Читать книгу Malleus communisticarum oder der Stiefel Gottes - Ralph Ardnassak - Страница 9
VII
ОглавлениеDer spätere Minister ohne Geschäftsbereich spürte in jenen Jahren drohend und stetig anschwellend jene aus der Sowjetunion kommende Tendenz der Militarisierung und Vereinnahmung der gesamten Gesellschaft. Sie kam über die ostdeutschen Menschen wie eine Epidemie!
Sie hatten auf dem Gymnasium in Dahlem besorgt darüber gesprochen und auch am heimischen Esstisch, wo Jakob, der Vater, den Begriff der „Sowjetisierung“ dafür geprägt hatte.
„Sie werden uns alle ins Straflager sperren, wenn wir nicht das machen, was Moskau von uns verlangt!“, so hatte er angstvoll verkündet und sein Sohn meinte, die Bedrohung beinahe körperlich zu empfinden, wie sie unsichtbar im Raum hing und von den nach Machorka, Benzin und Schweiß riechenden Soldaten auszugehen schien, die das Straßenbild hier im Osten der Stadt zunehmend beherrschten.
Der Westen der Stadt: Das waren die Amerikaner, die Briten und Franzosen! Das waren Wirtschaftswunder, Jazzmusik und Glamour und scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten! Der Osten Berlins jedoch schien im Begriff, sich in ein einziges Straflager zu verwandeln, in dem alles die Fahnen schwenkte und zum Gesang von Kampfliedern marschierte. Und jeder, der nicht mittat, wurde weggesperrt!
Auch hier in Köpenick installierten sie nun die FDJ, den Jugendverband ihrer kommunistischen Partei, der in uniformähnlichen Aufzügen daher kam, wie weiland der Rote Frontkämpferbund. Und es schien ganz und gar offensichtlich, was sie damit bezweckten. Es war Dasselbe, was schon Hitler und Reichsjugendführer Artur Axmann mit ihrer Jugendpolitik bezweckt hatten!
Und jeder der nur wollte, konnte sich ganz genau der Worte Hitlers entsinnen:
„Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei oder drei Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben…“
(Quelle: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/lebensstationen/ns_4.htm)
Nein, der spätere Minister ohne Geschäftsbereich würde hier keinesfalls mittun, bei der FDJ! Darin war er sich mit seinen Eltern einig!
Er würde sich nicht blenden lassen, vom Freizeitangebot dieser FDJ! Nicht von all den Pionierferien- und Expertenlagern, nicht von den Stationen ihrer Jungen Naturforscher und Techniker! Nicht von ihrer Pionierrepublik Wilhelm Pieck am Werbellinsee! Nicht von ihrem immer wieder gebetsmühlenartig und lautstark malträtierten Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus in der FDJ!
Auf Antrag hätte er ab dem 14. Lebensjahr der FDJ beitreten können. Das Statut verkündete, dass die Mitgliedschaft freiwillig sei. Zwar war der spätere Minister ohne Geschäftsbereich dem Druck der Werber zunächst erst einmal enthoben, da er im Westteil der Stadt, in Dahlem, das Gymnasium besuchte, doch drohten Konsequenzen bei der späteren Zulassung zum Theologiestudium und diverse Arten von beruflichen Beeinträchtigungen, wenn er nicht der FDJ beitreten würde!
Beinahe jeder Jugendliche aus dem Köpenicker Umfeld des späteren Ministers ohne Geschäftsbereich trat daher dem Jugendverband FDJ in dieser Zeit bei und trug das blaue Hemd mit dem Symbol der gelben aufgehenden Sonne auf dem linken Ärmel. Der Mitgliedsbeitrag war im Grunde lächerlich. Abhängig vom Einkommen betrug er monatlich zwischen 30 Pfennig und 5 Mark der DDR.
All die politischen Großveranstaltungen, das theatralisch vorgetragene und inszenierte Bekenntnis zum Sozialismus und zur Sowjetunion, das Fahnenschwenken, das Singen und Marschieren im Karree, das Pseudomilitärische, als müsse man zu einem neuen Weltkrieg rüsten: Es stieß den späteren Minister ohne Geschäftsbereich ab! Es ekelte ihn förmlich an! Es war, als griffe irgendein religiöser Eiferer, ein Mitglied irgendeiner Sekte vielleicht, mit Gewalt nach seinem Leib und nach seiner Seele! Er wollte kein kleiner Russe werden, der das Blauhemd trug und für Chrustschow in die Produktionsschlacht oder in einen Krieg ziehen würde, als irgendeine namenlose blaue Ameise im Heer der Millionen! Nein, er spürte deutlich, dass er zu viel mehr berufen war! Er war der Messias, der Heiland, der nicht den Frieden, sondern das Schwert zu bringen hatte!
All die Deutschlandtreffen, die Weltfestspiele, die Pfingsttreffen, die Ordnungsgruppen der FDJ mit ihrem Schlägerimage, die alberne Singebewegung der FDJ, die sich krampfhaft und verzweifelt bemühte, einen Gegenpol zur amerikanischen Rock’n-Roll- und Beatkultur zu etablieren, indem sie von Arbeitsschlachten und vom Freiheitskampf trällerte und all die groß angelegten Arbeits- und Ernteeinsätze mit ihrem Flair von Zeltlager und Reichsarbeitsdienst, in denen es keine Form der Individualität mehr zu geben schien: Sie stießen ihn ab und sie hingen ihm zum Halse heraus, denn er wollte nicht einfach so untergehen, nicht ertrinken in der uniformen Masse! Er wollte stattdessen jemand werden, der sich von dieser Masse abhob, der sich außerhalb der Masse behauptete, der sie lenkte und von ihr geliebt wurde!
Tief in sich spürte er: Er war so gänzlich anders als diese auf ihre Art auch gläubigen Jugendlichen, wie sie dort singend und klatschend im Blauhemd marschierten!
Nein, er war der Messias! Er war der Sohn des Zimmermanns! Er war der Heiland, Issa ben Mariamne, der gekommen war, der Welt das Schwert und nicht den Frieden zu bringen!
Sie würden seine Seele nicht bekommen! Und auch nicht seinen Leib!