Читать книгу Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar - Reiner Lehberger - Страница 18
Das Paar in Bernau
ОглавлениеAls Loki Schmidt endlich in Berlin ankam, wurde schnell deutlich, dass es keinen Weg zurück ins zerstörte Hamburg für sie geben konnte. Einige Wochen wohnten die beiden im Haus von Verwandten in der Siedlung »Freie Scholle« im Berliner Stadtteil Tegel. Als die Dienststelle von Schmidt nach Bernau verlegt wurde, folgte Loki ihm dorthin. Inzwischen wusste sie, dass alle Schulen im Stadtgebiet der Hansestadt geschlossen waren, und eine andere Beschäftigung für sie offenbar nicht infrage kam. Ein Offizierskamerad überließ ihnen in Bernau ein Zimmer in seiner ehelichen Wohnung: Es war mit etwa sechs Quadratmetern die kleinste Unterkunft, die sie in ihrer langen Ehe jemals bewohnten.
Wenig später fanden die beiden auf dem Berliner Stadtgut Schmetzdorf Unterkunft in einem für Saisonarbeiter aus Polen errichteten Seitengebäude. Es war eine recht einfache, aber geräumige Wohnstatt, Wasser gab es an einer Pumpe draußen im Hof. Sie hatten eine eigene Küche, ein Schlaf- und Wohnzimmer. Nach den Wochen in der Wohnung des Offizierskameraden war das eine erhebliche Verbesserung. Das Gut Schmetzdorf gibt es heute noch, und auch das »Schnitterhaus«, wie die Schmidts das Haus für die Landarbeiter nannten, findet man noch. Es ist saniert und modernisiert, einfach wirkt es jedoch immer noch.
Gemessen an anderen Kriegsehen, in denen die Männer oft für Jahre an der Front blieben, getrennt von ihren Frauen und Familien, hatten es die Schmidts hier besser. Sie lebten an seinem Standort zusammen, konnten oft sogar die Nächte gemeinsam verbringen und bekamen in Bernau wenig von den direkten Auswirkungen des Krieges mit. Bei dem befreundeten Standortarzt Dr. Arnold und dessen Frau gab es gelegentliche Hauskonzerte, im Offizierskasino gesellige Zusammenkünfte, Lästereien über die »Braunen« eingeschlossen. Loki hielt auch privaten Kontakt zu einigen Ehefrauen der Offizierskameraden ihres Mannes. Einmal kamen sogar die Eltern von Helmut Schmidt nach Schmetzdorf zu Besuch und erstanden im nahen Berlin mit ihren Marken Wäsche und Bettzeug, alles Dinge, die sie bei der Totalzerstörung ihrer Wohnung im Juli 1943 verloren hatten und die es in Hamburg nicht mehr zu kaufen gab. Im Rückblick erlebte das junge Ehepaar trotz des Krieges durchaus kleine Freuden in Bernau, daran klammerten sie sich.
Dennoch wuchs die Sorge, dass das Kriegsgeschehen auch sie erreichen werde. Mit der Vernichtung der 6. Armee in der Schlacht bei Stalingrad zu Beginn des Jahres 1943 wurde die Niederlage der deutschen Wehrmacht an der Ostfront eingeleitet, und folgt man dem, was die Schmidts berichteten, war wohl den meisten Offizieren in Bernau klar, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Umso unverständlicher war es für Loki, dass ihr Mann immer wieder seinen Wunsch nach einem Fronteinsatz bekundete. Diese Festigkeit des Pflichtgefühls, gepaart mit der Überzeugung, dass ein Soldat sich selbst zu diesem Zeitpunkt noch an der Front zu beweisen hätte, blieb Loki Schmidt zutiefst fremd und bereitete ihr Sorge.
Immer wenn ihr Mann aus dienstlichen Gründen unterwegs war, fühlte sie sich im abgeschiedenen Schmetzdorf isoliert, ein Gefühl, dass man beim Besuch des Landstriches auch heute noch nachvollziehen kann. Bei seinen Dienstreisen ging es, wie schon erwähnt, um eine bessere Ausbildung an leichten Flakwaffen und eine Optimierung des Einsatzes. Immer wieder wird er zu Schießplätzen abkommandiert, fährt zu Schulungen und Vorträgen im gesamten Deutschen Reich, sogar zu Standorten in den besetzten Gebieten Belgiens, Frankreichs, Dänemarks und der Slowakei. Mehrfach war er in Paris, erkundete die Stadt und ihre Architektur, dachte aber auch an seine Frau und machte Besorgungen für sie. Die Damen am Place Pigalle oder im Casino de Paris scheinen ihn nicht sehr beeindruckt zu haben. »Viel Fleisch« ist das Einzige, was er davon in seinem Taschenkalender festhält.[79]
Bei den vielen Dienstreisen und den damit verbundenen längeren Abwesenheiten ihres Mannes traf es sich gut, dass Loki Schmidt im Herbst 1943 in Bernau noch einmal als Lehrerin arbeiten konnte. Da sie weiter ihr Gehalt per Postanweisung aus Hamburg erhielt, hatte der zuständige Hamburger Schulrat ihr geraten, vor Ort tätig zu werden. So unterrichtete sie im Schuljahr 1943/44 an der Stadtschule für Mädchen in Bernau. Richtig glücklich machte sie das nicht, die strenge Pädagogik der Kollegen war ihr fremd, ihre eigene, auf das Kind gerichtete Art zu unterrichten, fand dort wenig Akzeptanz.