Читать книгу Mit gläubigem Herzen und wachem Geist - Reinhold Stecher - Страница 36

Erker der Wachheit

Оглавление

Seit eh und je waren Fenster auch Ausdruck des Bedürfnisses, das Leben einzufangen, die Isolation zu überwinden, an der Außenwelt teilzunehmen und aus der allzu engen Behausung auszubrechen. Darum haben sich in die Straßen unserer Städte die Erker vorgeschoben, und es ist eigentlich großartig, was für hübsche Formen diese kleinen Vorburgen der Neugier im Lauf der Zeit entwickelt haben: köstliche Mischungen aus Offenheit und Zurückhaltung, Nähe und Distanz, Informationsbedürfnis und Eigenleben. Was der Erker für die Lebendigkeit eines Straßenbildes bedeutet, das erfasst jeder, der von der Herzog-Friedrich-Straße in Innsbruck in irgendeine Vorstadtavenue neueren Datums mit Laufmeter-Architektur überwechselt.

Der Erker steht für jenes Phänomen, mit dem aller geistiger Aufstieg des Menschen beginnt: der Neugierde und dem Staunen für die lebendige Offenheit zum Sein hin – wie wir es als immer neues Wunder beim allmählichen geistigen Erwachen jedes Kindes erleben. Eigentlich müsste es das Ziel jeder Bildung sein, den jungen Menschen in diesen Erker des Interessiertseins, der Wachheit und des Wissenwollens zu führen. Es kann nicht darum gehen, nur Daten zu vermitteln. Und immer wieder – das darf man einem alten Lehrer glauben – bleiben wir bei unserem Bildungsstreben in den langweiligen, dunklen Wendeltreppen abfragbaren Wissens stehen und kommen mit den Betreuten nicht zum Erker. Und dabei gibt es kein schöneres Erlebnis, als festzustellen, wie ein junger Mensch von sich aus das Interesse, das geistige Engagiertsein, die Freude am Schauen, Forschen und Weiten des Horizontes gewinnt. Sicher braucht es auch ein mühsam zu erwerbendes Wissen. Aber die höchste Fähigkeit, die zu vermitteln wäre, bestünde darin, den Bogen des Geistes zu spannen. Das haben Österreichs Rektoren der Universitäten schon vor vielen Jahren gesagt. Stattdessen dreht man aber alle Hähne der so genannten Allgemeinbildung voll auf, und wie beim schlampigen Biereinschenken im Wirtshaus ist dann mehr Schaum als Flüssigkeit im Krug, und wenn der junge Mensch dann am Schluss das anschaut, was am Ende bleibt, kommt er drauf, dass das gar nicht sein Bier ist …

Tirol braucht die Erker schöpferischer Neugierde und jene Art von Pädagogen, die ihre Zöglinge motivierend bis in diese Erker führen. Darum wünsche ich mir in allen Bildungsstraßen des Landes, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene viele, viele Erker, die aus den Fassaden der Plattheit herausragen. Und ganz besonders wünsche ich mir dies für jene Straßen, die zur Universität führen. Fenster dieser Art sind für das Geistesleben eines Landes unabdingbar.

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

Подняться наверх