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Eine Hochzeit in drei Akten

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Der erste Kampfeinsatz Helmut Schmidts dauerte etwa fünf Monate. Im Januar 1942 kehrte er von der Front zurück und musste wegen einer schweren Rheumaerkrankung, die er sich bei seinem Fronteinsatz zugezogen hatte, in ein Lazarett auf dem Venusberg bei Bonn. Als er nach seiner Genesung bei Lokis Eltern der Form halber um deren Hand anhielt, waren Hermann und Gertrud Glaser natürlich längst eingeweiht. Die bemerkenswerte Antwort des Brautvaters haben die beiden nicht vergessen: »Du kennst sie lange genug. Komm hinterher nicht und beklage dich«, hatte Hermann Glaser dem künftigen Schwiegersohn mitgegeben.[69] Bei allen Schwierigkeiten, die das Paar in den langen weiteren gemeinsamen Jahren durchzustehen hatte, Lokis starke Persönlichkeit, ihr Wille, Verantwortung zu übernehmen und Dinge selbst zu gestalten, das alles waren nie Gründe für Beziehungsprobleme, im Gegenteil. Helmut Schmidt hat diese Charakterstärken seiner Frau immer besonders geschätzt.

Ihr Selbstbewusstsein konnte Loki dann auch gleich gegenüber den Einwänden des Schwiegervaters zur geplanten Heirat unter Beweis stellen. Gustav Schmidt, der aus eigener Erfahrung wusste, wie schwer es war, sich hochzuarbeiten und eine Familie zu gründen, hielt den beiden vor, dass sie für eine Heirat viel zu jung seien und dass sein Sohn ohne einen Beruf in Friedenszeiten keine Familie ernähren könne. Sie habe aber als Lehrerin einen anerkannten Beruf, war Lokis Entgegnung, und eine Familie könne sie, wenn es denn nötig werden sollte, zunächst auch allein unterhalten.

Eine gemeinsame Wohnstatt hatte das Paar bereits gefunden. Im Frühjahr 1942 war Loki aus der elterlichen Wohnung ausgezogen und hatte ein Zimmer in der Wandsbeker Chaussee angemietet. Mit etwa zwölf Quadratmetern war es nicht gerade geräumig, aber es bot den beiden die Gelegenheit, allein für sich zu sein. Wann immer Helmut am Wochenende nach Hamburg kam, wohnten sie hier zusammen. Da dieses Zimmer nach der Hochzeit ihre erste Ehewohnung war, konnte Loki Schmidt es später detailliert beschreiben: »Außer einem Bett und einem Kleiderschrank fanden dort noch ein kleiner quadratischer Tisch und zwei Sessel Platz, die mein Vater getischlert hatte und die ich mit Bezügen aus altem bunten Stoff versah; daneben passte gerade noch eine alte Mahagonikommode, bei der mein Vater aus den beiden oberen Schubladen mit Hilfe einer Sperrholzplatte einen Schreibschrank zum Arbeiten für mich gemacht hatte. Außerdem gehörte zu dem Zimmer ein schmaler, langer Raum; unter dem kleinen Dachfenster befand sich das Klo, am Eingang ein kleines Waschbecken, daneben – auf einem Schränkchen – ein zweiflammiger Gasherd, auf dem ich kochte. Eine etwas ungewöhnliche Mischung.«[70]

Später übernahmen sie in der Gluckstraße im Stadtteil Barmbek eine komplette Etagenwohnung. Deren Besitzer waren aus Hamburg weggezogen und hatten ihnen die Wohnung überlassen. Auch in dieser zweiten Wohnung gab es wenige Möbel, aber sie war mit zwei ineinandergehenden Wohnzimmern, einem großen Schlafzimmer, Küche und Bad riesengroß. Loki kaufte zwar von ihrem Ersparten einige Möbelstücke hinzu, eine Freundin erinnerte sich jedoch vor allem an das Provisorische: »Ihre Einrichtung bestand aus Kisten und Kasten, Decken und Kissen und alten Teppichläufern. Loki wusste aus allem etwas zu machen. Geschirrteile hatten sie von überall her geschenkt bekommen.«[71] Wenn Helmut Schmidt auf Heimaturlaub war, empfingen sie häufig Freunde zu Besuch – so viel Platz wie die Schmidts hatte keiner. Er selbst notiert am Ende des Jahres in Bezug auf die häusliche Situation: »Ich bin stolz auf die tüchtige Hausfrau Loki. […] Auch meine Verwandten schließen Loki ins Herz. Wir waren uns des Wagnisses einer Ehe bewußt – und sind beglückt, sicher zu sein, daß nun alles gut laufen wird.«[72]

Pfingsten 1942 feierte das Paar auf Wunsch seiner Eltern Verlobung. Da viele Gäste zugesagt hatten, versammelte man sich auf dem Gartengrundstück von Lokis Eltern in Hamburg-Neugraben. Für die Bewirtung hatten alle ihre Lebensmittelkarten zusammengelegt, es wurde musiziert und getanzt, und da aus beiden Familien fast alle gekommen waren, wurde es »das letzte halbwegs vergnügte Familienfest der Großfamilie«.[73]

Ihre Hochzeit begingen die beiden in drei Teilen. Standesamtlich heirateten sie in Hamburg am Samstag, den 27. Juni 1942, die eigentliche Feier fand am Sonntag in der Wohnung der Familie Schmidt in der Schellingstraße statt. Ähnlich wie früher, als man die Geburtstagsfeiern der beiden Söhne zusammengelegt hatte, wurde die Hochzeitsfeier von Helmut und Loki mit der Verlobung des jüngeren Sohns Wolfgang und seiner späteren Frau Gesa Teltau zusammen gefeiert. Auch diese waren ja ehemalige Lichtwarkschüler und gehörten damit ebenfalls zu den insgesamt über sechzig Ehepaaren, die aus gerade einmal fünf koedukativen Jahrgängen der Lichtwarkschule hervorgegangen waren.

Die dritte Sequenz der Schmidt-Hochzeit bildete die kirchliche Trauung in der Feldsteinkirche der evangelischen Gemeinde zu Hambergen am Mittwoch, den 1. Juli 1942. Dieser nicht unerhebliche organisatorische Aufwand hatte einen triftigen Grund: Lokis Eltern waren erklärte Atheisten, gehörten also keiner Kirche an und hatten ihre Kinder auch nicht taufen lassen. Daher wollten Loki und Helmut, die sich beide eine kirchliche Trauung wünschten, die Glasers nicht unnötig in einen Konflikt bringen und hatten sich zu einer Trauung gänzlich ohne die jeweiligen Eltern im fernen Hambergen entschlossen. In diesem kleinen Ort, etwa 25 Kilometer Luftlinie nördlich von Bremen, in dem Loki ihr Landschulpraktikum absolviert hatte, kannte sie den damaligen Ortspfarrer der St.-Cosmae-und-Damiani-Gemeinde, Rudolf Flügge. Er hatte Loki gleich seine Bereitschaft für die Trauung erklärt und sie auch selbst vollzogen. Gemäß Kirchengesetz musste Loki allerdings vor der Trauung noch getauft werden und dafür einen vorbereitenden Taufkurs durchlaufen. Dies geschah bei Pastor Richard Remé, dem Vater eines gemeinsamen Schulfreundes, in Hamburg. Ihre weltanschaulichen Grundüberzeugungen änderten sich dadurch allerdings nicht: »Ihr Pastor glaubte an die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament – Loki hingegen war von Charles Darwin überzeugt«, fasste Helmut Schmidt nüchtern das Ergebnis dieses Taufkurses zusammen.[74] Zu ihrer Hochzeitskirche und der Gemeinde in Hambergen hielten die Schmidts auch nach dem Krieg den Kontakt; zweimal kamen sie hierher zurück, und bei einer anstehenden Renovierung halfen sie mit zwei großzügigen Geldspenden.

Dass Helmut, der wie alle anderen Familienmitglieder der Schmidts getauft, konfirmiert und Mitglied der evangelischen Kirche war, Loki zu einer kirchlichen Trauung gedrängt hat, ist wenig wahrscheinlich. Auch er stand dem christlichen Glauben eher skeptisch gegenüber, eine Haltung, die er bis zu seinem Lebensende nicht mehr geändert hat. Vielmehr beschrieb das Paar in der Rückschau die kirchliche Trauung als einen gemeinsamen Entschluss, den sie mit der »moralischen Kraft der Kirche« und ihrer Hoffnung auf deren zukünftige Rolle beim Aufbau einer neuen, demokratischen Gesellschaft begründeten. Es war, so gesehen, auch ein »gewisser Protest gegen die Zeit«, »gegen die Tatsache, dass die Kirche inzwischen von den Nazis ja sehr angefeindet wurde«, wie es Loki Schmidt formulierte.[75] Als eine politisch motivierte Provokation gegen das Naziregime war die kirchliche Trauung der Schmidts aber gewiss nicht geplant.

Für die standesamtliche Feier wählte Loki ein Kostüm, bei der kirchlichen Trauung trug sie ein weißes Kleid. Beide Kleidungsstücke hatte sie selbst entworfen und genäht. In diesem dritten Kriegsjahr war weißer Stoff jedoch knapp und teuer, für einen weißen Schleier reichte es nicht mehr; also heiratete sie mit einem rosafarbenen Schleier und trug dazu einen selbst gebundenen Myrtenkranz.

Helmut Schmidt erschien zu beiden Trauungsfeiern in Uniform, genau gesagt, in seiner Ausgehuniform mit blauer Feldbluse, weißem Hemd und Binder, dazu das für den Fronteinsatz im Januar 1942 verliehene Eiserne Kreuz II. Klasse. Bei der kirchlichen Trauung hatte er darüber hinaus die Achselschnur in Silber angelegt, die im Wehrmachtsjargon wegen ihres überzogenen dekorativen Charakters spöttisch auch »Affenschaukel« genannt wurde. Bereits bei der Verlobungsfeier auf dem Gartengrundstück seiner zukünftigen Schwiegereltern im April 1942 war er in Uniform erschienen.


Standesamtliche Trauung am 27. Juni 1942. Trauzeugen waren die Freunde Ursel Humke und Kurt Philipp

Diese auch bei der Hochzeit nicht durch einen Anzug zu ersetzen, muss als bewusster Entschluss gewertet werden, zumindest gab es keine militärische Vorschrift, die es verlangt hätte. Schaut man sich die Fotoalben der Schmidts aus den Kriegsjahren an, dann ist die Uniform auf fast allen privaten Fotos sein bevorzugtes Kleidungsstück. Nach dem Grund befragt, hatte er viele Jahre später dafür zunächst keine Erklärung. Seine Antwort nach längerem Zögern, da müsse er wohl keinen anständigen Anzug im Schrank gehabt haben, ist wenig plausibel. Selbst wenn dies so gewesen wäre, die Möglichkeit, einen Anzug zu erwerben, war 1942 durchaus gegeben, und auch mit seinem Sold als Oberleutnant wäre das problemlos möglich gewesen. Notfalls hätte er sich den repräsentativen Verlobungsanzug mit Weste von Bruder Wolfgang für Standesamt und Kirche leihen können.

Dass Helmut Schmidt bei seiner Hochzeit Uniform trug, muss also andere Gründe als eine materielle Notlage gehabt haben. Man muss in dieser Bekleidungswahl nun nicht gleich ein besonderes Treuebekenntnis zum NS-Staat und seiner Wehrmacht ableiten, schließlich war das Tragen der Uniform bei Offizieren auch bei privaten Anlässen durchaus üblich. Aber dass hier ein gewisser Stolz über die eigene militärische Laufbahn zum Vorschein kam, kann nicht bezweifelt werden. Er hatte sich zu einem Experten in technischen Fragen der Flugabwehr entwickelt, war zum Oberleutnant befördert worden und hatte für seinen Fronteinsatz eine Tapferkeitsmedaille verliehen bekommen. Auch dass er im Reichsluftfahrtministerium tätig war, wurde ausdrücklich auf den Karten der gedruckten Hochzeitsanzeige vermerkt – »Oberleutnant im RLM«.


Die Vermählungsanzeige

Helmut Schmidt hatte in der Wehrmacht einen anerkannten Platz gefunden, und offenbar war es ihm bedeutungsvoll, dies auch bei einem so privaten Anlass wie seiner eigenen Hochzeit öffentlich zu zeigen. Eine Diskussion über seine Hochzeitsbekleidung hatte es zwischen dem Brautpaar nicht gegeben, zumindest konnte sich keiner der beiden daran erinnern.

Die Autorin Sabine Pamperrien, die sich mit Schmidts früher Biographie befasst hat, fällt ein zugespitztes Urteil über die Nähe Helmut Schmidts zum Militärischen: »Die Haltung Schmidts war – äußerlich und innerlich – immer eine militärische«,[76] schreibt sie und bezieht sich damit nicht nur auf die frühen Jahren. Diese Charakterisierung der Persönlichkeit Schmidts erscheint – gemessen an seinen ausgeprägten künstlerischen Neigungen und Talenten sowie seiner enormen Lebensleistung für soziale gesellschaftliche Belange – als eine unzulässige Reduktion, die weder dem Menschen noch dem Politiker Helmut Schmidt gerecht wird. Dass ihm aber ein Gefallen am militärischen Gestus zu eigen war, zeigt er ganz unverstellt bei seiner Heirat in Uniform.

Es bleibt ein Nachtrag. Als Helmut Schmidt bei der Vorbereitung der für die Heirat notwendigen Papiere aufgefordert wurde, den berüchtigten Nachweis arischer Abstammung vorzulegen, versetzte ihn dies in Alarmstimmung. Würde der Eintrag »Vater unehelich, Großvater unbekannt« auf den eingereichten Papieren ausreichen, oder würde die Geschichte des jüdischen Großvaters ihn und seine Familie nun doch noch einholen? Die Sorge stellte sich als unbegründet heraus. Der Kommandeur stempelte und unterschrieb den eingereichten Nachweis ohne weitere Fragen. Auch die Vorstellung seiner Frau beim Kommandeur verlief reibungslos. Als angehende Offiziersfrau musste sie sich bei seinem Vorgesetzten vorstellen und hatte sich für diesen Akt eigens ein neues Kleid genäht. Allerdings gab ihr der zukünftige Ehemann mit, den Mantel anzubehalten und das Gespräch möglichst kurz zu halten, um so verfängliche Fragen – wie nach der unehelichen Geburt und Herkunft des Vaters – zu vermeiden. Den Mantel hatte sie dann doch abgelegt und sich sogar über Kunst mit dem Kommandeur unterhalten, wobei sie ihn so für sich einnahm, dass er der Verbindung ohne Vorbehalte seinen Zuspruch gab.[77]

Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar

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