Читать книгу Tod in der Schorfheide - Richard Brandes - Страница 10
3
ОглавлениеDer Weg nach Kappe zog sich einige Kilometer als schmale Asphaltstraße durch einen finsteren Wald aus Laubbäumen und Kiefern. Die Gegend gehörte zur Schorfheide, einem überwiegend geschlossenen, teils dichten Waldgebiet, das sich über die Landkreise Oberhavel, Barnim und Uckermark erstreckte. Die Telefonleitungen verliefen oberirdisch, und einer der hölzernen Masten, die das schwarze Kabel trugen, war vom Sturm eingeknickt. Auch ein Baum war umgestürzt, ohne jedoch die Straße vollständig zu blockieren, sodass Carla im Schritttempo drum herumfahren konnte.
Das ehemalige Forsthaus befand sich etwa hundert Meter vom Dorf entfernt mitten im Wald. Der Sturm hatte nachgelassen, nur hin und wieder wehte eine Böe, die mitunter so kräftig war, dass der Wagen ruckelte.
Beim Aussteigen trat Carla in eine der Pfützen, die das Löschwasser hinterlassen hatte. Die Luft war feucht, und es roch nach Rauch. Das Haus war zu einer Ruine heruntergebrannt und wurde von Scheinwerfern, die die Polizei an allen Seiten aufgestellt hatte, angestrahlt. Es wimmelte nur so von Beamten in weißen Schutzanzügen, Feuerwehrleuten und Uniformierten. Vor einem Flatterband, das das Grundstück weiträumig umspannte, hatte sich eine Menschenmenge gebildet, die zum Unglücksort hinüberspähte.
Carla war fassungslos über das Ausmaß der Zerstörung. Vermutlich hatten sie es mit Brandstiftung zu tun, denn ein unbeabsichtigtes Feuer hätte niemals einen derartigen Schaden verursacht. Der Dachstuhl war eingestürzt und hatte das obere Stockwerk unter Balken und Ziegeln begraben. Die Fenster im Erdgeschoss waren geborsten und die Rahmen verbrannt, sodass dort Löcher klafften, durch die man in die Wohnräume blicken konnte. Kaum ein Möbelstück war noch als ein solches zu erkennen; in den Zimmern türmte sich verkohlter Schutt, aus dem es vereinzelt qualmte. Carla fragte sich, warum es einen Toten gab. Hatte das Opfer nicht ins Freie flüchten können?
Maik stand plötzlich neben ihr. Lederjacke, Stehfrisur, herbes Parfüm – für diese Uhrzeit wirkte er noch recht frisch.
»Da bist du ja!«, sagte er. »Der Tote liegt im Haus. Wollen wir?«
»War der Notarzt schon da?«
»Ja, aber er ist auch gleich wieder weg. Er meinte, er sei hier überflüssig. Wir sollten uns auf einiges gefasst machen. Siehst du den Wagen da vorne?« Maik zeigte auf einen VW Caddy, der vor dem Gebäude parkte und völlig ausgebrannt war. »Das Feuer kann unmöglich auf das Auto übergesprungen sein, auch nicht bei dem Sturm. Es steht zu weit vom Haus weg. Jemand muss es in Brand gesetzt haben. Deshalb glaubt Müller an Mord.«
»Also eindeutig Brandstiftung!«, sagte Carla. »Ob es Mord war, muss sich noch zeigen. Wo ist Müller überhaupt?«
»Läuft hier irgendwo rum und entnimmt Brandschuttproben.«
Sie gingen in Richtung des Hauseingangs.
»Wer hat den Brand gemeldet?«, fragte Carla, wobei sie erneut in eine Pfütze trat.
»Ein Zeuge namens Herbert Kahlow. Er wohnt gleich drüben im Dorf. Falls du Fragen hast: Er und seine Frau warten an einem Einsatzfahrzeug.«
»Was ist mit dem Rechtsmediziner?«
In diesem Moment fuhr ein schwarzer Golf heran und hielt abrupt vor Carla und Maik. Der Fahrer, Anfang fünfzig und sportlich gekleidet, war Dr. Karsten Berkemann. Carla hatte oft mit ihm zu tun.
»Falls es jemanden interessiert«, sagte er beim Aussteigen, »ich war gerade auf einem Geburtstag. Meine Schwägerin. Ein Riesenfest, richtig nett war’s! Freunde und Verwandte, die ich eine Ewigkeit nicht gesehen hatte.«
Das war typisch Berkemann, der sich für gewöhnlich für den Einzigen hielt, der arbeitete. Alle anderen waren wohl zu ihrem Vergnügen an einem Tatort. Er trug einen schwarzen Lederkoffer und ging um seinen Wagen herum auf Carla und Maik zu.
»Mein Mitgefühl!«, sagte Carla, während sie den Hauseingang betrachtete. Von der Tür hing nur noch ein verkohlter Rest in den Angeln. »Das ist ja fast so schlimm, wie bei einem Brand umzukommen.«
Carla betrat als Erste die Diele. Es roch noch leicht nach Benzin, das vermutlich als Brandbeschleuniger benutzt worden war. Maik und Berkemann folgten.
»Der Hauseigentümer heißt Nico Römer und ist fünfunddreißig«, sagte Maik zu Carla, während er sich einen Mundschutz am Hinterkopf zuband. »Ob er der Tote hier ist, wissen wir noch nicht. An sein Handy geht er jedenfalls nicht.«
Die Leiche lag gleich neben dem Eingang. Sie war mit einem weißen Tuch abgedeckt.
»Da ist noch was«, sagte Maik, dessen Stimme vom Mundschutz gedämpft wurde. »Dieser Nico Römer hat in Zehdenick ein Computergeschäft. Reparaturen und so. Mit einem Kompagnon namens Leo Rapp. Zufall oder nicht, in dem Geschäft ist eingebrochen worden.«
Carla wurde hellhörig. Sie hatte sich ebenfalls eine Maske übergezogen und war gerade damit beschäftigt, in Einweghandschuhe zu schlüpfen. »Wann?«
»Gegen drei gestern Nacht. Zwei Täter mit Sturmhauben schlugen alles kurz und klein. Ein Anwohner hat die Szene gefilmt. Mit seinem Handy.«
»Dann gibt es eine Aufnahme?!«
»Leider nicht. Die Täter haben dem Zeugen sein schickes neues weißes iPhone weggenommen, bevor sie ihm eins verpasst haben. Der Typ kann von Glück sagen, dass nicht mehr passiert ist.«
»Läuft die Ortung des Handys?«
»Ja. Aber die Jungs werden nicht so blöd sein, es eingeschaltet zu lassen.«
»Ist was geklaut worden?«
»Seltsamerweise nicht. Der Einbruch muss einen anderen Grund gehabt haben. Würde mich nicht wundern, wenn der Brand hier auch auf das Konto dieser Typen geht.«
Der Arzt hatte sich zu dem Toten gehockt und hielt einen Zipfel des weißen Tuchs in der Hand. Auch er trug Mundschutz und Handschuhe.
»Können wir?«, sagte er. »Oder wollt ihr lieber eine Kaffeepause einschieben? Ich hab im Auto noch einen, falls es sich dann leichter plaudern lässt.«
Carla und Maik warfen sich einen augenrollenden Blick zu.
»Wir plaudern nun mal gerne während der Arbeit«, sagte Carla. »Weil es hier so gemütlich ist.«
Sie hielt etwas Abstand vom Toten, denn ihr war bereits von zwei Aspirin übel. Zum Glück waren zumindest die Kopfschmerzen verschwunden.
Berkemann hob das Tuch an, und Maik wandte sich blitzartig ab. »Alter Schwede!«
Auch der Arzt drehte sich ein Stück zur Seite und ließ das Tuch zurück auf den Toten fallen. Es war der Gestank verbrannten Fleisches, der in penetranter Weise aufstieg. Carlas Übelkeit verschlimmerte sich zu einem Brechreiz. Daher zog sie es vor, die Leiche im Stehen zu inspizieren, statt sich wie sonst neben Berkemann zu hocken. Sie holte ein Papiertaschentuch aus der Jackentasche und hielt es sich vor den Mundschutz.
»Zweiter Versuch!«, sagte der Rechtsmediziner und lupfte das Tuch noch einmal.
Der Anblick war grauenhaft. So etwas hatte Carla in ihren mehr als fünfunddreißig Dienstjahren nicht gesehen.
Der Körper befand sich in Rückenlage und war zu einem großen Teil verkohlt. An den Beinen klebten noch Reste einer Jeans, während andere Kleidungsstücke vollständig verbrannt waren. Es war unmöglich zu erkennen, ob der Tote männlichen oder weiblichen Geschlechts war. Aus dem Hinterkopf quoll Gehirnmasse, die sich in einen schwarzen Klumpen verwandelt hatte, während die Zunge aus dem weit aufgerissenen Mund hing.
»Ich kotz gleich!«, sagte Maik, der sich noch immer abgewendet hatte und nur hin und wieder einen Blick riskierte.
Carla versuchte mit aller Kraft, ihre Übelkeit zu ignorieren, und lenkte ihre Konzentration auf die Körperhaltung des Toten, die einer für Brandopfer typischen Fechterstellung glich. Die Beine waren im Knie gebeugt und zu einer Raute geformt, wie bei einem Säugling, der auf einem Wickeltisch lag. Eigentlich hätten sich auch die Arme in einer angewinkelten Position befinden müssen. Doch mit den Armen des Toten stimmte etwas nicht. Es sah so aus, als existierten sie gar nicht.
Berkemann zeigte auf die Beine des Toten. »Die Gliedmaßen werden gebeugt, weil sich Sehnen und Muskulatur durch die Hitze verkürzen«, sagte er dozierend.
Maik wagte einen Blick zum Hals des Opfers, wo stichartige Verletzungen zu erkennen waren. »Vielleicht ist er erstochen worden«, sagte er.
»Das sind keine Einstiche«, sagte der Arzt. »Die Haut ist aufgeplatzt, wegen der enormen Temperaturen.«
Carla dachte, dass Maik mit seinen achtunddreißig Jahren vermutlich noch nicht allzu viele Brandleichen gesehen hatte. Im Gegensatz zu ihr, die fast zwanzig Jahre mehr auf dem Buckel hatte.
»Was ist mit seinen Armen?«, fragte sie mit Blick zu Berkemann.
Der Rechtsmediziner wendete den Leichnam behutsam ein Stück zur Seite und senkte schlagartig den Blick. »Ach du dickes Ding!«
Carla bückte sich in Richtung des Toten und war ebenfalls geschockt. Das Brandopfer war mit Handschellen gefesselt worden. Die Person, die vor ihnen lag, war eindeutig ermordet worden.
»Wer tut so was Grässliches?«, flüsterte Maik mehr zu sich selbst, während der Arzt begann, den Körper des Toten vorsichtig abzulegen.
»Einen Moment noch«, sagte Carla. »Was ist das?«
Sie zeigte auf einen dünnen, kordelähnlichen Strick, der auf Höhe der Schultern lag. Er hatte in etwa die Länge einer Zigarre und war trotz des Brandes gut erhalten, weil er durch den darüberliegenden Körper geschützt worden war.
»Sieht aus wie ein Hanfseil«, sagte sie. »Vielleicht hat man ihm einen Strick um den Hals gelegt, und das hier ist der Rest davon.«
»Du meinst, er wurde erdrosselt?«, fragte Maik.
»Das kriege ich bei der Obduktion raus«, sagte Berkemann, der den Toten noch immer in einer seitlichen Lage hielt.
Carla versuchte, sich einen möglichen Tathergang vorzustellen. Jemand hatte dem Mordopfer Handschellen angelegt, um es an einer Flucht zu hindern. Anschließend hatte der Täter das Opfer erdrosselt und Benzin im Haus verschüttet, bevor er alles in Brand gesetzt hatte. So könnte es sich abgespielt haben. Oder auch nicht.
»Hol den Fotografen«, sagte sie zu Maik. »Wir brauchen ein Bild von dem Strick, an Ort und Stelle.«
Während Maik nach draußen ging, drehte Berkemann den Leichnam behutsam auf den Rücken.
»Ich lass ihn ins Institut bringen«, sagte er im Aufstehen. »Im Übrigen glaube ich nicht, dass er erdrosselt wurde. Siehst du die Krähenfüße?«
Er deutete auf zarte weiße Striche an den Schläfen des Opfers.
»Das spricht dafür, dass er die Augen während des Feuers zusammengekniffen hat. Er hat alles bei vollem Bewusstsein mitbekommen.«
Carla musste an die frische Luft. Ihr war kotzübel.
Draußen vor der Tür streifte sie Mundschutz und Handschuhe ab und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Es ging ihr augenblicklich besser.
»Sieht schwer nach Mordbrand aus«, sagte sie zu Berkemann, der ihr gefolgt war und ebenfalls tief einatmete, während er sich von den Hygiene-Utensilien befreite.
»Allerdings. Der Täter wollte Spuren vernichten. Was ihm womöglich auch gelungen ist.«
Carla schlenderte ein wenig benommen zu dem ausgebrannten weißen Caddy, der großflächig vom Feuer geschwärzt war, sodass man den Firmenschriftzug an der Fahrzeugtür nur noch undeutlich erkennen konnte. »Rapp und Römer. Computerservice. Hilfe vor Ort«. Handynummer und Geschäftsadresse waren durch die Brandschwärze unvollständig geworden.
Carla zückte eine Taschenlampe und leuchtete ins Wageninnere. Das Armaturenbrett war geschmolzen, von den Polstern hingen nur noch Fetzen herab.
»Hat jemand den Hund gefunden?«, rief sie, während der Strahl der Taschenlampe unruhig über die vorderen Sitze flackerte.
Maik tauchte neben ihr auf und spähte in den Wagen. »Welchen Hund?«
Carla leuchtete auf eine verkohlte Hundeleine und den Rest einer Felldecke. Beides lag auf dem Beifahrersitz.
»Scheiße!«, sagte Maik.
In diesem Moment kam Kriminalhauptkommissar Peter Müller vom Branddezernat humpelnd hinzu. Nach einem Motorradunfall litt er unter einer nie verheilten Beinverletzung.
»Wo steckt ihr denn?«, sagte er schroff. »Ich suche euch schon die ganze Zeit!«
Er trug einen Schutzanzug und war in Begleitung eines braun-weiß gescheckten Kleinen Münsterländers, der als Spürhund diente. Der Hund hatte schwarze Gummischuhe an den Pfoten, damit er sich keine Verletzungen zuzog, wenn er den Brandschutt inspizierte. Er lief schnüffelnd neben Müller her.
»Habt ihr irgendwo einen Hund gefunden?«, fragte Carla mit Blick zu dem Münsterländer.
»Einen Hund!«, platzte es aus Müller heraus. »Außer meinem Arco gibt’s hier keinen Hund. Wieso?«
Carla leuchtete mit der Taschenlampe auf den Beifahrersitz, woraufhin Müller in gebeugter Haltung in das Auto sah.
»Der wird irgendwo unter dem Schutt sein«, sagte er in einer Beiläufigkeit, als spreche er von einem alten Sessel, der ohnehin auf den Sperrmüll gehört hätte. Aber Carla kannte Müller. Er meinte es nicht so.
»Ich lass die Kollegen das Gelände absuchen«, sagte Maik. »Vielleicht hat er sich im Gebüsch versteckt.«
Nachdem Maik verschwunden war, machte Müller eine Kopfbewegung zum Haus. »Mein Arco hat wie verrückt vor dem Toten gescharrt«, sagte er. »Das macht er immer, wenn er eine hohe Konzentration Benzin riecht.«
»Das heißt, dass auf dem Ermordeten Benzin ausgegossen wurde?«, sagte Carla, deren Magen sich gerade wieder einigermaßen beruhigt hatte.
»Das heißt es.«
Für den Moment reichte es Carla mit Details über den Mord. »Wo sind andere Brandausbruchsstellen?«, fragte sie, um sich von einem beklemmenden Gefühl, das sich in ihr ausgebreitet hatte, abzulenken.
»In jedem Zimmer! Die Bude ist bis auf die Zahnbürste abgefackelt. Als hätte jemand einen Flammenwerfer reingehalten. Hier wurde ganze Arbeit geleistet.«
Müller löste die Kopfhaube seines Plastikanzuges und versuchte, den Reißverschluss auf Brusthöhe zu öffnen. Es hakte.
»Bei dem Brandschaden werdet ihr Schwierigkeiten haben, DNA-Vergleichsmaterial zu finden«, sagte er, während er an dem Reißverschluss ruckelte. »Warum geht dieses Scheißding nicht auf?«
»Der Tote hatte ein Computergeschäft«, sagte Carla. »Vielleicht finden wir da Vergleichsmaterial. Ansonsten überprüfen wir den Zahnstatus.«
Carla zog einmal kräftig, und der Reißverschluss war nicht nur offen, sondern auch herausgerissen. Müller befreite seine Arme aus der Plastikmontur.
»Wird Zeit, dass ich in Rente gehe«, sagte er. »Solche Mordfälle muss ich mir nicht noch lange antun.«
Er schüttelte sich, sodass der Schutzanzug raschelnd zu Boden sank, während Carlas Blick über das Gelände wanderte.
»Ich glaube, Berkemann hat recht«, sagte sie mehr zu sich selbst. »Der Ermordete ist nicht erdrosselt worden. Schließlich macht der Tatort nicht gerade den Eindruck, als seien Sozialarbeiter am Werk gewesen.«
»Das ist jetzt euer Problem«, erwiderte Müller. »Wenn ich ehrlich bin, beneide ich euch nicht um euren Job.«
Carla verabschiedete sich mit einer lässigen Handbewegung und ging zu einem Polizeiauto, wo Maik mit einem älteren Ehepaar wartete. Die Frau war hager und trug eine Brille, die ihre Augen stark vergrößerte, während der Mann ein Stück kleiner war als sie. Er wirkte klapprig.
»Das sind Margot und Herbert Kahlow«, sagte Maik.
»Grauenhaft, was hier passiert ist«, platzte es aus der Frau heraus, noch ehe sich Carla überhaupt vorstellen konnte. »Einfach grauenhaft! Was ist denn mit dem jungen Mann, der hier wohnt? Ist er tot? Ich hätte ja so gerne geholfen, aber ich habe geschlafen, und mein Mann hat es auch nicht für nötig befunden, mich zu wecken, als er gesehen hat, was passiert ist. Leider kann ich nichts zu dem jungen Mann sagen, weil der so zurückgezogen lebt und wir ihn kaum zu Gesicht kriegen. Manchmal kommt er mit seinem Auto von Zehdenick, er hat da nämlich ein kleines Geschäft, macht irgendwas mit Computern, glaube ich, stimmt’s, Herbert? Was ist denn mit ihm? Man sieht ihn ja gar nicht. Ist er im Krankenhaus? Und wo ist sein Hund? Den hat er sich aus dem Tierheim geholt, ist noch gar nicht so lange her. Vor ein paar Wochen war das. Hoffentlich ist dem armen Tier nichts passiert. Ich begegne den beiden manchmal im Wald, bei einem Spaziergang. Herrgott, wenn er doch nicht so einsilbig wäre, dabei sieht er so nett aus! Außer einem Gruß haben wir kein Wort miteinander gesprochen, und ich wusste ja auch gar nicht, was ich sagen sollte, man will ja schließlich nicht aufdringlich sein. Mein Mann ist im Übrigen auch nicht der Redseligste, aber gegen diesen jungen Herrn Römer –«
»Sie haben also die Feuerwehr gerufen?«, sagte Carla zu dem Ehemann, um dem Geplapper ein Ende zu bereiten. »Was genau haben Sie beobachtet?«
»Ich bin aufgewacht, weil ich so ein Rauschen hörte. Aber ich hab nicht sofort reagiert, denn ich war mir nicht sicher, ob …«
Dem Zeugen schossen Tränen in die Augen.
»Mein Gott, Herbert, jetzt reiß dich zusammen, du machst dich ja lächerlich!«, sagte seine Frau, bevor sie sich wieder Carla zuwandte. »Sie müssen wissen, dass vor vielen Jahren unsere Scheune abgebrannt ist, als wir gerade auf einem Fest im Nachbardorf waren. Kurtschlag, falls Ihnen das was sagt, das ist, wenn Sie hier die Straße Richtung Zehdenick zurückfahren, dann kommt nach etwa einem Kilometer ein Abzweig, da müssen Sie sich rechts halten, und dann sind es –«
»Ja, schon gut«, sagte Carla. »Lassen Sie bitte Ihren Mann weiterreden.«
Herbert Kahlow hielt die Hände vors Gesicht und weinte, während seine Schultern zuckten. Seine Frau verdrehte die Augen.
»Der Hund war bei dem Brand in der Scheune«, sagte sie nach einem Riesenseufzer. »Ich hab darauf bestanden, ihn dort einzusperren, weil er krank war und mir das ganze Haus dreckig gemacht hat. Er konnte nichts mehr bei sich behalten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das wirft mir mein Mann bis heute vor! Wie lange ist das jetzt her? Bestimmt fünf oder sechs –«
»Das mit Ihrem Hund tut mir leid«, sagte Carla zu dem Zeugen, woraufhin sich der alte Mann einigermaßen fasste.
»Er … er hat so geschrien«, sagte er.
»Du übertreibst!«, schimpfte seine Frau. »Er hat ein bisschen gejault. Aber davon hast du doch sowieso nichts mitbekommen. Die Nachbarn haben dir das erzählt. Du musst nicht immer alles glauben, was die Leute sagen. Was meinst du, was alles geredet wird –«
»Der Mann hat so geschrien«, fiel ihr Herbert Kahlow ins Wort.
Carla horchte auf. »Der Mann? Sie meinen das Brandopfer?«
Der Zeuge nickte.
»Während des Brandes?«
»Er hat noch gelebt. Warum ist er nicht rausgelaufen? Ich versteh das alles nicht!«
Carla und Maik traten ein Stück zur Seite.
»Was sagt uns das über den Täter?«, fragte Maik, der kalkweiß im Gesicht war.
»Was glaubst du?« Carla sah zu dem abgebrannten Haus hinüber.
»Was ich glaube? Dass hier eine Menge Hass im Spiel war.«