Читать книгу Mit gläubigem Herzen und wachem Geist - Reinhold Stecher - Страница 32

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„Modellhaft“ bedeutet auch eine realistische Beschränkung mit dem Blick auf unsere Möglichkeiten. Es ist bei uns im sozialen Feld sicher ähnlich wie im Feld der internationalen Hilfe. Wir können nicht die Probleme ganzer Staaten in der Dritten Welt lösen. Aber da und dort können wir zeigen, wie man den Lebensstandard einer Region durch gezielte Aktionen heben kann.

Wenn man die Gesellschaft
da und dort positiv verändern will, braucht es
die sorgfältige Schulung Einzelner

Dafür muss ich schon deshalb plädieren, weil ich das z. B. in diesen Bereichen nicht habe. Nun erscheint mir aber die Wirklichkeit von Wirtschaft, Sozialem, Ökologischem, Weltweitem und Regionalem, Menschenbild und Politischem so komplex, dass ich mir ausrechnen kann, wie viel Sachverstand dazugehört, auch nur einigermaßen die Dinge überschauen und positive Lösungen finden zu können. In diese Schulung muss sicher viel hineinreichen. Sie muss die religiöse Verdünnung genauso vermeiden wie das Abgleiten in die Utopie. Utopien können in der Weltgeschichte schon auch eine Funktion haben, meist eher eine geistig-literarische, auf der anderen Seite ist utopisches Denken im Sozialbereich unter Umständen daran schuld, dass man kirchlichen Kreisen blauäugige Sozialromantik vorwirft. Mit bloßen Idealvorstellungen oder nicht realisierbaren Träumen kann man kaum an eine sachliche Arbeit gehen, auch die bloße Schärfung des kritischen Blicks ist zu wenig. Eine zukunftsträchtige Schulung wird die Auseinandersetzung und den Dialog mit anderen Gedankenbahnen suchen müssen, damit man gewisse Grundkonsense erreicht. Die Schulung im realistischen Detail muss aber auch unbedingt die unendliche Motivation einschließen, aus der heraus wir allein als Christen wirken können.

Zu unserem Dienst gehört auch das Wort
in die Öffentlichkeit

Das ist sicher eine wichtige Aufgabe im gesellschaftlichen Engagement der Kirche. Und es ist keine leichte Aufgabe. Und sie wird und wurde nicht immer in sehr glücklicher Weise gelöst. Über die Schwierigkeit dieser Art des Wirkens weiß ich aus ureigenster Erfahrung. In vielen Fällen soll dieses Wort in die Öffentlichkeit rasch erfolgen. Eine schnelllebige Zeit erfordert sehr oft schnelle Reaktionen. Und trotzdem muss das Wort in die Öffentlichkeit von einigen Grundsätzen geprägt sein, wenn es nicht der berühmte Schuss werden soll, der nach hinten losgeht.

Darf ich diese Eigenschaften mit folgenden Worten charakterisieren:

dosiert, d. h. dass man diese Form von Appell nicht zu oft machen sollte. Einen Bischof bedrängt man unter Umständen jede Woche zweimal, sein prophetisches Amt in dieser Weise zu realisieren. Aber die Häufung grundlegender Aussagen steigert keineswegs das Interesse

überlegt, d. h. dass man trotz drängender Zeit auf die Sachrichtigkeit größten Wert legt. Wenn ich ein Wort zu einer gefährlichen Abtreibungspille sage, dann werde ich den Text mit führenden Gynäkologen besprechen, auch wenn er nur zehn Zeilen umfasst. Und diese Zeit muss ich mir nehmen und wenn’s die halbe Nacht kostet. Das allzu flinke Aufspringen auf einen fahrenden Zug, mit einer Menge hinten nachgeschickter Berichtigungen bringt nichts. Die Äußerung muss Sacheinwänden, die zu erwarten sind, begegnen können.

abgestimmt, d. h. wenn im Namen einer Organisation oder gar der Kirche etwas gesagt wird, dann muss ich sicher sein, dass in meinen Kreisen eine gewisse Solidarität dahintersteht. Ich kann als Caritasbischof nicht etwas zur Flüchtlingsfrage sagen, wenn eine ganze Reihe von Caritasdirektoren sich außerstande sieht, meinen Worten zuzustimmen. Der Effekt ist höchstens Peinlichkeit. Wenn man von einem Sekretariat zu einer gesellschaftlichen Frage Stellung nimmt, z. B. zu der gar nicht einfachen Frage des Bundesheeres oder ähnlicher Probleme, und die offizielle Äußerung findet nicht einmal die Zustimmung der eigenen schütteren Reihen, dann wird eine derartige Aussage blitzschnell zum Nichts relativiert, und man begibt sich selbst in den Raum der Bedeutungslosigkeit.

gut formuliert, d. h. sprachlich gut formuliert, so wie eben ein Plakat zugleich Aufmerksamkeit wecken, instruktiv und gewinnend sein muss. Das ist wiederum nicht sehr einfach. Aber wir müssen in der Kirche beim großen gesellschaftlichen Wettbewerb um die langweiligste Aussage nicht immer um einen Spitzenplatz raufen.

Wer im Alltag der Gesellschaft
wirklich etwas verändern will, muss im Rahmen der
Demokratie in die Institutionen einsteigen

Es könnte sein, dass mir hier nicht jeder zustimmt. Ich bin ein überzeugter Verfechter der Distanz der Kirche, der Seelsorge, des Seelsorgers und seiner unmittelbaren Mitarbeiter von der Parteipolitik. Aber gleichzeitig müssen gerade aus den sozialen Organisationen der Kirche Menschen kommen, die dann in Betriebsräte, Gemeinderäte, Gewerkschaft und Arbeiterkammer einsteigen. Natürlich ist das dann ein ernüchternder Einstieg aus der Loge des Idealen auf die Bühne des Möglichen, jene Welt, in der es nie ganz bejahte Lösungen gibt, die man nicht bekritteln könnte, sondern eben immer wieder den Kompromiss. Aber auch auf diesem Feld gibt es die Chance der Redlichkeit, wenn sie auch oft einen schmerzlichen Weg hat. Aber für das katholische soziale Engagement genügt es nicht, sozusagen am Straßenrand des Lebens von Zeit zu Zeit ein Transparent mit starker Aussage hochzuhalten. Eine katholische Sozialbewegung muss Menschen, eben gut geschulte Menschen, in die Arena schicken und dazu ermuntern und ermutigen. Die sorgfältig und manchmal kokett gepflegte „Politikmüdigkeit“ junger Menschen ist letztlich eine Absage an einen christlichen Weltdienst in unserer nun einmal – Gott sei Dank – demokratischen Gesellschaft. Die braucht zwar auch außerparlamentarische Initiativen, wenn sie aber nur mehr aus solchen besteht, wird sie zum Chaos der Egoismen.

Wenn Mitglieder unserer Bewegungen in diesen Bereichen tätig sind, werden sie auch mit dafür sorgen, dass wir auf dem Boden bleiben und nicht in den Sog utopischer Zielsetzungen geraten. Ein Bischof braucht auch Pfarrer, die handfest im konkreten Betrieb stehen, damit er nicht auf seinem Thron in rosarote Kirchenbilder entschwebt.

Wir müssen positiv gepolt sein

Das möchte ich zum Schluss noch sagen. Es scheint mir wichtiger als der eine oder andere Appell. Sie werden manche Dinge, die ich jetzt anklingen habe lassen, vielleicht schärfer und differenzierter sehen. Aber hier möchte ich um der christlichen Grundhaltung wegen insistieren: In einer Zeit einer nicht ganz leichten inneren Situation der Kirche, eines schleichenden Frustes und Erscheinungen der Resignation, in einer Zeit, in der es in der Gesellschaft, in der Politik, im Bereich von Medien und Literatur so etwas wie eine „Lust am Negativen“ gibt, muss man als Christ einen anderen Ton hineinbringen, sonst sind wir reif zum Verschwinden.

Wer sich bemüht, den Willen Gottes aus seinem Wort und den Zeichen der Zeit zu erkennen, der kann doch getrost ans Werk gehen. Und zwar mit einer Motivation, die aus dem Ewigen kommt, und einer Diktion, die selbst in der harten Kritik noch einen Hauch von Liebe birgt, die eben auch aus dem Ewigen kommt, und mit dem Vertrauen, dass man von Christus begleitet ist, mit der Hoffnung, dass grundsätzlich nichts umsonst ist, und mit der realistischen Erwartung, dass heute in vielen Menschen unheimlich viel guter Wille da ist und dass gegen alle erkannten Defizite auch immer wieder Gegentrends auftreten, in die man einsteigen und die man verstärken kann. Wir können und müssen als Christen positiv gepolt sein, das gilt auch dann, wenn wir im sozialen Engagement da und dort gegen Missstände auftreten müssen. Wir müssen Salz der Erde sein, aber bitte nicht jammernde, anklagende, keifende und fanatische Salzsäure. Nicht die humorlose Verbissenheit darf uns kennzeichnen, sondern das heimliche Urvertrauen. Das ist „témoignage chrétien“, christliches Zeugnis.

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

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