vor allem dann, wenn dieser Mensch sich für einen bedeutenden Menschen hielt, der sich dazu berufen fühlte, Geschichte zu schreiben, um auf diese Weise selbst in die Annalen der Historie einzugehen!
Die letzten Jahre, die Jahre der politischen Wende, sie waren zweifellos turbulent gewesen. Sie hatten ihn, so fühlte er sich jedenfalls, von ganz unten nach ganz oben gespült. Dorthin, wo er meinte zu fühlen, dass sich ein zumindest angemessener Platz für ihn befände. Dorthin, wo er meinte, hingehören zu müssen. Er fühlte sich wie ein Getretener, der nun endlich selbst dazu berufen war, zum Stiefel Gottes zu werden und kräftig zu treten!
Eigentlich meinte er oft, dass die Bezeichnung Stiefelknecht Gottes für ihn, den einstigen Jugendpfarrer und jetzigen Politiker, passender gewesen wäre, aber andererseits fand er auch, dass jetzt nicht die Zeit für Bescheidenheit war. Zu lange schon war er bescheiden gewesen, hatte er kleine Brötchen gebacken. Zu kleine, ja eigentlich mickrige Brötchen, wie er fand. Und wer jetzt leise und bescheiden war, in dieser neuen Zeit des Aufbruchs, der eitlen Spreitzerei, der Erhebung von Ansprüchen und der Umverteilung von Macht, Ämtern und Vermögen, der würde es später umso schwerer haben, der würde niemals mehr Gehör finden!
Er hatte sie erlebt und kennengelernt, die vielen politischen Mitkämpfer und Kollegen, wie sie, sobald Opposition gefahrlos möglich geworden war, aus ihren Löchern heraus gekrochen kamen, in denen sie sich ganz komfortabel eingerichtet hatten, um nun auf Opfer zu machen und lauthals nach Vergeltung zu schreien, um sich auf diese Weise in Szene zu setzen und eine, oftmals späte, Karriere einzufordern, für die es, angesichts des fortgeschrittenen Alters und des einsetzenden rücksichtslosen Gedränges um Pfründe und Ämter, keine zweite Chance mehr geben würde. Bereits in einigen Jahren, das ahnten die Meisten, würden alle lukrativen Posten auf diese Art schon vergeben und somit verloren sein!
Der einstige Minister ohne Geschäftsbereich hatte viel über die französische und die russische Revolution gelesen. Er wusste, dass der Volkszorn ungerecht, dumm, dafür aber geradezu allmächtig und gefürchtet war. Er hatte erlebt, wie die johlenden Massen, die an den Montagen auf den Straßen Leipzigs unterwegs gewesen waren, die allmächtige Staatsmacht, bestehend aus dem gefürchteten Ministerium für Staatssicherheit, der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und den Kampfgruppen, einfach hinweg gejohlt und hinweg demonstriert hatte! Es war eine eindrucksvolle Lektion gewesen, wie der Volkszorn einiger zehntausend Demonstranten die einst omnipotente Staatsmacht dazu bewegt hatte, völlig kampf- und widerstandslos den Schwanz einzuziehen, ja mehr noch, sich schließlich in die Demutsgeste zu begeben und sich so unter tausenden von quälenden Rechtfertigungs- und Schuldanerkenntnistiraden die eigene wirtschaftliche Existenzgrundlage willig und ergeben entziehen zu lassen.
Die Erkenntnis der Möglichkeit, sich wie einst Napoleon an die Spitze dieses unberechenbar, aber allgegenwärtig kochenden Volkszornes zu stellen, um sich wie jener kurzleibige Korse davon zum höchsten Ruhm empor tragen zu lassen, hatte ihm eine regelrechte Gänsehaut beschert und er hatte damals sofort beschlossen, zu einer solchen Art Volkstribun zu werden!
Im Grunde verabscheute er sein Volk, von dem er meinte, es habe sich zum Knecht und Büttel zweier Diktaturen in Folge machen lassen. Erst zum Büttel der Hitlerschen Diktatur und dann zum Büttel Stalins. Ein solches Volk war nicht nur dumm und berechnend, es war vor allem vollkommen amoralisch und ohne jedweden Ehrbegriff, wie er fand. Es handelte aus reinem Opportunismus, indem es sich sofort und bereitwillig jeder neuen Art von Macht andiente.
Es war gefährlich, sich der wechselnden Gunst eines solchen Pöbelhaufens anzuvertrauen und darauf seine eigene wirtschaftliche Zukunft zu gründen! Andererseits war es jedoch auch einfach, denn man brauchte nur auf die beinahe stündlich wechselnden Forderungen des Volkes zu lauschen, stets noch eins drauf zu setzen und diese Meinung dann mit Vehemenz und lautstark in der Öffentlichkeit zu vertreten. Schon war der Volkstribun oder der basisdemokratische Politiker geboren!
Der Minister ohne Geschäftsbereich hatte also beschlossen, dass es ihm zustehen würde, ein wichtiger Mann in der deutschen Geschichte zu werden und dass dies am einfachsten über den Weg des Volkstribuns zu bewerkstelligen sei. Also schickte er sich an, ein solcher Volkstribun zu werden! Ein Mann wie Luther, den Willen des Volkes in der rechten und den protestantischen Glauben als Waffe in der linken Faust!
Mitunter plagten ihn deswegen Ansätze eines schlechten Gewissens. Er sagte sich, dies aber nur in ganz wenigen lichten Momenten, dass er im Grunde doch eitel sei. Aus seiner theologischen Ausbildung wusste er nämlich noch, dass Eitelkeit eine Sünde darstellte. Sie war deswegen eine Sünde, weil sie das Denken des Menschen von Gott ab- und stattdessen zum eigenen Körper und zu dessen Äußerlichkeiten hinlenkte.
Aber dann beruhigte er sich sogleich mit der Erkenntnis, dass er schließlich ein protestantischer und kein katholischer Theologe sei. Rechnete schließlich lediglich die katholische Theologie die Eitelkeit als Superbia zu den Haupt- oder Todsünden des Menschen, den peccati mortiferi, zu denen weiterhin Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia und Acedia, nämlich Habgier, Wollust, Selbstsucht, Rachsucht, Missgunst und Ignoranz gezählt wurden.
Im Grunde war er jetzt, angesichts der Wende, sogar ganz besonders glücklich darüber, dass er Protestant und nicht Katholik war. Hätte die Wende in Bayern oder in Baden-Württemberg stattgefunden, so wäre es sicherlich für ihn vorteilhafter gewesen, Katholik zu sein. Nicht aber hier, in der Mitte Deutschlands, der Heimat und Zufluchtsstätte Luthers, wo man das protestantische Bekenntnis noch immer mit Rechtschaffenheit, Opposition gegen die kommunistische Obrigkeit und mit dem Ideal der lange verpönten bürgerlichen Lebensformen a la Graf Stauffenberg in Verbindung brachte. Nein, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen, die letzten Monate und Jahre hatten es einmal mehr eindrucksvoll belegt: Bot früher, vor der politischen Wende, das in rotes Kunstleder gebundene SED-Parteibuch die Gewähr für Karriere und Aufstieg, so war in der neuen Zeit mit dem protestantischen Glaubensbekenntnis nunmehr dafür eine wichtige Voraussetzung geschaffen. Zumal, wenn man sie mit ein wenig Opfergeruch, ob nun gerechtfertigt oder nicht und einigen Beziehungen zu wichtigen und einflussreichen Personen aus dem Westen der Republik, anreichern und würzen konnte. Eine interessante Mischung, wie er fand und hoffentlich genau die richtige Art von Tinte, um damit den eigenen Namenszug mit fester Hand und auf ewig ins Buch der Geschichte eintragen zu können!
Mitunter wurde es allerdings schwierig, den Menschen seines Umfeldes begreiflich zu machen, dass Forderungen, die er selbst an sein Umfeld stellte, für ihn nicht gelten durften und dass er selbst, der pausenlos kritisierte und schwadronierte, grundsätzlich außerhalb jeder Art von Kritik stand. Er hatte gelegentlich sogar Angst, die Menschen könnten dies erkennen und ihn, den Angreifer, deswegen in ihrer rigorosen Aufbruchsstimmung selbst angreifen, ihn hinweg fegen, so wie die Französische Revolution einst ihre eigenen Anführer und Köpfe hinweg gefegt und guillotiniert hatte. Aber zu seiner Erleichterung erkannte er auch, dass der deutsche Charakter anders war. Er war eher geneigt, sich der Macht zu beugen und der Charakter des deutschen Volkes zur Macht ließ sich wohl am ehesten mit einem Gleichnis von Konfuzius beschreiben, wonach sich das Gras stets dem über es hinweg fegenden Wind beugte. Und die Staatsmacht war nun einmal der Wind in Deutschland und das Volk war das Gras. Das war vor der politischen Wende so gewesen und es würde zweifellos nach der politischen Wende noch ebenso sein. Von dieser Tatsache konnte man das Volk jedoch ablenken, indem man seinen Zorn bündelte, ihn kanalisierte und lenkte. Man musste ihm nur vermitteln, dass es während der 40 Jahre DDR um sein Recht auf Reisen, auf Wohlstand, auf Bananen und Westgeld betrogen worden war. Und zwar von einigen wenigen alten Männern und jenen Organisationen, die sie lenkten und steuerten. Besonders ließ sich da der Hass auf das Ministerium für Staatssicherheit instrumentalisieren! Wer damit beschäftigt war, Menschen aufzuspüren, die ihn einst bespitzelt hatten, erregte sich möglicherweise weniger darüber, dass er entlassen wurde, weil sein Betrieb gerade abgewickelt worden war. Innenpolitik bestand stets auch in der Kunst, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, auf denen man dem Volke Schuldige zum Steinigen präsentieren konnte, damit man ihm unterdessen unbemerkt das Fell über die Ohren ziehen durfte.
Wer sich schuldig fühlte oder damit rechnen musste, sich möglicherweise schuldig fühlen zu müssen, der muckte nicht auf und dessen Gegenwehr fiel weniger selbstbewusst und offensiv aus, wenn man ihm Hemd und Hose wegnahm! Schließlich durfte sich glücklich schätzen, wer nicht gelyncht, sondern am Leben gelassen wurde!
Ja, auch dies war ein weites Feld gewesen, ein Thema über welches er erhitzt debattiert hatte! Das bestraft und abgerechnet werden musste, stand außer Frage. Es ging lediglich um die Diskussion, wie weit dabei zugehen zu war und wie konkret vorgegangen werden sollte. Wenn er sich also zum Wortführer jener aufgeheizten Stimmen und Stimmungen aus dem Volke machen würde, die Rache und Bestrafung für tatsächlich oder vorgeblich erlittenes Unrecht forderten, wenn er sich an die Spitze eines noch zu schaffenden Revolutionstribunales stellen und dem Volke dasjenige Blut geben würde, nach dem es gierig forderte, dann würde er selbst zum Danton, zum Martial Joseph Armand Herman, zum Antoine Quentin Fouquier-Tinville der Moderne und damit unsterblich werden!