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Berlin, August 1941: Ein Treffen und ein Versprechen

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In dieser persönlich äußerst schwierigen Situation erreichte Loki Glaser Anfang des Jahres 1941 ein Brief des früheren Klassenkameraden und Freundes Helmut Schmidt. Da er nicht wusste, wo sich Loki inzwischen aufhielt, hatte er den Brief an ihre Eltern adressiert, welche ihn wiederum an die Tochter im fränkischen Hutschdorf weitergeleitet hatten.

Der Brief von Helmut kam also völlig unerwartet, aufgrund ihrer isolierten Lage in der KLV bereitete er ihr aber eine umso größere Freude. Sehr schnell habe sie ihm geantwortet und über ihre Situation in der KLV berichtet, und so habe sich bald ein regelmäßiger Briefwechsel entwickelt, in dem sich die »alte Vertrautheit« zwischen ihnen wieder entwickeln konnte. Leider sind diese Briefe im Feuersturm vom Juli 1943 verbrannt.

Die schriftliche Wiederannäherung der beiden nimmt rasch Tempo auf. Beide sind weit von Hamburg und der vertrauten Umgebung entfernt, beide leben in Umständen, die durch die Kriegszeiten geprägt sind, und beide wissen nicht genau, wie es mit ihnen weitergehen wird. Auf ihren Vorschlag hin verabreden sie sich für Lokis Sommerferien in Berlin. Helmut Schmidt beweist Courage, mietet im Vorwege ein gemeinsames Zimmer in einer Pension an und gibt dafür Loki als seine Frau aus. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, am 24. August geht sein Transport zum Einsatz an die Ostfront. Hitler hat am 22. Juni 1941 der Sowjetunion den Krieg erklärt, und obwohl Helmut Schmidt nach eigenen Angaben schon damals überzeugt war, dass dieser Krieg für Hitlers Wehrmacht nicht zu gewinnen ist, meldet er sich freiwillig zum Einsatz.

Den beiden bleiben also nur wenige Tage, an denen sie zueinanderfinden und glückliche Stunden verleben können – am Ende geben sie sich sogar ein Eheversprechen. Für ihn sind diese Tage mit Loki in Berlin die »bis dahin glücklichste Zeit« seines Lebens.[67]

Dennoch, sich nach einer so kurzen Zeit des Zusammenseins und der Annäherung bereits für eine Heirat zu verabreden, ist wohl ganz wesentlich nur mit der existenziellen Bedrohung durch den bevorstehenden Kriegseinsatz zu erklären. Die Gewissheit, dass zu Hause jemand auf einen wartet, dass es lohnt, unversehrt zurückzukehren und sich mit diesem Menschen eine gemeinsame, bessere Zukunft aufzubauen, davon hatte Helmut Schmidt sich offenbar eine stärkende innere Kraft versprochen. Im Übrigen war dies ein Wunsch, den auch viele andere junge Menschen in diesen Kriegsjahren hegten.

Auch in Loki Schmidts Erinnerungen stehen die Zeitumstände als Erklärung für das damalige Eheversprechen im Vordergrund: »Wir malten uns aus, wie die Welt wohl nach dem Krieg aussehen würde: schrecklich auf jeden Fall, ganz gleich, wie der Krieg ausgehen würde. Irgendwann bei diesen Gesprächen, die sich mit der Zeit nach dem Krieg beschäftigten, wurde uns jedoch klar, dass unser Leben auch in der Gegenwart wichtig sei, da wir am Ende des Krieges möglicherweise verbrauchte Menschen sein würden. Und da beschlossen wir eines Abends auf einer Bank in der Nähe des U-Bahnhofes Nollendorfplatz, dass wir, wenn Helmut gesund aus Russland zurückkäme, heiraten wollten.«[68]

Als Loki ihn am 24. August zur Bahn brachte, war sie nicht allein. Sie teilte die Sorge um die gesunde Rückkehr des Mannes mit den vielen anderen Frauen am Bahnsteig. Er hatte von ihr einen Ring erhalten, der für ihn ein wichtiges äußeres Zeichen ihrer inneren Verbundenheit wurde. Auch ihre verliebte Verabredung, beim Blick zum Sternenhimmel an den anderen zu denken, war ihm eine Hilfe in vielen angstvollen Nächten des Kriegsgeschehens.

Für Loki war Helmuts Entschluss, freiwillig an die Front zu fahren, schwer zu verstehen. Aus heutiger Sicht dürfte er gänzlich unverständlich sein. Die eigene »Tapferkeit vor dem Feind«, wie es damals hieß, unter Beweis zu stellen, galt allerdings für viele als Tugend und hohes Gut. Schon 1940 hatte sich Schmidt vergeblich um einen Fronteinsatz bemüht. Eigentlich hatte es in seiner Sozialisation genügend Ansatzpunkte gegeben, dass er eine solche Haltung nicht zwangsläufig hätte entwickeln müssen. Die Lichtwarkschule hatte ihm vielerlei Gelegenheit geboten, Geschichte und Politik kritisch zu betrachten. Bei einem Schüleraustausch nach England 1932 hatte er alte deutsche Feindbilder mit seinen positiven Erfahrungen vor Ort abgleichen können, und im Literaturkreis von Erna Stahl hatte er Antikriegsliteratur wie Remarques Im Westen nichts Neues kennengelernt. Aber all das war offenbar gegenüber den Wehrmachtsidealen nicht wirksam genug. Das Leitbild in der Wehrmacht war der kämpfende Soldat an der Front, dagegen wurden Kameraden, die hinter der Front – in der Etappe – ihren Dienst taten, etwas verächtlich »Etappenhengste« genannt. Diese Sicht war auch in der zivilen Gesellschaft weit verbreitet. Zu den »Etappenhengsten« aber wollte Helmut Schmidt ganz offenbar nicht gehören.

Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar

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