Читать книгу Einfache Wahrheit - Ram Dass - Страница 12
Der Guru, Hinfortnehmer der Finsternis
ОглавлениеAls wir in die Berge fuhren, merkte ich, dass etwas in Bhagavan Das vorging. Tränen liefen seine Wangen hinab und er sang lauthals heilige Lieder. Ich rutsche in die Ecke des Sitzes und kauerte mich zusammen. Ich betrachtete mich selbst als Buddhisten und wollte keinen Hindu-Guru treffen.
Wir erreichten einen kleinen Tempel am Straßenrand. Bhagavan Das fragte jemanden, wo der Guru sei. Sie meinten, Maharaj-ji sei oben auf dem Berg. Bhagavan Das rannte den Abhang hoch und ließ mich unten allein. Dort schauten mich alle erwartungsvoll an. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte keinen Guru treffen. Schließlich aber, eher aufgrund der Lage und weniger aus eigenem Entschluss, ging ich ihm nach. Ich stolperte den Abhang hinter diesem Riesen hoch, der in großen Sprüngen weinend nach oben rannte.
Als wir den Berg hochkletterten, erreichten wir ein hübsches kleines Feld mit einem herrlichen Ausblick auf das Tal, das man von der Straße aus nicht sehen konnte. Mitten in diesem Feld saß ein kleiner alter Mann auf einem Holzbett unter einem Baum. Er war in eine Decke gewickelt. Zehn oder 15 Inder in Weiß saßen im Gras um ihn herum. Es sah schön aus vor dem Hintergrund der Wolken. Ich war aber zu angespannt, um es zu genießen. Ich glaubte, das hier wäre so eine Art Sekte.
Bhagavan Das lief zu ihm hin und warf sich in danda pranam auf den Boden: Er legte das Gesicht auf die Erde, seine Hände berührten die Zehen des Alten. Bhagavan Das weinte immer noch, der Mann tätschelte seinen Kopf. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Das war doch verrückt! Ich hielt mich etwas abseits und sagte zu mir selbst: „Nun, jetzt bin ich hier, aber ich fasse garantiert niemanden an die Zehenspitzen!“ Ich verstand gar nicht, was hier los war. Ich war völlig paranoid.
Der alte Mann tätschelte Bhagavan Das den Kopf, dann sah er zu mir hoch. Er zog Bhagavan Das’ Kopf hoch und meinte in Hindi zu ihm: „Hast du ein Bild von mir?“ Inmitten seiner Tränen sagte Bhagavan Das Ja. Maharaj-ji meinte: „Gib es ihm.“
Ich dachte: „Oh, das ist aber nett, dieser alte Mann schenkt mir ein Bild von sich. Wow.“ Zum ersten Mal an diesem Tag streichelte jemand mein Ego. Ich konnte das brauchen.
Maharaj-ji sah mich an und sagte etwas, das mir übersetzt wurde mit: „Du bist in einem großen Auto gekommen?“ Er lächelte.
Das war ein Thema, über das ich nicht reden wollte. Wir hatten den Land Rover von meinem Freund nur geliehen und ich fühlte mich dafür verantwortlich.
Immer noch lächelnd meinte Maharaj-ji: „Gibst du es mir?“
Ich versuchte zu erklären, dass der Wagen nicht mir gehörte, aber Bhagavan Das sprang auf und sagte: „Wenn du es willst, Maharaj-ji, gehört er dir!“
„Du kannst ihm das Auto nicht geben!“, platzte es aus mir heraus. „Es gehört dir gar nicht!“
Maharaj-ji sah zu mir hoch und fragte mich: „Verdienst du viel Geld in Amerika?“
Das war es! Er glaubte, alle Amerikaner seien reich. „Das stimmt, ich habe mal viel Geld verdient in Amerika.“
„Wie viel?“
„Nun, einmal habe ich in einem Jahr 25.000 Dollar verdient.“
Sie rechneten die Summe alle in Rupien um. Das war schon eine Menge Geld.
Maharaj-ji sagte: „Kaufst du mir dann so ein Auto?“
So schnell hat mich noch nie jemand bedrängt, dachte ich in diesem Augenblick. Ich war mit jüdischen Wohltätigkeitsveranstaltungen aufgewachsen. Wir waren schon gut im Spendensammeln, aber nicht so gut wie dieser Mann. Da hatte ich den Kerl kaum kennengelernt und schon wollte er ein Auto für 7.000 Dollar von mir. Also sagte ich: „Vielleicht, mal sehen.“
Die ganze Zeit über lächelte er mich an. In meinem Kopf drehte sich alles. Alle anderen lachten mich aus, weil sie wussten, dass er mich aufzog, aber ich wusste das natürlich noch nicht.
Er sagte, wir sollten nun prasad nehmen, also essen. Man führte uns zu dem kleinen Tempel, bewirtete uns königlich mit wunderbarem Essen und gab uns einen Platz, wo wir ausruhen konnten. Wir befanden uns weit oben in den Bergen – kein Telefon, kein elektrisches Licht, nichts.
Etwas später brachte man uns erneut zu Maharaj-ji. Er meinte zu mir: „Komm, setz dich.“ Er sah mich an und sagte: „Gestern Nacht warst du unter dem Sternenhimmel.“
„Ja.“
Er sagte: „Und hast an deine Mutter gedacht.“
„Hm … ja.“
„Sie ist letztes Jahr gestorben?“
„Ja.“
„Ihr Magen wurde ganz groß, bevor sie starb.“
„Das stimmt.“
„Milz, Sie starb an Milz.“ Er sagte „Milz“ auf Englisch. Als er „Milz“ sagte, schaute er mich unmittelbar an. Und in genau diesem Augenblick passierten zwei Dinge zur gleichen Zeit.
Zum Ersten versuchte mein rationaler Verstand wie ein außer Kontrolle geratener Computer, verzweifelt herauszufinden, woher er das wusste. Ich ging jedes hyperparanoide CIA-Szenario durch, wie etwa: „Sie haben mich absichtlich hierher gebracht und das ist Teil der Gehirnwäsche.“ Oder: „Er hat hier ein Dossier über mich. Wow. Die sind ziemlich gut! Aber wie kann er das wissen? Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal Bhagavan Das …“ und so weiter. Aber ganz gleich, wie toll mein Verstand auch arbeitete, ich konnte damit nicht umgehen. So etwas war in meiner Bedienungsanleitung nicht vorgesehen. Es lag sogar jenseits meiner paranoiden Fantasien, von denen einige schon sehr fantastisch waren!
Bis dahin war meine Einstellung zu sogenannten übernatürlichen Ereignissen eine intellektuelle gewesen. Hätte ich aus zweiter Hand davon gehört, hätte ich, wie jeder gute Harvard-Wissenschaftler, gesagt: „Nun, das ist interessant. Wir sollten solchen Sachen gegenüber offen eingestellt sein. In diesem Bereich kann man sicherlich interessante Forschungen durchführen. Schauen wir uns das mal an.“
Wäre ich beispielsweise high von LSD gewesen, hätte ich als Beobachter gesagt: „Woher weiß ich denn, dass nicht ich es bin, der all dies hier erfindet?“ Ich hatte aber keine chemischen Substanzen eingenommen und der alte Mann hatte gerade „Milz“ gesagt. Woher wusste er davon?
Mein Verstand raste bei dem Versuch, herauszufinden, wie Maharaj-ji das gewusst haben konnte. Schließlich klingelte es wie bei einem Computer im Zeichentrickfilm, der ein Problem nicht lösen kann, das rote Licht blinkte auf und die Maschine ging aus. Mein rationaler Verstand schaltete sich ab. Ich machte puff!
Zum zweiten schnürte sich in diesem Augenblick etwas in meiner Brust gewaltsam zusammen und ich begann zu schluchzen. Später erfuhr ich, dass das mein viertes Chakra war, das Herz- Chakra, das sich öffnete. Ich sah zu Maharaj-ji hoch und er sah mich dabei voller Liebe an. Ich begriff, dass er mich durch und durch kannte, selbst all die Sachen, für die ich mich schämte, und dass er mich wegen nichts beurteilte. Er liebte mich einfach mit seiner reinen, bedingungslosen Liebe.
Ich weinte und weinte und weinte und weinte. Ich war weder traurig noch glücklich. Am ehesten könnte man sagen, dass ich weinte, weil ich endlich Zuhause angekommen war. Ich hatte meine große Last den Berg hochgeschleppt, jetzt war es geschafft. Meine Reise war am Ziel, ich konnte meine Suche beenden.
Alle Paranoia wurde aus mir herausgespült und alles andere gleich mit. Alles, was mir blieb, waren diese fantastische Liebe und der Friede. Ich befand mich in der lebendigen Gegenwart von Maharaj-jis bedingungsloser Liebe. Ich war noch nie zuvor so vollkommen geliebt worden. Von diesem Augenblick an wollte ich nur noch Maharaj-jis Füße berühren.
Später verlieh mir Maharaj-ji den spirituellen Namen Ram Dass, was „Diener Gottes“ bedeutet („Rām“ ist eine der Inkarnationen Gottes im Hinduismus, „Dass“ heißt Diener). Er schickte mir auch Hari Dass Baba als Lehrer, damit dieser mich in den folgenden fünf Monaten in Yoga und Entsagung unterwies.