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Grüßende Blumenfenster

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Aber ich möchte doch bei den kleinen Fenstern beginnen, die zwar aus der Zeit stammen, in der Glas noch teuer war und Wärme im Winter das Wichtigste, und die darum nicht ganz den Prinzipien moderner Wohnkultur entsprechen. Aber die zu klein geratenen Augen in den alten Mauer- oder Holzwänden bekommen mit den leuchtenden Pelargonien und Hängenelken so lachende Wimpern, dass sie sozusagen ein tausendfaches, freundliches „Grüß Gott“ übers Land rufen. Die Blumenfenster Tirols könnte man als Symbol einer gewissen Herzlichkeit verstehen, von der man nur wünschen muss, dass sie nicht stirbt. Die Fassaden gewaltiger Bettenburgen können das niemals ausstrahlen. Man weiß, dass besagte Blumenkästen an den Fenstern von innen heraus gepflegt werden müssen – die damit beschäftigten Hausfrauen wissen ein Lied davon zu singen. Und so muss auch jene Herzlichkeit, die Gäste hierzulande erwarten, von innen heraus gepflegt werden. Man kann es im Lande des hochprofessionellen Tourismus nicht oft genug sagen, dass das Gelingen eines Dienstes am Menschen nie nur die Sache perfekten Managements sein kann, sondern eben wiederum einer gewissen menschlich-gelösten Atmosphäre bei den Beherbergern und ihren Mitarbeitern. Man kann die Atmosphäre der Herzlichkeit nicht herbeischauspielern. Sie muss von innen kommen, wie die Pflege der Pelargonien.

Aber die kleinen Fenster, die sich hinter den farbigen Buschen verstecken, lassen mich noch nicht aus. Sie sagen nicht nur ein herzliches Grüß Gott, sie pfeifen sozusagen in charmant-unbekümmerter Weise noch eine andere Parole übers Land. Sie können zwar nicht Englisch, sondern nur Zillertalerisch, Stubaierisch oder Defreggerisch, aber die Parole, die sie verkünden, ist nun einmal in Englisch über die Welt gezogen und hinein in die anthropologische und politische Literatur gewandert, und so schreib ich sie in dieser Sprache nieder: Small is beautiful.

Diese Erkenntnis ist kein spätromantisches Seelenrülpserchen. Das Humanum stirbt heute nicht so sehr an der Verkümmerung, sondern an den Wucherungen. Das Leben wird von Karzinomen der Maßlosigkeit befallen: dem Traum vom grenzenlosen Wachstum, den Zusammenballungen gewaltiger Wirtschaftsmächte, der Megalomanie der Pläne, der Einebnung gewachsener Besonderheiten, der Degeneration der Abendlandsidee zum Supermarktkonzept. Bei aller Notwendigkeit gewisser Zusammenschlüsse und ihrer friedenserhaltenden Bedeutung bleibt doch das Grundgesetz, dass funktionierendes menschliches Leben und Zusammenleben eine geheime Verbindung zu überschaubaren Größenordnungen hat. Und deshalb hat die fröhliche Hymne der kleinen Fenster vom Glück des Begrenztseins ihre Aktualität: Klein ist schön. Die Rangordnung der Staaten der Welt nach Lebensqualität sagt übrigens in nüchterner Form genau dasselbe. Wenn die Bürotürme und Schaltzentralen derer, die in allem das Sagen haben wollen, noch so imposant in den Himmel wachsen und die Mammutkonzerte der Macht intonieren, das Lied „Tirol isch lei oans, isch a Landl, a kloans“ müsste sich dagegen behaupten, und zwar nicht aus folkloristischer Sentimentalität, sondern aus der nüchternen Erkenntnis humaner Lebensgesetze.

Die kleinen Blumenfenster sind wirklich mehr als ein Fotomotiv, wir brauchen sie als Botschaft.

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist

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