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I. Von der Antike zum Mittelalter Die „Erfindung“ des Friedhofs im Frühen Christentum

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Es wäre übertrieben zu sagen, die Friedhöfe seien eine Erfindung des Christentums, denn bestattet wurde schon immer, und dementsprechend gab es auch immer Gräber. Es ist allerdings nicht verkehrt, die Bestattungsplätze der Antike als Nekropolen (Totenstädte) zu bezeichnen und die christlichen Begräbnisstätten im Unterschied zu ihnen Friedhöfe zu nennen, denn es gibt signifikante Unterschiede. So waren in den antiken Gesellschaften Begräbnis und Grabvorsorge eine Angelegenheit der Familie, und dementsprechend gab es nur private Grabstätten und keine öffentlichen Friedhöfe. Zwar fanden sich auch die privaten Gräber oft vergemeinschaftet in eben jenen Totenstädten, die wir Nekropolen nennen, aber es blieben Stätten des privaten Totenkultes. Diejenigen Menschen, die keiner Familie angehörten und selbst das Vermögen nicht aufbrachten, eine eigene Grabstätte zu erwerben, mussten mit dem Gedanken leben, dereinst keine Grabstätte zu finden. Und dies war für den antiken Menschen eine Furcht einflößende Vorstellung. Betroffen waren Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen, die in den Slums spätantiker Großstädte immer häufiger zu finden waren. Gewiss wurden auch ihre Leichen beseitigt, doch blieben für sie nur aufgelassene Sandgruben, ausgetrocknete Brunnenschächte oder jene schon in der Antike verächtlich Puticuli genannten Massengräber. Das Christentum schuf einen neuen Begriff von Familie, denn die biologische Familie wurde durch die kirchliche Gemeinde ersetzt, und diese sorgte sich nun um das Leben wie um das Sterben. Es entstanden gemeindeeigene Friedhöfe, die wir in den römischen Katakomben erstmals am Ende des zweiten Jahrhunderts greifen können. Der erste namentlich bekannte Friedhofsverwalter hieß Callist, war ein bekehrter Spekulant und später sogar Papst. Der älteste christliche Gemeindefriedhof trägt seinen Namen: Callist-Katakombe.

Auf diesen gemeindeeigenen Friedhöfen fanden auch die Märtyrer ihre letzte Ruhestätte, und immer stärker drängten die christlichen Bestattungen an ihre Gräber heran, um an den Segnungen der Blutzeugen dereinst Anteil zu haben. Es entwickelte sich jene Konzentration um die Heiligen und ihre Reliquien, die für den späteren Kirchhof so typisch sein sollte. Karl der Große ordnete dies an: Die Christenmenschen sollten nicht mehr bei den „Gräbern der Heiden“, sondern bei den Kirchen bestattet werden. Und der Herrscher über das fränkische und römische Reich verbot nun definitiv die Feuerbestattung. Für mehr als tausend Jahre war nun das Friedhofswesen geprägt: Erdbestattungen auf einem gemeindlichen Friedhof. Im Hinblick auf die Bestattungskultur blieb der christliche Friedhof in seiner Konzeption wegweisend bis in unsere Tage. Die späteren Ereignisse und Wandlungen im Friedhofswesen, die Reformation oder die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert waren lediglich Nadelstiche in einem funktionierenden System, und erst in unseren Tagen scheint das Erfolgs- zu einem Auslaufmodell zu werden. Die im Wesentlichen christlich geprägte Idee vom solidarisch getragenen Friedhof für alle kann den Säkularisierungs- und Individualisierungsbestrebungen in der Gegenwart nicht mehr standhalten.

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