Читать книгу Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele - Regina Bäumer - Страница 25
I.1.F. Menschenbild der alten Mönche I.1.F.a. Auseinandersetzung mit den Gedanken, Leidenschaften und Dämonen.
ОглавлениеDas menschliche Leben ist nach Meinung der alten Mönche geprägt von einem Kampf. Der Mensch muß sich auseinandersetzen mit seinen Gedanken (logismoi), mit den Dämonen und seinen Lastern, um zu reifen und das Ziel zu erreichen. Das bedeutet aber auch, positiv gewendet, der „Mensch ist nicht einfach seinen Emotionen und Leidenschaften ausgeliefert. Er kann mit ihnen umgehen, sie klären,...“202. Dabei wird immer wieder deutlich, daß die eigentlichen Probleme des Menschen nicht intellektueller Natur sind, sondern vielmehr aus der tiefen Bedürftigkeit im Umgang mit dem eigenen Leben stammen. Hier das eigene Verlangen ernst zu nehmen, kann zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zu Gott werden. Die Gedanken, gegen die der Mensch zu kämpfen hat, sind Vorstellungen und Begriffe rationalen Inhalts, aber auch viel umfassender: bestimmte Absichten, Pläne, Intentionen, Wünsche, Einfälle, Gefühle, Motive, Stimmungen.203 Dabei geht es nicht unbedingt um ein Bekämpfen dieser Gedanken, sondern um ein Unterscheiden und um die Befreiung aus der Abhängigkeit von ihnen. Zunächst wird keine Bewertung vorgenommen, alle Gefühle und Bedürfnisse, alle Sehnsüchte und Stimmungen des Menschen sind akzeptiert und haben ein Recht zu sein, sie haben einen Sinn. Wichtig ist dabei, allem auf den Grund zu gehen und darin die Botschaft, den Hinweis für den nächsten Schritt im geistlichen Leben zu finden.204 Evagrios Pontikos schreibt in der Einleitung zu seiner „Acht-LasterLehre“:
„Ob diese Gedanken uns belästigen oder nicht, liegt nicht in unserer Macht. Ob sie aber in uns herumlungern oder nicht und damit unsere Leidenschaften entfachen, darüber haben wir Macht.“205
Hinter den schlechten, versucherischen Gedanken und Lastern vermuten die Mönche Dämonen, die zuweilen auch Gestalt annehmen können206. Johannes Cassian schreibt allerdings dazu:
„Nicht brauchen wir die Feinde von außen zu fürchten. In uns selbst ist der Feind eingeschlossen. Ein innerer Krieg wird täglich in uns geführt. Ist dieser ausgekämpft, so wird alles, was sich außerhalb findet, schwach und dem Streiter Christi vollständig unterworfen sein. Nicht werden wir den Feind von aussen zu fürchten haben, wenn alles, was in uns ist, sich besiegt dem Geiste unterwirft.”207
Für Evagrius Pontikus sind „die Gedanken“ und „die Dämonen“ praktisch dasselbe. Darum kann er in einem Atemzug von dem „Gedanken“ oder von dem „Dämon“ der Gaumenlust, der Unkeuschheit, des Geizes usw. sprechen. Es sind fast austauschbare Begriffe.208 „So wenig diese Titel einfach das gleiche meinen, so ist mit ihnen doch ein und dasselbe Gesamtphänomen zur Sprache gebracht.“209
Evagrios unterscheidet nach ihrem jeweiligen Ursprung drei Arten von „Gedanken“ (logismoi): Die einen steigen aus der menschlichen Seele auf, die anderen haben einen transzendenten Ursprung und kommen entweder von den Engeln oder sie werden von Dämonen verursacht.210
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß nicht jede Versuchung zum Bösen ein Logismos ist, sondern nur solche schlechten Impulse und Wünsche, die in ihrem rebellischen Charakter und ihrer Permanenz den Eindruck erwecken, als würden sie von außen kommen.
Diese typische Verwendung des Begriffs „logismos“ bei Evagrius im pejorativen und dämonologischen Sinn findet sich praktisch in den gesamten asketischen Schriften des Orients und des Occidents wieder.211
In den Apophthegmata finden sich diese Charakterisierungen ebenfalls:
Die Dämonen lösen Gedanken aus:
„Abbas Joseph fragte über den gleichen Gegenstand [schmutzige Gedanken], und Altvater Poimen antwortete ihm: ‘Wenn einer eine Schlange oder einen Skorpion in ein Gefäß wirft und es verschließt, dann gehen sie mit der Zeit ein. So auch die bösen Gedanken, die von den Dämonen herkommen. Sie hören bei geduldigem Ausharren auf.’ “ (Poimen 21)(Apo 595)
Gedanken und Dämonen werden synonym verwendet:
„Der Altvater Poimen erzählte über den Altvater Isidor: seine Gedanken sagten zu ihm: ‘Du bist ein großer Mensch!’ Und er sprach zu sich: ‘Bin ich etwa von der Art des Antonios? Oder bin ich vollkommen geworden wie Abbas Pambo? Oder wie die übrigen Väter, die das Wohlgefallen Gottes hatten?’ Sooft er sich das vorführte, hatte er Ruhe. Wenn aber die Feindschaft (der Dämonen) ihn mit Kleinmut erfüllen wollte, daß er nach all dem doch in die Strafe eingehen werde, sagte er zu ihnen: ‘Auch wenn ich in die Strafe geworfen werde, werde ich euch doch noch unter mir finden.’ “
(Isidor 6)(Apo 362)
Die Willensneigungen und damit letztlich auch die aufsteigenden Gedanken in Form des Willens werden als Dämonen identifiziert:
„Abraham, der Schüler des Altvaters Agathon, fragte den Altvater Poimen: ‘Wie können mich die Dämonen anfechten?’ Abbas Poimen sprach: ‘Dich bekriegen die Dämonen? Sie kämpfen nicht mit uns, solange wir unseren Willen tun. Denn unsere Willensneigungen212 sind die Dämonen, und sie sind es, die uns bedrängen, unseren Willen zu tun. Wenn du aber sehen willst, mit wem die Dämonen kämpfen: Mit Moses213 und seinesgleichen!“ (Poimen 67)(Apo 641)
Grundsätzlich definiert Abbas Poimen:
„Alles Übermaß ist von den Dämonen.“ (Poimen 129)(Apo 703)
Bezüglich der Leidenschaften heißt es:
„Abbas Pityrion, der Schüler des Abbas Antonios, sprach: ‘Wer die Dämonen austreiben will, muß zuerst die Leidenschaften unterwerfen. Welche Leidenschaft einer auch überwindet, deren Dämon treibt er damit aus. Ein Dämon begleitet den Zorn. Wenn du nun über den Zorn Herr wirst, dann ist damit auch sein Dämon vertrieben. Und ähnlich steht es mit jeder Leidenschaft.“ (Pityrion)(Apo 780)
Die Auseinandersetzung mit den Leidenschaften bewahrt den Mönch vor falscher Ruhe:
„Altvater Poimen erzählte über den Altvater Johannes Kolobos: Er rief Gott an, und die Leidenschaften wurden von ihm genommen, und er war ohne Sorgen. Er ging fort und sagte zu einem Greis: ‘Ich stellte fest, daß ich in Ruhe bin und keine Anfechtung mehr habe.’ Der Greis sprach zu ihm: ‘Geh und rufe Gott an, daß ein Feind gegen dich aufsteht, und so auch die alte Zerknirschung und Demut, die du früher hattest (wieder zurückkehrt!). Denn gerade durch die Anfechtung macht die Seele Fortschritte.’ Er bat also, und als der Feind kam, betete er nicht mehr, daß er von ihm befreit werde, sondern sagte: ‘Gib mir Geduld, Herr, in den Kämpfen!“ (Johannes Kolobos 13)(Apo 328)
Immer wieder wird das Ausharren, das Im-Kellion-Bleiben eingeschärft, auch negativ im Hinblick auf die Dämonen:
„Abbas Paulos der Große, ein Galater, sprach: ‘Der Mönch, der kleine Bedürfnisse in seinem Kellion hat und ausgeht, um sie zu besorgen, wird von den Dämonen genarrt - das habe ich selber erfahren müssen.“ (Paulos der Große 1)(Apo 794)
Der Befund dieses Durchgangs deckt sich mit der oben zitierten Beobachtung H. Bachts bezüglich der „Gedanken“ bei Evagrius Pontikus.
Es besteht eine große begriffliche Nähe, z.T. Übereinstimmung zwischen Gedanken bzw. Logismoi, Leidenschaften, Wille, Bedürfnissen und den Dämonen, wobei tendentiell festzuhalten ist, daß die Dämonen den Anteil der Erfahrung bezeichnen, in der die Versuchung als von außen kommend erlebt wird. Auch A.K. WuchererHuldenfeld betont vom Begriff der Leidenschaft her eher den Aspekt des Übermächtigtwerdens: „Wird die Dämonologie des Evagrios vom Phänomen, daß Leidenschaften einen überkommen und ganz und gar ‘gefangen’ nehmen, her verstanden, so liegt in ihr ein Schlüssel zur Achtlasterlehre und sie hat wenigstens primär nichts mit ‘orientalischem Geisterglauben’ zu tun.“214
In den Geschichten kommt eine gewisse Hilflosigkeit derer zum Ausdruck, die von Dämonen gequält werden. Sie holen sich Rat, d.h. es gibt einen gewissen Leidensdruck, der sie aufbrechen läßt.215 Durch die Dämonen entstehen Unsicherheiten, Verwirrungen, denn sie können sich hinter moralisch guten Ratschlägen verbergen:
„Jemand sagte zum Altvater Arsenios: ‘Meine Gedanken quälen mich, indem sie mir sagen: Du kannst nicht fasten und auch nicht arbeiten, so besuche wenigstens die Kranken; denn auch das ist Liebe.’ Der Greis aber, der den Samen der Dämonen kannte, sagte zu ihm: ‘Geh und iß, trinke, schlafe und arbeite nicht, nur verlaß dein Kellion nicht!“ Er wußte nämlich, daß das Ausharren im Kellion den Mönch in seine rechte Ordnung bringt.“ (Arsenios 11)(Apo 49)
Der Teufel (Herr der Dämonen) kann als Engel erscheinen:
„Einst erschien der Teufel einem Bruder, verwandelt in einen Engel des Lichtes und sprach zu ihm: ‘Ich bin der Engel Gabriel und zu dir gesandt!’ Jener aber entgegnete: ‘Siehe, ob du nicht zu einem anderen geschickt wurdest; denn ich bin nicht würdig, daß ein Engel zu mir geschickt würde.’ Sofort verschwand der Teufel.“ (V, 15, 68)(Apo 1074)
„Die Altväter sagten: Wenn dir auch in Wahrheit ein Engel erschiene, nimm ihn nicht leicht auf; sondern verdemütige dich und sage: Ich bin nicht würdig, einen Engel zu schauen, weil ich in Sünden lebe.“ (V, 15, 69)(Apo 1075)
Sogar die Gestalt Jesu Christi kann der Teufel annehmen:
„Man erzählte von einem anderen, daß er in seinem Kellion saß und Versuchungen ertrug, da sah er die Dämonen offensichtlich, aber er verachtete sie. Als aber der Teufel sich von dem Greise besiegt sah, kam er selbst, zeigte sich ihm und sprach: ‘Ich bin Christus! Warum hast du deine Augen verschlossen?’ Der Greis antwortete: ‘Ich will hier Christus nicht schauen, sondern in jenem Leben erst.’ Als der Teufel dies hörte, verschwand er.“ (V, 15, 70)(Apo 1076)
Die Dämonen kommen im Gewand von Alltäglichkeiten und Kleinigkeiten216 oder in der Versuchung zum auch scheinbar frommen Übermaß217. Sogar die Aufforderung zum Beten kann von den Dämonen verursacht sein:
„Ein Bruder saß ruhig in seinem Kellion, da wollten ihn die Dämonen in Gestalt von Engeln verführen, indem sie ihn zum Gebet aufweckten und ihm leuchteten. Jener aber begab sich zu einem Altvater und sagte zu ihm: Vater, Engel kamen zu mir und leuchteten mir zum Gebet. Der Greis sagte zu ihm: Höre nicht auf sie, denn es sind Dämonen. Wenn sie wieder kommen, dich zum Gebet aufzuwecken, dann sprich: Ich stehe auf, wann ich will, auf euch aber höre ich nicht. Nachdem er die Weisung des Alten empfangen hatte, kehrte er in sein Kellion zurück. In der folgenden Nacht aber kamen nach ihrer Gewohnheit die Dämonen und weckten ihn auf. jener aber antwortete ihnen, wie ihn der Greis geheißen hatte, und sagte: Ich stehe auf, wann ich will, und auf euch höre ich nicht! Darauf sagten diese: Gewiß hat dich jener alte Bösewicht angeleitet, dieser Falsche, zu dem ein Bruder kam, um von ihm Geld zu entleihen, er aber, obwohl er es hatte, leugnete ihm gegenüber und sagte, er habe nichts, und gab ihm auch nichts. Am Morgen stand der Bruder auf, begab sich zu dem Greis und meldete ihm dies. Dieser antwortete: Wirklich, ich hatte Geld, und es ist auch wahr, daß jener Bruder kam, um zu entleihen, aber ich wußte, daß ich seine Seele verdorben hätte, wenn ich ihm geliehen hätte. Ich dachte also, es sei besser, ein Gebot zu umgehen, als zehn zu übertreten. Wir wären alle in Verwirrung geraten, wenn ich ihm das Geld gegeben hätte. Du aber höre nicht auf die Dämonen, wenn sie dich verführen wollen. Von diesen Worten des Greises gestärkt, ging er wieder in sein Kellion.“ (V, 10, 93)(Apo 1109)
Die Väter raten, eher mißtrauisch gegenüber Einflüsterungen, Gesichten und Wünschen zu sein, auch und vielleicht gerade, wenn sie im frommen Gewand erscheinen. Im Sinne der Unterscheidung ist immer wieder nach der Herkunft der Antriebe, nach dem dahinterliegenden tieferen Antrieb zu fragen. Dies kann den Mönch verwirren, gerade wenn er noch am Anfang des Weges steht. Umso wichtiger, so betonen die Geschichten, ist eine Führung durch den erfahreneren Altvater, um den Trugbildern auf die Spur zu kommen. Dies mag einerseits zu Unsicherheiten des Mönches führen, andererseits sind diese aber ein Zeichen dafür, daß der Mönch den Kampf mit den Dämonen aufgenommen hat und sich nicht länger ihren Einflüsterungen fügt.218
Es bleibt weiterhin bedeutsam, was oben zum theologischen Verständnis des Dämonenkampfes und zum Weltbild der Mönche gesagt wurde, doch schält sich aufgrund der genauen Lektüre heraus, daß das Schlachtfeld des Dämonenkampfes die Psyche des Menschen ist. „Das Dämonische stand nicht nur für alles, was feindlich gegen den Menschen war; die Dämonen faßten alles zusammen, was im Menschen selbst anomal und unvollkommen war.“219 Ein Beleg und gleichzeitig eine Quelle für diese anthropologische Sicht ist Origenes, der die Seele als Schauplatz des spirituellen Kampfes beschreibt. In diesem Kampf ist die Seele frei. Gott legt in den Menschen die Fähigkeit und Kraft zu einem tugendhaften Leben, zwingt ihm aber niemals eine Entscheidung dafür auf.220
B. Miller formuliert in seiner Anmerkung zu Apo 12: „So gesehen bedeutet in unserer Literatur [Apophthegmata] Kampf gegen die Dämonen nichts anderes als Kampf gegen das Ich und seine verkehrten Neigungen...“221. Daß dies nicht eine einfache Psychologisierung ist, sondern theologische Dimensionen hat, macht W. Nyssen in seiner Einleitung zur deutschen Ausgabe der Apophthegmata deutlich. Die Wüstenväter lehrten: „Nachfolge ist Freiwerden von allen Vorspiegelungen des eigenen Ich, aber das kann nur durch den Vollzug, durch tägliche Einübung begriffen werden. Nachfolge wird durch Vollzug zum Ausloten einer neuen Tiefe des Menschseins, die vor allem im kernhaften Spruchwort des Mönches, dem Ausdruck seiner innersten Erfahrung, zu erahnen ist. ... Nachfolge ist stellvertretender Dienst an der Bereitung der Welt zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde, ja sogar das gestalthafte Herbeirufen der Wende; Nachfolge schenkt ein neues Erfahren der Erde, ihrer kreaturhaften Seligkeit, ..., ihrer Steigerung durch jene Form der Offenheit, die aus dem wachen Bewußtsein um alle verborgene Dämonie des verblendeten Menschen gewonnen wird.“222
Ähnlich P. Brown: „Das Dämonische zu begreifen und von sich zu weisen, war ein Akt des Selbstexorzismus, analog zu der durch den Exorzismus der Taufe erreichten ‘Einfältigkeit’. Er schloß Grenzen im Ich, die irritierend weit offen standen. Daher haben, trotz all der vielen Schilderungen über Konfrontationen von Asketen mit dem Dämonischen, nur wenige spirituelle Traditionen mit so wütendem Nachdruck auf Selbst-Bewußtheit insistiert. Selbst-Bewußtheit und Dämonen-Bewußtheit ergänzen einander.“223