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1. Die frühen Jahre: Schülerfreundschaft an der Lichtwarkschule Erste Begegnung

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Die Lichtwarkschule hatte für die Schmidts eine große Bedeutung. Hier erhielten sie eine tragfähige Bildungsgrundlage für ihr Leben, und – für das Paar besonders wichtig – an dieser Schule lernten sich die beiden kennen. Das Datum ihrer gemeinsamen Einschulung ist Ostern 1929, genauer: Mittwoch, der 3. April. Der Unterricht war nach den Osterferien in diesem Schuljahr am 2. April wieder aufgenommen worden, einen Tag später versammelten sich die neuen Sextaner der Lichtwarkschule zu einer kleinen Aufnahmefeier in dem am Rande des Stadtparks gelegenen, prachtvollen Schulgebäude in Hamburg-Winterhude.

Zu den etwa sechzig sicher aufgeregten und erwartungsfrohen Schülerinnen und Schüler der neuen 5. Klassen gehörten auch die gerade zehn Jahre alt gewordene Hannelore Glaser und der nur zehn Wochen ältere Helmut Schmidt. Ihre Grundschulzeit hatten die beiden in pädagogisch sehr unterschiedlich ausgeprägten Hamburger Schulen absolviert. Sie in einer koedukativ geführten Reformschule in der Burgstraße im Stadtteil Hamm, er in einer autoritär geführten, der alten Pädagogik verpflichteten reinen Knabenschule in der Wallstraße in St. Georg. Den Tag der Aufnahme der beiden in die damals bereits weit über Hamburg hinaus bekannte Lichtwarkschule können wir als Tag einer ersten Begegnung des späteren Paares Loki und Helmut Schmidt werten.

Ob sie sich bei dieser Gelegenheit schon bewusst wahrgenommen haben, konnten die beiden später nicht mehr sagen, die Aufnahmezeremonie hingegen ist beiden in lebhafter Erinnerung geblieben.[4] Die Lehrerschaft der Lichtwarkschule hatte sich für die Einteilung der Schüler in die zwei neuen Klassen ein sogar für die damaligen Reformschulen bemerkenswertes Verfahren ausgedacht. Nicht die Schule wollte die Aufteilung auf die zwei Klassen vornehmen, die Schüler selbst sollten sich für den zukünftigen Klassenlehrer entscheiden. In der riesigen Aula hatten die Neuankömmlinge nun die Wahl zwischen der etwa vierzigjährigen Studienrätin Ida Eberhardt und ihrem fünf Jahre jüngerem Kollegen, dem Studienrat Dr. Hans Liebeschütz. Falls die Wahl der Schülerinnen und Schüler zu ungleich ausgehen würde, müsse man gegebenenfalls nachkorrigieren, ließ der Schulleiter Heinrich Landahl wissen.

Natürlich waren die Kinder mit dieser Wahl eigentlich überfordert. Helmut, so erklärte er sich später die eigene Entscheidung, wollte nach vier Jahren Grundschulzeit bei einem autoritären Klassenlehrer wohl einmal nicht einen so strengen Lehrer haben. Loki machte eher äußerliche Gründe geltend. Jung und sympathisch habe sie Frau Eberhardt gefunden, und vor allem habe sie ein Reformkleid getragen, so wie sie es von ihrer Mutter kannte – ein etwas weiter geschnittenes Kleid also, das den Körper nicht einzwängte und Bewegungsfreiheit gewährte.

Bei Hans Liebeschütz hätten sich vor allem die jüdischen Schülerinnen und Schüler eingefunden, so rekonstruierten später die Schmidts. Vielleicht wussten Schüler und Eltern, dass Hans Liebeschütz mosaischen Glaubens war. Bekannt ist, dass die Lichtwarkschule bei jüdischen Eltern beliebt war, da sie aufgrund der demokratischen Ausrichtung der Schule davon ausgehen konnten, dass es zu keinen Anfeindungen oder gar Benachteiligungen ihrer Kinder kommen würde. Nach der Erinnerung der Schmidts hatten sie aber damals gar nicht gewusst, wer jüdisch oder wer christlich war. Religion wurde an der Lichtwarkschule nicht konfessionell getrennt unterrichtet, sondern bildete mit Deutsch und Geschichte das im Curriculum neue Fach der »Kulturkunde«. Nach 1933 sollte das anders werden.

Für die damals von allen nur »Loki« genannte Schülerin Hannelore Glaser und ihren Mitschüler Helmut Schmidt wirkten bereits Größe und Ausstattung der Aula ihrer neuen Schule beeindruckend. In ihren Grundschulen hatte es keine eigene Aula gegeben, das war allein den höheren Schulen vorbehalten. Vor allem beeindruckte die beiden Kinder das einzigartige Orgelprospekt, welches die Aula dominierte. Da beide ein Musikinstrument spielten – Loki Geige und Helmut Klavier –, hatten sie ein Auge für die künstlerische Gestaltung und die erstaunlichen Ausmaße dieser von Hans Henny Jahnn entworfenen Orgel. Welch nachhaltigen Eindruck diese bedeutendste von Jahnns Orgeln auf die Schmidts hatte, lässt sich an ihrem Engagement ablesen, als Mitte der achtziger Jahre eine grundlegende Restaurierung der schon seit langem nicht mehr bespielbaren Orgel anstand. Das Paar machte sich für die Gründung eines Orgelvereins stark und half bei der Beschaffung der nötigen finanziellen Mittel.[5]

Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar

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