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I.1.E.b. Johannes Cassian

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Johannes Cassian gehört zu den bedeutendsten und wegweisenden Lehrmeistern des abendländischen Mönchtums. Seine Biographie ist bis heute nicht in allen Fragen geklärt.

Cassian wurde um 360 in der Dobrudscha als Kind reicher, christlicher Eltern geboren. Latein war seine Muttersprache, und gediegene Schulbildung erschloß ihm das antike Bildungsgut. Auch Griechisch hat er später gelernt. Mit seinem Freund Germanus zog er nach seinen Studien nach Bethlehem, um sich dort ins monastische Leben einführen zu lassen. Möglicherweise waren auch hier Taufe und Bekehrung zum klösterlichen Leben zusammengefallen, wie so oft im Leben bekannter Christen des 4. und 5. Jahrhunderts. Cassian muß mit Germanus um 380 in ein Kloster in Bethlehem eingetreten sein, das in der Nähe der Geburtsgrotte lag, in dem sie nur wenige Jahre blieben. Der positive Ruf des ägyptischen Anachoretentums zog die jungen Mönche in die Ferne. Die Kommunität von Bethlehem ließ die beiden schließlich ziehen, versicherte sich aber ihrer Rückkehr durch ein Versprechen, das Germanus und Cassian in der Grotte von Bethlehem ablegten (Conl. 17, 2-5). Daraufhin folgten Wanderjahre durch die ägyptischen Mönchssiedlungen, um den Altmeistern des ägyptischen Mönchstum zu begegnen. Sicher läßt sich ihr Aufenthalt in der Anachoretensiedlung des Abbas Pinufius in der Gegend von Panephysis (Nildelta) ausmachen, ebenso unter den Mönchen von Kellia und der Sketis, wo sie sich den Anachoreten unter Abbas Paphnutius angeschlossen haben. Nach Conl. 17 haben sich die beiden zunächst sieben Jahre in Ägypten aufgehalten. Auf Drängen der Brüder in Bethlehem sind sie dann zurückgekehrt, jedoch nur, um sich von ihrem Versprechen entbinden zu lassen und dann für immer nach Ägypten zu gehen.

Gegen Ende des 4. Jahrhunderts kam es zu Spannungen zwischen den Mönchen, die sich um das geistige Erbe des großen Origenes kristallisierten. Der allmächtige Patriarch Theophilus von Alexandrien griff in den Streit ein, verurteilte die Werke des Origenes und begann, origenistische Mönche zu verfolgen. Diese verließen ihre ägyptischen Siedlungen und flohen nach Palästina oder Konstantinopel, wo sie bei Johannes Chrysostomus Schutz fanden. Diesen Flüchtlingen schlossen sich auch Cassian und Germanus an. In der Reichshauptstadt wurde Cassian zum Diakon geweiht, Germanus zum Priester. Im Jahre 405 erscheinen beide als Anwälte des Chrysostomus in Rom bei Papst Innozenz I.. Danach müssen sich die Wege der beiden getrennt haben. Auch Cassians Lebensgang während der nächsten Jahre ist nur schwer zu rekonstruieren. Nach verbreiteterer Meinung soll Cassian in Rom geblieben, hier vielleicht Priester geworden und auch von hier aus nach Marseille gezogen sein. Er kam bald nach 410 in Marseille zu Ruhe und Seßhaftigkeit. In diesem damals verhältnismäßig befriedeten Reichsgebiet sollte Johannes Cassian seine letzten Lebensjahre verbringen und seine für das frühe Mönchturn des Abendlandes entscheidende Arbeit leisten. Sein frühester „Biograph“, Gennadius von Marseille, teilt mit, Cassian habe in Marseille zwei Klöster gegründet, das eine für Mönche, das andere für Nonnen (De vir. ill. 61). Das Mönchskloster lag bei der Kirche St. Viktor, die Cassian vom Bischof Proculus erhalten hatte, wahrscheinlich auf Empfehlung des aus dem Osten wieder heimgekehrten Bischofs Lazarus, der später auch in der St.-ViktorsKirche begraben wurde.

Mit seinem Einzug in Marseille schloß sich Cassian der monastischen Bewegung in der Provence an - leider schreibt er über sein eigenes Kloster nichts; es wird jedoch anzunehmen sein, daß er seine Mönche nach jenem asketischen Programm formte, das er in seinen späteren Schriften entworfen hat. Die programmatischen Lehrschriften verfaßte er jedoch auf Bitten anderer Klostergründer, die damit dem südgallischen Mönchtum feste Form und sicheren Bestand geben wollten. Zwischen 4I9-426 schrieb er auf Bitten des Bischofs Kastor von Apt175 als eine Art Regel für ein von Kastor gegründetes Kloster sein Werk „De institutionibus coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis libri XII“. Fast gleichzeitig schrieb er ebenfalls auf dessen Anregung hin sein zweites Werk „Conlationes Patrum XXIV“ (zwischen 419-429); den ersten Teil widmete er dessen Bruder Leontius, Bischof von Fréjus, und dem Mönch Helladius (Conl. praef.); den zweiten Teil widmete er dem Abt Honorat von Lérins und dem Mönch Eucherius in diesem bekannten Inselkloster (Conl. 11 praef.) und den dritten Teil schließlich vier weiteren südgallischen Äbten (Conl. 18 praef.). Die Widmungsliste verrät Cassians Ansehen in den monastischen Kreisen Südgalliens. Seine hohe Autorität beruhte auf seiner bekannten Erfahrung des östlichen Mönchtums und auf seiner eigenen monastischen Aktivität innerhalb des Mönchtums der Provence. Neben diesen beiden Hauptschriften griff er in die christologischen Streitfragen seiner Zeit mit der Schrift „De incarnatione Domini contra Nestorium libri VII“ (etwa 428-431) ein. Um 435 ist Johannes Cassian in Marseille gestorben und wurde in der Krypta von St. Viktor begraben.

Maß und Norm allen monastischen Verhaltens ist für Cassian das Vorbild der östlichen Mönche, vorab der ägyptischen, in zweiter Linie der aus Palästina und Mesopotamien. Cassian will aus eigenem Erfahren und Erleben berichten. Dabei muß beachtet werden, daß der Verfasser bei der Niederschrift bereits mehr als zwanzig Jahre das östliche Mönchsland verlassen hatte und längst nicht in allen Klöstern und Mönchssiedlungen des Ostens gewesen war. Vieles kannte er nur vom Hörensagen. Entscheidend und prägend für seine Niederschrift war der Auftrag, eine Ordnung für das südgallische Mönchtum zu verfassen. Cassian hat dazu eine eindeutige Meinung: „Ich glaube nämlich nicht, daß eine Neugründung hier im Westen etwas Vernünftigeres und Besseres finden könnte als jene Bestimmungen, nach denen seit den ersten Tagen der Apostelpredigt von heiligen und geistlichen Vätern Klöster gegründet wurden, die bis auf unsere Zeit Bestand haben.“ (De inst. praef. 8). Auch wenn Cassian äußerlich ins Gewand des historischen Berichterstatters schlüpft, steht und arbeitet er unter dem Diktat der Gegenwart.

In der Vorrede zu seiner Schrift „Institutiones coenobiorum“ berichtet Cassian seinem Adressaten Bischof Kastor von seinem Aufenthalt in Ägypten:

„3. In einem Gebiet ohne Klöster willst du die Lebensweise der Orientalen und besonders der Ägypter einführen. Obgleich du selbst in aller Tugend und Wissenschaft vollkommen bist und alle geistlichen Reichtümer besitzt, so daß all denen, die nach der Vollkommenheit streben, nicht nur dein Wort, sondern auch dein Leben allein vollauf als Beispiel genügt, hast du doch mich unberedten, im Ausdruck hilflosen und ungebildeten Mann aufgefordert, daß ich etliches aus der Armut meines Geistes beitrage, um deinen Wunsch zu erfüllen. Du möchtest, daß ich die Lebensweise der Klöster, die wir in Ägypten und Palästina kennenlernen konnten und wie sie uns von den Vätern übergeben wurde, in hilflosem Stil niederschreibe: Anmut des Stils suchst du ja nicht, obgleich du dich darauf vorzüglich verstehst. Du willst das einfache Leben der Heiligen in einfacher Weise für die Brüder im neuen Kloster dargelegt haben.

4. Sosehr mich nun in bestimmtem Maß dein frommes eindringliches Verlangen drängt, dir zu willfahren, so setzen mich doch die vielfältigen Beschwernisse und Schwierigkeiten in Angst, wenn ich dir gehorchen will. Erstens sind die Verdienste meines Lebens nicht so großartig, daß ich mir zutrauen dürfte, solch schwierige, verborgene und heilige Dinge im rechten Sinn zu erfassen. Zweitens können wir uns nicht mehr an all das vollständig erinnern, was wir damals zu tun versucht, gelernt und ihnen abgeschaut haben, als wir in unserer Jugendzeit unter ihnen gelebt haben und durch ihre täglichen Ermahnungen und ihr Beispiel angespornt wurden. Lange Jahre schon sind wir von ihrer Gemeinschaft und der Nachahmung ihres Lebenswandels getrennt. Das wiegt hier besonders schwer, da man das Wesen dieser Lebensart nicht durch fruchtlose Betrachtung noch durch lehrhafte Unterweisung weitergeben, lernen oder im Gedächtnis behalten kann.

5. Das Ganze besteht nämlich allein in der Erfahrung und im Leben. Nur der Erfahrene kann es weitergeben. Begriffen und erkannt werden kann es auch nur von dem, der mit gleichem Eifer und gleicher Anstrengung sich darum bemüht. Wird schließlich die Erfahrung nicht durch andauernde Unterredung mit geistlichen Männern ständig besprochen und vertieft, dann entschwindet sie wiederum rasch dem sorglosen Geist. Drittens können wir uns im besonderen nicht mehr so erinnern, wie die Sache es verdient, sondern eben nur entsprechend unserer jetzigen Verfassung; überdies kann unser ungeschickter Stil das auch nicht angemessen ausdrücken.

Es kommt noch hinzu, daß über dieses Thema große und durch ihren Stil und ihr Wissen ausgezeichnete Männer schon viele Bücher geschrieben haben. Ich verweise nur auf die hl. Basilius, Hieronymus und einige andere. Der erste hat auf Drängen der Brüder verschiedene Regeln des Mönchslebens erklärt und Fragen nicht nur geschickt beantwortet, sondern seine Ausführungen auch reich mit Zeugnissen aus den göttlichen Schriften belegt-. Der zweite hat nicht nur Schriften, die er selbst verfaßte, veröffentlicht; er hat vielmehr griechisch geschriebene ins Lateinische übersetzt.“176

In den „Collationes Patrum“, seinem zweiten Werk für Bischof Kastor177, geht es weiter um die Beschreibung des Mönchtums, jetzt aber auf höherem Niveau oder, um Cassians Bild des geistlichen Schulungsweges zu gebrauchen, es geht immer mehr von außen nach innen. Die literarische Form ist die Unterredung (Collatio) der beiden Freunde Cassian und Germanus mit einigen Berühmtheiten unter den ägyptischen Einsiedlern. Doch erinnern die Texte mehr an Lehrvorträge als an einen Dialog, denn Germanus und Cassian unterbrechen den Redefluß der Väter nur gelegentlich mit Fragen oder Einwürfen. Cassian hat dabei nicht diese Unterweisungen protokolliert, sondern, wie in der Vorrede zu den „Institutiones“ erwähnt, erst Jahrzehnte später aufgeschrieben, was er von den Vätern in Ägypten gelernt hat. So muß davon ausgegangen werden, daß die Institutiones und Collationes von Cassian selbst stammen, auch wenn sie von der Spiritualität der ägyptischen Mönche angestoßen, beeinflußt und durchdrungen sind.

Die Collationes erschienen in drei Lieferungen. Die erste umfaßte zehn Unterredungen mit berühmten Eremiten der sketischen Wüste, bei denen die Freunde während ihres zweiten Ägyptenaufenthaltes in die Schule gegangen waren.178

Cassian schildert von seiner elften Collatio an nicht mehr das Leben der Mönche in der Sketis, sondern wendet sich dem Nildelta mit den Städtchen Panephysis, Thennesus und Diolkos zu. In dieser Gegend spielte offensichtlich bereits zu seiner Zeit das Koinobion die Hauptrolle.179 Die Entscheidung für das Anachoretentum gegen das Koinobitenwesen ist in den sketischen Kreisen, denen die Apophtegmenliteratur entstammt, eindeutig.

Anders steht es mit der Auffassung, die Cassian vor allem in den Büchern XVIII und XIX seiner Collationes vorträgt. Hier werden zwar die Anachoreten neben den Koinobiten durchaus anerkannt. Es wird das Anachoretentum höher eingeschätzt, während die Sarabaitae unbedingt verworfen werden. Aber die Grundlage der ganzen Beurteilung ist doch das geregelte Koinobitenwesen. Die Anachoreten sind danach aus dem Koinobion hervorgegangen.180 Das Koinobion ist die Vorstufe des Anachoretenwesens, die nicht übersprungen werden darf. Mit Geistesangst und Kleinmut sind oft die behaftet, „welche sich mit voreiligem Verlangen in das einsame Leben begaben, ehe sie im Kloster vollkommen geschult und ihre früheren Laster ausgebrannt waren.“181

Cassian kennt noch eine vierte Klasse von Mönchen182, die nur kurze Zeit das Joch des Klosters auf sich nehmen, dann aber schnell der Arbeit müde geworden und nicht mehr Willens, sich den Weisungen der seniores zu unterwerfen, ihre Zelle verlassen und sich in die Einsamkeit begeben.183 „Diese vierte Art ist das verratene Eremitenideal.“184

Die Normalform des mönchischen Lebens ist für Cassian „das gemeinsame Leben im Kloster, die Hochform das bewährte Eremitenleben. Was in diese Formen nicht paßt, kann nur negativ bestimmt werden.“185

Im XIX. Buch der Collationes wird noch eindeutiger das Klosterwesen bevorzugt. Als Autorität erscheint ein Mönch Johannes, der Anachoret gewesen und in sein Kloster zurückgekehrt war. Er hält Cassian einen langen Vortrag, in dem die Eigentümlichkeiten und Vorzüge des Anachoretentums und des Klosters gegeneinander abgewogen werden. Dann betont er aber doch die Mängel des Anachoretentums, namentlich in seiner jüngeren Entwicklung, sehr stark - das Überhandnehmen des Besuchswesens, die dadurch entstandene Störung der Zellenruhe, die Sorge der Beschaffung der Nahrungsmittel auch für die Besucher - und begründet so den Entschluß der Rückkehr von der Zelle ins Kloster.186

W. Bousset beurteilt diese Einschätzung als unsketisch und wundert sich darüber, daß Johannes Cassian, der lange Jahre in der Sketis verbrachte, vom Geist der sketischen Mönche so wenig verstanden habe. Die hier vorgetragene Theorie sei die des Nildeltas, nicht die der Sketis.187

Nun mag W. Bousset mit dieser Einschätzung durchaus recht haben, allerdings bleibt seine offensichtliche Vorliebe für das Anachoretentum der Sketis ebenso festzuhalten wie die bereits in den Apophthegmata selbst relativ ausführlich beklagten Mißstände des gegenwärtigen Anachortentums im Unterschied zu den früheren Zeiten der Altväter188, die Cassian u.U. nur referiert.

„Cassian schrieb seine Werke für das südgallische Mönchtum mit gezielt belehrender und ordnender Absicht. Seine Schriften sind ‘littérature engagée’. Lange Seiten seiner Ausführungen sind nur von diesem Adressatenkreis her zu verstehen.“189 Cassian will die Erfahrungen der ägyptischen Mönchsväter für das südgallische, im Entstehen begriffene Mönchtum fruchtbar machen. Letzteres soll als Koinobitentum geordnet werden und „vor der Verführung durch die Einsamkeit gewarnt werden.“190

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