Читать книгу Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele - Regina Bäumer - Страница 12
I.1.B.c. Die religiös-mythische Deutung der Wüste als Bereich des Todes und der lebensbedrohenden Gefahr, als Ort der Dämonen42.
ОглавлениеDiese Deutung wird bestimmend für die Wüstenväter.43
„Ganz gleich, ob Ägypten das Ursprungsland oder nur das klassische Land des frühen Mönchtums ist, auf jeden Fall begegnen wir dort Mönchen von ganz anderer Wirklichkeitsdichte, die in einer realistischeren Wüste leben. Für sie ist die Wüste etwas völlig anderes, als was uns bislang die an der Bibel, wie sie von Philon verstanden wurde, und an der griechischen Philosophie geschulten Literaten vor Augen gestellt haben. Die meisten von ihnen waren gebürtige Ägypter, Bauern44 aus den Dörfern des Niltals oder aus dem Nildelta.“45 Diese Mönche kannten von Jugend an den Gegensatz von bebautem Land und Wüste, der im engen Niltal viel schroffer ist als anderswo. Wo das Wasser des Nils nicht mehr hingelangt, beginnt fast übergangslos und sofort die Wüste.
P. Brown konstatiert: „Die Siedlungen der ägyptischen Asketen des 4. Jahrhunderts verbanden geographische Nähe zum bewohnten Land mit einer Haltung unendlicher gedanklicher Distanz. ... Trotz ihrer körperlichen Nähe zum bewohnten Land waren die Mönche Ägyptens in der Vorstellung der Zeitgenossen überlegen, weil sie sich gegen einen Sandozean behaupteten. ... Der Mythos der Wüste war eine der dauerhaftesten Schöpfungen der Spätantike. ... Er identifizierte den Prozeß der Loslösung von der Welt mit dem Übergang aus der einen ökologischen Zone in die andere, aus dem bewohnten Land Ägyptens in die Wüste. Es war eine Grenze von brutaler Klarheit,...“46
Die von P. Brown angesprochene Überlegenheit der Mönche dokumentiert die Begriffsgeschichte der Bezeichnung Mönch (μοναΧóς). Nach den Untersuchungen A. Adams war es Eusebius von Cäsarea, der den Begriff zwar wohl schon als Titel für christliche Asketen vorfand, ihn dann aber erstmals in folgender Weise definierte: „... die oberste Ordnung derer, die in Christus voranstreben, ist die der μοναΧοí.“47 Diese Mönche, so Eusebius weiter, sind selten anzutreffen und gehören nicht zum gemeinen Volk, und „darum werden sie nach Aquila μονογɛνɛíς genannt, da sie gleich geworden sind dem eingeborenen Sohne Gottes.“48 Sie sind μονήρɛι (Vereinzelte) und praktizieren τòν μονήρη καì άγνήν κατοροΰντɛς βίον (einsames und heiliges, glückliches Leben).“49 A. Adam resümiert: „Diese Ausführungen Eusebs sind mit Wahrscheinlichkeit als die Quelle anzusehen, von wo aus der Begriff μοναΧóς in den griechischen kirchlichen Sprachgebrauch übergegangen ist. ... Rund 30 Jahre nach dem Psalmenkommentar des Euseb [ca. 357] ist der Begriff μοναξóς bereits zur festen Bezeichnung geworden.“50
Die mönchische Askese, die in der Wüste als dem eigentlichen Bereich der Dämonen geübt wurde, stellte sich vor allem als Kampf gegen diese Dämonen dar. Jesus selbst wurde vom Geist in die Wüste geführt, „damit er vom Teufel versucht werde“ (Mt 4, 1). Der Sieg Christi über den Teufel steht am Anfang seines Erlösungswerkes. Wie Christus kämpfte nun auch der Mönch mit dem Bösen. Im „offenen Kampf und ohne Tarnung“51 trat er dem Dämon entgegen und erwies sich so als Kämpfer Christi. Hier ergibt sich eine Parallele zum oben skizzierten Märtyrerbegriff, der sich auf die Asketen übertragen hatte. Aus den Märtyrerakten geht hervor, daß diese ihr Martyrium nicht als Kampf mit Menschen und wilden Tieren, sondern als Kampf mit dem Teufel und seinen Helfern, den Dämonen, begriffen.52 „Die Dämonen stifteten die Christenverfolgung an. Sie ersannen die Martern. Sie lockten zum Abfall. Sie waren es auch, die angesichts der Niederlage von den blutigen Verfolgungen abließen, um nun die Christenheit durch eine erschlaffende Friedenszeit zu schädigen. ... Es ist für das alte Mönchtum selbstverständlich, daß sich nach dem Aufhören der Christenverfolgungen die dämonischen Angriffe besonders gegen die Mönche richten.“53
Dies verbindet sich mit einem weiteren Motiv: Durch das Kommen Christi hatte der Teufel keinen Ort mehr, an dem er herrschen konnte; einzig die öde und menschenleere Wüste blieb ihm noch. Als nun die Asketen in die Wüste eindringen, fürchtet er, „daß Antonius mit der Askese auch noch die Wüste anfüllt“54 und daß mit ihm die Scharen der Mönche ihn, den Teufel, aus seinem ureigensten Herrschaftsbereich verdrängen.55 „ ‘Die Welt’ zu fliehen bedeutete, eine festgefügte Sozialstruktur zu verlassen und sich für eine ebenso feste und ... ebenso soziale Alternative zu entscheiden56. Die Wüste war eine ‘Gegenwelt’, ein Ort, an dem eine alternative ‘Stadt’57 wachsen konnte.“58 Stadt und fruchtbares Land sind gemäß prophetischer Tradition (vgl. Jes 35, 1ff.) die Bilder für den Anbruch der Messiasherrschaft. So wird die Wüste zu einem theologischen und heilsgeschichtlichen Ort, einem Ort, den der antike Heide mied wegen der Dämonen, den der Christ aber bewußt aufsuchte, um den Kampf auszutragen, der das Glaubensleben eines jeden Christen ausmacht und bestimmt, den Kampf um die Errichtung der Herrschaft Gottes. Daraus ergibt sich folgerichtig: „Die Rede von den Dämonen ist keine Aussage über irgendwelche okkulte Phänomene und auch keine über rein psychische und psychologische Wirklichkeiten im Innersten des Menschen. Vielmehr beinhaltet das Wort vom Kampf mit den Dämonen eine theologische Aussage - und zwar über das Heil des Menschen. Der Mönch nimmt bewußt den Kampf mit den Dämonen auf sich, weil er erfahren hat, daß sein Leben wie das eines jeden Christen im Streit von Mächten und Gewalten steht. Indem der Mönch in der Welt und im Widerstreit der diabolischen Kräfte sich für das Gute entscheidet und den guten Kampf vollendet (vgl. 2 Tim 4,7), kämpft er an der Seite Christi und wirkt mit ihm für das Heil der Welt und für das Kommen des Gottesreiches. Damit bekommt das Tun des Mönches eine apostolische und missionarische Dimension.“59
A. Guillaumont warnt davor, dabei nicht die wirkliche Motivation aus den Augen zu verlieren, die den Asketen in die Wüste treibt. Sie sind nicht primär in die Wüste gegangen, um dort dem Dämon zu begegnen, vielmehr gingen sie dorthin, um Gott zu finden. So findet sich doch noch etwas von der oben erwähnten idealistischen und optimistischen Sicht der Wüste als Ort der Einsamkeit und Gotteserfahrung. „’Von den Dämonen versucht’ zu werden, bedeutete, daß man ein Stadium im Wachstum des Bewußtseins, empor von den unteren Grenzen der Persönlichkeit durchmachte.“60 Die Wüste zwingt zu einer Konzentration auf das Wesentliche, so formuliert Antonius:
„Wer in der Wüste sitzt und die Herzensruhe pflegt, wird drei Kämpfen entrissen: dem Hören, dem Reden, dem Sehen. Er hat nur noch einen Kampf zu führen: den mit dem Herzen.“ (Antonios 11)(Apo 11)
„Der Mönch ist ein Mensch, der seinem Leben Einheit geben will, der deshalb auf alles verzichtet, was Quelle der Geteiltheit und Spaltung ist. Das gilt nicht nur für die nach außen gewandten Tätigkeiten, sondern auch und vor allem für das innere Leben.“61 Für diesen Weg brauchte der Mönch Hilfe, er war angewiesen auf andere, auf den Bruder, der schon forgeschrittener war. Daher suchten die Mönche der Wüste einander auf, zu Austausch und geistlichem Gespräch, zu Ermutigung, Korrektur und Hilfe auf ihrem Weg und für ihr Leben mit Gott. Daraus entwickelte sich die Geistliche Führung durch erfahrene, gereifte Mönche, die den Namen Abbas (Vater), bzw. wenn es sich um eine Frau handelte, Amma (Mutter) erhielten. Geistliche Väter oder Mütter zeichneten sich nicht unbedingt durch höhere Bildung oder größere Klugheit aus, sondern durch ihre geistliche Erfahrung, durch ihre Reife, die sie im Kampf mit den Dämonen errungen hatten. Es sprach sich herum im Kreis der Anachoreten, die nicht so weit entfernt voneinander wohnten und, wie gesagt, lockeren Kontakt hatten, wenn da ein Abbas, eine Amma als vom Geist erfüllt galt und im geistlichen Leben weiterhelfen konnte.62 Ihren Niederschlag fand diese Geistliche Führung in den Apophthegmata Patrum, einer losen Sammlung von zunächst mündlich überlieferten und dann verschriftlichen „Aussprüchen der Väter“, die in kleinen Geschichten und kurzen szenischen Darstellungen oder nur in Form eines Spruchs die Erfahungen und Weisheiten der Väter für spätere Generationen von Mönchen festhalten wollten. Die Geistliche Führung bei den Wüstenvätern ist ein Hauptthema dieser Arbeit und wird weiter unten noch ausführlich behandelt, deshalb mögen hier die wenigen Hinweise genügen.